Stell‘ dir vor, du drehst den Wasserhahn auf und es kommt nichts mehr heraus. Weil Elon Musk und Coca-Cola die Wasservorräte in der Region angezapft haben und alles alleine verbrauchen. Ein abseitiges Horrorszenario? Nicht ganz. Uwe Ritzer erklärt in seinem neuen Buch, warum das Menetekel einer wasserarmen Gesellschaft viel realistischer ist, als wir gemeinhin denken.
Ein Buch mit Konsequenzen: Seit ich es gelesen habe, trinke ich kein Mineralwasser mehr. Naja, zumindest habe ich meinen Konsum drastisch eingeschränkt und führe mir, wann immer möglich, nur noch ganz ordinäres Leitungswasser zu. Dass man nach der Lektüre von „Zwischen Dürre und Flut“ sein persönliches Konsumverhalten ändert oder zumindest ändern sollte, stellt nur eine Facette dieses genauso spannenden wie wichtigen Bandes dar. Autor Uwe Ritzer ist von Hause aus Wirtschaftsreporter bei der Süddeutschen Zeitung. Folglich geht es ihm in erster Linie darum, Schwächen und (System)Fehler des hiesigen Wassermanagements aufzudecken. Denn diese haben Deutschland an den Rand eines Wassernotstands gebracht. Und die Wasserkrise wird wiederum durch die Klimakrise beschleunigt und verstärkt.
Das Land hat einige Dürrejahre hinter sich. Einzelne Kommunen mussten bereits Wasser rationieren. Doch wie passt das zu den gefühlt unendlich langen Regenperioden, die manchmal schon so wirken, als wäre der Monsun (nur deutlich kühler) über Mitteleuropa gekommen? Kein Widerspruch, denn die Klimakrise führt zu Wetterextremen und so auch zu Perioden starker Unwetter. Über den Meeren verdunsten deutlich größere Mengen Wasser, was wiederum mehr Platzregen, Gewitter und Stürme erzeugt. Nur das viele Wasser, das auf einmal herniedergeht, staut sich an der Erdoberfläche und sickert nicht in die Tiefe – was zu Überflutungen wie 2021 im Ahrtal führen kann.
Konzerne plündern die kostbaren Grundwasservorräte
Ritzers Buch mit dem etwas missverständlichen Titel „Zwischen Dürre und Flut“ dreht sich zuvorderst um den Dürre-Aspekt, also die Verknappung von (trinkbarem) Süßwasser, vor allem um das lupenreine Grundwasser. Denn seit Jahrzehnten wird es bedenkenlos und im großen Stile angezapft – in erster Linie für wirtschaftliche Zwecke, man könnte auch sagen: um Profite zu machen.
Deshalb stehen auf den 300 Seiten in erster Linie Konzerne im Fadenkreuz der Kritik, teils auch mittelständische Betriebe. Im ersten Teil „Hotspots überall“ zeichnet Ritzer ein Panorama-Bild verschiedenster Krisenphänomene: Auswirkungen des Klimawandels in den Alpen und am Rhein, die Flutkatastrophe im Ahrtal, zunehmende Rechtsstreitigkeiten über erlaubte Verbrauchsmengen und Preise, um nur einige Beispiele zu nennen. Breiten Raum nimmt die Landwirtschaft (hier: in Unterfranken) ein, die sich für den Gemüseanbau kräftig beim Grundwasser bedient – was zu erhöhten „Schadstoffeinträgen“ führt, also Pestizide, aber auch Stickstoff durch Überdüngung in die Böden und ins Wasser gelangen.
Den zweiten Teil „Der Verteilungskampf beginnt“ dominieren die Auseinandersetzungen zwischen Getränkekonzernen wie Coca Cola und Altmühlthaler auf der einen und Bürgerinitiativen auf der anderen Seite. Ritzers zentrale Frage lautet hier: „Ist es ethisch gerechtfertigt, wenn jemand jahrtausendaltes, reines Tiefengrundwasser 250 Meter hoch an die Erdoberfläche pumpt, es in Einwegflaschen abfüllt, durch die Republik karrt und Discounter es anschließend verkaufen?“ Die Antwort fällt klar aus, zumal die Hersteller von Mineralwasser dafür, dass sie hochwertiges Grundwasser aus rund 200 Mineralbrunnen in Deutschland abpumpen, wenig bis gar nichts bezahlen müssen.
Wasser ist Allgemeingut und wird hier im Handstreich zum Wirtschaftsgut umfunktioniert – mit freundlicher Unterstützung von Kommunalbehörden und Landesregierungen. Immerhin waren die Bürgerproteste teilweise erfolgreich – aber immer erst dann, wenn bei einer breiten Mehrheit von Bürger:innen der Groschen fällt, dass ihr eigenes Wasser knapper und damit meist auch teurer wird.
Nicht, oder zumindest noch nicht von Erfolg gekrönt sind dagegen die Proteste in Grünheide bei Berlin, wo der Gigantomane Elon Musk ein Tesla-Werk hingepflanzt hat und weiter ausbauen will. Im Tausch für 12.000 Arbeitsplätze im strukturschwachen Brandenburg darf sich Musk in einem der größten zusammenhängenden Waldgebiete und weitgehendem Trinkwasser-Schutzgebiet buchstäblich wie die Axt im Walde benehmen. Und die SPD-geführte Landesregierung, die devot assistiert, verleugnet schlichtweg, dass durch das Werk eine Wasserknappheit in der Region droht – während der lokale Versorger mahnt, er könne keine Garantien mehr für die „einfache“ Bevölkerung abgeben.
Musk, Tesla und sein brandenburgisches Machwerk bestimmen den dritten Teil mit dem Titel „Die Gier der großen Schlucker“. Und der Plural deutet bereits an, dass der US-Autobauer nur pars pro toto steht. Denn die Energieversorger, der Bergbau und die Industrie, allen voran die chemische, haben einen nicht minder gewaltigen Wasserdurst. Den Löwenanteil des für sie meist spottbilligen Wassers nutzen die Betriebe zur Kühlung, oft gesichert durch langfristige Entnahmerechte.
Schwächen und vor allem Stärken des Buches
Ritzer hat sein Buch virtuos im klassischen Süddeutsche-Stil verfasst: stark szenisch, sehr anschaulich, bestens recherchiert. „Zwischen Dürre und Flut“ weist allerdings auch gewisse Defizite auf. Ich hätte mir mehr Info-Boxen mit kurzen Erklärungen und Definitionen gewünscht, die nicht – wie im Fließtext des Buches untergebracht – bevorzugt aus offiziösen Zitaten wie vom Umweltbundesamt stammen. Hilfreich, da veranschaulichend wären zudem Tabellen und Schaubilder gewesen, denn gerade im ersten Teil des Buches wird einem stellenweise doch recht viel Zahlensalat serviert.
Für meinen ganz persönlichen Geschmack hat das Buch schließlich eine kleine Schieflage. Ritzer will „Fakten vermitteln“ und „aufklären“, wie er schreibt. Dies gelingt ihm ohne jede Frage. Doch manchmal etwas zu ausführlich und detailverliebt, mit jedem kleinen Hin und Her bei den beschriebenen Fällen. Dagegen fällt der Teil „Was jetzt passieren muss“ – so der Untertitel des Buches – vergleichsweise knapp aus. Gerade hier wäre es wünschenswert gewesen, wenn Ritzer seine Vorstellungen noch etwas konkreter und spezifischer modelliert hätte.
Immerhin, die Richtung stimmt. Mit seinem Maßnahmenkatalog will Ritzer die „Regenerationsfähigkeit des Wassersystems erhalten und die Übernutzung von Wasserressourcen verhindern.“ In diesem Sinne fordert er, dass die öffentliche Versorgung klaren Vorrang vor privatwirtschaftlichen Interessen erhalten muss. Scheinbar ein No-Brainer, doch sei dieser Grundsatz bisher nicht bundesweit festgeschrieben, betont der Autor. Das übergeordnete Gemeinwohl-Prinzip müsse zur Richtschnur für alle lokalen Genehmigungsbehörden werden. Ein absolutes Muss, damit es keine Ausreden mehr gibt.
Ritzer-Forderung Nummer zwei: Die Wasserversorgung darf nicht privatisiert werden. Dies ist in Chile und Großbritannien passiert, mit fatalen Folgen für die Wasserinfrastruktur und die Verbraucherpreise. Auch in Deutschland gab es mit der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart so ein Horrorbeispiel, wobei der Wasserversorger EnBW inzwischen wieder der öffentlichen Hand gehört. Gleichwohl üben sich EU-Kommissare immer wieder in einschlägigen Gedankenspielen, zeitgleich mehrt sich stetig die Zahl der Aqua-Spekulanten und -Spekulationen an den Kapitalmärkten. Ritzer merkt hier zurecht an, dass Privatunternehmen mit öffentlichen Aufgaben immer nur in guten Zeiten, ergo: wenn es Gewinne abzuschöpfen gibt, aktiv seien. In schlechten Zeiten wie der der Energiekrise in Folge des Ukraine-Krieges wollten sie indes keine Verantwortung übernehmen.
Forderung Nummer drei: Das Land braucht eine umfassende Wasserschutzagenda. Der Grundwasserschutz müsse frühzeitig verbessert werden, Moore und Sümpfe müssten besser geschützt werden, die Landwirtschaft müsse umdenken. In anderen Ländern spielten zudem neue Technologien, etwa zur Entsalzung von Meerwasser oder zur punktgenauen Bewässerung in der Landwirtschaft, eine wichtige Rolle, hierzulande bisher dagegen kaum bis gar nicht (Forderung Nr. 4).
Und natürlich darf auch der Appell an die Endverbraucher:innen nicht fehlen, sparsamer oder zumindest bewusster mit Wasser umzugehen (Forderung Nr. 5). Das hat zumindest bei mir schon mal gefruchtet. Bei Mineralwasser kann man sich zwar den Mix der Mineralien aussuchen und beispielsweise gezielt das Wasser mit einem hohen Anteil an Magnesium wählen oder sich eines mit viel Hydrogencarbonat aussuchen. Doch ansonsten unterscheiden sich das Trinkwasser aus der Leitung und das Mineralwasser aus dem Supermarkt in der Qualität nicht sehr stark. Der große Unterschied besteht vielmehr darin, dass das Mineralwasser in umweltschädlichen Einwegflaschen aus Plastik meist über Hunderte von Kilometern transportiert wird und somit auch der ökologische Preis um ein Vielfaches höher ist.
Alles in allem also ein extrem wichtiges Buch, das auf ein bislang eher unterbelichtetes Thema aufmerksam macht. Es vermittelt auf gut verständliche wie sehr eindringliche Weise die erschütternden Fakten, die in der Wissenschaft schon länger bekannt sind. Eigentlich ein Irrsinn, wenn man bedenkt, wie existenziell wichtig Wasser doch ist: für die Ernährung und die Hygiene, als Energiequelle und Transportmedium, für Produktion und Kühlung, zur Bewässerung in der Landwirtschaft, im Tourismus. Im Jahr 2023 sind zwar noch einige weitere „Wasserbücher“ erschienen. Ritzer gewinnt mit seinem Buch sein Alleinstellungmerkmal jedoch dadurch, dass er das Thema in die politische Ökonomie einbettet und damit seinen Finger in die tiefste Wunde legt. Wie hieß doch der Wahlkampfslogan des früheren US-Präsidenten Bill Clinton? It’s the economy, stupid!
Uwe Ritzer: Zwischen Dürre und Flut. Deutschland vor dem Wassernotstand: Was jetzt passieren muss. München 2023. Penguin Verlag. 20 €.
© Die Zweite Aufklärung 2023 (Titelbild: Jirsak/Depositphotos)
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