In Teil 1 ging es um den rasanten Aufstieg Hartmut Königs als Sänger und Texter des Oktoberklubs sowie – eng damit verbunden – um die DDR-Singebewegung. Teil 2 beschäftigte sich mit dem Weltfestspielen 1973, dem „Festival des politischen Liedes“ sowie Königs Tätigkeit als FDJ-Kultursekretär. Der abschließende Teil 3 zeichnet nach, wie König in den 1980ern die legendären Konzerte von Lindenberg und Springsteen organisiert. Außerdem, was er seit der „Wende“ gemacht hat.
Das Festival des politischen Liedes ist Sinnbild für den Stand der popkulturellen Entwicklung der DDR. Ganz ohne Politik geht es nicht, dafür verstehen die kommunistischen Machthaber Kultur zu sehr als direkt greifendes Werkzeug zur politischen Einflussnahme und Steuerung. Und dennoch hat sich in den Siebziger Jahren eine veritable Rockszene entwickeln können mit DDR-‘Supergroups‘ wie den Puhdys oder Karat. Die Musik kommt bei den Jüngeren in Ostdeutschland sehr gut an, noch angesagter sind und bleiben allerdings Musiker aus dem Westen. Dieser Umstand ist auch dort durchaus bekannt, was Udo Lindenberg, seinerzeit der führende (West)Deutschrocker, zum Anlass nimmt, um sich selbst in die DDR einzuladen. Wiederholt fühlt er in Ost-Berlin vor.
Dabei kann Lindenberg mit einschlägiger Ost-Expertise aufwarten. In seinem Song „Mädchen aus Ost-Berlin“ hat er nämlich persönliche Erfahrungen verarbeitet. Aus Sicht von König „ticken Zeilen wie ’Rockfestival auf dem Alexanderplatz mit den Rolling Stones‘ oder ’vielleicht geht’s ja irgendwann mal ohne Nervereien, da muss doch auf Dauer was zu machen sein‘ wie Bömbchen.“ Folgerichtig beißt Lindenberg mit seinem Ansinnen beim Politbüro zunächst auf Granit, zumal dessen Mitglieder die flippigen Texte und den abgedrehten (Lebens)Stil des selbst ernannten ‘Panikrockers‘ als Inbegriff westlicher Dekadenz verstehen müssen. Lindenberg gießt Öl ins Feuer, als er 1983 mit seinem Song Sonderzug nach Pankow weithin für Aufsehen sorgt. In launig-lässiger Manier haut der Panikrocker den ostdeutschen „Oberindianer“ Erich Honecker um ein Konzert im Palast der Republik an, denn er meint den wahren „Honey“ zu kennen:
Honey, ich glaub‘, du bist doch eigentlich auch ganz locker
Ich weiß, tief in dir drin, bist du eigentlich auch’n Rocker.
Du ziehst dir doch heimlich auch gerne mal die Lederjacke an
und schließt dich ein auf’m Klo und hörst West-Radio.
Trotz dieser gezielten Despektierlichkeit, die Lindenberg später zum „Dokument seiner Irritation“ deklariert, zieht im Politbüro der Geist des Pragmatismus ein. Denn Anfang der Achtziger Jahre geht es darum, das atomare Wettrüsten zwischen NATO und Warschauer Pakt zu beenden und vor allem die Aufstellung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen mit nuklearen Sprengköpfen im Westen Deutschlands zu verhindern. Vorrangiges Ziel der SED-Kulturpolitik ist es, westliche Atomwaffengegner für die eigenen Interessen einzuspannen. Als sich Lindenberg im August 1983, diesmal per Briefpost, bei „Honey“ einladen will, reagiert dieser positiv – überraschend und auch wieder nicht.
Es kommt zu geheimen Verhandlungen in einem kleinen FDJ-Gästehaus in Ost-Berlin. Auch Hartmut König ist mit von der Partie, was auch Udo Lindenberg auffällt, weil König den Rocker bis zum stillen Örtchen begleitet, wie er nach der Wende dem „Stern“ erzählt: „Bereits bei den Vorbesprechungen eskortierte mich FDJ-Sekretär Hartmut König auf die Herrentoilette. Er gab mir eine halbe Stunde Tipps, was ich auf dem Konzert nicht sagen oder singen sollte.“ Konkret geht es darum, dass Lindenberg vor ostdeutschem Publikum auf keinen Fall den „Sonderzug nach Pankow“ intonieren soll.
Panik-Attacke im Palast: Udo Lindenberg in Ost-Berlin
Jetzt geht alles ganz schnell. Der West-Berliner Konzertveranstalter Fritz Rau „verkauft“ den DDR-Kulturfunktionären Lindenberg und den linken US-Superstar Harry Belafonte im Doppelpack. Am 25. Oktober 1983 ist es soweit: Am Nachmittag prosten sich Udo Lindenberg und Honecker-Kronprinz Egon Krenz bei einem Essen mit einem Glas Buttermilch zu. Am Abend steht der Westrocker beim Abschlusskonzert einer FDJ-“Liedertournee für den Frieden“ auf der Bühne des Palastes der Republik – sichtlich nervös und angespannt. Im Saal sitzen 4000 handverlesene FDJler, deren Funktionäre sowie Parteimitglieder. „Das Publikum kann man noch steigern“, befindet Lindenberg im Nachhinein, zumal draußen, vor den Toren des Glaspalastes, sich rund 1.000 ’echte‘ Udo-Fans versammeln und „Wir wollen rein!“ skandieren. Volkspolizei und Stasi treiben die Menge nicht gerade sanft auseinander.
Drinnen geht es friedlicher zu. Der Haupt-Act ist Belafonte. Lindenberg darf gerade einmal vier Songs intonieren, unter anderem „Ich bin Rocker, doch ich steh‘ nicht auf Gewalt“ und die Familien-kompatible Hit-Ballade „Wozu sind Kriege da?“. In seiner kurzen Ansprache zeigt der Friedensfreund aus dem Westen, dass er sich nicht instrumentalisieren lässt. „Weg mit allem Raketenschrott in der Bundesrepublik und in der DDR!“, fordert er. „Nirgendwo wollen wir auch nur eine einzige Rakete sehen: Keine Pershings und keine SS-20!“ Keine US-amerikanischen, aber auch keine sowjetischen Raketen. Für Hartmut König ist dieses Statement „weniger aufregend, als von Beobachtern später behauptet wird.“ Es durchkreuzt allerdings die DDR-Logik, dass die Pershings keine Nachrüstung darstellen, wie vom Westen behauptet, sondern eine Aufrüstung. So lautet auch das offizielle Motto des Abends: „Für den Frieden der Welt – weg mit dem NATO-Raketenbeschluss!“. Dennoch überträgt das DDR-Fernsehen den Udo-Auftritt mit einstündiger Verzögerung, ungeschnitten, inklusive seines Appells.
Lindenberg will jetzt mehr, eine ganze Tournee durch die DDR. „Ich weiß genau, ich habe furchtbar viele Freunde in der DDR, und es werden immer mehr“, beweihräuchert er sich im „Sonderzug“-Song. Und draußen vor dem Palast-Konzert verkündet er vor seinen Fans, er habe bereits einen Vertrag in der Tasche. Doch eingetütet ist tatsächlich nichts. Lindenberg meldet sich erneut im Politbüro, doch dort sind vor allem die Sicherheitsbedenken groß. Danach währt bis 1987 eine Funkstille, die der Panik-Rocker mit einem offenen Brief durchbricht. Seine Auftrittsforderung unterstreicht er mit einem vorweggenommenen Gastgeschenk an Honecker, mit einer seiner Lederjacken. Daraufhin beauftragt Egon Krenz Hartmut König, eine Antwort zu formulieren. Die fällt entsprechend launig aus. „Ja, die Jacke passt“, schreibt Ghostwriter König und geht zum Konter über: „Übrigens, da Sie gelegentlich auf meine musikalische Vergangenheit zu sprechen kommen, schicke ich Ihnen eine Schalmei. Viel Spaß beim Üben.“ Honecker hatte in jungen Jahren im Roten Frontkämpferbund die Trommel gerührt. Das Hauptinstrument in den Kapellen dieser Arbeitervereinigungen war jedoch die Schalmei, ein eher einfaches Blechblasinstrument. Der oberste Politbürokrat soll Königs Briefentwurf amüsiert und ohne Zögern unterschrieben haben.
Aber ein Udo Lindenberg kann eine solchen Konter natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Als Honecker wenige Wochen später zu einem Arbeitsbesuch in die Bundesrepublik kommt, überrascht ihn der Panik-Rocker bei einem Besuch in Wuppertal und überreicht ihm eine E-Gitarre, auf der steht: „Gitarren statt Knarren.“ Honecker bedankt sich mit den Worten „Auf Wiedersehen in der Deutschen Demokratischen Republik!“ Lindenberg wird zum ersten Mal Anfang 1990 durch ostdeutsche Lande touren. Da ist Honecker schon längst Geschichte. Und Hartmut König? „…bei den sehr persönlichen Balladen deutsch-deutscher Annäherung fürchteten wir das Gift der Konvergenz“, Lindenberg habe also zu viele gesamtdeutsche Identitätsanker ausgeworfen, erinnert König sich und wird darüber fast sentimental: „Wenn ich über verpasste Chancen nachdenke, hat die Lindenberg-Saga ihren Platz. Das Ganze einfach vergessen? Keine Chance. Mein Haus steht in einer Lindenberger Straße. Und ist erst gegen Lebensende abbezahlt.“
„Rockerkrieg“ zwischen Ost und West
Im Jahr 1987 feiert ganz Berlin, wenn auch jede der beiden Hälften getrennt, sein 750jähriges Bestehen. Nicht nur in der Rüstungspolitik, auch bei den Berlin-Feierlichkeiten tragen Ost und West ihren fast schon erbitterten Wettstreit der Systeme aus. „Ich denke zum Schluss, der Osten hatte die Nase vorn“, zeigt sich König in Hinblick auf die Jubiläumsregatta überzeugt. Man kann da durchaus geteilter Meinung sein. Besonders deutlich und buchstäblich hörbar wird das Ost-West-Wetteifern auf einem Feld, das dafür eigentlich nicht geeignet erscheint: dem der internationalen Rockmusik. West-Berlin zieht dabei ein großes As aus dem Ärmel: Im Juni ‘87 tritt Superstar David Bowie vor dem Reichstag auf, direkt an der Berliner Mauer. Am „Concert for Berlin“ nehmen viele Musiker von Rang und Namen teil: Genesis, New Model Army, The Eurythmics, Paul Young, Bruce Hornsby.
Der Osten muss kontern. Und dies stellt ihn vor besondere Herausforderungen. Er muss die Devisen aufbringen, um Stars aus dem Westen bezahlen zu können. Denn das Publikum will in erster Linie diese sehen. Und er muss das Risiko von Open-Air-Events mit schwer kontrollierbaren Menschenmassen eingehen. Denn als Peter Maffay 1986 und 1987 Konzerte in Ost-Berlin gibt, sind die Hallen heillos überfüllt. Als Bowie vor dem Reichstag singt, versammeln sich Hunderte junger Ostdeutscher ein paar Hundert Meter weiter auf der Straße Unter den Linden, unweit des Brandenburger Tors – und dies obwohl nur sehr leise, verzerrte Laute von West gen Osten dringen. Volkspolizei und Stasi schreiten ein, um die Menschen handgreiflich auseinander zu treiben. Die Masse wehrt sich mit „Die Mauer muss weg!“-Sprechchören, was durchaus doppeldeutig zu verstehen ist: Dass die Musikfans zum Konzert in den Westen wollen, aber auch, dass sie damit eine darüber hinaus gehende, umfassendere politische Forderung formulieren.
„Die FDJ will mit Rockkonzerten einen anderen Weg als den der Konfrontation beschreiten“, wird 20 Jahre später ein Funktionär die damalige Strategie der Blauhemden-Organisation begründen. Doch es ist natürlich auch eine zwangsläufige Reaktion auf den Wettbewerbsdruck aus dem Westen. Einen ersten Testballon lässt die FDJ mit Barcley James Harvest steigen. Die Softrocker aus Großbritannien haben zwar den Zenit ihrer Popularität überschritten, locken im Juli 1987 aber rund 45.000 Ostdeutsche (offizielle Zahl) in den Treptower Park. 120.000 Zuschauer wollen zwei Monate später die Liedermacher-Legende Bob Dylan erleben.
Dylans Musik gilt in diesen Jahren eher als Ladenhüter, ein Konzert in West-Berlin kommt wegen des schleppenden Vorverkaufs nicht zustande. „Tieflader mit Westberliner Kennzeichen bringen eine Bühne heran, deren Ausmaße alles übertreffen, was ich je gesehen habe“, erinnert sich Hartmut König. Aber er erinnert sich auch daran, dass „Dylan aus seinem Wohnwagen wankt“. Und so spielt der Altmeister seine Folk-Songs eher lustlos herunter und verliert kein Wort ans Publikum. Er wirkt, als wäre er auf einem anderen Stern. Zumindest scheint er sich nicht im Klaren darüber, dass er in der DDR spielt, in der seine Platten bislang verboten waren. Die FDJ hatte sich zuvor die Genehmigung für das Konzert von Erich Honecker höchstpersönlich geholt. Dies gelingt, indem Hartmut König und die FDJ Dylan als „Protestsänger gegen den Vietnam-Krieg“ anpreisen. Was ja auch stimmt.
1988 setzt sich der „Rockerkrieg“ fort. West-Berlin wird „Europäische Kulturhauptstadt“ und organisiert weitere Open-Air-Konzerte. Mit Michael Jackson, der einen schwachen Auftritt hinlegt, sowie mit Pink Floyd, die mit ihrem Doppelalbum „The Wall“ für mächtig Mauer-Symbolik sorgen. Ihre Bedingung für das Konzert lautet: „Ganz Ost-Berlin muss vibrieren.“ Dies gelingt zwar nicht vollständig. Aber immerhin wird beim Auftritt im Juni 1988 ein riesiger Verstärker gen Osten gerichtet. Die DDR reagiert. Anfang Juni 1988 kommt Joe Cocker in die DDR, um in Ost-Berlin und danach – noch fulminanter – in Dresden seine Rockröhre in seiner typisch spasmatischen Bühnenshow in Szene zu setzen. Cocker schildert später, wie er damals mit einem Transporter aus Westdeutschland über die Transitstrecke in den Osten einreist und von Ängsten heimgesucht wird, er und seine Mitstreiter könnten von der Volkspolizei festgenommen werden. Möglicherweise gab es die eine oder andere Droge an Bord. Cocker tritt als Erster in der zum Konzert-Areal umfunktionierten Ost-Berliner Radrennbahn Weißensee auf.
Ein paar Wochen später will die FDJ die Aufmerksamkeit von den West-Berliner Konzerten umlenken, indem sie zur „Friedenswoche der Berliner Jugend“ groß auffährt. Der US-Stampfrocker Bryan Adams und Soul-Altmeister James Brown stehen als Top Acts auf der Weißenseer Bühne. Aber auch deutsche Westmusiker wie die Rainbirds und Heinz Rudolf Kunze kommen bestens an. Dagegen pfeifen weite Teile des Publikums Moderatorin Katharina Witt gnadenlos aus. Die Eiskunstläuferin mit den unzähligen Olympia-Medaillen gilt als zu systemnah. In der großen Masse werden die Menschen plötzlich mutig und lassen ihrem Verdruss über die ostdeutsche Alltagsödnis freien Lauf.
Ähnlich wie Witt ergeht es den Bands aus dem Osten, die im Vorprogramm der internationalen Stars auftreten dürfen. So zum Beispiel City. Doch der Unmut der Zuschauer vergeht mit einem Mal, als Sänger Toni Krahl auf der Bühne die Zeilen des City-Songs „Halb und halb“ rezitiert. Kann man die ersten Strophen noch als Ausdruck der Midlife-Crisis eines ganz normalen Menschen interpretieren, so sind die letzten Zeilen mehr als deutlich auf die damals herrschenden politischen Zustände gemünzt:
Im halben Land und der zerschnittenen Stadt
halbwegs zufrieden mit dem,
was man hat.
Halb und halb.
Krahl spricht den Text, weil er vor dem Auftritt eine Auseinandersetzung mit FDJ-Kultursekretär Hartmut König hatte. Der will nämlich nicht, dass die Band den Song vor Zehntausenden von Menschen spielt. Reaktion ungewiss. König hält den Song für eine „Kiepe voll entbehrlicher Konvergenz“. Auf gut gesamtdeutsch: City lässt in den Zeilen Dinge zusammenwachsen, die nach Königs Ansicht nicht zusammengehören. Toni Krahl verteidigt sich mit der Frage, ob König denn auch dem Westsänger Heinz Rudolf Kunze solche Vorschriften machen würde. Dann lenkt der City-Frontmann ein und kommt erst auf der Bühne spontan auf die Idee, den Text ohne musikalische Begleitung aufzusagen.
Bruce Springsteen und 200.000 ’Ossis‘
Der Vorfall zeigt, dass sich die Ostmusiker nicht mehr ohne Weiteres bevormunden lassen. Bei den großen Gästen aus dem Westen schlägt die Instrumentalisierung erst recht fehl. 1988 schafft es die FDJ, mit Bruce Springsteen einen der weltweit einflussreichsten und beliebtesten Rockmusiker zu engagieren. Doch fast kommt es nur ein paar Stunden vor dem Konzert zur Absage. Der Grund: Die Jugendorganisation braucht für die Genehmigung durch die Parteispitze offiziell einen politischen Anlass für den Auftritt und kommt deshalb auf den neunten Jahrestag der sandinistischen Revolution in Nicaragua. Ganz in diesem Geiste wird plakatiert, ganz in diesem Sinne werden die Eintrittskarten mit dem Verweis „Konzert für Nicaragua“ versehen.
Als ein Musikreporter am Nachmittag vor dem Interview eine Frage stellt, die den Bezug zu Nicaragua herstellt, reagiert Springsteens Management genauso überrascht wie erbost. Die Funktionäre müssen in Windeseile alle Banner von der riesigen Bühne in Weißensee abnehmen, die auch nur entfernt auf Nicaragua hinweisen. Hartmut König stellt den Mini-Eklat vor dem Gig etwas anders dar. Die FDJ habe in keiner Weise Springsteen hinter dessen Rücken für ihre politischen Zwecke instrumentalisieren wollen, sondern: „Aus dem deutschsprachigen Umfeld des Künstlers ermuntert uns ein Jemand, dessen Kompetenz wir ungenügend geprüft haben, das Konzert der Solidarität mit Nicaragua zu widmen. Das sei ganz im Sinne des ’Boss‘“, behauptet König. Was diese Fehleinschätzung sicher fördert, ist die politisch progressive Grundhaltung Springsteens. Doch bei seinem Ost-Berliner Konzert will er eher ‘unpolitisch‘ auftreten. Ein weiteres Missverständnis entsteht in Teilen des Publikums. Die Fans haben eigenhändig US-amerikanische Flaggen aus Bettlaken zusammengenäht und schwenken sie wild, als der ‘Boss‘ seinen damals gerade aktuellen Gassenhauer „Born in the USA“ anstimmt. Die Masse grölt den Refrain mit, als handele es sich um eine Lobeshymne auf die Vereinigten Staaten. Tatsächlich geht es in dem Song jedoch um einen desillusionierten Vietnam-Veteran. Der Menge ist das angesichts ihrer offenbar mangelnden Text- und Englischkenntnisse herzlich egal. 160.000 Karten sind offiziell verfügbar. Inoffiziell strömen bis zu 200.000 Fans in die Radrennbahn Weißensee und feiern den ‘Boss‘.
Der erlebt das, gemessen an der Zuschauerzahl, größte Konzert seiner gesamten Karriere. Fast vier Stunden lang rockt Springsteen die Arena, nach einer Stunde holt er einen Zettel aus der Tasche und verliest in gebrochenem Deutsch eine Botschaft, die sein Chauffeur aus München kurz zuvor für ihn übersetzt hat. „Es ist gut, in Ost-Berlin zu sein. Ich bin hier nicht für oder gegen irgendeine Regierung“, stellt Springsteen klar. „Ich bin gekommen, um für Euch Rock’n’Roll zu spielen, für Euch Ost-Berliner, in der Hoffnung, dass eines Tages alle Barrieren umgerissen werden.“
Kurz zuvor noch kann ihn sein Management dazu bewegen, „Barrieren“ statt „Mauern“ zu sagen. Aber es ist immer noch eindeutig genug. Die Zuschauer müssen sich in ihrem Freiheitsdrang angespornt fühlen. Die Funktionärskaste nimmt es gelassen, zieht vielmehr eine äußerst positive Bilanz des Konzerts. Und will sogar noch einen draufsetzen. Für den Sommer 1989 planen König & Co. eine internationale Rocknacht mit Paul McCartney, U2, Elton John, den Dire Straits und anderen Popgrößen des Planeten. Es soll eine Art Woodstock-Revival gefeiert werden. Doch laut König kommen die Sponsorengelder nicht zusammen und aus Moskau kommt nur Schweigen.
Die Wende und das Ende
Hartmut König befindet sich nach den erfolgreichen Open-Air-Konzerten in vollem Karriereschwung. Anfang 1989 steigt er zum stellvertretenden Kulturminister der DDR auf. Schnell wird er als Nachfolger des kränkelnden Amtsinhabers gehandelt. Doch ist der Karrieresprung tatsächlich ein richtiger Aufstieg? König muss jetzt nicht nur in Anzug und Krawatte auftreten, sondern ist weit stärker als zuvor in ein Korsett von Politik und Bürokratie eingeschnürt. Als Stellvertreter zeichnet er für die Ausbildung an künstlerischen Hoch- und Fachschulen sowie für den neu geschaffenen Bereich Unterhaltungskunst verantwortlich – „von Rock bis Zirkus“.
Für die neue Position hat sich König nicht zuletzt durch seine Linientreue gegenüber den Hardlinern im Politbüro empfohlen. So setzt er sich 1982 auf der Leipziger Kulturkonferenz der FDJ für einen härteren Kurs gegenüber den Künstlern ein – eine späte Reaktion auf die Trotz-Aktionen großer Teile der DDR-Kulturszene nach der Biermann-Ausbürgerung Ende 1977. „Die FDJ-Führung plädiert für geschärfte Töne und sucht den Streit. Ich auch“, erinnert sich König. Zunächst trifft es vor allem führende Literaten und Dramatiker wie Volker Braun und Heiner Müller. Später gelangt König wiederholt in politische Auseinandersetzungen mit Rockmusikern. Rückblickend klassifiziert König seine Handlungsweisen als „Eseleien“. Doch habe er eben viel Zeit gebraucht, „um zu begreifen, warum die Sicht der Politik auf die Wirklichkeit den anders fragenden Blick der Kunst nicht denunzieren darf, sondern ihn in seinen Zuspitzungen und Provokationen als Sehhilfe ermutigen muss.“
Von der Freiheit der Künste und der Meinungen kann Mitte der Achtziger noch keine Rede sein – nicht in den Gedanken Königs und schon gar nicht in der Alltagsrealität der DDR. Doch langsam aber sicher werden auch „Glasnost“ und „Perestrojka“, die Mantras des neuen Sowjetführers Michail Gorbatschow, zum Dauerthema im Osten Deutschlands. Zusammen mit seinem politischen Ziehvater Egon Krenz und einigen anderen Gesinnungsgenossen verfasst König einschlägige Positionspapiere, die bei Honecker aber nur im Giftschrank landen. Krenz taktiert deshalb lieber erst einmal. Der Reformdruck auf Ebene der Politkader bleibt zu schwach. Deshalb folgt die Abstimmung mit den Füßen – erst die Richtung Westen im Sommer 1989, dann die am 7. Oktober 89 in Ost-Berlin und bald darauf auf den Montagsdemos in Leipzig und anderswo in der Republik.
Der Druck der Straße ist stark genug: Am 17. Oktober muss Erich Honecker von all seinen Ämtern zurücktreten. „Honecker hat aufgebaut und zerstört“, befindet König. Doch insgesamt fällt seine Bilanz positiv aus: „Und – Vorteil für uns – er liebte seine FDJ, solange sie ihm folgte. Er schlug uns wenig aus. Komischerweise denke ich an Marginalien wie die schönen Devisen, die er für die internationalen Konzert-Events der FDJ locker machte…“ König laviert in diesen Wochen, gibt die Hoffnung nicht auf, denn auf Honeckers Thron steigt nun Egon Krenz. Sichtlich eingeschüchtert durch die revolutionären Ereignisse und in steifem Bürokratendeutsch setzt sich König Ende Oktober in der DDR-Jugendsendung „Elf 99“ dafür ein, dass die neue Parteiführung unter Krenz „keine Vorverurteilung“ erfahre. „Ich wünsche mir ein Klima der Diskussion und auch des Vertrauens“, nuschelt er.
Neben ihm bei dieser TV-Diskussionsrunde sitzen der kritische Schriftsteller Stefan Heym und Markus Wolf, früherer Chef des Auslandsdienstes der Stasi und nun ein „Wendehals“. Heym, Wolf und viele andere Kulturschaffende sowie rund eine halbe Million weiterer DDR-Bürger ziehen am 4. November 1989 an Königs Ministerialbüro in Berlin-Mitte vorbei, um auf einer Großveranstaltung auf dem Alexanderplatz tiefgreifende demokratische Reformen des sozialistischen Systems zu fordern. Die Scheiben seines Büros zittern zwar, doch König bleibt an seinem Stuhl kleben – nicht nur an diesem Tag. „Ich selbst versuche nicht, mich aus den alten Strukturen zu lösen“, schreibt er über die Wendezeit. „Ich kann es einfach nicht.“ Schon nach einem Monat stürzt auch Krenz, König verliert seine Position. Kaum ein Jahr später schließt sich die DDR der Bundesrepublik an. Aus Sicht Königs haben die Alliierten dabei die DDR zur reinen Verhandlungsmasse degradiert. Eine Handlungsweise, die der Perestroika-Anhänger König vor allem dem sowjetischen Staats- und Parteichef Gorbatschow ankreidet.
Nach der Vereinigung: Anzeigenleiter und Freund Chinas
Nach der Wende geht es König wie den meisten ostdeutschen Funktionären und Staatsdienern: Er muss sich neue Arbeit suchen und zugleich den politischen Systemwechsel verkraften. „Vor allem familiäre Harmonie hilft wie ein Lebenswecker über die allgegenwärtigen depressiven Attacken hinweg“, schreibt König. „Arbeit ist so leicht nicht zu finden.“ Hartmut König fühlt sich ausgegrenzt – aber nicht ‘ausgekrenzt‘. Zusammen mit seinem politischen Ziehvater Egon Krenz verfasst er 1990 ein Buch mit dem bezeichnenden Titel „Wenn Mauern fallen“. Wenig später gründet er mit zusammen mit dem Krenz-Intimus Gunter Rettner sowie dem Krenz-Sohn Thorsten einen Verlag, dessen Ratgeber-Literatur die neuen Bundesbürger aus dem Osten auf die aus der Bundesrepublik importierte Rechtsordnung einstimmen soll.
„Ich plagte mich recht bald und dann Jahrzehnte lang mit Marktwirtschaft“, gesteht König in seinen Memoiren. „Ich habe sie gelernt, wie man eine Fremdsprache lernt.“ Dies scheint aber ganz gut zu klappen, denn König bleibt die Erfahrung erspart, die viele Neubürger in den 1990er Jahren machen müssen: Längere Zeit arbeitslos zu sein. Nach dem Scheitern des Verlagsprojekts heuert er beim „Brandenburger Wochenblatt“ an, damals Teil des Verleger-Imperiums von Dirk Ippen. Die Münchener Verleger-Dynastie ist durch ihre boulevardesk-konservative Ausrichtung bekannt, „Springer light“ sozusagen. Bei dem Anzeigenblatt, das in der 70.000-Einwohner-Stadt Brandenburg an der Havel erscheint, habe er auch „Außendienste nicht gescheut“, erinnert sich König. Besonders stolz ist er darauf, dass er vor allem bei der Akquise von Todesanzeigen sehr erfolgreich ist, indem er deren Layout etwas freundlicher und großzügiger gestaltet. Als er 2013 in Rente geht, lobt ihn sein Chef als „richtigen Teamplayer“ und „die gute Seele des Verlages.“ Doch König zieht sich keineswegs aufs Altenteil zurück. Mehrere Jahre schreibt er an seiner Autobiografie „Warten wir die Zukunft ab“, die im Herbst 2017 erscheint. Darin gesteht er Irrtümer und Fehler ein. Grundtenor: Mehr Liberalität und mehr – nicht zuletzt persönliche – Courage wären seinerzeit angebracht gewesen. Das Buch sieht er aber auch als Möglichkeit zum Nachdenken: „Als Lektion für neue Aufbrüche. Denn der Sozialismus hat sein Klassenziel nicht erreicht.“
Als Verlierer der Geschichte möchte Hartmut König dennoch nicht aus dem Rennen gehen. Ähnlich wie sein Mentor Egon Krenz sieht auch König bei aller alten Liebe zur Sowjetunion und aller Sympathie für das heutige Putin-Russland die Volksrepublik China als neuen roten Stern am Himmel der großen Weltpolitik aufgehen: „Sie empfiehlt sich als Partner, der Kooperation nicht durch Aggressionskriege, Putsche oder geheimdienstlich gestrickte Kooperationen erzwingt, sondern investitionsfreudig nach bilateral nützlichen Konzepten arbeitet.“
2019 schiebt König seinen Memoiren eine CD nach. Ganz im alten Liedermacher-Stil, nur etwas moderner instrumentiert erzählt er in „Kleines Kaff am Arsch der Welt“ die Geschichte von einem ostdeutschen Dorf, das von rechten Brandstiftern „übernommen“ wird, dann aber doch ein Zeichen setzt. Er mahnt, das Leid nicht zu vergessen, welches das russische Volk im Zweiten Weltkrieg erlitten hat. Er warnt vor aggressivem Nationalismus und beschwört die Wiedergeburt einer starken sozialistischen Bewegung. Der zweite Teil der CD besteht aus sieben alten Aufnahmen aus Zeiten des Oktoberklubs. Und selbstverständlich ist „Sag mir, wo du stehst“ dabei, das auch den Titel des Gesamtwerks bildet. An die historische Aufnahme von 1967 hat König im fast nahtlosen Übergang eine Schlussstrophe mit aktuellem Bezug angeflanscht:
Und denk nicht, es reicht schon,
die Nazis zu hassen.
Ein bisschen Spucke tut denen nicht weh.
Versperr ihnen Parlamente und Straßen!
Und wo sie sich breitmachen wollen,
da steh!
Hartmut König lebt heute am nordöstlichen Rand Berlins. Wer Glück hat, kann den inzwischen über 70Jährigen, der zu oft stramm auf Linie war, aber dennoch viel für die Entwicklung der ostdeutschen Populärkultur getan hat, bei Lesungen oder auf Demos treffen.
Quellen
König, Hartmut (2017): Warten wir die Zukunft ab. Autobiografie. Berlin.
Persönliche Interviews mit Hartmut König am 25.9.2019 in Würzburg und am 14.11.2019 in Berlin.
Kirchenwitz, Lutz (1993): Folk, Chanson und Liedermacher in der DDR. Chronisten, Kritiker, Kaisergeburtssänger. Berlin.
Pietsch, Gina (2017): Mein Dörfchen Welt. Autobiografie. Berlin.
Fiebeler, Carsten/ Remsperger, Daniel (2013): Mein Sommer ’88. Wie die Stars die DDR rockten. Dokumentarfilm des MDR, Juli 2013.
Conrad, Andreas (2013): „Ich bin Rocker, doch ich steh‘ nicht auf Gewalt“. Udo Lindenberg im Palast der Republik. In: Tagesspiegel, 24.10.2013.
Diverse CDs von Hartmut König und dem Oktoberklub. Sampler vom „Festival des politischen Liedes“ und „Unterm Arm die Gitarre – 15 Jahre Singebewegung (1981, Doppel-LP)
Ein besonderer Dank geht an das Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) in Potsdam-Babelsberg. Das DRA ermöglichte mir, themenrelevante Sendungen des DDR-Fernsehens anzuschauen und zu analysieren. Einige davon werden im Text zitiert.
© Die Zweite Aufklärung 2020 (Titelfoto: Lutz Frühbrodt)
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