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Als Intendant des DDR-Fernsehens wirkt Heinz Adameck als die graue Eminenz der DDR-Kultur. 35 Jahre lang drückt er dem wichtigsten Massenmedium seinen Stempel auf und beeinflusst so Millionen von DDR-Bürgern. Gegenüber den Machthabern Ulbricht und Honecker buckelt der am längsten amtierende Senderchef der Welt, hinter den TV-Kulissen setzt Adameck in typischer Funktionärs-Manier die Parteilinie durch. Zuweilen lässt er dabei auch künstlerische Experimente und kritische Zwischentöne zu. Als Endprodukt kommt ein zwiespältiges, zuweilen interessantes TV-Programm zustande.

„Der Napoleon aus Adlershof“

Heinz Adameck lebt wie eine professionelle Couch-Potato, zumindest guckt er sehr viel Fernsehen. „Ich habe mir die etwa 100 wichtigsten Sendungen angeschaut“, erzählt er in einem Interview 2005 über seine Arbeit als Intendant in den achtziger Jahren. „Früher habe ich mir sogar alle Programme angesehen beziehungsweise begutachtet oder gelesen.“ Adameck – der Allgegenwärtige. „Ich bin schon an allem nicht nur beteiligt gewesen, sondern habe es auch selber begleitet und auch immer selber eingegriffen.“ (1)

Testbild des DDR-Fernsehens 1980. Foto: Olga Bandelova/Wikicommons

Adameck, der Allmächtige? Heinz Adameck agiert von Anfang 1954 bis Ende 1989 als Intendant des DDR-Fernsehens. Ab 1968 darf er sich zudem Vorsitzender des Staatlichen Komitees für Fernsehen nennen, das stärkt noch einmal seine Position. Bereits 1963 ist er in das Zentralkomitee der SED eingezogen und gehört damit zum erweiterten Machtzirkel der DDR. Doch über ihm stehen noch zahlreiche Staatsminister, Mitglieder des SED-Politbüros, also des innersten Machtzentrums, sowie die SED-Generalsekretäre, die Machthaber des Staates. Zunächst Walter Ulbricht, später Erich Honecker. Sie können ihm direkt Anweisungen geben, was er zu senden hat und was nicht. Und ab und an machen sie von diesem Privileg auch Gebrauch. Weisungsbefugt ist zudem das für Agitation zuständige Mitglied des Politbüros, denn das Fernsehen ist aus Sicht der SED in erster Linie ein Propaganda-Instrument. Das schließt Kultur- und Unterhaltungssendungen mit ein. Zumindest ein ganzes Stück weit.

Heinz Adameck ist also ein medienpolitischer Funktionär, ein letzthin ausführendes Organ. Doch in den Apparat hinein übt er im Rahmen der Vorgaben von ganz oben große Macht aus. Über das „Programm voll, von vorne bis hinten“, sagt er stolz. Er ist auch für das gesamte Personal sowie für die Technik verantwortlich. „Die Fernsehleute hatten einen Spruch. Der ist nicht der Allerbeste, unser Chef, aber der Beste, den wir haben“, erinnert sich Adameck mit Wohlwollen an sich und sein Wirken. „Ich hatte in der Fernsehmannschaft einen großen Rückhalt und war dadurch auch ein bisschen unangreifbar.“ (1) Adameck kann in der Tat sehr freundlich sein, genießt den Ruf eines Kümmerers. Er ist aber auch gefürchtet, wenn ihm etwas gegen den Strich geht oder er Druck von oben bekommt.

In kulturpolitischen Kreisen trägt er den Spitznamen „Napoleon aus Adlershof“. Adlershof bezieht sich auf die Zentrale des DDR-Fernsehens in Berlin-Adlershof. Das Napoleonische spielt auf Adamecks Machtfülle, aber auch auf seine geringe Körpergröße an. Heinz Adameck misst gerade einmal einen Meter sechzig. In den Fünfzigern hat er seine dunkle Lockenpracht noch weit nach oben aufgetürmt, was ihm eine androgyne Note verleiht. Der Eindruck verstärkt sich durch seine eher weichen Gesichtszüge und seine nicht unbedingt sonore Stimme. Seit Mitte der Sechziger trägt er dann einen strengen Seitenscheitel und die Haare deutlich kürzer. Das wirkt der Position angemessener, sieht professioneller aus.

In den frühen Jahren tritt Heinz Adameck noch in Sendungen auf, in denen das Fernsehen seine Machart und sein Programm den Zuschauern erklären will. Diese Auftritte werden über die Jahre immer spärlicher. Ab und zu äußert sich Adameck noch in der Parteizeitung „Neues Deutschland“ oder in „FF dabei“, der einzigen Programmzeitschrift der DDR („FF“ steht für „(Deutscher) Fernsehfunk“. Wenn Adameck öffentlich in Erscheinung tritt, dann stets freundlich und mit einem Duktus, der eher an einen Journalisten erinnert als an einen kommunistischen Parteifunktionär. Er äußert sich jedoch immer eher zurückhaltend, wirkt nicht besonders charismatisch. Letztlich ist und bleibt er ein Apparatschik, der die gerade angesagte Kulturpolitik der SED beim wichtigsten Massenmedium durch- und umsetzt.

„Napoleon“ Heinz Adameck (von hinten) nimmt Haltung an, als ihm 1986 TV-Oberaufseher Joachim Herrmann den Karl-Marx-Orden verleiht. Foto: Bernd Nickel/Deutsches Rundfunkarchiv.

Diese Politik oszilliert zwischen einem harten „sozialistischen Realismus“ mit proletarischen Helden und dumpf klassenkämpferischen Botschaften auf der einen und auf der anderen Seite einem stärker diskursorientierten Ansatz, der auch kritische Fragen zulässt. Zwischen holzschnittartig-langweiligem Propagandamaterial und künstlerischen Experimenten. Zwischen zu viel Politik in der Kultur und weitgehend ideologiefreier Unterhaltung. Wer in der DDR seinen Fernsehapparat anschaltet, ist jedenfalls vor Überraschungen nie gefeit. Wer dafür verantwortlich zeichnet, wissen viele Ostdeutsche nicht. Denn Heinz Adameck ist weder weithin bekannt noch populär. Er wirkt als eine Art graue Eminenz der DDR-Kultur.

Von Thüringen über Georgien in die junge DDR

In seiner Geburtsurkunde vom 21. Dezember 1921 ist der Name „Heinrich“ vermerkt. Doch alle kennen ihn bald nur noch als „Heinz“. Heinz Adameck wächst in dem kleinen Ort Silberhausen im Nordwesten von Thüringen auf. Sein Vater arbeitet im Forst, seine Mutter in einer Zigarettenfabrik. Im Elternhaus werden christliche Tugenden gepflegt. Im katholischen Kindergarten lernt Adameck Solidarität, wie er Jahrzehnte später in einem Interview erzählt (1). In der Schule bringt ihm ein älterer Lehrer, ein Hauptmann der Reserve, Disziplin und Gründlichkeit bei: „Bei ihm mussten wir zum Beispiel mit verbundenen Augen die Umrisse der Weltkarte und die wichtigsten Hauptstädte auf die Tafel malen.“

Heinz Adameck 1976. Foto (auch Titelbild): Klaus Winkler/Deutsches Rundfunkarchiv

Später soll Heinz in den Niederlanden ein Hochschulseminar für Priester besuchen. Voraussetzung dafür ist allerdings eine abgeschlossene Berufsausbildung. Also absolviert Adameck in einer Papierwarenfabrik eine Lehre als Kaufmann. Doch bevor es ins Priesterseminar pilgern kann, muss er in den Krieg marschieren. 1941 „dient“ Adameck zunächst in Frankreich, dann an der Ostfront. 1944 beschließt Adamecks Wehrmachts-Einheit in Georgien, den Krieg für sich zu beenden. So läuft der Fahnenflüchtige in der Nähe von Tiflis zur Roten Armee über. Bis 1949 befindet sich der junge Obergefreite offiziell in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Tatsächlich schließt sich Adameck schnell dem Nationalkomitee Freies Deutschland an. Im NKFD sammeln sich in der Sowjetunion kommunistische Emigranten und kriegsgefangene Soldaten, die sich für ein linkes Deutschland einsetzen. Nach Kriegsende kommen einige von ihnen, wie Walter Ulbricht und Wilhelm zum Pieck, ins zerstörte Land zurück, um dann in der Sowjetischen Besatzungszone den Boden für ein kommunistisches Regime zu bereiten.

Adameck muss jedoch vorerst in Russland bleiben. Bald wird er während seiner „Gefangenschaft“ auf einer Antifa-Schule auf den Sozialismus eingeschworen und zum Polit-Funktionär ausgebildet. Mit Gründung der DDR Ende 1949 darf nun auch Heinz Adameck nach Thüringen zurück und steigt im Innenministerium rasch auf. Keine 30 Jahre alt, hat er als stellvertretender Innenminister sämtliche Landesbediensteten unter sich. Diese Erfahrung nimmt der Jungfunktionär zum Fernsehen mit. Als er 1952 nach Berlin übersiedelt, wird er dort zunächst Kaderleiter, eine Art Personalchef. Das Fernsehen befindet sich zu diesem Zeitpunkt noch in den Kinderschuhen.

Der „Deutsche Fernsehfunk“ (DFF), wie das Ost-TV damals noch heißt, ist ein Start-up, wie man heute sagen würde. Klein, innovativ, chaotisch – Spielräume sind da, oft ist Improvisation angesagt. Über das entscheidende Know-how verfügen meist aber noch Profis mit bürgerlicher Gesinnung und/oder „brauner“ Vergangenheit. Deshalb besteht Adamecks Aufgabe vor allem darin, schnellstmöglich neues, politisch genehmes Personal zu rekrutieren, ohne den raschen Aufbau zu stören.

Familie Adameck Mitte der Achtziger: Links seine Tochter, eine Fachärztin, rechts seine Frau, von Beruf Dramatikerin. Foto: Klaus Winkler/Deutsches Rundfunkarchiv

Mit Fernsehen wird seit dem Ende der 1920er Jahre experimentiert. Federführend bei der technischen Entwicklung sind die USA, Japan, Deutschland, aber auch die Sowjetunion. Zuvor in erster Linie für die geheimdienstliche Überwachung eingesetzt, startet dort 1945 das öffentliche Fernsehen. Moskaus Machthaber Stalin fördert die neue Technik auch in der DDR, soll sie doch von der Überlegenheit des Sozialismus zeugen. So werden Ende 1952 200 TV-Geräte der Marke „Leningrad“ aus dem VEB Sachsenwerk Radeberg aus Reparationsforderungen abgezweigt, um DDR-weit in öffentlichen Fernsehstuben Aufstellung zu nehmen. Denn am 21.12.1952, dem Geburtstag Stalins, geht der Deutsche Fernsehfunk erstmals auf Sendung. (2)

Anfänglich können einige wenige Tausend Zuschauer nur ein offizielles Versuchsprogramm von 20 bis 22 Uhr verfolgen, aber das spielt keine große Rolle. „Da ging es um zwei Sachen“, erinnert sich Adamek. „Die erste Sache: Wir wollten unbedingt vor der BRD auf dem Sender sein. Das war ja eine Manie. Und zum zweiten: Natürlich kam man an Väterchen Stalin nicht vorbei. Ansonsten hätte man in Moskau dem Fernsehstart auch gar nicht zugestimmt.“ (1) Tatsächlich strahlt der Nordwestdeutsche Rundfunk in der feindlichen Bundesrepublik erst vier Tage später seine ersten Sendezeichen aus.

Und tatsächlich bleibt der große Bruder, auch nach Stalins Tod 1953 und nach der folgenden Entstalinisierung, nicht allein Geburtshelfer, sondern will auch weiter Einfluss nehmen. Besonders über den russischen Botschafter in Ost-Berlin, Pjotr Abrassimov (1962-1971, 1975-1983), der sich – so Adameck – „ein bisschen wie ein Gouverneur fühlte.“ Abrassimov dringt vor allem immer wieder darauf, dass das DDR-Fernsehen mehr sowjetische Programme zur besten Sendezeit ausstrahlt und die vermeintlichen Spitzenleistungen der russischen Wissenschaft und Wirtschaft noch überschwänglicher als eh schon gelobt werden sollen.

Am 21. Dezember 1952, pünktlich zu Stalins Geburtstag, startet das Programm des DDR-Fernsehens. Vorne ein Kameramann samt Gerät, im Hintergrund der Regieraum. Foto: Bundesarchiv

Chef des Fernsehzentrums Ost und damit erster Intendant wird Hermann Zilles, ein antifaschistischer West-Emigrant. Zilles verliert allerdings schon ein Jahr später seinen Chefposten wegen „mangelnder ideologischer Wachsamkeit“, er ist das Opfer einer politischen Säuberungsaktion nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953. Anfang 1954 beerbt Adameck den zu einer zweitklassigen Zeitschrift Abkommandierten. Er merkt zwar schnell, welches Potenzial Fernsehen hat, auch für die politische Willensbildung. „Was ich aber nicht wusste, war, wie Fernsehen gemacht wird“, räumt Adameck ein.

So zeigt er sich oft in den Studios und Redaktionen, absolviert in den kommenden Jahren Fernstudiengänge in Jura und Journalistik. „Ich habe Fernsehen von der Pike auf gelernt, war in den Anfangsjahren an allen Ideen und Programmerfindungen persönlich beteiligt, habe den Aufnahmeprozess, die Bearbeitung von Sendungen auf Film und Videoband selbst kennen gelernt“, schwärmt Adameck von sich selbst. Ein gelernter Journalist also, der nie selbst etwas produziert hat, sondern von Anfang an als Chefredakteur agiert.

Der Funktionär – die Funktionen – das Funktionieren

Mit dem langsamen, aber unaufhaltsamen Aufstieg des Fernsehens zum wichtigsten Massenmedium des 20. Jahrhunderts wird Adameck zwar sehr wirkmächtig. Er bestimmt im Wesentlichen darüber, was 17 Millionen DDR-Bürger alltäglich auf der Mattscheibe zu sehen bekommen – und was nicht. Doch nicht selten kommen auch für ihn diese Entscheidungen einem Eiertanz gleich. Ständig bewegt er sich im Spannungsfeld zwischen großen Triebkräften: zwischen Parteiauftrag, West-Konkurrenz und Zuschauerbedürfnissen. Es dabei den obersten Apparatschiks wie den Normalbürgern Recht zu machen, kommt der Quadratur des Kreises gleich.

Das Prä hat eindeutig die Staats- und Parteiführung. Getreu der Pressetheorie Lenins haben Medien die Funktion eines Propagandainstruments. Zudem sollen sie die Massen organisieren helfen. Eine unabhängig-kritische Berichterstattung kennt das kommunistische Denken nicht. Folglich versteht die SED das Fernsehen ohne Wenn und Aber als publizistisches und künstlerisches Instrument, das in allen Programmbereichen – von der Information über die Bildung bis hin zu Kultur und Unterhaltung – der Massenagitation zu dienen habe. Auf den Punkt gebracht: Das Fernsehen soll zuvorderst als Propagandamaschine fungieren. So propagieren die SED-Funktionäre zum Beispiel in den 1960ern das Konzept der „sozialistischen Unterhaltungskunst“, die schon rein begrifflich einen Gegenentwurf zu bürgerlicher Unterhaltung bildet, aber auch inhaltlich. Ernster, allgemeinbildender, parteilicher sollen die Stoffe sein, „befreit von bürgerlicher Zotenkomik“ wie es Adameck nennt.

Der Intendant versucht indes, argumentativ den Spieß umzudrehen und das West-Fernsehen als reine Manipulationsmaschine hinzustellen. „Unser Fernsehen dient nicht den reaktionären Kräften der Vergangenheit wie das kapitalistische Fernsehen in Westdeutschland, das an der undankbarsten Aufgabe der Welt, NATO-Atommanöver und alte Generale, Revanchistentreffen und notorische Hetzer, abgedankte Fürsten und abgetaktelte ‘Stars‘ populär zu machen, scheitern muss“, formuliert der der Intendant 1960 im „Neues Deutschland“ im besten Funktionärsjargon. Die Fakten sprechen eine andere Sprache: So wird selbst noch 1989 die Demonstration am 1. Mai 277 Minuten lang live übertragen, das Pfingsttreffen der FDJ sogar 360 Minuten lang. (2)

„Adlershof“, der Bezirk am Rande Berlins, gilt als Synonym für das Ost-TV. Hier steht das Fernsehzentrum, Schaltzentrale für die täglich laufenden Bilder. Foto: Bundesarchiv

Für die Bemühten auf der Ebene bleibt der eindeutige Parteiauftrag freilich nicht ohne Folgen. So schreiben die Medienhistoriker Rüdiger Steinmetz und Reinhold Viehoff: „Der Fernseharbeiter war zugleich immer Angehöriger der sozialistischen Dienstklasse und auch Regisseur, Schauspieler, Programmplaner, Unterhalter, Journalist usw. Diese doppelte Zugehörigkeit war eine Mischung aus (Rollen-)Privilegien und (Funktions)Lasten.“ (3) Die Privilegien bestehen im besten Fall aus kultureller Bedeutung und gesellschaftlicher Prominenz. Die Lasten ergeben sich dadurch, dass von den TV-Machern – ähnlich wie von den Redakteuren und Autoren des Parteiorgans „Neues Deutschland“ – absolute Systemloyalität erwartet wird. Gerade auch von Heinz Adameck, dem Mann an der Spitze.

Den DFF bezeichnet sein Intendant im Nachhinein als chronisch unterfinanziert: „Wir waren natürlich ein Armenhaus. Wir waren immer unterbilanziert.“ Adameck macht dies unter anderem daran fest, dass das neue zweite Programm Ende 1969 in Farbe ausstrahlt, das erste aber erst Jahre später nachziehen kann. Die begrenzte Ausstattung wird auch daran sichtbar, dass viele Szenen selbst sehr populärer Serien wie „Der Staatsanwalt hat das Wort“ im Studio und nicht an Originalschauplätzen gedreht werden. In der DDR wird zwar eine Rundfunkgebühr erhoben, aber eine niedrige. Subventionen fließen aus dem Staatshaushalt. Immerhin kann Adameck damit 20 Prozent mehr Personal beschäftigen als ihm offiziell zusteht. Trotz der begrenzten Möglichkeiten: So verteilt sich die Arbeit besser – auch ein Privileg der Fernsehleute.

Die zweite große Determinante ist das West-Fernsehen. Während die anderen Länder hinter dem Eisernen Vorhang kein westdeutsches Fernsehen empfangen können, gilt das nicht für weite Teile der DDR. Nur im Großraum Greifswald im Nordosten, in der Region Cottbus im Osten der Republik sowie im Bezirk Dresden gibt es weder ARD noch ZDF. Im DDR-Volksmund werden diese Landstriche sarkastisch als „Tal der Ahnungslosen“ abgetan, eben weil hier die Bevölkerung nicht an unabhängige politische Informationen kommen kann. Dies bleibt nicht ohne Folgen: Denn aus Dresden, Greifswald und Cottbus gehen deutlich weniger Ausreiseanträge ein als aus dem Rest der Republik.

Eine Erhebung Mitte der Siebziger zeigt, dass 85 Prozent der DDR-Bevölkerung West-Fernsehen empfangen können, rund die Hälfte von ihnen macht davon auch Gebrauch.

Die DDR-Führung muss deshalb aus ihrer Sicht das West-Fernsehen als Störsender betrachten, wenn nicht gar als Bedrohung für den inneren Frieden der Republik. In jedem Fall ist das West-Fernsehen ein harter Konkurrent im Kampf um die politische Deutungshoheit. Das bezieht sich nicht allein auf Nachrichtensendungen wie die „Tagesschau“ und Politmagazine wie „Monitor“ oder „Kennzeichen D“. Es schließt auch Kultur- und Unterhaltungssendungen mit ein, denn die DDR-Führung will gerade in den ersten Jahrzehnten jedweden „kulturimperialistischen“ Einfluss aus den USA abwehren. Ein freier, allerdings auch kommerziell geprägter Lebensstil kann für das politische Bewusstsein nicht ohne Folgen bleiben.

Eine Erhebung Mitte der Siebziger zeigt, dass 85 Prozent der DDR-Bevölkerung West-Fernsehen empfangen können, rund die Hälfte von ihnen macht davon auch Gebrauch. Seit 1971 dürfen DDR-Bürger offiziell „Westempfang“ haben. Zehn Jahre zuvor haben Aktivisten der Jugendorganisation FDJ noch Antennen auf den Hausdächern umgedreht, die sich Richtung Westen neigten. Ab 1980 werden dagegen ARD und ZDF sogar offiziell in Gemeinschaftsantennen eingespeist. Ein Zeichen dafür, dass die SED-Führung den Kampf an dieser Stelle aufgegeben hat. (3)

Das DDR-Fernsehen strahlt freilich auch in Richtung Westen aus. Es sei in Hamburg, Hannover, Kassel, Hof und Bayreuth zu sehen, verkündet Adameck 1957 in der „Berliner Zeitung“: „Die Freude darüber ist auf beiden Seiten. In Tausenden von Zuschriften kommt Anerkennung für unser Programm zum Ausdruck.“ Angeblich könne man es sogar in Teilen anderer westeuropäischer Länder empfangen. Doch über die Zeit wendet sich das Blatt. Das DDR-Fernsehen muss um seine Zuschauer kämpfen, das West-TV läuft ihm immer mehr den Rang ab.

Wir direkt zur dritten Determinante führt, den „lästigen“ Interessen und Bedürfnisse der Zuschauer, die oft nur sehr schwer mit dem Parteiauftrag übereinander zu bekommen sind. Zumal diese Vorlieben eben davon beeinflusst werden, dass sehr viele DDR-Bürger West-Fernsehen schauen. Dabei geht es vor allem um Inhalte, aber auch um eine Vielfalt bei den Darstellungsformen. Es stellt sich als besonders schwierig heraus, nicht nur schnöden sozialistischen Realismus über den Äther zu schicken. „Ich weiß nicht, was eine Waschfrau, die acht Stunden am Tag bei [der Berliner Großwäscherei] Rewatex arbeitet, abends im Fernsehen sehen will“, sagt Konrad Wolf einmal. „Auf keinen Fall aber eine unermüdlich rackernde Waschfrau.“ Die Worte von einem der führenden DDR-Filmemacher werden zuweilen erhört, allzu oft jedoch auch nicht.

Ab 1966 führt das DDR-Fernsehen eine landesweite, repräsentative Zuschauerforschung durch. Die Befrager kündigen sich ein paar Wochen vorher bei den Zuschauern an, kommen dann aber überraschend ins Haus, um ehrliche Antworten zu erhalten – auch in Hinblick auf den „Westempfang“. Die Präferenzen sind über die Jahrzehnte ganz unzweideutig: Jeweils ein Drittel erwartet vom Fernsehen Information bzw. Bildung, die große Mehrheit jedoch möchte vor allem gut unterhalten werden – mit Spielfilmen und Krimis, mit Sport-Übertragungen und Samstagabend-Shows und auch mit Familienserien, die realistische Bezüge zum eigenen Alltag und Erleben aufweisen. Insgesamt zeigt sich, dass die DDR eine ausgeprägte „Fernsehgesellschaft“ ist, wegen des harten Arbeitsalltags und des relativ knappen Angebots anderer Freizeitaktivitäten. (3)

Experimentierphase (fast) ohne Experimente

Die DDR-Führung sorgt dafür, dass der DFF relativ schnell flächendeckend senden kann. So breitet sich das Fernsehen kaum langsamer aus als in der Bundesrepublik. 1958 haben elf Prozent der Haushalte im Westen einen TV-Anschluss, im Osten fünf Prozent. Zehn Jahre später liegen die Werte bei 71 Prozent (West) und 64 Prozent (Ost). 1986 stehen im Westen 97 Prozent 94 Prozent im Osten gegenüber. (3) Fernsehgeräte sind in der DDR zwar ähnlich teuer wie Kühlschränke oder Waschmaschinen. Viele Familien sparen aber schon in den fünfziger Jahren auf die meist über 1.000 Ost-Mark teuren Geräte, um nicht länger in den rund 2.000 Fernsehstuben einkehren zu müssen. Die werden eingerichtet, bald nachdem der Deutsche Fernsehfunk Ende 1953 seinen regulären Sendebetrieb aufnimmt.

Eine Hostess auf der Leipziger Messe 1968 mit den neuesten RFT-Modellen. Foto: Bundesarchiv

Die ersten DFF-Jahre verlaufen „sehr einfach“, Adameck hält sie für „die besten“. Es gibt kaum Vorschriften, kaum Beschlüsse – nur die eigene Schere im Kopf. Dies ändert sich bald. „Was die da alles können, das muss doch mehr für die Politik genutzt werden!“ 1961 entdeckt auch Walter Ulbricht das Fernsehen. Und mit ihm Minister und SED-Funktionäre, die allen Ernstes glauben, die Zuschauer würden ihre über den Äther verschickten Propaganda-Botschaften eins zu eins in ihre Gehirne aufnehmen. Die von Adameck gepriesene Freiheit beschränkt sich in erster Linie auf das Improvisieren, vor allem in den ersten Jahren. Alles wird live gesendet, Aufzeichnungsgeräte fehlen komplett. In den angemieteten Studios im Bezirk Treptow-Johannestal müssen die Mitarbeiter deshalb ständig in Höllentempo von der einen für die nächste Sendung umbauen. Immerhin kann der DFF bald darauf in das neugebaute Fernsehzentrum Adlershof umsiedeln.

Im Kulturprogramm werden oft Theater-Aufführungen gezeigt, unter anderem von Brechts Berliner Ensemble. In der Politik wird einmal pro Woche auch der „Augenzeuge“ der Film-Kollegen von der DEFA übernommen, an den anderen Tagen kommt die „Aktuelle Kamera“ zum Zuge, die totlangweilige Nachrichtensendung, die fast vier Jahrzehnte lang einen tumben Mix aus Verlautbarungsjournalismus und Hofberichterstattung fabriziert.

Zu den Besonderheiten der „AK“ – und damit auch zu den Eitelkeiten der politischen Führung – gehört die Vorgabe, dass jeder Spitzenfunktionär immer mit allen seinen Titeln genannt werden muss. Und dies bis zum bitteren Ende der DDR. So ist zum Beispiel Erich Honecker nicht einfach „Parteichef“ oder „Staatschef“, sondern „Generalsekretär des Politbüros der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und Vorsitzender des Staatsrats der Deutschen Demokratischen Republik, Genosse Erich Honecker.“ Einer der ersten „AK“-Sprecher ist Herbert Köfer, der bald einen Rollentausch vornimmt und zu einem der beliebtesten Schauspieler in der DDR aufsteigt.

„Es klingt wie ein Märchen, daß 1952 mit zwei Diapositiv-Bildgebern und einer Fernsehkamera, mit einem Ikonoskop aus der Vorkriegszeit begonnen wurde“, blickt Adameck 1960 in derFachzeitschrift „Wort und Bild“ auf die ersten Fernsehjahre zurück. “Heute fahren die schnittigen blauen Übertragungswagen mit je drei Direktkameras durch die Republik. Übertragungen aus Hubschraubern sind zur Selbstverständlichkeit geworden.“ Das Fernsehen entwickelt sich auf der technischen Seite rasend schnell, auf der inhaltlichen jedoch eher behäbig. Die gesendeten Fernsehspiele orientieren sich noch zu sehr am Theater, oft wirken sie gewollt und behäbig. Im Westen ist dies zwar ähnlich, aber dort sind die Stoffe nicht so politisch durchtränkt. Adameck erkennt das Problem und gelobt Besserung: „In der Vergangenheit kam die heitere Seite des Lebens oft zu kurz. Wir wollen das ändern.“ Aber dies gelingt nur bedingt.

Rumpelkammer – Nazi-Filme – Schwarzer Kanal

So ist es kaum verwunderlich, dass die ganz alten Stoffe deutlich besser beim Publikum ankommen. Vor allem Kinofilme aus der „guten, alten Zeit“. Wie kommt es dazu? Ende April 1945 besetzt die Rote Armee das Babelsberger Filmgelände der UFA, die als „Traumfabrik“ der Nazis fungierte. Auf diesem Weg bekommt das Ost-TV direkten Zugriff auf Hunderte von Kinofilmen – und dies kostenlos. Ab Ende 1955 trägt jeden zweiten Mittwochabend ein freundlicher Herr mit sauber gescheiteltem Haar und dicker Hornbrille eine alte Laterne in ein Studio, das mit Requisiten dieser alten Filme vollgestopft ist. Eine Rumpelkammer eben. Moderator Willi Schwabe – von Hause aus Schauspieler des Berliner Ensemble – nimmt diese Requisiten, ob Zylinder oder Keksdose, in die Hände, um sich darum rankende Geschichten zu erzählen. Und um daraufhin Ausschnitte aus alten UFA-Filmen zu präsentieren.

„Dabei bestand natürlich ständig die Gefahr, dass wir zu tief ins Naziarchiv griffen“, erinnert sich Adameck. Besonders beliebt sind Johannes Heesters, Heinz Rühmann, Hans Albers, Theo Lingen, Marika Rökk, Ilse Werner und Lilian Harvey. Einige von ihnen spielten nicht nur die Hauptrollen in den Filmen, sondern pflegten darüber hinaus mehr oder minder enge Kontakte zu Nazi-Größen. Darüber sieht Adameck nun großzügig hinweg. Tabu sind hingegen Szenen, in denen auch nur indirekt das NS-Regime verherrlicht wird oder einschlägige Symbole gezeigt werden. Diese Kompromissbereitschaft zahlt sich aus, denn das Echo auf „Willi Schwabes Rumpelkammer“ ist furios. Die „Rumpelkammer“ läuft als eine der beliebtesten DDR-Sendungen mit knapp 400 Folgen bis zum Ende der DDR und sogar noch ein Weilchen darüber hinaus.

Schon bald fragen Zuschauer vermehrt in Adlershof an, ob das DFF nicht auch ganze Filme zeigen könne. Ab November 1957 bringt das Ost-TV, ebenfalls bis zum Ende des SED-Regimes, jeden Montagabend alte UFA-Schinken in voller Länge, um das Nostalgie-Bedürfnis von Millionen von DDR-Bürgern zu befriedigen. Auch im Westen schalten vor allem Ältere das Ost-Fernsehen ein, wenn sie dieses empfangen können. Filme von Veit Harlan („Jud Süß“, „Kolberg“) und Leni Riefenstahl („Triumph des Willens“) stehen allerdings auf dem Index, ebenso verboten sind Streifen mit der Durchhalte-Mimin Zarah Leander. „Münchhausen“, „Große Freiheit Nr. 7“ und „Die Feuerzangenbowle“ werden in einer großen Dauerwiederholungsschleife ausgestrahlt.

Karl-Eduard von Schnitzler 1956. Foto: Bundesarchiv

Allerdings sollen die Zuschauer dafür auch einen Preis zahlen. Einen politischen Aufmerksamkeitspreis. Ab 1960 kommt nämlich gleich im Anschluss an den Montagsfilm „Der Schwarze Kanal“ von und mit Karl-Eduard von Schnitzler. Der Chefkommentator des DDR-Fernsehens spielt in dieser Propaganda-Sendung Ausschnitte aus dem West-TV ein, um dann in süffisant-polemischer Manier vermeintliche und tatsächliche Missstände in der Bundesrepublik anzuprangern. Insgesamt 1519 Mal geht „Sudel-Ede“, so sein Spitzname in Ost und West, auf Sendung und macht sich so schnell zu einer der meistverhassten Figuren des DDR-Systems. Was in heutiger Fachsprache „Audience Flow“ heißt, das Hinübergleiten des Zuschauers von der einen Sendung zur nächsten, funktioniert bei der großen Mehrheit der DDR-TV-Konsumenten indes nicht. Schon bald kursiert im Volksmund das „Schni“ – die Maßeinheit dafür, wie lange man braucht, um nach dem Montagsfilm abzuschalten oder weiter zu zappen. (2)

Die Entdeckung des sozialistischen Mehrteilers

Adameck kann und darf auch nicht allein auf alte Zöpfe zurückgreifen. Um mit jungen kreativen Köpfen zusammenarbeiten zu können, muss er nicht nur auf der Straße suchen, sondern diese auch von anderen Medien abwerben – vom Rundfunk zum Beispiel oder von der Filmgesellschaft DEFA. „Ich habe die Besten geholt“, ist sich Adameck in der Rückschau sicher. Manchmal kommen die jungen Unzufriedenen von allein, manchmal muss ein bisschen nachgeholfen werden: „Das ging so weit, das kann ich ja heute sagen, dass mit manchen abgemacht wurde: Du machst jetzt einen kleinen Fehler, nicht so einen großen, oder du machst dich unbeliebt, und dann nehme ich dich.“ (1)

Mit seiner Masche gewinnt Adameck Schauspieler, Regisseure, Kameraleute und nicht zuletzt auch namhafte Autoren. So einen wie Hans Oliva. Der hat ein Drehbuch über einen Wehrmachtsoberst geschrieben, der am Ende des Zweiten Weltkriegs Greifswald kampflos der Roten Armee übergibt. Die Geschichte über den Sinneswandel eines Militaristen soll in erster Linie bürgerliche Antifaschisten ansprechen, doch die DEFA lehnt den Stoff ab, weil er nicht genau auf Parteilinie scheint. „Dann kam der Autor von ‘Gewissen in Aufruhr‘, Hans Oliva, und schmiss mir die Bücher auf den Tisch.“ Adameck wittert seine Chance. „Da war schon in der DEFA bekannt, dass ich so was in einer Nacht lese. Und ich habe am anderen Morgen gesagt: Das machen wir. Damals konnte ich das noch, da brauchte ich keinen zu fragen.“ 1959/60 produziert der DFF den hervorragend inszenierten Fünfteiler „Gewissen in Aufruhr“, der so erfolgreich wird, dass er auch in andere, teils sogar westliche Länder exportiert wird. Zum Erfolg trägt sicher auch bei, dass Erwin Geschonneck, der bekannteste DDR-Schauspieler der fünfziger und sechziger Jahre, in die Filmhaut des Oberst Petershagen schlüpft (Porträt Geschonneck).

Meist in den Nachrichten, hier mal in einer Fernsehshow mit dem Namen „Mit dem Herzen dabei“(1965): DDR-Machthaber Walter Ulbricht. Foto: Bundesarchiv

Wie wendig Adameck ist, zeigt er nicht nur, wenn es darum geht, spektakuläre Stoffe an Land zu ziehen, sondern auch in Hinblick auf seine Geisteshaltung. Denn vor „Gewissen in Aufruhr“ hat er sich noch vehement gegen mehrteilige Fernsehfilme ausgesprochen. Sein schlagendes Argument lautet, dass die Bürger und selbst Funktionäre dann angeblich abendliche Sitzungen der „gesellschaftlichen Organisationen“ (Partei, Gewerkschaft, Deutsch-Sowjetische Freundschaft etc.) schwänzten und lieber den Ausgang einer spannenden Filmgeschichte anschauen wollten. Nun stilisiert er sich auf einmal als glühender Verfechter von TV-Mehrteilern.

Diese spielen seit den 1960ern eine immer wichtigere Rolle. Dazu gehört 1965 auch der Fünfteiler „Dr. Schlüter“ mit dem linientreuen Charakterdarsteller Otto Mellies in der Hauptrolle. Dr. Schlüter ist ein karrierebesessener, junger Chemiker, der den teuflischen Pakt mit einem Großindustriellen und den Nazis eingeht, um dann – an der Ostfront geläutert – in Sibirien die chemische Industrie mit aufzubauen und schlussendlich in das „bessere“ Deutschland zurückzukehren. Ein typisches Motiv für DDR-Filme besonders der frühen Jahre: Die Auseinandersetzung mit dem Faschismus. Ein Trauma des kommunistischen Widerstands. Und ein klares Feindbild, das auch symbolhaft für die angebliche historische Kontinuität vom NS-Regime zur Bundesregierung in der BRD steht. Im Dezember 1965 tagt das 11. Plenum des ZK der SED. Es wird zur Bühne von Kronprinz Erich Honecker und seiner Frau Margot. Das Paar greift vor allem „Throninhaber“ Walter Ulbricht an, weil der angeblich nicht entschieden genug westliche Tendenzen in der Kulturpolitik bekämpft und verhindert habe.

Das Gremium verbannt fast die gesamte DEFA-Produktion des Jahres in den Giftschrank, darunter auch den heutigen Klassiker „Spur der Steine“. Doch es trifft nicht nur das Kino. „Auch das 11. Plenum des Zentralkomitees der SED kritisierte den Deutschen Fernsehfunk wegen dieser Tendenzen westlicher Lebensauffassungen im Programm“, räumt Adameck Anfang 1966 in der „Schweriner Volkszeitung“ ein. „Zum Teil waren es Fehlleistungen einzelner Mitarbeiter, zum Teil mangelte es in verantwortlichen Bereichen an ideologischer Konsequenz.“ Das Problem sei inzwischen aber gelöst worden.

Als künstlerisches und politisches Maß aller Dinge ruft Adameck „Dr. Schlüter“ aus. In den nächsten Jahren produziert und sendet das Ost-TV nur noch Mehrteiler, die ganz auf Linie sind. „Irrlicht und Feuer“ (1966) über streikende „Kumpel“ im Westen, „Kleiner Mann – was nun?“ (1967) nach Hans Fallada, „Krupp und Krause“ (1969) über Großindustrielle und klassenkämpferische Arbeiter, „Rottenknechte“ (1969) über ein Schnellboot-Bataillon im Zweiten Weltkrieg. „Ich – Axel Cäsar Springer“ (1968/70) zeichnet ein finsteres Porträt des mächtigsten westdeutschen Verlegers der Nachkriegsjahrzehnte. Die Autoren haben dabei, offensichtlich mit freundlicher Unterstützung des DDR-Auslandsspionage, eine Reihe unappetitlicher Details aus der Vita des „Bild“-Erfinders zutage gefördert, die seinerzeit im Westen der Republik keineswegs öffentlich bekannt waren. Etwa seine Verbindungen zu Nazi-Industriellen. Der aufwändige Mehrteiler ist allerdings derart überfrachtet mit historischen Details, dass er sich wohl kaum in das Gedächtnis der breiten DDR-Bevölkerung eingegraben haben dürfte.

Adameck 1969: „Es genügt nicht mehr, einen gesellschaftlichen Bedarf bekanntzugeben und dann zu warten, ob sich ein Schriftsteller findet, der mit einem passenden Buch erscheint. Die Leitungstätigkeit endet nicht mit der Festlegung des Themas, sondern beginnt mit ihr.“

Doch Adameck fährt weiter die harte Tour. So greift er 1969 auf einer ZK-Tagung namentlich die prominente Schriftstellerin Christa Wolf scharf an, außerdem andere Autoren und Theaterschaffende. Wolf hat vier Jahre zuvor als eine der wenigen Künstler gegengehalten, als die Honeckers über Westeinflüsse und zu viel künstlerische Freiheit hergezogen sind. Adameck stößt nun ins dasselbe Horn wie seinerzeit die Honekcers: Den Kritisierten seien formale dramaturgische Effekte wichtiger als die künstlerische Auseinandersetzung mit den Lebensproblemen der sozialistischen Gesellschaft. „Es genügt nicht mehr, einen gesellschaftlichen Bedarf bekanntzugeben und dann zu warten, ob sich ein Schriftsteller findet, der mit einem mehr oder minder passenden Buch erscheint“, poltert Adameck. „Die Leitungstätigkeit endet nicht mit der Festlegung des Themas, sondern beginnt mit ihr.“ Das soll bedeuten: Klare Vorgaben aus der Politik, straffere Führung durch den Intendanten.

Zumindest in technischer Hinsicht ist Fortschritt angesagt: Kurz vor dem 20. Jahrestag der DDR, am 3. Oktober 1969, darf Walter Ulbricht den Knopf für den Start des Farbfernsehens drücken. Diesmal hat allerdings der Westen die Nase deutlich vorne. Dort können die Zuschauer bereits seit dem Sommer 1967 ARD und ZDF farbenprächtig empfangen. Im Osten sendet zudem nur das 2. Programm in Farbe, das zu allem Überfluss in den ersten Jahren gerade mal ein Fünftel der DDR-Bevölkerung erreicht. Ausgestrahlt wird bevorzugt in Regionen, in denen das West-Fernsehen gut empfangen werden kann. Die Ost-Zuschauer sollen eine weitere Ost-Alternative serviert bekommen.

Doch das „Zweite“ der DDR ist „kein besonderes Ruhmesblatt“, wie es Adameck später formuliert, denn es kommt nie richtig auf die Beine: „Wir hatten nicht die Kraft und die technische Basis fehlte völlig.“ Mit Ausnahme der Farbe eben. Das 2. Programm dient vor allem als Abwurfplatz für Wiederholungen. Seit Mitte der 1980er, inzwischen ist das Zweite DDR-weit zu empfangen, werden dort zu vorgerückter Stunde auch erotisch angehauchte Filme aus Italien und Frankreich gezeigt – angeblich um die rückläufige DDR-Geburtsrate wieder anzuheben.

In Teil 2 lesen Sie, wie Adameck in der Ära Honecker agierte.

Quellen

(1) Adameck, Heinz (2015): „Und ich hatte ja selbst die Fühler in der Gesellschaft“. Heinz Adameck (†) im Gespräch, in: Rundfunk und Geschichte, Nr. 1-2, S. 69-101.

(2) Behling, Klaus (2016): Fernsehen aus Adlershof. Das Fernsehen der DDR vom Start bis zum Sendeschluss. Berlin

(3) Steinmetz, Rüdiger/Viehoff, Reinhold (2008): Einleitung, in: Steinmetz, Rüdiger/Viehoff, Reinhold (Hg.), Deutsches Fernsehen OST. Eine Programmgeschichte des DDR-Fernsehens. Berlin, S. 21-64.

Darüber hinaus zahlreiche Artikel aus DDR-Tageszeitungen und –Zeitschriften sowie Sendungen des DFF und des Fernsehens der DDR, in denen sich Heinz Adameck äußerte. In diesem Sinne dankt der Autor dem Deutschen Rundfunk Archiv (DRA) für seine freundliche Unterstützung.

Nicht zuletzt dienten die erwähnten – und zum Teil auf DVD veröffentlichten – Filme und Mini-Serien der thematisch-inhaltlichen Orientierung.

© Die Zweite Aufklärung 2022

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Prof. Lutz Frühbrodt

Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Professor für "Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation" an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zu kommunikations- und wirtschaftspolitischen Themen. Spezialgebiet Mediensoziologie. Zuvor ein knappes Jahrzehnt Wirtschaftsreporter bei der "Welt"-Gruppe - als Teilstrecke seines Marsches durch die Institutionen. Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität in seiner Heimatstadt Berlin. Volontariat beim DeutschlandRadio Kultur.

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