Am 30. August 2019 n.C. ist das neue Tool-Album erschienen. Die Jünger der Progrock-Ikonen erklären „Fear Inocolum“ auf diversen Bewertungsplattformen schon jetzt zum musikalischen Meilenstein. Zurecht? Eine Rezension.
Tool-Fans werden jubeln: Nach 13 Jahren endlich wieder ein Album der wahrscheinlich besten und höchstwahrscheinlich intelligentesten Rockband der Welt. Tool-Fans werden auch deshalb jubeln: Keine bösen Überraschungen. Trotz der langen Auszeit knüpfen die Progressive-Rock-Halbgötter aus Los Angeles musikalisch nahtlos bei „Lateralus“ (2001) und „10.000 Days“ (2006) an. Ganze Songpassagen auf „Fear Inoculum“ klingen, als hätte man sie irgendwie, irgendwo schon einmal gehört. Und in der Tat handelt es sich um Variationen früherer Motive. Wer also einfach „mehr Tool“ haben will, nur halt ein bisschen anders als bei den Vorgänger-Alben, wird hier bestens bedient. Langsam heranziehende Klanggewitter in ausgefeilter Polyrhythmik. Wer indes mehr erwartet, wer auf so etwas hofft wie künstlerische Experimentierfreude oder gar das Vordringen in neue ästhetische Sphären, wird vom neuen Album angenehm enttäuscht. Es ist mehr Synthie zu hören und die Gitarren sind noch häufiger als früher durch Spezialeffekte verzerrt. Musikalisches Neuland sieht indes anders aus und klingt auch anders.
Was überdies auffällt: Sänger Maynard James Keenan nimmt sich einigermaßen zurück. Seine Melodien hören sich teils sogar etwas uninspiriert an und kommen in Einzelfällen tonal nicht richtig weg vom Fleck (wie z.B. bei „Invincible“). Überhaupt machen die typisch enigmatischen Vokalstrecken Keenans einen vergleichsweise geringen Anteil der Songs aus. So verschiebt sich der Fokus der Musik quasi automatisch auf die Instrumentalparts und dabei vor allem auf die ausgiebigen und überaus gekonnten Gitarrenimprovisationen von Adam Jones. Immer wieder finden sich dabei Anklänge an die 70s und die Minimal Music.
Viele 70s-Anklänge dank Gitarrenimprovisationen
Zwar gibt es auch mehrere längere Passagen, in denen vor allem der markante Bass von Justin Chancellor und die wie immer extrem virtuos bedienten Drums von Danny Carey in Dialog treten. Das von ihnen ausgetüftelte „Thema“ wiederholt sich jedoch mehrfach und ist dabei relativ eng angelehnt an das tragende „Jambi“-Riff vom Vorgänger „10.000 Days“. Auch die Produktion des Albums zeugt von einer gewissen Jones’schen Dominanz. Dies fällt umso mehr ins Gewicht, als die Songs viele künstlerische Spielräume lassen, die eben vor allem von der E-Gitarre besetzt werden.
Sechs der insgesamt zehn Songs sind länger als zehn Minuten, zwei davon sogar um die 15 Minuten. „Descending“ und „7empest“ bilden neben dem Titelsong zugleich auch die stärksten Stücke. Von einem gewissen Innovationsgeist zeugt immerhin „Chocolate Chip Trip“, der fünfminütige Solo-Ausflug von Drummerboy Carey. Echte Kracher wie „46 & 2“, „Schism“, „Parabola“ oder „Vicarious“, wie sie die vorigen Alben aufwiesen, sucht man jedoch vergeblich auf „Fear Inoculum“. Das muss nichts Schlechtes sein.
Und dennoch: Im Gegensatz zum Tool-Jahrhundertwerk „Aenima“ (1996) bildet das neue Album sicher keinen Meilenstein der Rockgeschichte. Diese ernüchternde Erkenntnis ist allerdings auch Jammern auf hohem Niveau. Gemessen daran, was sonst noch auf den Musikmarkt gespült wird, ist „Fear Inoculum“ zweifellos ein Werk. Wenn eben auch kein Meisterwerk.
Lieber downloaden als die überteuerte Box kaufen
Kurzer Nachtrag zur Vermarktung: Die mindestens 80 Euro, die man für die „Limited Edition“, mithin die einzige physische Variante in Gestalt einer CD, aufwenden muss, ist ein Musterbeispiel künstlicher Verknappung. Das „Package“ besteht aus besagter CD (ohne Zwischenstücke), einem 36-seitigen Booklet mit Kunstbildern, Songtexten und Porträts der Musiker sowie einem in die CD-Box integrierten Mini-Screen, auf dem sich Animationsfilmchen der Band abrufen lassen. Dazu gibt es noch einen Gutschein-Code für den digitalen Download aller Songs (inkl. Zwischenstücke). Preis und Leistung stehen hier in keinem Verhältnis. Wem in erster Linie an der Musik gelegen ist, sollte sich deshalb auf den separat möglichen Download der Songs beschränken – für einen Bruchteil des Preises.
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