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In diesem Artikel erfahren Sie beispielhaft, wie ein man als Wirtschaftsjournalist* ein Unternehmensporträt verfasst. Der Artikel ist Online-Bestandteil des Buches „Journalistische Praxis: Wirtschaftsjournalismus“ von Lutz Frühbrodt, das im Verlag Springer VS erschienen ist. In diesem „Essential“-Band wird erläutert, wie und was man über ein Unternehmen recherchiert und welche Aspekte man berücksichtigen sollte. 

Für das Unternehmensportät gibt es kein vorgestanztes Muster. Obwohl es einige Kernelemente aufweisen sollte, lässt es viel Gestaltungsfreiheit. Dies liegt auch daran, dass es unterschiedliche Anlässe und Motivationen für das Firmenporträt gibt und sich daraus sehr unterschiedliche Texte komponieren lassen.

Portäts entstehen teils aus tageaktuellem Anlass, weil zum Beispiel Unternehmen A die Übernahme von Unternehmen B verkündet und schnell ein Porträt der aufgekauften Firma geschrieben werden muss. Dann ist oft das „kalte Proträt“ die einzige Alternative (siehe unten). Unternehmen werden meist jedoch Kandidaten für Porträts, wenn ihre mittel- bis langfristigen Entwicklungen sie zu einem interessanten Berichtsobjekt machen. Oder sie in Serien eingebunden werden („Mittelstand in Mainfranken“ oder Ähnliches). Dann wird sich der Autor deutlich mehr Zeit für die Recherche und das Schreiben nehmen wollen und auch müssen. Denn das „ausgeruhte“ Porträt hat einen gewissen Tiefgang, der Autor* sollte zudem unbedingt vor Ort recherchieren sowie die Unternehmensleitung und andere Quellen (siehe Buchtext) interviewen.

 

Das Intro: Verschiedene Varianten möglich

Wie nun ist das Unternehmensporträt aufgebaut? Es bietet sich zwar ein szenischer Einstieg an, dies ist aber kein Muss. Wichtig ist, dass die ersten Sätze lebendig geschrieben sind, dem Leser Lust auf mehr machen und bei ihm auch einen Aha-Effekt auslösen. Er muss das Unternehmen schnell mit einer Marke oder bestimmten Produkten verbinden. Den meisten Menschen sagt zum Beispiel das Unternehmen Wala Heilmittel aus dem schwäbischen Bad Boll nichts. Viele kennen aber wahrscheinlich dessen naturkosmetische Produkte, die unter dem Namen „Dr. Hauschka“ vertrieben werden. Ähnlich verhält es sich mit United Internet – dem Konzern hinter den Internet-Portalen „gmx.de“ und „web.de“.

Überflüssig ist ein solches Vorgehen, wenn die Marke sehr bekannt ist:

Als Tchibo vor 63 Jahren seine erste Filiale in Hamburg eröffnete, kamen Kunden, um eine Tasse Gold-Mocca zu probieren. Ein Jahr zuvor hatte Unternehmensgründer Max Herz diese Sorte aus neun, anstatt wie üblich drei oder vier verschiedenen Bohnen, entwickelt. Seine Kreation war ein Verkaufsschlager. Wer heute in eine der deutschlandweit 660 Tchibo-Filialen tritt, wird das nicht unbedingt wegen einer Tasse Kaffee tun.

Bereits mit ihren ersten Sätzen geht die Autorin dieses Porträts, das in der Augsburger Allgemeinen (23.5.2018) erschienen ist, in die Vollen. Schnell macht sie ihrer Leserschaft klar, dass Tchibo heute Kaffee nur noch als „Nahrungsergänzungsmittel“ verkauft und andere Produkte vom Schlafanzug über den Handyvertrag bis zum Tiny House im Mittelpunkt stehen.

Tchibo ist schon lange kein reiner Kaffeeröster mehr. Foto: Tchibo. Titelfoto: Zalando/HG Esch

Eine weitere Intro-Variante: Eine Anekdote erzählen. Die Autorin des Porträts „Textilkonzern Atair – Hidden Champion der Sockenbranche“, erschienen im Handelsblatt (18.2.2019), bedient sich dieses Stilmittels. Sie schildert, wie der ehemalige Weltbank-Präsident Paul Wolfowitz auf eine Sockenlieferung des Münsterländer Familienunternehmens reagierte.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (5.1.2020) hat anläßlich des 100-jährigen Jubiläums des Hemdenherstellers Seidensticker ein Porträt verfasst und sich dabei gegen einen szenischen Einstieg entschieden:

Bielefeld, so es denn existiert, war einst ein Textilstandort. Heute gibt es hier fast nur noch den Hemdenhersteller Seidensticker. Er hat der Veranstaltungshalle der Stadt ihren Namen gegeben, sein Schriftzug prangt am Bahnhof.

Dennoch muss man davon ausgehen, dass nicht jeder das Unternehmen kennt. Deshalb wird zusätzlich darauf verwiesen, dass eine kleine schwarze Rose alle Seidensticker-Hemden ziert.

 

Das Portal: Thema und These

Diese relativ knappe Einleitung gleitet fast nahtlos in das „Portal“ über, das das Thema des Porträts und die damit verbundene Kernaussage („These“) formuliert. Das Thema – der größere Kontext, in den das Portät eingebettet ist – ist bei Seidensticker die Strukturkrise der deutschen Bekleidungsindustrie:

Mitte der sechziger Jahre, als Seidensticker der größte Hemdenhersteller in Europa war, arbeiteten mehr als 400.000 Menschen in Westdeutschland in der Bekleidungsindustrie, heute ist es noch gut ein Zehntel. Der Umsatz der deutschen Modeindustrie ging 2018 laut Branchenverband German Fashion um 4,4 Prozent auf rund elf Milliarden Euro zurück. Aufbruchstimmung sieht anders aus.

Dementsprechend schlecht ging es auch dem Familienunternehmen aus Bielefeld. Wie ist der Stand der Dinge zum 100-jährigen Jubiläum?

Doch Seidensticker hat sich nach einigen schwierigen Jahren wieder gefangen.

Das ist die Kernthese, die der Autor im weiteren Verlauf seines Textes zu belegen versucht. Die heutige Position von Seidensticker erklärt die FAZ mit einem Wettbewerbsvergleich:

Mit einem Umsatz von gut 181 Millionen Euro im vergangenen Jahr ist der Rückstand etwa zum Konkurrenten Olymp größer geworden.

Gerade Familienunternehmen werden oft sehr schmallippig, wenn es um Finanzkennzahlen geht. Die Handelsblatt-Autorin hat dem Atair-Chef immerhin Einiges entlocken können:

Trotzdem schafft es das Familienunternehmen seit 33 Jahren, in einem sinkenden Markt zu wachsen. Der Umsatz stieg 2018 von 53 auf 55 Millionen Euro. „Atair hatte zwar Dellen, etwa als Kunden wie Schlecker oder Strauss verschwanden, aber nie Verlustjahre“, betont Reiner Baumbach.

An anderer Stelle, wenn es um die Produktionsstandort geht, werden auch die Mitarbeiter*zahlen von Atair genannt: 65 in Deutschland, 550 in Serbien.

 

Nicht nur für die Textilindustrie entscheidend: Der rote Faden

Danach werden en detail das Geschäftsmodell und die wichtigsten Absatzkanäle umrissen. Diese Informationen gehören zu den Standards eines Unternehmensporträts. Der weitere Verlauf und Aufbau eines Porträts hängt grundsätzlich davon ab, welche Aspekte der Autor* für wichtig erachtet und im Text in unterschiedlicher Gewichtung berücksichtigt. Entscheiend ist der „rote Faden“, der sich entlang des Hauptthemas bewegt. Viele Porträts machen sich dabei die Firmengeschichte zunutze und erklären darüber z.B. einschneidende Strategiewechsel des Unternehmens.

Bei einem 100-jährigen Jubiläum wie der Firma Seidensticker liegt der Blick zurück besonders nahe. Doch fängt die FAZ hierbei nicht im Seidensticker’schen Urschleim an, sondern skizziert kurz die beiden Gesprächspartner, die aktuellen Co-Chefs der Firma, und geht nahtlos über in die schon angerissene Problematik: Das Unternehmen habe in 1990er-Jahren zu viele Untermarken gebildet und damit den Fokus verloren. Jetzt gebe es bei Seidensticker nur noch vier Stiltypen und eine einheitliche Markensprache, so die Analyse des Autors, die aus dem Gespräch mit den Seidensticker-Chefs resultiert. Diese reden in diesem Zusammenhang davon, dass die vergangenen Jahre „extrem“ gewesen seien und dass das Unternehmen „gesundgeschrumpft“ werden musste. Diese Begrifflichkeiten deuten auf eine ernste, wenn nicht gar existenzielle Krise hin.

Jubiläumskampagne der besonderen Art: Seidensticker warb mit 100-Jährigen. Foto: Seidensticker

Erst danach wendet sich der Text ausführlicher der Unternehmensgeschichte zu – von den Gründerjahren über die Zeit des Faschismus bis zur Boomphase in den 1980ern. Die Tchibo-Historie kommt dagegen eher geraffft daher, weil die aktuelle Strategie im Mittelpunkt des Textes steht. Und auch der Atair-Artikel konzentriert sich bei der Geschichte auf die wichtigsten Wegmarken. Wie stark man auf die Chronologie eingehen will, hängt davon ab, wie wichtig diese für das Verständnis des Unternehmens heute ist. Und freilich auch vom Anlass des Porträts. Bei einem Jubiläums-Artikel spielt die Geschichte sicher eine größere Rolle als bei einer Firmenübernahme.

 

Der Schluss: Blick in die Zukunft

Viele Firmenporträts enden mit einem Blick in die Zukunft. Beim Seidensticker-Porträt geht es zunächst wieder zurück in die Gegenwart und damit zur Krisenbewältigung. Die Umstrukturierung beginne Früchte zu tragen, wird einer der Firmenchefs zitiert. Seidensticker wolle wieder führend in Europa werden. Doch im finalen Ausblick wird auch deutlich, dass die nächste Herausforderung gemeistert werden muss:

Wie es mit dem Hemd weitergeht, ist offen. Nicht mehr nur auf Start-up-Konferenzen wird heute T-Shirt getragen. „Wir geben auch den Techie nicht auf“, sagt Gerd Oliver Seidensticker. Mit dem Hemd als singulärem Kleidungsstück, das über der Hose lässig und trotzdem korrekt sein kann, das mit Anzughose fürs Vorstellungsgespräch taugt oder mit einer Chino fürs erste Date. „Wichtig ist, dass die Marke an einen Zeitgeist gekoppelt ist“, sagt Frank Seidensticker. Dann hält sie auch noch länger als 100 Jahre.

Das Atair-Porträt endet ähnlich, das Fazit des Tchibo-Artikels fällt sogar tendenziell kritisch aus („Vision fehlt“). Der FAZ-Duktus ist, nicht nur im Ausblick, typisch, wenn nicht gar idealtypisch für das Unternehmensporträt. Das Seidensticker-Porträt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gerät wohlwollend, es ist aber keineswegs anbiedernd. Der Autor bleibt stets auf Distanz.

 

Mehrere Quellen nutzen – gerade auch kritische

Aus welchen Quellen bedient er sich? In erster Linie aus den Gesprächen mit den beiden Geschäftsführen, wahrscheinlich aus dem digitalen Archiv der FAZ und offenbar aus der jüngst erschienenen Unternehmenschronik. Weitere Quellen wie Konkurrenten, Gewerkschaften etc. werden dagegen nicht direkt zitiert und sind offenbar auch nicht inoffiziell herangezogen worden. Einschlägige Zitate sind allerdings auch wenig zielführend, wenn sie in Lobhudelei ausarten wie z.B. im Handelsblatt-Artikel über Atair und seinen Chef:

„Reiner Baumbach ist ein typischer Selfmademan: ein umtriebiger Netzwerker, bodenständig und beliebt bei den Mitarbeitern“, sagt Dieter Brandes, Ex-Aldi-Manager und Handelsberater. „Baumbach hatte den richtigen Riecher für eine lukrative Marktlücke.“

Auch das gehört zur Realität: Lagerverkauf „Faru Socke“ des Herstellers Atair. Foto: Atair

Auf eine völlige andere – sehr probate – Weise zieht die Autorin des Tchibo-Porträts in der Augsburger Allgemeinen ihre „externen“ Quellen zu Rate: Sie hat zwei unabhängige Handelsexperten interviewt, die die Geschäftsstrategie von Tchibo teils positiv, teils kritisch einschätzen:

Immer wichtiger werde für Tchibo…der Dienstleistungssektor, erklärt der Kölner Handelsexperte Ulrich Eggert: „Aktionsware ist häufig kalter Kaffee. Das meiste Geld geben Menschen für Dienstleistungen aus.“ Das habe Tchibo früh verstanden und biete Reisen und Handyverträge an. Allerdings ist auch dieser Markt hart umkämpft… Eggert sagt: „Das Unternehmen geht mit dem Zeitgeist.“ Nur beim Kaffee sei ihnen das nicht geglückt, erklärt der Experte. Als Nestlé mit Nespresso-Kapseln den Kaffeemarkt flutete, habe Tchibo den Trend zu spät erkannt.

 

Das kalte Porträt

Viele Porträts müssen aus Zeitdruck mit der heißen Nadel gestrickt werden. Dann ist das Format des „kalten Porträts“ gefragt – das Unternehmensporträt, das gewissermaßen am Schreibtisch, vor dem Computer entsteht, ohne dass der Autor* möglicherweise vorher jemals von dem besagten Unternehmen gehört hat. Dazu ein Beispiel: Ein bekannter deutscher Süßwarenhersteller kauft in Dänemarkt den führenden Produzenten von Bio-Schokolade auf. Dieser ist in Deutschland kaum bekannt, weil er auf dem hiesigen Markt seine Produkte nicht vertreibt. In der einschlägigen Pressemitteilung des deutschen Herstellers werden zwar ein paar Eckdaten des dänischen Unternehmens aufgeführt, aber für ein Porträt reicht dies nicht aus. In einem tagesaktuellen Hauptartikel über den Kauf werden die wichtigsten Fakten der Übernahme thematisiert, wahrscheinlich auch die Frage, welche Vorteile sich der deutsche Hersteller von dem Kauf verspricht und ob diese Erwartungen auch tatsächlich eintreffen könnten. Dazu ließen sich sicher auch die wesentlichen Charakteristika des dänischen Unternehmens nennen. Doch müssen sie jeweils an die analytischen Überlegungen des Artikel-Autors angepasst werden.

Deshalb wird zusätzlich noch ein separates Porträt des gekauften Unternehmens erstellt, das aber deutlich kürzer ausfällt als der Hauptartikel (und meist auch im Gegensatz zum vo Ot recherchierten Porträt). Darin sollte stehen,

  • welche Marktposition das Unternehmen mit welchen Marken hat
  • wieviel Umsatz und Gewinn es macht
  • wieviele Mitarbeiter es hat
  • wie stark die Konkurrenz auf dem Heimatmarkt ist
  • und ob es auch auf Auslandsmärkten aktiv ist, denn es könnte ja sein, dass es auch in anderen skandinavischen Ländern seine Schokoladen vertreibt.

Es bietet sich zwar an, dazu auch direkt beim Unternehmen Informationen einzuholen, zum Beispiel durch einen Anruf bei dessen Pressesprecher*. Aber einen Korrespondenten* vor Ort, der binnen weniger Stunden zu diesem Unternehmen fahren und dort mit Managern* sprechen kann, gibt es möglicherweise nicht. In der Regel wird deshalb ein Mitarbeiter* in der heimischen Redaktion auf der Webseite des dänischen Unternehmens recherchieren und im eigenen Redaktionsarchiv stöbern, um dann ein Porträt zu verfassen. Da er das Unternehmen nicht wirklich kennt, also eine gewisse räumliche wie sachliche Distanz vorhanden ist, sprechen Journalisten* hier von einen „kalten Porträt.“

Eine weitere Spielart des kalten Porträts kommt dann zum Zuge, wenn ein Redakteur* oder freier Mitarbeiter* ein Unternehmen schon jahrelang kennt und nun aus aktuellem Anlass schnell ein Porträt her muss. Dem Autor wird es leicht fallen, die wichtigsten Fakten zusammenzustellen und möglicherweise mit ein paar Originalzitaten aus seinen früheren Artikeln über diese Firma zu garnieren.

Die Anlässe für solche Porträts können vielfältiger Natur sein. Es kann sich um eine Übernahme handeln wie beim besagten Beispiel, um eine Fusion unter Gleichen, um die Gründung einer Tochtergesellschaft, um eine schwere Krise oder gar um eine Insolvenz. Entscheidend ist, dass das kalte Porträt auf Grund aktueller Ereignisse umgehend produziert wird und deshalb eine (neue) Vor-Ort-Recherche nicht möglich ist.

© Die Zweite Aufklärung 2022

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Prof. Lutz Frühbrodt

Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Professor für "Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation" an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zu kommunikations- und wirtschaftspolitischen Themen. Spezialgebiet Mediensoziologie. Zuvor ein knappes Jahrzehnt Wirtschaftsreporter bei der "Welt"-Gruppe - als Teilstrecke seines Marsches durch die Institutionen. Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität in seiner Heimatstadt Berlin. Volontariat beim DeutschlandRadio Kultur.

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