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Weder die Anhänger des bayerischen Ministerpräsidenten noch seine Gegner werden über dieses Buch erbaut sein. Seine Autoren, zwei renommierte Korrespondenten der ‚Süddeutschen Zeitung‘, wahren sachliche Distanz – und kommen dennoch zu einem klaren Urteil.

Markus Söder hat dieser Tage den einigermaßen verqueren Begriff „Asyltourismus“ in die politische Debatte geschleudert. Wenig später gibt der bayerische Ministerpräsident zu Protokoll, er halte diese Wortkonstruktion für zulässig und wundere sich eher darüber, dass jemand darüber diskutieren will. Viel wichtiger sei es doch, Wege zu finden, ausländische Menschen ohne Bleiberecht schnellstmöglich in ihre Heimatländer zurück zu schicken oder zumindest in einen anderen europäischen Staat.

Ein typischer Söder: Er wirft ganz bewusst eine Provokation in den öffentlichen Raum, tut dann aber so, als sei dies absolute Normalität und als litten seine Kritiker unter einer völlig verzerrten Wahrnehmung. Dass es sich um keinen Einzelfall handelt, erkennt der politisch Interessierte schnell, denn Markus Söder gehört schon seit Jahren zum Inventar der TV-Polittalks und hat dort durch sein provokantes Auftreten schnell bundesweite Bekanntheit erlangt.

Wer die – wohlgemerkt nicht autorisierte – Söder-Biografie von Roman Deininger und Uwe Ritzer liest, wird merken, dass sich der laute Auftritt wie ein Leitmotiv durch die gesamte politische Karriere des Markus S. zieht. Von den frühen Tagen als Funktionär und später Vorsitzender der Jungen Union in Nürnberg und Bayern, sodann als bayerischer Landtagsabgeordneter, CSU-Generalsekretär und multifunktionaler Landesminister sowie schließlich als Ministerpräsident des Freistaats. Deininger und Ritzer zeichnen diese Karrierestationen detailliert und sehr gut ausrecherchiert nach. Dazu haben sie mehr als 100 Informanten interviewt, inklusive mehrerer mehrstündiger Gespräche mit Söder selbst.

Markus Söder hat die Provokation zur Ultima Ratio der politischen Kommunikation erhoben. Oft sind es aber auch seine Maßnahmen, die polarisierend wirken – wie vor einiger Zeit die Kreuz-Verordnung für bayerische Behörden. „Markus Söder ist ein Mann der Hauptsätze“, sagt sein politischer Ziehvater Edmund Stoiber über ihn. Mehr noch: Er arbeitet schon lange lieber mit peppigen Bildern als mit trockenen Pressemitteilungen. „Söder hat Facebook-Politik gemacht, als es Facebook noch gar nicht gab“, schreiben Deininger und Ritzer, beide Reporter der Süddeutschen Zeitung. „Er ist ganz alte Schule, nur halt bei Instagram.“ Er denke „vom Kunden her“, sprich: dem durchschnittlichen Wähler, schreiben die Autoren. Deshalb sei ihm das – eh meist linksorientierte – politische Feuilleton weitgehend egal.

 

Im Zweifel auch mal für das DDR-Sandmännchen

Spielen politische Inhalte also eher eine untergeordnete Rolle bei dem politischen Durchstarter? „Söder und die Substanz – das ist keine Liebesgeschichte“, heißt es in der Biografie. Doch eine Richtung ist natürlich erkennbar: Söder ist ein strammer Nationalkonservativer, der allerdings auch sehr pragmatisch agieren kann, wenn es dem Machterhalt dient. So hat er sich gegen Genmais in der bayerischen Landwirtschaft stark gemacht und für das „Sandmännchen“, auch wenn es ursprünglich aus der Ex-DDR kommt. Das Autorenduo skizziert Söder als einen Politik-Manager, der ohne Visionen auskommt. Unwillkürlich muss man dabei an Helmut Schmidt denken. Doch ein Vergleich des SPD-Kanzlers der Siebziger Jahre mit dem bayerischen MP von heute führt vor Augen, wie stark sich das Verständnis von Politik-Management verändert hat.

Das Buch wird diejenigen enttäuscht zurücklassen, die sich eine 350-Seiten lange Lobeshymne auf ihren Landesvater und/oder Lieblingspolitiker erhoffen. Dazu nehmen die Autoren eine zu distanzierte, manchmal ins Ironische reichende Grundhaltung ein. Sie charakterisieren Söder zwar als äußerst emsig, taktisch extrem clever und superflink im Handeln. Persönliche Sympathie schimmert aber nur an sehr ausgewählten Stellen durch. Allerdings ist zwischen den Zeilen auch immer wieder eine gewisse Ehrfurcht vor der politischen Durchsetzungskraft des Markus Söder zu verspüren. Dies mag diejenigen Leser verprellen, die sich ein veritables Söder-Bashing mit reihenweisen Enthüllungen über dessen vermeintliche politische ’Gräueltaten‘ gewünscht hätten.

Dass die Filterblasen beider Fraktionen zerstochen werden, ist das große Verdienst dieses sehr lesenswerten Buches. Es zeichnet sich durch eine angemessene Distanz, psychologisches Einfühlungsvermögen und einen feinen Federstrich aus. Auch die Einschätzungen sind treffsicher. Meistens zumindest. An einer Stelle heißt es nämlich: „Er will nicht unbedingt Kanzler werden.“ Offen bleibt hier, ob die Betonung auf dem ’nicht‘ oder dem ‘unbedingt‘ liegt.

Roman Deininger/Uwe Ritzer: Politik und Provokation. Markus Söder – die Biografie. München 2018. Preis: 19,99 €.

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Prof. Lutz Frühbrodt

Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Professor für "Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation" an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zu kommunikations- und wirtschaftspolitischen Themen. Spezialgebiet Mediensoziologie. Zuvor ein knappes Jahrzehnt Wirtschaftsreporter bei der "Welt"-Gruppe - als Teilstrecke seines Marsches durch die Institutionen. Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität in seiner Heimatstadt Berlin. Volontariat beim DeutschlandRadio Kultur.