In diesem Artikel erfahren Sie beispielhaft, wie ein man als Wirtschaftsjournalist* ein Managerporträt verfasst. Der Artikel ist Online-Bestandteil des Buches „Journalistische Praxis: Wirtschaftsjournalismus“ von Lutz Frühbrodt, das im Verlag Springer VS erschienen ist. In diesem „Essential“-Band wird erläutert, welche drei Dimensionen man beim Managerporträt ergründen und welche wesentlichen Elemente es enthalten sollte.
BEISPIEL 1: VW-CHEF HERBERT DIESS
Im April 2018 wurde Herbert Diess neuer Chef des Volkswagen-Konzerns. Seitdem bekleidet er einen der wichtigsten Positionen in der deutschen Industrie. Die Wochenzeitung Die Zeit (13.4.2018) porträtiert Diess bei seinem Amtsnatritt unter dem Titel: „Macher und Kostendrücker“. Damit sind alle weiteren Charakterisierungen vorweggenommen: Im Fließtext wird er als „durchsetzungsstarker Sanierer“ und „verbindlicher Machertyp“ charakterisiert, als „harter Hund“, der bodenständig und uneitel sei. Allein über die psychologischen Einschätzungen von der Persönlichkeit Diess‘ können sich die Leser* ein klares Bild vom neuen Mann an der VW-Spitze machen. Solche Charakterisierungen kann sich der Autor* allerdings auch nur erlauben, wenn er – wie in diesem Fall – ein ausgewiesener Branchenkenner* ist.
Der Text beginnt mit einem Zitat des Diess-Vorgängers Matthias Müller, dass das Spitzenmanagement des größten europäischen Automobilherstellers „weiblicher, jünger und internationaler“ werden müsse. Und mit dem Verweis darauf, dass Diess nur fünf Jahre jünger sei als der 65-jährige Müller. Daraus wird die Hauptthese des Textes geformt:
In der Volkswagen-Führung dürfte sich mit dem neuen Chef nichts Wesentliches ändern.
Dies wird freilich nicht allein an Alter, Geschlecht und Herkunft des Managers dingfest gemacht, sondern vor allem an seinen bisherigen Taten. Es wird sogar auf Basis von Insider-Meinungen aus dem VW-Konzern gemutmaßt, dass der von Vorgänger Müller eingeleitete Kulturwandel zu mehr Offenheit unter Diess ein Ende finden könnte. Die notwendige Distanz des Schreibers* zum Porträtierten ist also durchaus vorhanden.
Psychologische Einschätzungen wechseln mit biografischen Stationen
Breiten Raum nimmt eine Kontroverse zwischen Diess und dem mächtigen VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh ein, die sich entzündete, nur kurz nachdem Diess im Sommer 2015 als Markenchef bei VW angeheuert hatte. Diess wollte die Kosten durch Personalabbau drastisch senken, woraufhin sein Posten angeblich in akute Gefahr geriet. Doch letztlich ging er als Punktsieger aus der Auseinandersetzung hervor und konnte sich 2018 sogar die Unterstützung Osterlohs für seine Nominierung sichern:
„In den vergangenen Wochen positionierte sich Diess bereits als kommender wichtigster Mann im VW-Konzern, etwa als er zur Debatte um die Dieselfahrverbote bei ’Anne Will‘ saß, und eben nicht Müller. Dass Diess dessen logischer Nachfolger sein würde, war aber schon vorher absehbar. Schließlich leitete er mit VW die wichtigste Marke des Konzerns, und er machte das aus Sicht der Eigentümer gut, denn es gelang ihm, die Gewinnmarge deutlich zu steigern.“
Es folgen Zahlen zum Beleg, genau wie der Autor seine Einschätzungen immer wieder mit Fakten untermauert – aus dem Konzern, vor allem aber aus dem Leben des neuen VW-Chefs. Studium der Fahrzeugtechnik, Promotion in der Fertigungstechnik, Berufseinstieg beim Autozulieferer Bosch. Dann 1996 Wechsel zu BMW und fast zwei Jahrzehnte Aufstieg auf der Karriereleiter des bayerischen Autokonzerns, bis er diesen im Juli 2015 Knall auf Fall verließ, weil ein anderer Chef wurde und nicht er.
Am Ende kehrt der Text noch einmal zu seiner Eingangsthese („Keine Experimente!“) zurück. Die Autobranche befinde sich im tiefgreifendsten Umbruch ihrer Geschichte – und Diess sei wohl klar, dass er deshalb die Konzernstruktur verändern müsse. Aber:
„Von neuen Mobilitätsdiensten und Elektromobilität war bei Diess‘ erstem öffentlichen Auftritt als neuer Konzernchef kaum die Rede. In der Sanierung der Kernmarke hat sich Diess als jemand bewiesen, der die Kosten klar im Blick hat – doch die Entwicklung eines breiten Angebots an Elektroautos wird Volkswagen noch sehr viel Geld kosten.“
Letzte Worte. Der Autor zweifelt zwar nicht offen an der Fähigkeit von Diess, den VW-Konzern durch die Krise zu neuen Horizonten zu steuern. Das wäre zu so einem frühen Zeitpunkt sicher unfair. Aber er macht auch deutlich, dass Diess als Managertyp mehr der Sanierer und weniger der Visionär ist. Auch daraus kann der Leser* mehr oder minder eindeutige Rückschlüsse ziehen.
BEISPIEL 2: JENNIFER MORGAN; (EX-)CO-CHEFIN VON SAP
Der Text „Eine von 31“, ebenfalls erschienen in der Zeit (17.10.2019), wählt einen anderen Zugang und hievt das Manager-Porträt auf eine Meta-Ebene. Was genau ist damit gemeint? Anlass ist die Berufung der US-Amerikanerin Jennifer Morgan zur Co-Vorstandschefin des deutschen Software-Konzerns SAP. Die drei Autoren* des Artikels nutzen Morgans Aufstieg in die Chefetage aber für allgemeinere Betrachtungen über „Frauen in Führungspositionen deutscher Unternehmen“:
„In Morgans Heimat werden Konzerne längst von Frauen geführt, General Motors und IBM zum Beispiel. In Deutschland hingegen ist Morgans Berufung eine Sensation, die gefeiert wird wie die Geburt eines Eisbärbabys im Zoo. Das zeigt vor allem eines: wie rückständig die deutsche Wirtschaft bei Geschlechterfragen ist.“
Die Leser* erfahren unter anderem, dass die Deutsche Telekom 2010 als eines der wenigen Großunternehmen eine Frauenquote für Führungspositionen eingeführt hat, dass sich männliche DAX-Vorstände im Schnitt dreimal so lange auf ihren Posten halten wie Frauen in DAX-Vorständen und dass der Frauenanteil im Top-Management nur sehr langsam wachse.
Diese Informationen wechseln sich ab mit Hintergründen aus Leben und Karriere der neuen SAP-Chefin Jennifer Morgan. Von ihrer hervorragenden Vernetzung in den USA ist die Rede genauso wie von ihrem schwachen Netzwerk in Deutschland. Davon, dass sie bisher schon die extrem wichtige Cloud-Sparte betreut habe. Davon, dass sie SAP von den USA aus steuern wolle, während ihr Co-Chef Christian Klein vom badischen SAP-Stammsitz aus agiere.
Management-Stil im Post-Feminismus
Aber die Leser* bekommen auch Einblicke in ihren Management-Stil, womit der Zeit-Artikel auf die psychologische Ebene wechselt. Morgan trete „zu verbindlich“ auf, heißt es da: „Sie versteckt ihr Frausein nicht, das unterscheidet sie von den meisten deutschen Spitzenmanagerinnen.“ Diese Zeilen haben fast schon post-feministische Anklänge. Die Autoren* erzählen von einer Podiumsdiskussion in den USA, bei der Jennifer Morgan von einem schweren Skiunfall ihres Mannes erzählte:
„Das Unglück habe sie gelehrt, vermeintliche Schwächen nicht länger zu verstecken, sagte Morgan damals. Führungskräfte, auch weibliche, dürften verletzlich sein. Sie dürften auch dazu stehen, zur Schulaufführung ihrer Kinder zu gehen. Leistung lasse sich nicht in den Stunden messen, die jemand im Büro hocke, Empathie und Vertrauen in die Mitarbeiter seien Stärken.“
Eingepasst in die allgemeinen Ausführungen über Frauen in Führungspositionen, wird Jennifer Morgan so als eine Art „lebendes“ Rollenmodell für weibliche (man könnte auch sagen: feminine) Top-Managerinnen präsentiert.
Zuweilen sind Journalisten* mit solchen Überlegungen allerdings ihrer Zeit zu sehr voraus. Nach nur einem halben Jahr, Ende April 2020, verlor Jennifer Morgan bereits wieder ihre Position als Co-Vorstandschefin von SAP. Auf Wunsch des Aufsichtsrats übernahm Christian Klein alleine das Ruder.
© Die Zweite Aufklärung 2020
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