Zwei Ökonomen haben ein Manifest verfasst, mit dem sie die „Transformation unserer Wirtschaftsordnung“ einläuten wollen. Günther Bannas und Carsten Herrmann-Pillath würden am liebsten den Kapitalismus abschaffen und durch eine „authentische Marktwirtschaft“ ersetzen. Die Autoren nennen das „revolutionär“. Wollen sie einfach nur die Ludwig-Erhard-Mumie zu neuem Leben erwecken? Oder handelt es sich um einen wirklichen Vorschlag zur Güte, der Markt und Gemeinwohl doch noch miteinander versöhnen könnte? Eine Rezension.

Günther Bannas gehört eine Fachschul-GmbH in Köln, die Steuerberater ausbildet. Carsten Herrmann-Pillath ist Volkswirt und Sinologe, ausgestattet mit einer Professur an der Universität Erfurt. Beide Autoren haben schon zuvor Bücher geschrieben. Nun verkünden sie „30 Thesen zur Transformation unserer Wirtschaftsordnung“. Ihre Kernforderung lautet: Zurück zur Marktwirtschaft! Etwas abgemildert lautet der Titel des Buches: „Marktwirtschaft: Zu einer neuen Wirklichkeit“. Persönliche Blitzreaktion: Das klingt nach der „Hauruck“-Rede des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog anno 1997, nach den marktradikalen Einflüsterungen der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, einer Lobbygruppe des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. Und es riecht verdächtig nach FDP-Phrasendrescherei à la „Leistung muss sich wieder lohnen“, kurz: nach neoliberal-libertärem Gedankenschlecht.

Das ist zwar nicht völlig verfehlt. Aber knapp daneben ist auch vorbei. Denn bei den Autoren handelt es sich um Jünger des Ordoliberalismus, der geistigen Schule, aus der 1949 die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik geboren ward, die nach Meinung der „Ordos“ dann aber Sozialstaatler und später neoliberale Hayek-Fans deformiert haben. Es ist der wirtschaftswissenschaftliche Ansatz, der vom vollkommenen Wettbewerb zwischen vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen träumt – befreit von habgierigen Monopolisten. Und es ist der Ansatz, der ganz in diesem Geiste das Bundeskartellamt für den einzig wahren Tempel der Wirtschaftspolitik hält.

Es kommt also nicht Roman Herzog, sondern vielmehr Ludwig Erhard ins Spiel – Pseudo-Widerständler gegen die NS-Diktatur und Parteigänger der Großindustrie, erster und langjähriger Wirtschaftsminister Westdeutschlands, dem die soziale Marktwirtschaft oft ein bisschen zu sozial war. Der Ansatz verbindet sich aber vor allem mit Walter Eucken und seiner Freiburger Schule, die in den 1930ern dem aufkommenden Keynesianismus etwas entgegensetzen wollte, z.B. die – vorsichtig formuliert – originelle These, die Weltwirtschaftskrise sei in erster Linie eine Folge interventionistischer Staatspolitik gewesen und nicht das Ergebnis von fatalem Marktversagen. Ein weiterer Kerngedanke der Freiburger Schule, ja, die Prämisse allen ordoliberalen Denkens, besteht in der individuellen Freiheit eines jeden Menschen, die vor allem mit wirtschaftlichen Freiheiten (Vertragsfreiheit, Koalitionsfreiheit etc.) verbunden ist, im Mittelpunkt dabei das Recht auf Eigentum – das nach Auffassung der Ordos auch immer mit sozialer Verantwortung verbunden ist. Motto: „Eigentum verpflichtet.“

Die berühmten Zigarren des Ludwig E. Gesehen im Ludwig-Erhard-Museum in Fürth. Foto: Lutz Frühbrodt

Immerhin frönen Bannas/Herrmann-Pillath (BHP) nicht allein dem Ur-Eucken, sondern greifen verstärkt die Ideen dessen Enkels Walter Oswalt auf. Oswalt (2018 verstorben) knetete die ersten Denkfiguren eines von der Kritischen Theorie beeinflussten „linken“, ökologisch inspirierten Ordoliberalismus. Insofern spielt auch das Thema Nachhaltigkeit eine prägende und auch glaubwürdige Rolle im Gedankengebäude der beiden Autoren. Um dieses Ziel möglichst effektiv in die Realität umzusetzen, bringen BHP eine Energiesteuer ins Spiel, eine auf alle in Produktion und Logistik eingesetzten Energieformen ausgeweitete CO2-Steuer. Die Autoren argumentieren hier nicht nur ökologisch. Der Gedanke on top: Konzerne hätten in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend auf die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen gesetzt, um somit den dann weniger nachgefragten Faktor Arbeit (= abhängig Beschäftigte) billiger zu machen. Durch die Energiesteuer würde Energie deutlich teurer und Arbeit im Vergleich dazu wieder aufgewertet.

 

30 steile oder eher flache Thesen?

Die Autoren kritisieren in diesem Zusammenhang außerdem, dass die Unternehmen für die von ihnen verursachten Umweltschäden weitgehend nicht aufkommen müssten und die Kosten dafür der Gesellschaft insgesamt aufbürden würden. Warum das bisher mehr oder minder problemlos funktionierte, erklären sie in bester Stamokap-Manier: Weil wir im Kapitalismus leben, in einem System, in dem sich „die Konzerne“ den Staat dienstbar gemacht haben. Kapitalismus stellt für BHP eine deformierte Form der Marktwirtschaft dar. In ihrer reinen Ausprägung dominiert jedoch die Warenwirtschaft, die Hegemonie der Kapitalmärkte soll ein für alle Mal ein Ende finden. Das sind die Big Points von BHP. In ihren 30 Thesen und den folgenden Erläuterungen modellieren sie in verschiedenen Feldern der Wirtschaftspolitik weitere Komponenten ihrer neuen Wirtschaftsordnung. Dies sind die wichtigsten:

  • Privateigentum über alles, aber inklusive Haftung: Privates Eigentum ist ein zentraler Pfeiler der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Allerdings gilt dies nur für persönliches Eigentum, für das die natürliche Person auch vollumfänglich haftet, gerade auch als Unternehmer*. Damit soll verhindert werden, dass Unternehmen allzu große, mithin unsinnige Risiken eingehen und bei einem Scheitern die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen werden können (bestenfalls ihre Versicherungen). Auf den Punkt gebracht: Kapitalgesellschaften werden auf Dauer aus dem neuen System verbannt, weil bei ihnen die Haftung von vornherein beschränkt ist.
  • Kreatives Mitmachen im Familienunternehmen: Unternehmen sollten die Kooperation zwischen Führung und normalen Mitarbeitern* pflegen, mithin partizipative Management-Methoden einsetzen. Jeder Mitarbeiter* sollte unternehmerisch denken und handeln (dürfen), um seine Kreativität in die Firma einbringen zu können. Als Vorbild dient das gute alte Familienunternehmen.
  • Staatlich garantiertes Existenzminimum: Da wirtschaftliche Freiheit auch die Befreiung von wirtschaftlichem Zwang einschließt, steht jedem Bürger* ein bedingungsloses Grundeinkommen zu. Dieses ist mit einem Viertel des Durchschnittsverdienstes innerhalb der jeweiligen Alterskohorte knapp bemessen. Zusätzliches Einkommen lässt sich durch ehrenamtliche Arbeit oder auch häusliche Pflege von Verwandten erzielen.
  • Bildung(sgutscheine) für alle: Die gerechte Verteilung wirtschaftlicher Chancen soll vor allem über Chancengerechtigkeit in der Bildung erzeugt werden. Dazu soll der Staat für jeden Bürger Bildungsgutscheine ausgeben, die er nach persönlichem Gusto „von der Wiege bis zur Bahre“ einsetzen kann.
  • Der Pächterstaat: Der Staat zieht sich weitgehend auf seine Rolle als Hüter des Wettbewerbs zurück. Er verwaltet aber auch als Treuhänder das „Gemeineigentum“ in Gestalt von Land und mineralischen Ressourcen. Dieses verpachtet er für einen jeweils begrenzten Zeitraum durch Auktionen an natürliche Personen.
  • Wissen für alle: Das geltende Patent- und Markenrecht gehört abgeschafft, weil es auf künstliche Weise Marktmacht herstellt. Auch Wissen ist Gemeineigentum, sind BHP überzeugt. Nur natürliche Personen sollen Marken und Patente anmelden können und an (Klein)Unternehmen versteigern können. Wissen – auch für ökonomische Zwecke – sollte aber im Idealfall allen zur Verfügung stehen. Auch Markenrechte können nur von natürlichen Personen genutzt, nicht gehandelt werden – und dies nur, solange sie leben.
  • Der Steuerstaat: Die staatlichen Aufgaben werden nicht über Einkommen- und Gewinnsteuern finanziert. Diese wollen BHP am liebsten abschaffen. An ihre Stelle sollen – neben der erwähnten Energiesteuer – eine Vermögens- und eine Erbschaftssteuer treten. Diese sorgt aus BHP-Sicht für mehr Verteilungsgerechtigkeit. Darüber hinaus soll eine progressive Konsumsteuer „nicht-nachhaltigen Statuskonsum“ einhegen, also das Angeben mit Ferraris, Versace-Fummeln und Champus von Dom Pérignon eindämmen.
  • Kapitalmärkte entmachten: Das Recht, neues Geld zu schöpfen, soll einer unabhängigen Zentralbank vorbehalten bleiben und nicht länger zu den Einflussmöglichkeiten privatwirtschaftlicher Banken gehören. Und überhaupt: Die Kapitalmärkte werden zurechtgestutzt, weil durch den Wegfall der Kapitalgesellschaften auch entsprechende Finanzierungsinstrumente wie Aktien und Derivate nicht mehr gebraucht würden.

Soweit im Einzelnen. Und das große Ganze? Welches Gesamtbild entsteht vor dem geistigen Auge des Betrachters*? Eine Gesellschaft freier Menschen – im doppelten Sinne „befreit“, zum einen von wirtschaftlichen Zwängen durch das BGE, zum anderen vom Konsumterror der Markenkonzerne (gut!). Ehrliche und solide Arbeit wird angemessen bezahlt, aus dem Arbeitgeber-Markt wird ein Arbeitnehmer-Markt (noch besser!). Banken und Kapitalspekulanten* werden entmachtet (Klasse!). Wir Deutschen werden zu einem Volk der Kleinunternehmer und Mittelständler, was wir eh in unserer ökonomischen DNA haben (so der Mythos der sozialen Marktwirtschaft). Auf diesen Märkten weht der scharfe Wind des Wettbewerbs, aber so scharf nun auch wieder nicht, denn die meisten Firmen sind nur lokal oder regional ausgerichtet (so das Desideratum der Öko-Fraktion). Der Staat will kein Sozialstaat mehr sein, muss er ja auch nicht, denn es gibt ja das BGE, mit dem jeder tun und lassen kann, was er will. Der Staat, damit er nicht übermächtig wird, fungiert lediglich als eine Art Treuhandanstalt für das zu versteigernde Gemeineigentum und steuert die immer gerechter werdende Gesellschaft über Steuern.

 

Der Teufel steckt im Detail

Klingt quadratisch, praktisch, gut. BHP sprechen von einer „realen Utopie“. An anderer Stelle deklarieren sie ihren Entwurf als „revolutionär“. Mag schon so sein. Aber hält dieses revolutionäre Versprechen auch den Anforderungen der Logik stand? Die Antwort lautet: Tendenziell nein. Einiges am Gedankengebäude der Wirtschafts-Architekten Bannas und Herrmann-Pillath wirkt widersprüchlich, verstiegen, ungereimt – und läuft schlichtweg einschlägigen Erfahrungen zuwider. Oft liegt der Teufel im Detail. Hier nur einige Beispiele:

  • Privatisierung des Bildungswesens: Die Ausgabe von Bildungsgutscheinen soll mit der Privatisierung des Bildungswesens einhergehen. Ein Horrorgedanke, wenn man bedenkt, dass z.B. private Hochschulen in Deutschland vor allem gegründet werden, um Profite zu maximieren – dabei aber das akademische Niveau meist stark drücken, weil sie viel zu gute Noten an ihr zahlendes Publikum verschenken. Das gesamte Public-Private-Partnership-Konzept ist überholt, man denke nur an die ganzen Reinfälle beim Autobahnbau.
  • Aufweichung des Markenschutzes: Den allgegenwärtigen Markenfetischismus einzudämmen, ist sicher ein hehres Ziel. Aber den Schutz extrem zu minimieren, führt auch zwangsläufig zur Verunsicherung bei den Konsumenten*. Wenn ich mir als Kunde nicht mehr wirklich sicher sein kann, ob z.B. das Produkt von einem Hersteller stammt, der seine Sport-Shirts fair produziert, weil etwa ein täuschend ähnliches Logo vom Ärmel prangt, verlagert dies die Verantwortung noch mehr zu Lasten des Verbrauchers* als eh schon notwendig. Marken haben also auch ihr Gutes.
  • Versteigerung von Gemeingütern und mehr: Liberale Ökonomen* hängen immer noch dem Glauben an, dass der, der bei Auktionen (hier etwa von Grund und Boden) am meisten bietet und dann den Zuschlag bekommt, tatsächlich auch derjenige ist, der mit den höchsten Erträgen rechnen kann und deshalb das höchste Risiko eingeht. Auch in der BHP-Marktwirtschaft würden Unternehmen unterschiedlich mit Kapital ausgestattet sein, sodass die Kleinen möglicherweise seltener zum Zuge kämen. Warum also immer über den Preis gehen? Und nicht z.B. über die Plausibilität und den gesellschaftlichen Gesamtnutzen von Konzepten? Damit noch nicht genug: BHP wollen auch die Verwaltung von Kommunen versteigern, an private Bieter, aber auch an andere Kommunen. Die deutsche Behörderei mag ein gewisses Optimierungspotenzial aufweisen. Doch wird hier der Privatisierungs- und Wettbewerbsgedanke fast schon ins Groteske geführt. Schwer vorstellbar, dass die hocheffiziente Stadtverwaltung von Düsseldorf auch die Geschäfte in Köln übernimmt.
  • Über die Energiesteuer technischen Fortschritt abbremsen: BHP wollen ihre Energiesteuer u.a. dafür einsetzen, um „sozial wünschenswerte Beschäftigungseffekte“ zu erzeugen. So soll darüber z.B. der Einsatz künstlicher Intelligenz erschwert werden, denn die frisst nicht nur jede Menge Strom (Server etc.), sondern langfristig auch viele Arbeitsplätze. Die Geschichte hat jedoch gezeigt: Technischer Fortschritt lässt sich auf Dauer nicht aufhalten, er lässt sich aber wohl steuern, wenn auch bisher oft in die falsche Richtung.

Der letzte Punkt ist symptomatisch für die Denkweise des Ordoliberalismus. Schon vor Jahrzehnten sah er sich dem Vorwurf ausgesetzt, sich die prä-industrielle Vormoderne zurück zu ersehnen. Das ist etwas übertrieben, aber doch nicht abwegig. Es hat einen Touch von „Zurück in die Zukunft“. Womit wir beim Big Picture wären. Das BHP-Manifest will weder so recht in die hiesige Zeit passen noch in den absehbar weiteren Lauf der Dinge. BHP argumentieren, als sei Deutschland (ebenso wie die anderen hoch entwickelten Volkswirtschaften) ein Land der reinen Warenproduktion. Ja, wir haben noch vergleichsweise viel Industrie, aber wie alle anderen Länder des Nordens spielen digitale Plattformen eine zunehmend wichtige Rolle und damit auch Software, digitale Netze und Dienstleistungen aller Art. Dabei sind Größenvorteile und Netzwerkeffekte von enormer Bedeutung. Soll also z.B. ein deutsches „Instagram“ von einer GbR geführt werden?

Ganz im Sinne des Ordoliberalismus singen BHP zudem das hohe Lied auf das familiengeführte Unternehmen. An anderer Stelle dann auf Stiftungsunternehmen, deren Konstruktion aber nicht näher erläutert wird. Es gibt einige wenige Stiftungsunternehmen wie etwa den schwäbischen Naturkosmetik-Hersteller Wala, die ihre Gewinne nicht an die Eigentümer* ausschütten, weil es eben keine gibt, nachdem sie sich selbst „enteignet“ haben. Und es gibt viele stiftungsgetragene Unternehmen, etwa Bosch, Bertelsmann oder Lidl/Schwarz, deren Motive und Funktionen nicht durchgehend philantropischer Natur sind – teils ganz im Gegenteil.

 

Warum nicht gleich den VW-Konzern zerschlagen?

Bleiben wir also lieber gleich bei den Familienunternehmen. Da mag es viele geben, die in höchst ehrenwerter Weise geführt werden. Da mag es aber noch mehr geben, bei denen auch die Maximierung der Gewinne im Vordergrund steht. Reichtum und Macht sind nicht nur Triebkräfte hinter den verspiegelten Glasfassaden internationaler Konzerne. Und wie kommt ein Unternehmer* dazu? Indem seine Firma kräftig wächst. Damit kommen auch wieder die diversen Unternehmenssteuern ins Spiel, nicht nur die von BHP favorisierte Vermögenssteuer. Obszöne Vermögen entstehen durch ein hohes Einkommen – egal, ob sie aus dem großen Casino namens Börse stammen, wie es im heutigen Neo-Feudalismus üblich ist, oder ob sie aus Gewinnen der Realwirtschaft angehäuft werden. Selbst wer sich steuerlich mehr oder minder gezwungen sieht, seine Gewinne ins Unternehmen zu reinvestieren, kann immer noch aus Wachstum und Macht seine präpotente Luststeigerung beziehen. Das Problem scheint vielmehr im Anreizsystem zu liegen. Oder anders formuliert: Oft wollen die Falschen Unternehmer werden.

Daran ändern auch nichts die Maßnahmen, die die Autoren für die Transformation zu ihrer bevorzugten Wirtschaftsordnung empfehlen. Dabei handelt es sich in erster Linie um steuerliche Eingriffe. Überraschend ist dagegen, wie wenig das klassische Instrument ordoliberaler Wirtschaftspolitik erwähnt wird: die Wettbewerbspolitik. „Hier sind lediglich Reformen nötig, nicht aber grundlegende Änderungen“, schreiben BHP. Welche genau? Wie soll im Übrigen die Marktstruktur in der idealen Volkswirtschaft aussehen? Darauf geben die Autoren keine Antworten. Sie sagen lediglich, dass kleine, lokale Unternehmen wie Pilze aus dem Boden schießen würden. Wie aber mit den bestehenden Dickschiffen aus dem DAX oder dem Dow Jones umgehen? BHPs Modell konsequent zu Ende gedacht, müssten doch das deutsche Bundeskartellamt bzw. die Europäische Wettbewerbsbehörde Facebook genauso wie Volkswagen zerschlagen.

 

Fazit: Einfach auch mal unorthodox denken

In toto betrachtet führt das BHP-Konzept in die ordnungspolitische Irre. Weil es einem Freiheitsbegriff frönt, der persönliche Freiheit unabdingbar an wirtschaftliche Freiheit und das Recht auf Privateigentum an Produktionsmitteln kettet. Und weil es damit die Verwerfungen, mithin die Systemfehler eines gewinnorientierten privaten Unternehmertums ausblendet. Nicht die teils unlogischen, teils stimmigen Zusammenhänge des BHP-Entwurfs sind das Problem. Vielmehr sind die Prämissen falsch. Sicher ist dies eine Frage des Welt- und Menschenbildes. Jedem nach seiner Facon.

Auch wenn es damit ans Eigemachte geht: Das marktwirtschaftliche Manifest von Bannas und Herrmann-Pillath ist dennoch lesenswert, weil es vor allem in diversen Einzelfragen wie Nachhaltigkeit, BGE, Gemeineigentum und Vermögenssteuer sehr geistesanregend wirkt und den Diskurs über eine neue Wirtschaftsordnung um einige Facetten bereichert. Nicht zuletzt zeigt das Buch aber auch auf, dass man im fortschreitenden 21. Jahrhundert ideologische Glaubenssätze hie und da über Bord werfen sollte, um immer wieder einmal brauchbare Versatzstücke aus anderen Wirtschaftsmodellen aufzugreifen –selbst wenn sie nicht aus der direkten Nähe des eigenen Politik-Universums stammen. Also, BHP, danke dafür!

Stephan Bannas/Herrmann-Pillath (2020): Marktwirtschaft: Zu einer neuen Wirklichkeit. 30 Thesen zur Transformation unserer Wirtschaftsordnung. Stuttgart. 16,95 €.

© Die Zweite Aufklärung 2021

 

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Prof. Lutz Frühbrodt

Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Professor für "Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation" an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zu kommunikations- und wirtschaftspolitischen Themen. Spezialgebiet Mediensoziologie. Zuvor ein knappes Jahrzehnt Wirtschaftsreporter bei der "Welt"-Gruppe - als Teilstrecke seines Marsches durch die Institutionen. Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität in seiner Heimatstadt Berlin. Volontariat beim DeutschlandRadio Kultur.

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