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Wer ist die „Neue Rechte“? Konservativ oder rechtsradikal, intellektuell oder dumpf, parteilich organisiert oder systemfeindlich? Die Antwort lautet: Von allem etwas. Denn die Neue Rechte dient als Sammelbecken vieler Kräfte. Geeint sind sie in ihrer Ablehnung von Ausländern und „Gutmenschen.“ Die Schlüsselfiguren, Strukturen und Strategien der neuen Rechten erklärt der Journalist und Publizist Andreas Speit in seinem neuen Buch „Bürgerliche Scharfmacher – Deutschland neue rechte Mitte von AfD bis Pegida“. Eine Rezension.

Speit_BuergerlicheScharfmacher_RZ.inddKaffeetrinken in einem Rittergut in thüringischen Schnellroda– jahrhundertealt, restauriert und von einer Familie mit vielen Kindern bewohnt. Andreas Speit wird von den Besitzern empfangen und sitzt zum Gespräch mit dem Ehepaar in der großzügigen Wohnküche mit Kachelofen. Eine idyllische Atmosphäre will allerdings nicht aufkommen: Der Gast bekommt seinen Kaffee in einer Tasse serviert, die mit durchgestrichenem „PC“ (Political Correctness) bedruckt ist. Und nachdem er diverse Fragen zu den politisch-publizistischen Aktivitäten und Kontakten seiner Gastgeber gestellt hat, wird ihm ein weiterer Kaffee auch nicht mehr angeboten. Sondern das Gespräch für beendet erklärt. Speits Gesprächspartner: Ellen Kositza und ihr Mann Götz Kubitschek, völkischer Aktivist mit intellektuellem Anstrich. Kubitschek engagiert sich als Gründer des neurechten „Instituts für Staatspolitik“, ist Inhaber des Antaios-Verlags und Pegida-Redner in Dresden. Er gilt als einer der „Vordenker“ der Neuen Rechten.

 

Faktenreiche Bestandsaufnahme rechter Frontfiguren und Organisationen

Es ist die Kombination aus atmosphärischen Schilderungen, detailliertem Faktenwissen und vielen wörtlichen Zitaten von Gallionsfiguren der neurechten Szene, die Andreas Speits Buch zu einer sehr aufschlussreichen Bestandsaufnahme des rechten Spektrums im Jahre 2016 macht. Speit erzählt nicht nur ausführlich von seinem Gespräch in Schnellroda. Er präsentiert und demaskiert auch die einzelnen Akteure – von den AfD-Funktionären Petry, Meuthen und Höcke über publizistische Wegbereiter wie Thilo Sarrazin und Akif Pirinci bis hin zu intellektuellen Netzwerkern und deren Zeitschriften („Junge Freiheit“, „Compact“, „Sezession“ etc.). Pegida, Identitäre Bewegung und das neue Projekt „Ein Prozent für unser Land“ (ein elitärer, rechtslastiger Gegenentwurf zu der Occupy-Bewegung „We are the 99 percent“) werden vorgestellt. Auch interne Streitigkeiten und Abgrenzungsversuche innerhalb der Szene kommen zur Sprache, wobei die Distanzierungen der AfD von Pegida eher wie pflichtschuldige Makulatur erscheinen.

Speit beschreibt die Wahlerfolge der AfD bis in den Herbst 2016 hinein und erläutert sehr anschaulich, wie neben der Fremdenfeindlichkeit auch ein extrem konservatives Familien- und Gesellschaftskonzept Eingang in die Parteiprogrammatik findet. Denn die neurechte Bewegung hat nicht nur ein äußeres Feindbild – Ausländer und Flüchtlinge. Mindestens ebenso leidenschaftlich zelebriert sie ihr inneres Feindbild – die vermeintlich omnipräsenten 68er, die Linken, „Gutmenschen“, Feministinnen samt der angeblich von ihnen verhängten Denk- und Sprechverbote.

 

Wie Rechte die Grenzen des Sag- und Wählbaren immer weiter verschieben wollen

Der Publizist Andreas Speit.

Der Publizist Andreas Speit bei einer Lesung.

„Wer nicht links ist, ist ein Nazi“, mit diesem abstrusen Vorurteil bewerten Rechtspopulisten die öffentliche Meinungsbildung in Deutschland. Allerdings kann man für die neurechten Bewegungen keinesfalls nur schlecht gelaunte Hohlköpfe verantwortlichen machen. Das belegt Speit durch eine Vorstellung des intellektuellen Überbaus: Hier kommt nicht nur Götz Kubitschek mit seinem Institut für Staatspolitik zu Wort, sondern auch andere reaktionär-konservative bis neurechte Denker, von Ernst Jünger über Carl Schmitt bis hin zu Botho Strauss. Letzterer beklagte in einem Essay „Der letzte Deutsche“ das Ende der deutschen Geistesgeschichte. Einen weiteren Ausflug in die Gedankenwelt der Rechten macht der Autor mit dem Begriff „Ethnopluralismus“ – was irgendwie nach Toleranz klingt, im rechten Duktus aber nichts anderes bedeutet, als dass jedes Volk seine eigene Identität habe und am besten für sich bleiben soll. Eindrucksvoll gelingt es Speit, den Pathos und Fatalismus der neurechten Rhetorik einzufangen, in der manche schwülstige Wendungen von Jünger & Co. entlehnt scheinen. So schreibt Götz Kubitschek, der Gutsbesitzer aus Schnellroda, in seinem Buch „Provokation“: „Wünschen wir uns die Krise! Sie bedrängt, sie bedroht unser krankes Vaterland zwar, aber gerade dies weckt vielleicht seinen Mut. Nut kein Rückfall ins Siechtum, ins Latente, ins Erdulden!“ Füllen die Rechtspopulisten damit womöglich ein Bedürfnis der Bevölkerung nach großen Worten mit melodramatischer Färbung aus, das die Altparteien nicht bedienen können oder wollen?

 

Gefährlicher Erfolgskurs der Neuen Rechten

Andreas Speit recherchiert und publiziert seit vielen Jahren zum Thema Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Das trug ihm schon das vergiftete Privileg ein, bei Neonazi-Kundgebungen von den Veranstaltern persönlich begrüßt zu werden. Großer Respekt gebührt ihm ebenso für seinen persönlichen Mut wie für sein Engagement, sich beharrlich mit einer Gedankenwelt auseinanderzusetzen, in denen die Begriffe „Gutmensch“ und „politisch korrekt“ als Schimpfwörter benutzt werden. Die Stoßrichtung des Buches ist klar: Das Bemühen der AfD und anderer neurechter Strömungen um ein anderes, nämlich autoritäres, antiliberales und antiemanzipatorisches Deutschland möchte Speit enttarnen und anprangern.

Dies gelingt ihm mit seinem Buch „Bürgerliche Scharfmacher“, indem er sehr faktenreich, niemals polemisch die Hauptfiguren und Strukturen der Neuen Rechten unter die Lupe nimmt. Um große Trends und auch Verführungsmechanismen noch besser verstehen zu können, hätte man sich als Leser allerdings mitunter weniger Details, dafür mehr analytische Schlussfolgerungen und Quintessenzen gewünscht.

 

Keine Patentrezepte, aber erhellende Blicke hinter die Kulissen

Patentrezepte, wie man den rechten Scharfmachern am besten den Wind aus Segeln nimmt, kann auch dieses Buch leider nicht liefern. Sehr einleuchtend zeigt Speit aber, wie die Neue Rechte als „Scharnier zwischen (Neo-)Konservatismus und Rechtsextremismus“ funktioniert und wie sie auch in Gestalt der AfD als Magnet für die gesamte rechte deutsche Szene wirkt, vom rechtsextremen Rand über nationalkonservative Kreise und christliche „Lebensschützer“ bis hin zu einfachen Rechtspopulisten.

Indem Speit die Netzwerke und Seilschaften beleuchtet, zeigt er deutlich, dass auch vermeintlich gemäßigte AfD-Politiker wie beispielsweise Jörg Meuthen aus Baden-Württemberg nur eine bestimmte Rolle erfüllen und die Partei als solche ein anderes Deutschland, nämlich ein autoritäres, antiliberales, antiemanzipatorisches Deutschland will. Zweifellos liefert Speit damit eine sehr aktuelle und äußerst informative Bestandsaufnahme der neurechten Szene in Deutschland – die den bitteren Nachgeschmack hinterlässt, dass man sich leider noch länger mit dem Thema wird befassen müssen.

Andreas Speit: Bürgerliche Scharfmacher. Deutschlands neue rechte Mitte – von AfD bis Pegida. Orell Füssli Verlag Zürich. Erscheinungsdatum: Oktober 2016. 350 Seiten, 19,95 €.

© Die Zweite Aufklärung 2017 (Titelfoto: Turkishblue/Fotolia.com. Foto Speit: Lutz Frühbrodt)

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Annette Floren

Annette Floren ist studierte Geisteswissenschaftlerin und heute Projektmanagerin / Prokuristin eines Berliner IT-Unternehmens, wo sie unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit verantwortet. Anfang 2014 rundete sie ihr Profil als Kommunikationsexpertin mit dem Abschluss "PR-Referentin / PR-Beraterin" ab. Ihr Credo im Job und bei der Zweiten Aufklärung: "Man muss die Dinge so einfach wie möglich machen. Aber nicht einfacher." (Albert Einstein). Annette Floren behandelt bei der Zweiten Aufklärung insbesondere Themen wir saubere PR, CSR, Gutes Leben.