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Berater Andreas Zeuch porträtiert in seinem neuen Buch „Alle Macht für niemand“ eine Reihe von Vorzeigeunternehmen, bei denen die Mitarbeiter mitentscheiden dürfen. Außergewöhnlich daran: Das Konzept der Unternehmensdemokratie entwickelt er nicht aus der politischen Ökonomie, sondern aus der Managementtheorie. Kann das gutgehen?

Der Titel des Buches von Andreas Zeuch mag spontan alle Spontis, Rockfans und/oder schon nicht mehr ganz so taufrischen Jahrgänge ansprechen. Denn er lehnt sich an den Song „Keine Macht für niemand!“ von Ton, Steine, Scherben an, der zum Credo der Achtundsechziger und ihren Seventies-Nachfolgern geworden ist. Diese anderthalb Generationen mögen an Arbeiterräte oder zumindest an die „paritätische“ Mitbestimmung denken, die 1976 für Großbetriebe eingeführt wurde, aber tatsächlich nie zur vollständigen Gleichberechtigung zwischen Kapital und Arbeit geführt hat.

Mit seinem Band dürfte Zeuch allerdings weniger APO-Opas ansprechen wollen, zumal er ja den Scherben-Titel bewusst abwandelt. Und so erteilt er schon früh im Text allen sozialistischen Anwandlungen als „nicht zielführend“ eine klare Absage. Die Gedanken, die der Autor über knapp 250 Seiten ausbreitet, könnte man wahrscheinlich schon eher bei der Piratenpartei verorten – wenn hier denn eine politische Etikettierung überhaupt Sinn macht. Zeuch entwickelt nicht das eine große Modell der Unternehmensdemokratie, sondern berichtet von verschiedenen Beispielen, die laut Kapitel-Überschrift der „Inspiration“ dienen sollen. Er interessiert sich weniger für die institutionelle Ebene (Aufsichtsrat, Betriebsrat), sondern konzentriert sich vielmehr auf Prozesse, die von offener Kommunikation und basisdemokratischer Entscheidungsfindung geprägt sein sollen. Er redet von „sich selbst organisierenden Netzwerken“ und hält Schwarmintelligenz bei allen Widrigkeiten doch auch für betriebswirtschaftlich effektiver als den „Tunnelblick der arroganten Expertokratie“ oder gar die Ein-Mann-CEO/Patriarchen-Diktatur.

Das Buch richtet sich vor allem an aufgeschlossene Manager und Unternehmer und lockt entsprechend zunächst mit Geld und Zahlen. So rechnet Zeuch vor, dass deutsche Unternehmen zwischen 2001 und 2013 konservativ geschätzt 1,3 Billionen Euro dadurch verloren haben, dass ein nicht unwesentlicher Teil ihrer Mitarbeiter innerlich gekündigt hat – was Zeuch, etwas großzügig freilich, auf mangelnde Mitsprache-Möglichkeiten zurückführt. Der Autor will allerdings beim schnöden Mammon nicht Halt machen. „Unternehmen sind keine Maschinen zur Gewinnmaximierung“, stellt er fest. „Es sind soziale Systeme, getragen von Menschen für Menschen.“ Für ihn geht es in allererster Linie „um die Welt, in der wir leben.“ Daraus entwickelt Andreas Zeuch sogar eine Art Vision: Unternehmen, deren Mitarbeiter Selbstwirksamkeit am Arbeitsplatz erfahren, könnten als „Demokratielabore“ fungieren und so der voranschreitenden Politikverdrossenheit entgegen wirken.

 

Zeuchs Buch ist überfällig

Dies klingt beim ersten Hören nach einem sehr reizvollen Gedanken. Er bleibt aber vorerst noch ein ziemlich unrealistischer, denn zunächst muss sich überhaupt erst einmal demokratisches Gedankengut stärker in der Unternehmenswelt ausbreiten und zur gelebten Normalität werden. Die von Zeuch recherchierten und porträtierten Unternehmen lassen sich indes an zehn Fingern abzählen, machen meist kaum mehr als 100 Millionen Euro Umsatz und sind nur Insidern bekannt. Und so ist der „Aufbruch der Unternehmensdemokraten“, wie ihn der Untertitel des Buches propagiert, weniger als Statusmeldung denn als Aufforderung zum Handeln zu verstehen. Was freilich den Rückschluss nahelegt, dass ein Buch wie das von Zeuch umso dringender, ja überfällig ist, wenn denn den Unternehmen in Sachen Demokratie auf die Sprünge geholfen werden soll. Und es soll ja. Denn es ist logisch kaum nachvollziehbar, dass die Politik und weite Teile der Gesellschaft demokratisch organisiert sind, während so ein lebensbestimmender Raum wie die Arbeitswelt seit Jahrhunderten weitgehend demokratiefrei geblieben ist.

Autor Andreas Zeuch Foto: Murmann

Autor Zeuch Foto: T. Staehelin

Gelingt es nun Zeuch mit seinem Buch, seinen Lesern die Unternehmensdemokratie schmackhaft zu machen? Die am Anfang porträtierten Unternehmen wirken beeindruckend: So hat die Volksbank Heilbronn alle ihre Hierarchie-Ebenen unterhalb des weitgehend entmachteten Vorstands aufgelöst. Beim Autohändler Hoppmann aus dem Siegener Land ist das Unternehmensvermögen an eine Stiftung für soziale Zwecke übertragen worden, und die Mitarbeiter können von größeren strategischen Entscheidungen bis in ihre Arbeitsteams hinein mitreden (wir haben über Hoppmann bereits berichtet). Bei dem Softwarehaus Haufe-Umantis werden alle Führungskräfte jährlich neu gewählt, die Teams ermitteln ihren eigenen Personalbedarf. Die folgenden Beispiele fallen indes weniger überzeugend aus. Ein Unternehmen bindet alle Mitarbeiter aktiv (auch mit Geld) in sein Ideenmanagement ein, ein anderes macht es ähnlich mit all seinen Workshops, und wieder ein anderes betreibt ein „demokratisches“, genauer: partizipatives Gesundheitsmanagement.

Was all diesen Unternehmen immerhin gemein ist: Sie verfügen über ein positives Menschenbild, die Führung ist bereit zu offener Selbstkritik, Fehler von Mitarbeitern wie von Managern werden als menschlich und damit normal angesehen. Alle Firmen unternehmen redliche Anstrengungen, ein besseres Miteinander herzustellen und zur Humanisierung der Arbeit beizutragen. Was auch deutlich wird: Das Topmanagement, oft auch die Eigentümer gehen einen sehr großen Schritt, wenn sie Macht oder einen wesentlichen Teil davon abgeben. Und die Belegschaft muss ihrerseits bereit sein, diese Macht – verteilt auf viele Schultern – auch anzunehmen. Dies erfordert einen fundamentalen Kulturwandel im jeweiligen Unternehmen, der freilich sehr lange dauern kann.

 

Einige Fragen bleiben unbeantwortet

Dabei entstehen viele Fragen, die Zeuch zwar aufwirft, auf die er dann aber nicht näher eingeht. Welchen Ausweg gibt es zum Beispiel aus dem Dilemma, dass ein Vorstand demokratisch gefasste Entscheidungen seiner Mitarbeiter ausführen muss, für die er am Ende auch noch juristisch verantwortlich ist und für die möglicherweise sogar persönlich haftet? Wie lässt sich die Unternehmensdemokratie bei einer Übernahme verteidigen? Warum dies bei einem der porträtierten Unternehmen gelang und bei einem anderen nicht, lässt Zeuch offen. Auch von Problemen und Widerständen bei den demokratischen Prozessen ist kaum die Rede.

Dies mag zum Teil zumindest am Aufbau und Stil des Buches liegen. Zeuch gibt der Kontaktanbahnung mit den Interview-Partnern und der Anreise relativ viel Raum und referiert dann vor allem das mit eigenen Gedanken garnierte Gespräch als Ergänzung zum zuvor schon vorgestellten Demokratie-Modell. Das ist zwar schönes Storytelling und passt zum insgesamt sehr flüssig-diskursiven Stil des Buches. Man hätte diese Passagen aber auch deutlich kompakter gestalten können, um den oben angeführten Fragen mehr Raum zu geben.

Unternehmensdemokratie bildet in Deutschland bisher noch die Ausnahme. Wenn, dann kommt die Initiative meist vom Eigentümer selbst. Foto: JiSign/Fotolia

Etwas ratlos lässt einen der Schlussteil des Buches zurück. Zeuch sagt zwar, dass es kein Best-Practice gebe und jedes Unternehmen seinen eigenen Weg finden müsse. Also präsentiert er auch kein kohärentes Demokratie-Modell. Als Kernbotschaft lässt sich dann aber doch herausfiltern, dass er den Unternehmen das Konzept der Soziokratie nahe legt, das – verkürzt gesagt – aus zwei Grundpfeilern besteht: Der eine ist das „systemische Konsensieren“, das Prinzip, das die Lösungsvorschläge mit dem geringsten Widerstand der demokratischen Basis angenommen werden. Der zweite Pfeiler ist die Organisation in Kreisen, die personell miteinander verknüpft sind und so interagieren können. Der Unternehmensberater und Trainer Andreas Zeuch sendet also schöne Grüße von der Systemtheorie.

„Entscheidungen bekommen experimentellen Charakter“, verkündet er zudem. Um einen solchen mentalen Wandel in der deutschen Unternehmenswelt zu erzeugen, bedürfte es wohl einer mittelschweren Kulturrevolution. Aber auch aus der Perspektive der politischen Ökonomie dürfte Zeuchs Denken nicht unbedingt auf Gegenliebe stoßen, hält er doch zum Beispiel Betriebsräte für überflüssig, sobald die Soziokratie installiert ist. Auch die Gewerkschaften müssten da erst einmal 150 Jahre ihres politischen Wirkens beiseitelegen, bevor sie sich für das Konzept erwärmen könnten.

 

Das politische Ziel der Unternehmensdemokratie eint

Und dennoch. Es hat auch durchaus seinen intellektuellen und politischen Charme, sich dem Thema Unternehmensdemokratie einmal von der Managementtheorie her anzunähern. Und so groß muss die Distanz ja auch gar nicht sein. „Die unternehmerischen Probleme, die wir schon haben und die noch auf uns zurollen werden, können wir nicht dadurch lösen, dass wir Facebook ins Unternehmen integrieren, Stellenanzeigen twittern und noch mehr outsourcen“, schreibt Zeuch am Ende seines Buches. „Eine Erneuerung der inneren Haltung und Kultur ist die wirkliche Innovation. In hundert Jahren vorwiegend demokratisch geführte Unternehmen vorzufinden ist eine deutlich würdigere und originellere Vision als die Besiedelung des Mars.“ Dem lässt sich nur beipflichten. Denn schließlich sollte das gemeinsame Ziel einen – egal aus welcher weltanschaulichen Ecke man auch kommen mag.

Andreas Zeuch: Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten. Hamburg (Murmann) 2015, 25 Euro.

©  Die Zweite Aufklärung 2015 (Titelfoto: JiSign/Fotolia)

 

 

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Prof. Lutz Frühbrodt

Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Professor für "Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation" an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zu kommunikations- und wirtschaftspolitischen Themen. Spezialgebiet Mediensoziologie. Zuvor ein knappes Jahrzehnt Wirtschaftsreporter bei der "Welt"-Gruppe - als Teilstrecke seines Marsches durch die Institutionen. Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität in seiner Heimatstadt Berlin. Volontariat beim DeutschlandRadio Kultur.

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