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Hildegard Knef gehört zu den ersten Multitalenten der jungen Bundesrepublik: Sie ist als Schauspielerin erfolgreich, dann als Sängerin und Schriftstellerin. Und sie sorgt für den ersten Film-Skandal: Als „Die Sünderin“ (1950) zeigt sie sich sekundenlang oben ohne und leistet ihrem Filmliebhaber auch noch Sterbehilfe. In den darauffolgenden Jahrzehnten bleibt das Verhältnis der Knef zur Öffentlichkeit angespannt: Mal gibt sie sich aufreizend und provokant, mal tritt sie selbstherrlich und äußerst dünnhäutig auf. Kurz: Sie ist die erste Diva der Bundesrepublik. Aber sie ist ihrer Zeit auch stets eine Stupsnasenlänge voraus, wie Teil 1 ihrer Biografie zeigt.

Intro: Hilde Knef – personifizierter Gegenentwurf zum kulturellen Nierentisch

Sonja Ziemann regiert mit ihren Hauptrollen in „Schwarzwaldmädel“ und „Grün ist die Heide“ als unbestrittene Königin des westdeutschen Heimatfilms. Romy Schneider, eh gebürtige Österreicherin, erreicht und erweicht als Kaiserin „Sissy“ gleich in drei aufeinander folgenden Verfilmungen die Herzen der Menschen. Ruth Leuwerik („Ein Herz spielt falsch“) personifiziert das klassisch deutsche „Fröllein“. Liselotte Pulver („Wirtshaus im Spessart“) darf sich durchaus ein bisschen kess und burschikos geben, ist am Ende aber doch immer eine ganz Liebe. Maria Schell dagegen neigt zum persönlichen Melodram, nicht nur in „Dr. Holl“, wiewohl sie immer schön und hingebungsvoll bleibt.

Hildegard Knef 1970 in einer holländischen Fernsehshow. Foto: Niederländisches Reichsarchiv (auch Titelfoto)

Die weibliche Hauptrolle im deutschsprachigen Film westlicher Provenienz spielt in den 1950er Jahren also grundsätzlich eine Frau, die zwar mal so und mal so sein kann, aber summa summarum das Frauenbild der Ära Adenauer eins zu eins widerspiegelt: Niedlich, weiblich, geschmeidig. Und zwar angepasst an die Wünsche und den Lebensstil ihres Mannes im Besonderen und des Mannes im Allgemeinen. Und diese Frau ist eingerahmt in die oft bigotte Harmlosigkeit von Filmen, welche den gemeinen Wirtschaftswunder-Menschen erfreuen sollen und den gesellschaftlichen Biedermeier zum Normalzustand erklären wollen.

Hildegard Knef spielt da nicht mit. Sie bildet den Gegenentwurf zum kulturellen Nierentisch und formuliert so ein Alleinstellungsmerkmal, das ihr viel Pein, aber letztlich auch den großen Ruhm beschert. Sie ist zwar blond, schlank und schön, aber sie tritt eben auch selbstbewusst, unkonventionell und nicht zuletzt ein bisschen verrucht auf. Und die Wirkung verstärkt sich, je mehr pikante Details aus ihrem Privatleben bekannt werden. Hinzu kommen Neid und Anerkennung des Publikums: Hildegard Knef avanciert zum ersten internationalen Nachkriegsstar Deutschlands, spielt in Hollywood-Filmen mit – wie einst Marlene Dietrich. „Knef“ lautet die cineastische Antwort auf das „Wunder von Bern“, als die deutsche Fußball-Nationalelf 1954 überraschend den Weltmeister-Titel holt. Der bekannte Theater-Kritiker Friedrich Luft sagt 1961 über die Knef, wie sie oft genannt wird, dass sie „ein Stück nationalen Stolzes geworden“ sei.

„Wir sind wieder wer“, lautet die Parole. Doch wer sind wir im Fall der Knef? Vor ihrer Rolle im berühmten Hollywood-Streifen Schnee am Kilimandscharo wird Hildegard Knef regelrecht aus Deutschland rausgedisst, weil sie buchstäblich in die Haut einer Sünderin geschlüpft ist. Für viele Deutsche ist sie das Flittchen, das dennoch oder gerade nur deshalb zum Weltstar aufsteigt. Der Skandalfilm klärt allerdings auch das Thema Kunstfreiheit ganz grundsätzlich und öffnet die Tür für eine zumindest schleichende sexuelle Befreiung, die Ende der 1960er ihren Höhenpunkt erreicht. Zu diesem Zeitpunkt singt die Knef bereits mehr, als dass sie schauspielert. Sie ist es, die das Chanson hierzulande salonfähig macht. Doch die Knef ist mehr als ihre Kunst: Ihre Schönheits-OPs, ihr Krebs, ihre immer neuen privaten Kapriolen breitet sie in ihren genauso schwung- wie kunstvoll geschriebenen Büchern aus, lässt sie aber auch mal süffisant, mal schwer leidend von der Klatschpresse breittreten. Hildegard Knef – Geburtsjahr 1925, Todesjahr 2002 – war eine echte Diva.

Eine Diva zeichnet sich durch ihr außergewöhnliches Können aus, wohl aber auch durch ihre Launen, ihren Hochmut, ihr exzentrisches Verhalten. Diese Kompliziertheit des Charakters hat nicht selten zur Folge, dass die „Göttliche“ die Menschen ihres persönlichen Hofstaats tyrannisiert. Wenn sich dann auch noch Überempfindlichkeit und eine gewisse Unnahbarkeit dazu gesellen, dann verweist dies auf eine tiefe Unsicherheit, die sich durch ihr Lebenselixier, den künstlerischen Ruhm, in tiefe Genugtuung und zur Schau getragene Selbstsicherheit verwandelt hat. Das letztlich fehlende Vertrauen in sich selbst wirkt zwar als kreative Antriebsfeder, bringt die Diva aber auch immer wieder aus der Fassung.

Ein kränkliches Kind, das sich zu wehren weiß

Dieser Kern der Verunsicherung hat seine Wurzeln zumeist in der Kindheit. Und auch Hildegard ist ein sehr kränkliches Kind. Langanhaltende, wiederholte Angstzustände paaren sich mit verschiedensten physischen Gebrechen, verrät sie von ihren Memoiren Der geschenkte Gaul von 1970 (1): „Da waren geschwollene Augen und Gerstenkörner, da waren die Gummibeine der Kinderlähmung, gebrochenes Schlüsselbein, das nicht heilen wollte, Rheuma…Da war Blutarmut und Blutproben, da war die Geisterbleiche im Gesicht, Schatten unter den Augen…“ Krankheiten, später von Meningitis über Blinddarm-Durchbrüche bis Brustkrebs, ziehen sich das Leben der Hildegard Frieda Albertine Knef, das am 28. Dezember 1925 in Ulm beginnt.

Gedenktafel für Hilde Knef in der Leberstraße in Berlin-Schöneberg. Hier verbrachte sie ihre ersten Lebensjahre. Foto: geo.hlipp.de

Hilde wächst allerdings nicht im Schwabenland, sondern in einem völlig anderen Kulturkreis auf: in Berlin-Wilmersdorf. Berlin, die große Stadt, ein bürgerlicher Bezirk mit bürgerlichen Menschen, wie es scheint. Zumindest gilt dies für die weitere Umgebung der Hilde Knef. Eine ihrer Tanten ist indes mehr in der Psychiatrie als außerhalb der Geschlossenen. Ihr Großvater nimmt sich kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs das Leben. Dabei hat sie ihren Opa am liebsten, denn der verwöhnt sie und entdeckt früh die Künstlerin in ihr. Der Vater stirbt schon kurz nach ihrer Geburt an Syphilis, mit der Mutter versteht sie sich erst besser, als sie berühmt wird. Mutter Knef arbeitet zunächst als Sekretärin bei Siemens, macht sich dann aber selbständig – zunächst mit einem Zigarrenladen, dann mit einer Schokoladerie und schließlich mit einer „Besohlungsstation“ (Knef), die sie mit ihrem neuen Mann betreibt.

In der Schule hat es Hilde einigermaßen schwer, zumal nach der Machtübernahme der Nazis mit den braun eingefärbten Lehrerinnen, die das schwächliche und zuweilen renitente Mädchen drangsalieren. In allen möglichen Fächern, auch im Sport. Die „Turnlehrerin“ quält sie, um sie zu einer „echten Deutschen“ zu stählen. Doch Hilde Knef lernt früh, sich zu wehren: „Sie [die Lehrerin] hat es so lange versucht, bis ich ihr beim sonnabendlichen Völkerballspiel meinen großen Medizinball in den Bauch donnerte, dass sie sich auf dem verstaubten Schulhof wand…Ich entschuldigte mich, sie ohrfeigte mich, aber das tat bestimmt nicht so weh wie der Medizinball auf den Eierstöcken.“

Schon früh zeigt sich, dass Hilde Knef das Leben als Krampf wie als Kampf versteht und diese Erkenntnis mit der Devise verbindet, dass man sich gegen Widerstände aller Art durchsetzen muss. Mit Cleverness und Charme, manchmal aber auch mit dem brachialen Schmiss eines Medizinballs. Die zart besaitete Hilde malt letztlich lieber, als dass sie mit schweren Kugeln auf Weichteile zielt. Und so fängt sie nach ihrer Mittleren Reife eine Lehre als Zeichnerin in der Trickfilmabteilung der Nazi-deutschen Traumfabrik UFA an. Nach einiger Zeit wird sie jedoch „entdeckt“ und darf ab 1943 eine Schauspielausbildung an der Staatlichen Filmschule Babelsberg absolvieren. Dort erhält sie unter anderem Sprach- und Gesangsunterricht, aber auch Unterweisung in Nazi-Ideologie.

Von der Nazi-Braut zur U.S. War Bride

Diese erweist sich, gepaart mit jugendlicher Naivität, als hilfreich, um karriereförderliche Bekanntschaft mit Filmstars und Filmmanagern zu machen, vor allem wenn es sich um eingefleischte Nazis handelt. Zu diesen frühen Bekanntschaften gehört Ewald von Demandowsky, den sie schnell etwas besser kennenlernt. „EvD“, wie Hilde Knef ihn genauso liebevoll wie distanzierend nennt, ist Chef des UFA-Konkurrenten Tobis. Und er fungiert zugleich als „Reichsfilmdramaturg“ und damit als rechte Hand von Goebbels in Sachen Film. Der Reichspropaganda-Minister sieht Probeaufnahmen von der jungen Knef und urteilt danach: „Sie ist nett. Nur ihre Nase muss operiert werden.“ Nicht, was man denken könnte. Hildegard Knef hat eine ziemlich lange Stupsnase. Obendrein berlinert sie und dies mit einer vergleichsweise tiefen Stimme. Nicht die besten Voraussetzungen für eine steile Karriere als Schauspielerin in dieser Zeit.

EvD ist zwar verheiratet, doch die Frau, eine amerikanische Schauspielerin, weilt nicht in Berlin, weshalb Hildegard Knef zeitweilig auch in Demandowskys Villa im Berliner Nobelbezirk Dahlem einwohnt. EvD bringt sie mit den wirklich wichtigen Leuten der Filmszene zusammen, sodass erste Engagements herausspringen – darunter ein kurzer Auftritt am Anfang des Kultfilms Unter den Brücken von Helmut Käutner, der 1944 gedreht, aber erst 1950 uraufgeführt wird. Auch andere Filme aus dieser Zeit mit der jungen Hilde Knef schaffen es kriegsbedingt gar nicht erst ins Kino.

Januar 1938: Propagandaminister Josef Goebbels (Zweiter in der 1. Reihe) und Reichfilmdramaturg Ewald von Demandowsky (1. in der 2. Reihe) im UFA-Palast. Hilde Knef war die Geliebte von „EvD“. Foto: Bundesarchiv

EvD ist ein lupenreiner Nazi und als die Rote Armee vor Berlin steht, meldet er sich freiwillig beim Volkssturm, dem letzten Aufgebot. Hilde Knef macht mit, als Mann verkleidet – so stellt sie es zumindest im „Geschenkten Gaul“ dar. Die letzten Tage Berlins, den Krieg überhaupt schildert sie als hochtraumatisch: „Vom Bahndamm brüllt’s: Hilfe Hilfe, ein Soldat liegt da, Bauch auf, Darm raus, quillt quer über die Uniform, übers Gleis, brüllt Hilfe, wird leiser heiser atemlos. Ich sitz, ich starr, vergeß Scharfschützen. – Helft dem doch, brüll ich. Zwei sind drüben, versuchen ranzukommen. Am Ohr wird’s heiß, zischt’s, klack macht es, laß mich fallen ins Wasser, ins aufgewühlte, Kopf runter, nehm den Helm, schieb ihn aufs MG, halt’s hoch – klack. …“ (1)

Die unglaubliche Grausamkeit, die Todesangst, das Du-oder-Ich, die Verzweiflung, aber auch die Solidarität unter den Menschen, der nagende Hunger im und nach dem Krieg. All diese Erfahrungen und Gefühle graben sich tief in die Psyche der Hilde K. ein. Sie und EvD versuchen, mit einer Gruppe Gleichgesinnter in einer Art Himmelfahrtskommando aus Berlin herauszukommen und Richtung Westen zu fliehen. Sich lieber von den Amerikanern „hops“ nehmen lassen als in die Hände der Roten Armee zu geraten, lautet der Plan. Dann aber greifen sie doch russische Soldaten auf. Hilde Knef ist endlosen Verhören des russischen und polnischen Geheimdienstes ausgesetzt, kann dann aber aus dem Lager in der Nähe Berlins fliehen. So geht die Legende, die sie in ihren Memoiren entspinnt.

Dazu gehört auch, dass sie EvD zurücklassen muss und danach nie wiedersieht. Recherchen des Journalisten Felix Möller haben jedoch ergeben, dass dies so nicht stimmt. (2) EvD kommt vorübergehend wieder auf freien Fuß, zu einem Zeitpunkt, zu dem die beiden auch noch persönlichen Kontakt haben. Dann wird EvD erneut von der Sowjetischen Militäradministration festgesetzt und im Oktober 1946 durch Erschießen hingerichtet. Hildegard Knef formuliert wahrscheinlich ihre ganz persönliche Version der damaligen Geschehnisse, um sich als jugendlich-naiv Verführte zu stilisieren. Den „Geschenkten Gaul“ schreibt in den Zeiten der Studentenrebellion, als die Jungen jedem über 30 die Frage stellen: „Was hast du damals gemacht?“

Die junge Knef (links) spielt 1946 in am Schloss-parktheater Shakespeares „Wie es Euch gefällt“.

In den ersten Nachkriegsmonaten tritt Hilde Knef vor allem im Berliner Schlossparktheater auf – im amerikanisch besetzten Teil Berlins. Insbesondere eine Rolle im Boulevard-Stück Drei Mann auf einem Pferd verschafft ihr erste Bekanntheit. In jenen Tagen lernt sie Kurt Hirsch kennen, einen Kulturoffizier der U.S. Army, der ursprünglich aus der Tschechoslowakei stammt und mit seiner jüdischen Familie in die USA geflohen war. Hirsch arbeitet mit Eric Pommer zusammen, ebenfalls US-Emigrant und bis 1933 einer der erfolgreichsten Filmproduzenten der Prä-Nazi-UFA. Pommer sagt Knef voraus: „Sie werden Karriere machen.“ Und wird mit sofortiger Wirkung ihr lebenslanger Berater. Hirsch lernt Hilde noch etwas besser kennen, wird ihr persönlicher Manager und heiratet sie später. Damit verwandelt sie sich von der „Nazi-Braut“ in eine U.S. War Bride, in eine US-amerikanische Kriegsbraut.

Erste Nachkriegsfilme – erste Sondierungen in Hollywood

Beide, Hirsch wie Pommer, protegieren Hilde Knef fortan und bringen sie unter anderem mit Wolfgang Staudte (siehe zu Staudte das separate Porträt) zusammen. Der Regisseur engagiert sie für die Rolle der Susanne Wallner in Die Mörder sind unter uns, den ersten Nachkriegsfilm überhaupt, der im Oktober 1946 seine Premiere feiert. Der Film stellt einen ersten, wenngleich noch recht zaghaften Versuch der Vergangenheitsbewältigung dar: Im Zentrum steht ein Konflikt zwischen einem Arzt und ernüchterten Nazi-Mitläufer auf der einen und seinem Wehrmachts-Vorgesetzten auf der anderen Seite. Dieser Offizier hat im Krieg die Massenerschießung von ausländischen Zivilisten angeordnet. Hilde Knef alias Susanne Wallner kommt aus dem KZ zurück in ihre Wohnung, in der jetzt der halb geläuterte Arzt haust. Nach einer Phase des gegenseitigen Argwohns verlieben sie sich ineinander und Susanne hält ihren neuen Freund davon ab, den verbrecherischen Offizier in einem Akt der Selbstjustiz zu erschießen.

Aus heutiger Sicht mag es geradezu grotesk anmuten, wenn eine „Nazi-Braut“ wie Hildegard Knef ein Opfer des NS-Regimes spielt und obendrein noch eine KZ-Insassin. Doch von Knefs unmittelbarer Vergangenheit weiß damals kaum jemand – möglicherweise auch Regisseur Wolfgang Staudte nicht. Der Film genießt bis heute weltweite kulturhistorische Bedeutung. Doch er gebiert auch einen neuen Star, zumindest ein Sternchen: „Hildegard Knef spielt diese unwirklich engelhafte, von Wunschbildern [Zuversicht, Menschenliebe, Aufbauwille – Anmerk. des Verf.] geprägte Figur zurückhaltend und mit sprödem Liebreiz…Anders wäre die Figur kaum zu ertragen gewesen“, urteilt Staudte-Biograf Male Ludin. „Hildegard Knef war die große Entdeckung des Films.“ (3) Während „Die Mörder sind unter uns“ den Startschuss für die ostdeutsche Produktionsgesellschaft DEFA bildet, heißt der erste amerikanisch lizenzierte Film Zwischen gestern und morgen (1947). Auch hier darf sich Hildegard Knef einbringen, denn kein Geringerer als Eric Pommer ermöglicht den Streifen. Er handelt von einem Nazi-kritischen Zeichner, der durch seine eigentlich politisch motivierte Flucht aus einem Nobelhotel fälschlicherweise in Verdacht gerät, den wertvollen Schmuck einer Schauspielerin gestohlen zu haben. Hildegard Knef spielt hier die Rolle der Katharina, genannt Kat, ein junges Mädchen, das den Schmuck findet und auf dem Schwarzmarkt verkaufen will, dann aber zur Aufklärung des großen Missverständnisses beiträgt und zur Belohnung das Herz des Zeichners gewinnt.

„Zwischen gestern und morgen“ wirkt, als wäre der traditionelle UFA-Stil mit typischer Hollywood-Dynamik aufgepeppt worden. Es fällt aber auch auf, dass die politische Dimension ziemlich aufgesetzt und die damit verbundene „Botschaft“ nicht minder schräg erscheint: Hier müssen sich die Emigranten und nicht die in Deutschland zurückgebliebenen Mitläufer rechtfertigen. Eine pikante Note erhält die Geschichte immerhin dadurch, dass die vermeintlich Bestohlene eine Jüdin ist. Diese jüdische Actrice namens Nelly Dreyfuss wird von Sybille Schmitz dargestellt, von einer echten Könnerin, die Hilde Knef locker an die Wand spielt. Schmitz, die Morphium-abhängig ist und 1955 Suizid begeht, wird in Rainer Werner Fassbinders Film „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ (1982) verewigt. Die Filmpublizistin Daniela Sannwald wendet allerdings ein, dass Schmitz wie auch die anderen Darstellerinnen in „Zwischen gestern und morgen“ (wie z.B. auch Winnie Markus) eher wie klassische Theaterschauspielerinnen auftreten, während Hildegard Knef deutlich unkonventioneller agiert und sich zudem – sehr locker für diese Zeit – mit offenem langem Haar und in Hosen präsentiert. Dadurch falle sie ganz besonders auf. Sannwald ist sogar überzeugt, dass Knef damit einen neuen Darstellungsstil in den deutschen Film eingeführt habe. (4)

Dieser Mut zur Innovation verhilft Knef zur ersten Hauptrolle – im Film ohne Titel (1948). Hier schlüpft sie in die Rolle eines zunächst unbedarften Hausmädchens, das sich in ihren Hausherrn, einen verheirateten Kunstprofessor, verliebt und sich diesem hingibt. „Film ohne Titel“ wirkt streckenweise wie eine ungewollte Parodie auf die wenig später aufkommenden Heimatfilme, dann aber auch wieder für seine Zeit ungeahnt experimentell, weil er mit mehreren Schlussvarianten spielt. Die Rolle der Bauerntochter, die sich in der großen Stadt als Hausmädchen verdingt, nimmt man Hilde Knef nicht wirklich ab, weil sie schon damals nicht wie die „Unschuld vom Lande“ auftritt. Allerdings hat sie außerehelichen Sex und gilt damit als „Gefallene“, was schon besser passt und gut die Hälfte des Films ausmacht. Nicht nur große Teile des Publikums scheinen dies zu goutieren, sondern auch die Jury des Filmfestivals von Locarno, die ihr, der gerade 21jährigen, den Preis für die beste weibliche Darstellerin verleiht.

Marlene Dietrich neben Kriegsheld General Patton. Foto: U.S. Army

Als auch noch das amerikanische „Life Magazine“ dem Nachwuchsstar eine sechsseitige Fotostrecke widmet, wird Hilde Knefs Drang immer unbändiger, ihren Mann Kurt Hirsch in die USA zu begleiten, um dort zum Hollywood-Star aufzusteigen. Von New York aus geht es mit dem Auto quer durch das Land – Knef ist teils fasziniert, teils angewidert, in jedem Fall aber voller Tatendrang: „Vom achten Stock des Roosevelt-Hotels liegt mir Hollywood zu Füßen. Über Boulevards, Lichterschnüre, über Hügel und da, wo das Meer sein könnte, hinweg sag‘ ich: Ich muß es schaffen. Was, weiß ich nicht genau, außer berühmt zu werden, anerkannt, geliebt.“ Der Produzent David Selznick gibt ihr einen Siebenjahres-Vertrag, was ihr zwar regelmäßige Einkünfte beschert, aber keine einzige Rolle. Als Deutsche aus dem gerade erst niedergekämpften Nazi-Kriegsimperium hat sie Ende der 1940er einen schweren Stand in Amerika. So muss sie sich bei Meet-and-Greet-Events mit kalifornischen Vorstadt-Hausfrauen als Österreicherin ausgeben, obwohl Hitler ja gerade dort herkam.

Ohne wirkliche Engagements spielt Hilde Knef folglich das Party Girl. An den Pools und in den Salons der mondänen Villen von Beverly Hills lernt sie den Starregisseur Billy Wilder und Charlie Chaplin kennen. Und auch Marlene Dietrich, die als aus Nazi-Deutschland Emigrierte Karriere in Hollywood gemacht hat. Die Dietrich sagt über die Knef: „Sie ist wie ich, als ich jung war.“ Hilde Knef macht der Vergleich zwar atemlos, doch im Nu hat sie eine mütterliche Freundin gewonnen, die ihr auf Jahrzehnte gewogen bleibt und ihr obendrein auch noch ihren Leib-Astrologen vermittelt. Fortan werden Saturn-Oppositionen und Jupiter-Läufe Knefs Lebensentscheidungen wesentlich mitbestimmen. Und auch gewisse telepathische Fähigkeiten, verrät sie in ihren Memoiren, sollen später bei ihr zum Tragen kommen.

„Die Sünderin“ – Kunstfreiheit und sexuelle Befreiung

Im Sommer 1950 kehrt die Knef als enttäuschte Arbeitslose aus den USA nach Deutschland zurück. Ihr Empfang am Frankfurter Rhein-Main-Flughafen fällt triumphal aus. Heerscharen von Reportern, Fotografen und Schaulustigen wollen das buchstäbliche Deutschland-Comeback der Knef miterleben. Ihre langen Monate der Untätigkeit in den USA verkauft sie der Journaille als „Zeit lehrreichen Abwartens“. Doch hinter dem optimistischen Lächeln versteckt sich eine Grimasse voller Frust. Um die Ehe mit Kurt Hirsch steht es nicht zum Besten, der große Ruhm lässt weiter auf sich warten – immerhin sorgt ihr väterlicher Freund und Berater Eric Pommer für Optionen in Deutschland. Eine davon zieht sie und die soll sich als schicksalsträchtig erweisen. Hilde Knef wird zum Inbegriff der „Sünderin“ und zum Star eines neuen Typs.

Die Sünderin wirkt für sich genommen wie ein Film gewordener Groschenroman. Eine einfache, aber melodramatische Geschichte voller Klischees mit grob geschnitzten Figuren, die ihren übermächtigen Gefühlen mit zu viel Emphase Ausdruck verleihen. Hilde verkörpert Marina und Marina ist einerseits ganz schön durchtrieben, andererseits doch eine Suchende. Als junges Mädchen verführt sie ihren Stiefbruder und nimmt diesen gleich auch noch aus, um nach diesem ersten Vorglühen genau wie ihre Mutter eine Laufbahn im horizontalen Gewerbe anzusteuern. Als Edelprostituierte macht sich Marina ein schönes und luxuriöses Leben, doch als sie den gescheiterten Maler Alexander kennenlernt, findet sie die wahre Liebe. Alexander leidet jedoch an einem Hirntumor, der ihn in den Wahnsinn treibt, ihm zunehmend das Augenlicht nimmt und damit das Malen verhindert. Alexander ist schon vor seiner ersten Begegnung mit Marina lebensmüde, doch nach einer gescheiterten Operation nimmt er sich nun das Leben.

All dies klingt nach einer eher dürftigen und leidlich anstößigen Geschichte. In ihrer künstlerischen Umsetzung ist daraus ein streckenweise unterhaltsamer, aber insgesamt schlechter Film geraten. Die Schauspieler zeichnen sich durch ein veritables Overacting aus. Die Künstlichkeit der Dramatik wird noch dadurch verstärkt, dass Hilde alias Marina die Geschichte – schon mit leicht dunkler, aber vor allem stets hell aufgeregter Stimme – über weite Strecken aus dem Off erzählt. Aus heutiger Sicht absolut kein Aufreger, vielmehr echter Trash. Damals – 1951 – aber ein Skandalfilm erster Güte, zumindest haben ihn die Kirchen und ihre konservativen Verbündeten dazu gemacht.

Nach ihrer Lesart hat das Skandalöse gleich mehrere Dimensionen. Die erste, die minderjährige, schon früh verdorbene Marina hat Sex mit ihrem Stiefbruder – das grenzt schon an Inzest. Die zweite Dimension: Marinas Lebenswandel als Hure wird nicht verurteilt. Vielmehr findet sie ganz allein ihre Läuterung, lebt dann aber in wilder Ehe. Auch nicht besser. Die dritte: Als Alexander Marina im Garten ihres gemeinsamen Hauses malt, ist Hildegard Knef geschlagene sieben Sekunden barbusig zu sehen. Die vierte: Marina reicht Alexander den Trinkbecher mit den starken Schlaftabletten, die sie zuvor jahrelang vor ihm versteckt hatte. Sterbehilfe. Und schließlich die fünfte Dimension: Zu allem Überfluss legt sich Marina zum sterbenden Alexander und trinkt auch aus dem Becher. Selbstmord.

Jede Menge „Todsünden“, aus denen vor allem die katholische Kirche und ihre Verbände eine moralische Anklage gegen Die Sünderin formulieren – gegen den Film wie gegen seine Hauptdarstellerin. Nicht allein wegen der konkreten „Vergehen“, die im Film fast schon zelebriert werden, sondern auch wegen der Botschaft, die der Film auf einer Metaebene verbreitet: Alexander spielt in seinen Bildern wie in seinen philosophischen Einlassungen immerzu mit biblischen Themen, bedient sich in seinen Diskursen aber gerne auch bei anderen Religionen und der antiken Mythologie, wie eben beim Bild der Sünderin. Es bleibt zwar die Demut vor der Schöpfung, ansonsten aber nichts.

Die katholische Kirche will Cancel Culture betreiben

Der liberale Freigeist legt sich mit der damals noch sehr starken Instanz der erzkonservativen katholischen Kirche an (siehe dazu auch Teil 1 unserer Böll-Bio). Die freie Entscheidung des Individuums prallt mit ganzer Macht auf den Massenzwang der institutionellen Religion. Und zu allem Überfluss thematisiert der Film dann auch noch die Rolle der jungen Frau in der jungen Bundesrepublik. Eine Frau, die eigenständig über ihr Schicksal bestimmt? Aus seiner Sicht kann der Klerus all dies nicht so stehen lassen. Die Ereignisse nehmen noch vor der Premiere im Januar 1951 ihren Lauf, im Konferenzraum der Freiwilligen Selbstkontrolle. Dieses Organ der Filmwirtschaft stuft neue Kinofilme für die Altersfreigabe ein – zum Beispiel „FSK 0“ für Filme ohne Altersbeschränkung oder „FSK 18“, wenn keine Jugendfreigabe erfolgt. Im Fall der „Sünderin“ wollen die Kirchenvertreter, die im Entscheidungsgremium sitzen, zunächst gar keine Freigabe erteilen. Als sie damit nicht durchkommen, scheiden sie vorübergehend unter Protest aus der FSK aus. Womit die Alarmsirenen schon einmal laut losgehen.

Als der Film dann in die Kinos kommt, gehen die offiziellen wie auch die selbsternannten Sittenwächter und Moralapostel in die Ketten. Demonstrationszüge mit mehreren Tausend Teilnehmern in Düsseldorf, Osnabrück, Köln, Oberhausen, Ulm und Regensburg fordern die sofortige Absetzung des Streifens. Andernorts gibt es kleinere Demos, aber mit nicht weniger fanatischen Teilnehmern, Männern wie Frauen, meist aus katholischen Verbänden. Vor den Kinos, die sie gerne auch blockieren, verteilen die Gegner der „Sünderin“ Flugblätter, auf denen beispielsweise zu lesen ist: „Dieser Film spottet nicht nur der christlichen Moral, sondern auch des elementarsten menschlichen Anstands, verhöhnt die Ehre unserer Frauen und Mädchen, verletzt das gesunde Ehrbarkeitsgefühl unsers Volkes.“

„Dieser Film spottet nicht nur der christlichen Moral, sondern auch des elementarsten menschlichen Anstands, verhöhnt die Ehre unserer Frauen und Mädchen, verletzt das gesunde Ehrbarkeitsgefühl unsers Volkes.“ Aus einem Flugblatt von Anti-„Sünderin“-Protestlern

Angestachelt wird das katholische Fußvolk von ziemlich weit oben: Der Kölner Kardinal Frings verliest einen scharf formulierten Hirtenbrief, in dem er auch mehr oder minder direkt zur „Selbsthilfe“ der Beschämten aufruft. Einige Protestler nehmen dies allzu gerne wörtlich. So führt der als „Ruhrkaplan“ bekannte Priester Carl Klinkhammer eine Gruppe junger Männer an, die in sündhaften Filmtheatern Stinkbomben werfen und manche Prügelei anzetteln. In Duisburg werden sogar weiße Mäuse im Vorführraum ausgesetzt.

Josef Kardinal Frings stachelt die Gegner der „Sünderin“ an. Foto: Stadtarchiv Kerpen

Die gestrengen Sittenwächter sehen sowohl Recht als auch Geschichte auf ihrer Seite, denn die Sterbehilfe-Story erinnert nach ihrer Lesart allzu sehr an die Euthanasie-Politik der Nazis. Dort habe es auch ein Töten auf angebliches Verlangen gegeben. Tatsächlich können, wenn schon, bei der Geisteshaltung und Vorgehensweise der „Sünderin“-Protestler andere Erinnerungen an die Nazizeit wach werden: An Bücherverbrennungen und an Ausstellungen über „entartete“ Kunst. In jedem Fall versuchen der Klerus und seine willfährigen Mitstreiter, Cancel Culture at its best zu praktizieren. Ihren traurigen Höhepunkt erleben diese Versuche, als der erzkonservative Bundesfamilienminister Franz-Josef Wuermeling (CDU) Anfang 1954 in Zusammenhang mit der „Sünderin“ eine „Volkszensur“ einfordert. Das Kabinett Adenauer zieht allerdings nicht mit. Im selben Jahr wandert die Causa bis hinauf zum Bundesverwaltungsgericht, als letzter Instanz in einem Einzelfall, der keiner ist. In rund 300 Kleinstädten haben die Behörden der „Sünderin“ ein Aufführungsverbot erlassen. Und auch in Lingen an der Ems untersagt im März 1951 das dortige Ordnungsamt einer Kinobetreiberin, den inkriminierten Film öffentlich zur Schau zu stellen. Das Ordnungsamt begründet sein Verbot damit, dass Gefühle der überwiegend christlich denkenden Einwohner Lingens und des Emslandes verletzt würden, weil der der Film gegen den geschlechtlichen Anstand verstoße. Aber es kommt noch besser: Außerdem würde eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung entstehen, denn ein Vorgehen der Polizei gegen etwaige Demonstranten sei unter diesen Umständen nicht geeignet und auch nicht angemessen, um wieder für Ordnung zu sorgen. Anders formuliert: Die Freunde und Helfer in Uniform werden ja wohl nicht gegen ihre Verbündeten, gewissermaßen Hilfspolizisten, vorgehen.

Die Obersten Richter entscheiden zugunsten der Kunstfreiheit

Der Fall geht durch mehrere Instanzen, die unterschiedlich urteilen, und landet schließlich auf dem Tisch des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erklärt die Anordnung des Ordnungsamtes für nichtig. Der Film falle nach Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes unter den Schutz der Kunstfreiheit, denn er sei – so der offizielle Passus – „ein Erzeugnis der Kunst in gleicher Weise wie etwa ein Roman oder ein Theaterstück, die erdachte Handlungen zum Gegenstand haben, ohne zugleich erkennbar eine bestimmte Stellung zu irgendwelchen Problemen zu beziehen.“ (5) Das bedeutet zweierlei. Erstens, dass der Film erstmals vom Verfassungsrang her anderen Kunstformen gleichgesetzt wird. Und zweitens, dass für ihn die Kunstfreiheit grundsätzlich gilt – aber eben nur, solange er keine anderen Grundrechte verletze. So könne zum Beispiel ein Verstoß gegen Artikel 2, Absatz 1 des Grundgesetzes vorliegen, wenn die freie Entfaltung der Persönlichkeit – wie das Filmemachen – gegen das Sittengesetz verstoße.

Dies sei aber nur der Fall, wenn Kunstwerke sittenwidrige Zustände verherrlichten und damit zur Nachahmung empfehlen würden. Das Bundesverwaltungsgericht stellt jedoch fest, dass all dies bei der „Sünderin“ nicht der Fall sei. Die Kunstfreiheit hat damit zwar einen ersten Etappensieg in der noch jungen Bundesrepublik errungen, völlig ungefährdet ist sie jedoch nicht. Knapp zwanzig Jahre später will ein Verlag den Roman Mephisto – Roman einer Karriere veröffentlichen. Klaus Mann hatte diese recht unverhohlene Abrechnung mit dem Nazi-ergebenen Theater-Parvenu Gustaf Gründgens bereits 1936 im Ausland veröffentlicht. In der Bundesrepublik darf das Buch (ganz im Gegensatz zur DDR) aber weiterhin nicht vertrieben werden, denn das Werk verletze die Würde des Menschen Gustaf Gründgens, argumentiert das Bundesverfassungsgericht Anfang der siebziger Jahre. Artikel 1 also vor Artikel 5. Zehn Jahre später, 1981, gelangt der „Mephisto“ dennoch in den Buchhandel – zeitgleich mit seiner kongenialen Verfilmung. Der Vorgang zeigt, dass in diesem Fall die normative Kraft der faktischen Libertinage in der bundesdeutschen Gesellschaft stärker wirkt als die Autorität des höchsten deutschen Gerichts.

Auch bei der „Sünderin“ ist die Nachfrage zu groß, als dass der Film schnell wieder aus den Kinos verschwindet oder gar rausgedrängt werden kann. Hilde Knef erhält in diesen Monaten jede Menge “Drohbriefe, Morddrohungen, im Detail aufgeführte Anliegen zahlloser Sexualverrückter als tägliche Lektüre.“ Und sie kann die Welt bzw. den deutschen Teil davon nicht mehr verstehen, wie sie zumindest zwanzig Jahre später behauptet: „Ich begriff nichts, hatte die Jahre der sittlichen Aufrichtung, der ersten wetterleuchtenden Zeichen eines Wirtschaftswunders und seiner nach Instandsetzung von Ordnung und Moral strebenden Gesellschaft verpaßt, verstand nicht, daß mit Währungsreform, regelmäßiger Nahrung, geheiztem Schlafzimmer, eine auf Keuschheit bedachte Betulichkeit Einzug gehalten und das Unfaßliche des Vorangegangenen ignoriert, abgeschrieben und verdrängt hatte.“ (1)

Willi Forst im Jahr 1947. Foto: Urheber unbekannt/Wikicommons

Also zu lange zu weit weg von Deutschland? Auch in den USA gibt in diesen Jahren einen restaurativen Backlash. Vielleicht hat Knef aber auch diesen nicht so recht mitbekommen. In ihren Memoiren erweckt sie jedenfalls den Eindruck, als sei sie dem Regisseur und Drehbuchautor Willi Forst blindlings gefolgt. „…nur das Buch kenne ich nicht. Es bleibt das Forst’sche Mysterium.“ Dabei nehmen beide während der Dreharbeiten enge Tuchfühlung miteinander auf. Forst, Jahrgang 1903, ist unter den Nazis wohlgelitten. Im Nachhinein erklärt er seine Filme wie „Wiener Blut“ (1942) zu Manifestationen eines „stillen Protests“. Nach 1945 gelangt er zur Überzeugung, man müsse es richtig krachen lassen, um sich Gehör in der Filmszene zu verschaffen. Das gelingt Forst mit der „Sünderin“, wenn auch nicht ganz so, wie es sich der Regisseur aus Österreich vorgestellt hat. Die Kritik zerfetzt den Film in der Luft – aber nicht aus moralischen Gründen, sondern aus geschmacklichen. Dies ändert nichts daran, dass der skandalumwitterte Film einen ungeheuren Zulauf erfährt.

Allein im Erscheinungsjahr sehen rund sieben Millionen Menschen die „Sünderin“, womit er zu den drei meistgesehenen Filmen des Jahres 1951 avanciert. Darüber hinaus wird der Streifen einer der ersten Exportschlager der ausfuhrorientierten Marktwirtschaft der jungen Bundesrepublik. Sannwald erkennt nicht nur in der Sensationslüsternheit des gemeinen Menschen eine Ursache für den gewaltigen Zulauf: „In der Figur der Marina manifestiert sich zunächst eine fatalistische, dann eine verzweifelte Lebensgier, typisch für die Generation der um 1925 Geborenen.“ (4)

Hilde Knef hilft „Die Sünderin“ extrem bei Ruhm- und Markenbildung, wie der Kommentar eines sich überschlagenden Filmkritikers des „Weser-Kurier“ demonstriert: „Es gibt keine deutsche Schauspielerin, die diese erregende Mischung von Verworfenheit, Laszivität, Kindlichkeit, Gemüt und bezaubernder Anmut besitzt, wie diese schmalhüftige, hochbeinige, mädchenhafte Frau mit dem lastervollen Mund und den unwirklich tiefen, sternenklaren Augen. So nackt, so hüllenlos an sein Fühlen verloren sieht man selten ein Menschengesicht.“ (zitiert nach 6)

Hollywood-Star auf Zeit – Auf und Ab in Europa

Hilde Knef kann Lob und Anerkennung offenbar nicht so recht annehmen. Im Vordergrund stehen eher schlechte Gefühle: „In Deutschland ’Die Sünderin‘, im Ausland ’die Deutsche‘, wähnte ich mich auf wackliger Kippe, wurde zum Jojo, zur Zitterpappel, flog von euphorischem Optimismus und Geltungstrieb zu selbstzerstörerischer Depression und Tränensusigkeit.“ Also stürzt sich Hilde Knef ins Getümmel und arbeitet an ihrem Ruhm. In den Fünfzigern steht sie bei einem guten Dutzend Filmen vor der Kamera. Und dabei kommt sie auch ihrem Traum näher, endlich zum Hollywood-Star aufzusteigen. Zunächst.

Im Dezember 1951 darf sich Hildegard Knef mit ihren Hand- und Fußabdrücken sowie ihrer Unterschrift auf dem Bürgersteig des Hollywood Boulevard verewigen. Wie sie zu dieser Ehre kommt, bevor überhaupt ihr erster US-Film Entscheidung vor Morgengrauen Premiere feiert, scheint politische Gründe zu haben, so zumindest will es die Legende, die Jürgen Trimborn (6) in seiner Knef-Biografie aufgreift: Hilde Knef soll angeblich für die beste Nebenrolle eine Oscar-Nominierung erhalten – ihrer Filmgesellschaft 20th Century Fox sei allerdings klar, dass sie als Deutsche so kurz nach dem Weltkrieg nicht die Spur einer Chance habe, auch wirklich einen Oscar zu gewinnen. Also soll lieber jemand anders, bevorzugt natürlich auch ein Fox-Schauspieler, nominiert werden, und Knef erhält als Entschädigung die erste Ruhmesverneigung auf dem Hollywood Boulevard.

Ihr nächstes Engagement bekommt sie in dem Agententhriller Kurier nach Triest (1952), in dem sie eine russische Spionin spielt. Auch hier springt nicht mehr als eine Nebenrolle heraus, aber die Knef versteht es, sich mittels schlagfertig-unkonventioneller Interviews von den Mainstream-Chargen Hollywoods abzusetzen und schnell ihre Bekanntheit zu steigern. Dies wiederum bringt ihr eine Rolle an der Seite von Gregory Peck ein. Bei Schnee am Kilimandscharo (1952) schlüpft der US-Superstar gewissermaßen in die Haut des US-Großliteraten Ernest Hemingway, dessen gleichnamige Kurzgeschichte verfilmt wird: Ein Dichter liegt in einem Lager irgendwo in der afrikanischen Savanne auf seinem Sterbebett und lässt sein aufregendes Liebesleben noch einmal Revue passieren. In dem fast zweistündigen Schwulst-Streifen tritt Hilde Knef nach knapp einer Stunde für geschlagene zwölf Minuten in Erscheinung. Sie spielt die Gräfin Liz, eine eifersüchtige Bildhauerin, die für den Schriftsteller Harry Street letztlich nur eine kurze Romanze darstellt.

Der eher durchschnittliche Film mit dem Prädikat „Typisch Traumfabrik“ steigert noch einmal ganz erheblich Knefs Bekanntheitsgrad. Allerdings nicht nur im positiven Sinne. Denn es kommen Gerüchte auf, sie habe eine Affäre mit dem verheirateten Gregory Peck. „Die Filmküsse waren echt“, titelt die „Bild“-Zeitung. Was die Sache verschlimmert: Parallel zu dem Knutsch-Klatsch läuft Hilde Knefs Scheidung von Kurt Hirsch, die in einer medialen Schlammschlacht ausartet. Im eher liberalen Hollywood kennt man in diesen Jahren, als die Kommunistenhatz tobt und moralischer Rigorismus dominiert, keine Gnade, auch nicht der Chef von Knefs Filmgesellschaft. Nach „Kilimandscharo“ und den Peck’schen Liebesgerüchten bekommt Hilde Knef auf Jahrzehnte kein Hollywood-Engagement. Damit geht es ihr ähnlich wie der Schwedin Ingrid Bergman, die sich in den verheirateten Hollywood-Regisseur Roberto Rossellini verliebt und sich von diesem schwängern lässt. Bergman gerät durch diese Affäre für Jahre auf eine inoffizielle Hollywood-Blacklist (6). Für Hilde Knef gibt es bestenfalls ein halbes USA-Comeback. Drei Jahre später tritt sie am New Yorker Broadway auf (siehe Teil 2).

Als Hilde Knef Ende 1952 nach Deutschland zurückkehrt, wird sie mit Filmangeboten überhäuft – nicht nur aus Deutschland. Vor allem dreht sie in Frankreich und England, die Filme sorgen aber nicht unbedingt für Furore. Meist sind sie belanglos und schauspielerisch wenig herausfordernd, selbst wenn Hilde Knef die Hauptrolle spielen darf. Für Schlagzeilen sorgt allenfalls Subway to the Sky (GB 1959), weil angeblich ungewollte Nacktszenen der Knef kursieren, die heimlich während der Dreharbeiten gemacht worden sind. Es ist jedoch wahrscheinlicher, dass es sich um einen PR-Gag der Macher handelt.

Auch in den 1960ern, in denen sie vor allem bis 1965 noch viel dreht, will es Hilde Knef nicht gelingen, international groß herauszukommen. So spielt sie 1963 in Katharina von Russland nicht ohne Einfühlungsvermögen die willensstarke russische Zarin des 18. Jahrhunderts. Doch der italienische Kostümfilm fällt eher durch seine zahlreichen Schlachtszenen und Geschichtsklitterungen auf als durch präzise Charakterdarstellungen. Kaum besser läuft es für Hilde Knef bei dem britischen Thriller Blonde Fracht für Sansibar (1965). Die „blonde Fracht“ in diesem Film über Mädchenhandel wird hier durch die 25jährige Dänin Vivi Bach personifiziert, während Hildegard Knef – 40 Jahre jung und kaum jünger aussehend – die Witwe eines Gangsterbosses gibt und sich schlussendlich als die eigentlich Böse herausstellt. Souverän gespielt, gleichwohl ist der Film kaum dazu angetan, das Prestige der Knef deutlich zu verbessern. Nur zwei Beispiele von vielen.

In Deutschland läuft es für Hilde Knef zwar besser, aber es gibt immer wieder herbe Rückschläge. 1951/52, kurz vor ihrem Absprung in die USA, dreht sie zusammen mit dem legendären Hans Albers Nachts auf den Straßen (Trailer oben im Bild). Albers mimt einen etwas in die Jahre gekommenen, grundsympathischen Fernfahrer. Knef spielt den Lockvogel, der für eine Schmugglerbande Albers erst ins Bett bekommen und dann zum Mittäter der Bande machen soll. Hilde Knef kann in dem Film überzeugen, die Ambivalenz aus kühler Habgier und menschlicher Wärme bekommt sie souverän hin. Der realistisch erzählte Film kommt gut bei der Kritik an und wird zu einem großen Publikumserfolg.

Das lässt sich von Alraune (1952) schon weniger sagen. Hier spielt Hilde Knef eine Art weibliches Frankenstein-Monster, das ein gefrusteter Professor erschaffen hat. Die Männer verfallen Alraune, die das Böse verkörpert, reihenweise und stürzen ins Verderben. Knef zeigt sich hier zwar nicht so, wie sie Gott schuf. Die katholische Kirche reagiert dennoch einmal mehr aufgebracht und ruft zum Boykott dieses Films auf, der aus heutiger Sicht eher kurios wirkt – und aus damaliger vielleicht auch. So oder so, Hilde Knef soll und will hier ein fabelhaftes Wesen spielen. Für diese Rolle ist sie jedoch eine krasse Fehlbesetzung.

Ein kleines schauspielerisches Highlight stellt dann wieder Geständnis unter vier Augen von 1954 dar. In diesem Krimi schlüpft die Knef in die Rolle einer selbstbewussten Journalistin, die sich in einen rumänischen Geschäftsmann (Ivan Desny) verliebt und dann doch als Gangster durchschaut. Die Handlung ist einigermaßen vorhersehbar, der Schluss allerdings raffiniert. Filmhistorisch interessant ist der Film vor allem deshalb, weil er das wieder erstrahlende Wirtschaftswunder-Westdeutschland mit seinen beeindruckenden Büroneubauten und schicken Limousinen in imposanten Bildern zelebriert. Bei einer Umfrage kurz nach der Film-Premiere geben 40 Prozent der deutschen Oberschülerinnen zu Protokoll, dass sie gerne Journalistin werden würden. Fast zwei Drittel davon nennen „Geständnis unter vier Augen“ als Quelle ihrer Inspiration. Kein Wunder, denn Hilde Knef alias Hilde Garden fährt in einem schicken Cabrio herum, trägt die allerneueste Mode und steht obendrein für ein eher selbstbewusstes Frauenbild (4).

Was zum Imagewandel der Frau im Allgemeinen und von Hilde Knef im Besonderen beiträgt: Bei „Geständnis unter vier Augen“ trägt die Knef ihre Haare halblang, knapp vier Jahre später dann noch deutlich kürzer, als sie die Hauptrolle in Madeleine und der Legionär übernimmt. Die veränderte Haarpracht symbolisiert den Wandel von der jungen zur gereiften Frau. 1957 kehrt Hilde Knef vom New Yorker Broadway an den Berliner Kudamm zurück, wird mit großem Bahnhof empfangen, um die wieder aus der Taufe gehobenen UFA zu neuen Erfolgen zu führen. Doch das Projekt scheitert kläglich, weil gleich der erste Film, „Madeleine“ eben, furios floppt. Zwar schwingt Star- und Skandal-Regisseur Wolfgang Staudte das Zepter, doch die Geschichte von der Gastwirtin, die einen deutschen Fremdenlegionär versteckt, der in Algerien von der französischen Armee desertiert ist, will beim Publikum so gar nicht verfangen. Die UFA geht pleite, Ansehen und Marktwert von Hildegard Knef sinken wie nach einem Börsencrash.

Das Publikum und vor allem ein Großteil der Medien reagieren mit Schadenfreude. Denn Hilde Knef passt mit ihrem selbstbewusst-mondänen, teils hochmütigem Auftreten nicht so recht in das biedere Deutschland der Adenauer-Zeit. Zugleich sonnt sich der gemeine Deutsche im Ruhm des ersten deutschen Nachkriegsstars von internationaler Strahlkraft. Trimborn bringt dieses schizophrene Momente in der kollektiven Psyche auf den Punkt: „Und obwohl man von ihr gewissermaßen erwartet, dass sie auch in Deutschland wie ein Hollywood- oder Broadway-Star lebt, (…), ruft das Zurschaustellen des luxuriösen Lebensstils in Deutschland viel eher Neid und Missgunst hervor, als auf eine breite gesellschaftliche Akzeptanz zu stoßen.“ (6)

Dass die Bewunderung bei vielen von der Ablehnung überflügelt wird, mag auch darin begründet liegen, dass Hildegard Knef deutschen Männern wie Frauen auch eine gewisse Angst einjagt. Sie ist ihrer Zeit weit voraus, denn sie emanzipiert sich vom gesellschaftlichen Frauenbild, in erster Linie ein „Frauchen“ zu sein. Sie ist extrem selbstbewusst und geht für damalige Verhältnisse sehr offen mit ihrem Beziehungsleben und ihrer Sexualität um. Nicht nur im Film, auch im wahren Leben. Sie hat Affären – unter anderem mit Ivan Desny, dem Drehbuchautor Herbert Reinecker („Derrick“) und dem „Stern“-Herausgeber Henri Nannen. Jahre später bekennt Nannen in einer TV-Doku, dass er sich von ihrem „intellektuellem Sex“ angezogen fühle, den er aber nicht genauer definieren könne.

Als die Knef 1959 in London einen Film dreht, lernt sie den relativ unbekannten Schauspieler David Cameron kennen und lieben. Cameron folgt ihr wenig später nach Berlin, wo sie für die beste Nebenrolle in Der Mann, der sich verkauft das Filmband in Silber verliehen bekommt. Die Boulevardpresse will unbedingt wissen, wer der große, elegante Mann an Knefs Seite ist. Und findet bald heraus, dass er nicht nur David Cameron heißt, sondern obendrein auch noch verheiratet ist. Prompt wird Hilde Knef als „die Ehebrecherin“ abgestempelt und bekommt kaum noch Filmangebote. Erst als sich in den 1960ern die gesellschaftlichen Moralvorstellungen langsam aber sicher wandeln und sich auch das Rollenbild der Frau ändert, wird der „Typus Knef“ im Kulturbetrieb salonfähig – mit Frauen wie Uschi Obermaier als Gallionsfigur. Doch zu dieser Zeit ist Hildegard Knef kaum noch im Filmgeschäft aktiv. Nicht nur, weil sie 1968 eine Tochter von David Cameron, mit dem sie inzwischen verheiratet ist, bekommt.

Quellenverzeichnis

(1) Knef, Hildegard (1970/2016): Der geschenkte Gaul. Bericht aus einem Leben. 6. Aufl. Berlin.

(2) Moeller, Felix (2005): Knef – die frühen Jahre. DVD.

(3) Ludin, Malte (1996): Wolfgang Staudte. Hamburg.

(4) Sannwald, Daniela (2005): Kein Mädchen, eine Frau. Hildegard Knef und ihre Filme, in: Sannwald, Daniela/Jaspers, Kristina/Mänz, Peter (Hg.), Hildegard Knef. Eine Künstlerin aus Deutschland. Berlin, S. 9-20.

(5) Bundesverwaltungsgericht (1954), 1 – 303, „Sünderin“- Fall. Urteil vom 21. Dezember 1954.

(6) Trimborn, Jürgen (2007): Hildegard Knef. Die Biografie. 1. Aufl. München.

(7) Schröder, Christian (2005): Dass es gut war, das weiß man hinterher, in: Sannwald, Daniela/Jaspers, Kristina/Mänz, Peter (Hg.), Hildegard Knef. Eine Künstlerin aus Deutschland. Berlin, S. 51-60.

Außerdem ihre vielen Filme und Musikalben.

In Teil 2 lesen Sie, wie Hildegard Knef eine zweite Karriere als Sängerin hinlegt. Und eine dritte als Schriftstellerin. Allerdings machen ihr auch zunehmend Drogenprobleme zu schaffen. „Von nun an gings bergab“, um einen ihrer bekanntesten Songs zu zitieren.

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Prof. Lutz Frühbrodt

Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Professor für "Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation" an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zu kommunikations- und wirtschaftspolitischen Themen. Spezialgebiet Mediensoziologie. Zuvor ein knappes Jahrzehnt Wirtschaftsreporter bei der "Welt"-Gruppe - als Teilstrecke seines Marsches durch die Institutionen. Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität in seiner Heimatstadt Berlin. Volontariat beim DeutschlandRadio Kultur.

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