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„Deutsch-deutsche Kulturgeschichte 1945-1990. Erzählt in 40 Porträts“, so lautet der (Arbeits)Titel des Langzeit-Projekts von Prof. Dr. Lutz Frühbrodt von der Hochschule Würzburg-Schweinfurt.

Das Projekt verfolgt folgende Ziele:

  • Die wichtigsten kulturellen Entwicklungslinien in der BRD und der DDR sollen nachgezeichnet und daraus Auswirkungen auf die west- bzw. ostdeutsche Gesellschaft abgeleitet werden. Viele davon sind wahrscheinlich Langzeiteffekte, die bis heute spürbar sind.
  • Markante Unterschiede zwischen Ost und West sollen herausgearbeitet werden, aber auch die durchaus vorhandenen Gemeinsamkeiten wie etwa ein gemeinsamer Zeitgeist.
  • Die politischen wie ökonomischen Determinanten des jeweiligen „Kultursystems“ werden herausdestilliert, je nach Epoche oder als historische Konstante.

Es handelt sich also um eine politische Kulturgeschichte. Und dabei werden auch immer der Ost-West-Aspekt berücksichtigt sowie die Einbettung in den Kalten Krieg der Weltmächte.

Inbegriff des Wechselspiels deutsch- deutscher Kulturkommunikation: Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“. Foto: Peter H auf Pixabay

Warum das nun alles in Form von biografischen Porträts?

Weil es bereits eine Reihe von Kulturgeschichten der deutschen Nachkriegsjahrzehnte gibt, die sich vor allem auf der Handlungs- und Ereignisebene bewegen. Biografien haben indes den großen Vorteil, dass ihre Lektüre in aller Regel mehr Spaß bereitet als reine Sachtexte. Mit ihnen lassen sich zudem die großen Themen der Zeit besser herausfiltern, oft anschaulicher und lebendiger darstellen. Gewissermaßen hautnah. Pro Porträt werden schwerpunktmäßig jeweils ein bis drei dieser großen Themen behandelt.

Für jedes Jahrzehnt (1950er, 1960er etc.) werden jeweils zehn Porträts von Literaten*, Filmemachern*, bildenden Künstlern*, Schauspielern* und Musikern* ausgewählt, die die Kultur in Ost und West entscheidend geprägt haben. Die Auswahl erfolgt letzthin subjektiv, aber mitnichten willkürlich nach dem Gutdünken des eigenen politisch-ästhetischen Geschmacks. Die entscheidende Rolle bei der Auswahl der Persönlichkeiten spielt ihre Bedeutung für die zentralen Themenfelder des jeweiligen deutschen Staates.

Die deutsch-deutsche Kulturgeschichte 1945-1990 beginnt mit:

  • Erwin Geschonneck, dem ersten großen Filmschauspieler der DDR und Symbolfigur für den ostdeutschen Antifaschismus
  • Heinrich Böll, Literaturnobelpreisträger und moralisches Gewissen der Bundesrepublik
  • Heinz Adameck, Langzeit-Intendant des DDR-Fernsehens und damit Herr über das TV-Programm für Millionen von DDR-Bürgern
  • Wolfgang Kohlhaase, führender Drehbuch-Autor der DDR, der sich kunstvoll vorsichtig mit den Problemen der ostdeutschen Gesellschaft auseinandersetzte
  • Hartmut König, Kopf der Singebewegung und führender Funktionär für die Jugendkultur der DDR
  • Wolfgang Staudte, Regisseur des ersten deutschen Nachkriegsfilms „Die Mörder sind unter uns“ und im Westen wegen seiner Antifa-Haltung als Nestbeschmutzer beschimpft
  • Dieter Thomas Heck, Kultmoderator der ZDF-Hitparade in den 70ern und Protagonist eines Anti-68er-Kulturkonservatismus
  • Hildegard Knef, erstes Allround-Talent und erste Diva der jungen Bundesrepublik, die als „Die Sünderin“ auch den ersten Sex-Skandal verursacht
  • Günter Grass, der mit seinem Jahrhundertwerk „Blechttrommel“ die Nazi-Zeit scheinbar rigoros aufarbeitet und ausgerechnet höchstselbst bei der Waffen-SS war.

Die Recherchen für dieses Projekt erfolgen durch die Analyse von Primärquellen (Filme, Romane, Vorträge etc.) der porträtierten Kulturschaffenden sowie durch die Auswertung von Sekundärquellen (Monografien, Aufsätze, Dokumentarfilme, Zeitungsartikel etc.). Eine wichtige Rolle spielt für den Autor dabei das Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) in Potsdam-Babelsberg.

Das Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) in Potsdam-Babelsberg. Foto: Lutz Frühbrodt

© Die Zweite Aufklärung 2022 (Das Titelfoto zeigt den ostdeutschen Autor Stefan Heym mit dem westdeutschen Literaten Günter Grass bei einer deutsch-deutschen Schriftsteller-Tagung 1982. Foto: Niederländisches Nationalarchiv / Wikicommons)

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Prof. Lutz Frühbrodt

Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Professor für "Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation" an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zu kommunikations- und wirtschaftspolitischen Themen. Spezialgebiet Mediensoziologie. Zuvor ein knappes Jahrzehnt Wirtschaftsreporter bei der "Welt"-Gruppe - als Teilstrecke seines Marsches durch die Institutionen. Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität in seiner Heimatstadt Berlin. Volontariat beim DeutschlandRadio Kultur.

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