Nach zwei Jahrzehnten Journalismus der Kopfsprung in die PR-Branche: Vor einem halben Jahr ist der Wirtschaftsjournalist Dirk Benninghoff bei der Kommunikationsagentur FischerAppelt als Chefredakteur eingestiegen. Und es drängt sich die Frage auf: Prägt die Person das Amt? Oder das Amt doch eher die Person? Ein Porträt mit Ansätzen zu einer ersten Zwischenbilanz.

Dir Benninghoff auf der Dachterrasse der Berliner Dependance von FischerAppelt.

Berlin-Friedrichstraße: Dirk Benninghoff auf der Dachterrasse der Hauptstatdt-Dependance von FischerAppelt.

Er findet es immer noch amüsant, wenn das erste Treffen mit einem Kunden in der PR-Szene als „chemistry meeting“ tituliert wird. Nach wie vor kann er nicht ganz nachvollziehen, dass bei Pitches gerne mal 100 Powerpoint-Folien zum Einsatz kommen. Und unverständlich bleibt für ihn auch, warum es endlos lange Abstimmungsschleifen gibt, wenn denn eine Pressemitteilung möglichst schnell veröffentlicht werden soll.

Dirk Benninghoff hat den Wechsel in die PR-Branche aus freien Stücken vollzogen – mit Mitte Vierzig wollte er nochmal etwas völlig Neues in Angriff nehmen. Vieles war und ist für ihn gewöhnungsbedürftig in diesem Metier, doch inzwischen scheint er, der die meiste Zeit seines Berufslebens im Wirtschaftsjournalismus verbracht hat, voll und ganz in der Welt der Public Relations angekommen. Nicht oder zumindest nicht nur, weil er sich angepasst hat, sondern vor allem auch, weil er das Eintauchen in eine neue Welt als einen symbiotischen Prozess versteht. „Ich glaube zwar nicht, dass ich eine Kulturrevolution herbeiführen werde“, so Benninghoff. „Aber es ist doch gut, wenn ein Externer mit all seinen Eigenheiten in die Branche kommt und seine Finger in die Wunden legt. Ich kann und soll ja meinen journalistischen Part bei FischerAppelt spielen und damit auch den einen oder anderen Kontrapunkt setzen.“ So hat er das Agentur-Blog „Neuigkeiten-Check“  ins Leben gerufen, das durchaus auch kritische Töne anschlägt und nicht allein der Eigenwerbung dient.

Er will die PR noch journalistischer machen

Und: Von den drei Redakteuren, die Benninghoff bisher bei FischerAppelt eingestellt hat, kommen zwei aus dem Journalismus, die dritte Redakteurin ist eine klassische PRlerin. Es soll also noch journalistischer gearbeitet werden. Als Chefredakteur führt Dirk Benninghoff mit einem Kollegen zusammen ein Team von gut 20 Mitarbeitern, die in Hamburg, München, Köln und, so wie er, in Berlin ihren Sitz haben. Die Redakteure betreuen Kundenzeitschriften und digitale Plattformen, machen klassische Pressearbeit wie Mitteilungen schreiben, Medientrainings gegeben, ab und an wird auch schon mal ein Newsroom für einen Kunden konzipiert und zum Laufen gebracht. Doch für Benninghoff stehen die Media Relations im Mittelpunkt: das Platzieren von Themen und Geschichten in den klassischen Medien

Benninghoff erkennt ganz klar einen Trend, dass Unternehmen verstärkt eigene Inhalte entwickeln und diese zunehmend über eigene Medienkanäle, vor allem Social Media, verbreiten. Hat er also als klassischer „Pressearbeiter“ einen Job mit Verfallsdatum übernommen? Nein, glaubt er, es gäbe nach wie vor deutliche Reichweitenvorteile bei den traditionellen Medien: „Es adelt doch eine Geschichte, wenn sie in einem Qualitätsmedium veröffentlicht wird.“ Entsprechend gestaltet sich auch der Job bei Dirk Benninghoff. Zwar greift er auch ins redaktionelle Tagesgeschehen ein, vor allem wenn mal Krisenmanagement angesagt ist. Doch in erster Linie entwickelt der FischerAppelt-Chefredakteur Storys für neue Kampagnen und ist fürs Networking zuständig. Preisverleihungen, Empfänge, Vorträge.

Der Chefredakteur bei der Arbeit. In seiner Freizeit treibt Benninghoff Sport und liest gerne ein gutes Buch, Abteilung Belletristik.

Der Chefredakteur in seinem Büro. In seiner Freizeit treibt Benninghoff Sport oder greift zu einem guten Buch.

Hier kommt er mit Journalisten ins Gespräch, die er dann später wieder anspricht, wenn er eine Story lancieren will. Oft sind darunter auch ehemalige Kollegen, und davon gibt es einige. Denn Benninghoff hat immer wieder mal den Arbeitgeber gewechselt: Er war Redakteur bei Berliner Morgenpost und Welt, Nachrichtenchef bei stern.de, Börsenkorrespondent, Blattmacher und Nachrichtenchef bei der Financial Times Deutschland sowie zuletzt Chef vom Dienst bei Bild.de.

Zwei Mal hat er dabei den Job unfreiwillig aufgeben müssen, 2002 im Zuge eines Personalabbaus bei Springer und Anfang 2013 mit dem Untergang der FTD. Doch er ist immer wieder aufgestanden. „Und wenn du mal in der Aufgeregtheitsmaschine Bild.de gearbeitet hast, bringt dich nichts mehr so schnell aus der Ruhe“, sagt er. Vor allem aber die Führungspositionen hätten ihn über die Jahre selbstbewusster gemacht. Er selbst sieht sich vor allem als „meinungsstark, zuverlässig und unterhaltsam.“ Was man nur unterschreiben kann: Wenn man sich mit Benninghoff unterhält, dann jagt eine Anekdote die andere, voller Ironie, auch Selbstironie, versehen mit einer reichen Garnitur an Pointen, nach deren öffentlicher Darreichung ihr Erzähler selbst gerne attackenartig auflacht.

Koketterie mit der „bäuerlichen Herkunft“

Für die einen ist Dirk Benninghoff nahbar und locker. Auf die anderen mag er distanzlos und krachig wirken. Ein bisschen wie das Klischee vom hemdsärmeligen Journalisten. Er sei etwas ungeduldiger als Kollegen aus der Branche, gibt er zu. „Ich neige dazu, Klartext zu reden.“ Was je nach seinem Gegenüber mal weniger, aber auch mal stärker goutiert wird. „Nicht jeder Kunde steht auf den Verkäufertypen“, hat er beobachtet. „Man muss sich jedes Mal neu auf seine Kunden einstellen.“

Umso mehr bewundert Benninghoff manch lang gedienten PR-Profi, der noch auf den „intensivsten“ Kunden mit Engelsgeduld reagiert. „Die Umgangsformen in dieser Branche sind geradezu exzellent“, schwärmt der Chefredakteur, um lachend hinzuzufügen: „Ich bin es höchstens, der die Standards nach unten zieht.“ Was unter Koketterie verbucht werden kann und wohl kaum an seiner „bäuerlichen Herkunft“ liegt, wie er sie selbst bezeichnet. Denn aufgewachsen ist Benninghoff, Jahrgang 1969, auf einem Landgut im niedersächsischen Bremervörde. Nach dem Abitur folgte das Studium der Politikwissenschaften an der Uni Kiel, an der er auch seine liberale Weltanschauung kultiviert hat.

Die Ehefrau als Prüfinstanz

„Als PR-Manager braucht man Hingabe zu Marken und zum Markt“, ist der Chefredakteur überzeugt. „Das ist die Basis für unser ganzes Tun.“ Journalisten seien dagegen „systemkritischer“, worunter er versteht, dass sie PR-Aktivitäten erst einmal grundsätzlich in Frage stellten, oft aber auch Zweifel an der Marktwirtschaft im Großen und Ganzen hegten. Hat bei Benninghoff also ein radikaler Gesinnungswandel stattgefunden? „Für mich war auch als Journalist Kritik nie der wichtigste Punkt“, bekennt er. Er outet sich als Fan des „konstruktiven Journalismus“, einer neuen Richtung, die nicht allein die bad news betonen will, sondern für jede Krise auch gleich Lösungsvorschläge mitliefert.

Mit Kritik muss Benninghoff allerdings auch weiter rechnen – im Job wie auch zu Hause. Denn er ist mit einer Journalistin verheiratet, die als Chefin vom Dienst bei einem großen Online-Medium arbeitet. „Gerade neulich habe ich ihr eine Story angeboten, die sie aber sofort strikt abgelehnt hat“, erzählt der PR-(Ehe)Mann halb im Spaß, halb im Ernst. Seine Frau sei eine hervorragende Prüfinstanz dafür, ob ein Thema bei anderen Journalisten Chancen habe oder nicht. „Sie regt sich nicht auf“, erzählt Dirk Benninghoff. „Aber sie sagt schon mal: Das ist doch reine PR – das soll interessant sein?“

© 2016 Die Zweite Aufklärung (Fotos: Lutz Frühbrodt)

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Prof. Lutz Frühbrodt

Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Professor für "Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation" an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zu kommunikations- und wirtschaftspolitischen Themen. Spezialgebiet Mediensoziologie. Zuvor ein knappes Jahrzehnt Wirtschaftsreporter bei der "Welt"-Gruppe - als Teilstrecke seines Marsches durch die Institutionen. Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität in seiner Heimatstadt Berlin. Volontariat beim DeutschlandRadio Kultur.