Die neue Bundesliga-Saison startet: Bei den Spielen kommt es oft zu überraschenden Ereignissen. Doch wie die Siege und Niederlagen medial inszeniert werden, wird mitnichten dem Zufall überlassen. Die Vereine steuern das Geschehen auf und neben dem Spielfeld immer stärker – aber auch die klassischen Medien versäumen es, kritische Distanz zu wahren.
Von René Martens
Teil 1: Wie die Clubs zunehmend eigene Medienkanäle nutzen
Väter, die ihre Kinder in Sicherheit zu bringen versuchen, Fans, die über eine meterhohe Absperrung in den Innenraum fliehen – als sich im Sommer 2016 im Stadion von Marseille diese Szenen abspielten, weil kurz vor Ende eines Vorrundenspiels der Fußball-EM russische Gewalttäter in einen Block gestürmt waren, in dem sich überwiegend englische Anhänger befanden, bekamen die TV-Zuschauer davon weltweit nichts zu sehen. Der Fußballverband Uefa, der den Fernsehsendern die Übertragungsbilder liefert, hatte kein Interesse daran, dass die Szenen verbreitet werden.
Wenn bei der Übertragung internationaler Sportereignisse solche vermeintlichen Randgeschehnisse ausgeblendet werden, ist häufig von zensierten, vorzensierten oder gesäuberten Bildern die Rede. Während Fußball-Europa- oder Weltmeisterschaften flammt regelmäßig Kritik daran auf, dass nicht Fernsehsender die Bilder von diesen Sportereignissen erstellen, sondern Sportorganisationen oder ihre Tochterfirmen. Von Nicht-Journalisten gefiltert sind indes auch die Bilder, die wir im Alltag der 1. und 2. Fußball-Bundesliga zu sehen bekommen. Sie werden produziert von der Firma Sportcast, einer Tochter der Deutschen Fußball-Liga (DFL), in der sich die deutschen Profi-Vereine zusammengeschlossen haben.
Es wäre durchaus angemessen, dies in der neuen Fußball-Saison stärker in den Blick zu nehmen. Denn auch in der Praxis von Sportcast finden sich immer wieder Beispiele dafür, dass missliebige Bilder nicht gezeigt werden. In der Regel nicht zu sehen sind zum Beispiel Transparente meinungsfreudiger Fans, auf denen diese ihren Unmut über für sie ungünstige Spieltermine äußern. Die DFL, verantwortlich für diese Ansetzungen, kann mit derlei Kritik offenbar nicht gut umgehen.
Imagefilme in Endlosschleife
Auch Slogans, die aktuelle vereinspolitische Debatten aufgreifen, politische Meinungsäußerungen allgemeiner Art oder Schmähungen von Klubs oder Personen werden dem Zuschauer in der Regel vorenthalten. Zum Auftakt der neuen Zweitligasaison war bei der Übertragung des Spiels VfB Stuttgart – FC St. Pauli zum Beispiel zu beobachten, dass die Sportcast-Kollegen alles versuchten, um an einem Transparent vorbeizufilmen, auf dem Stuttgarter Fans auf drastische Weise ihre Meinung über den Erstliga-Aufsteiger RB Leipzig kundtaten.
Anlässlich der diesjährigen Übertragungen der Olympischen Sommerspiele, die in noch stärkerem Maße „vorzensiert“ werden, bemerkte Jörg-Uwe Nieland vom Institut für Kommunikations- und Medienforschung der Sporthochschule Köln: „Das, was die Fernsehzuschauer seit Jahren zu sehen bekommen, ist ein Unternehmens-Imagefilm des IOC.“ In diesem Sinne ist die Berichterstattung aus der 1. und 2. Liga ein permanenter „Unternehmens-Imagefilm“. Um die Berichterstattung zu steuern, sind diese Bilder-Monopole ein besonders wirksames Mittel. Der Grund: Nur einem kleinen Teil der Zuschauer ist überhaupt bewusst, dass diese Bilder nicht von den TV-Anstalten produziert werden.
Für eine andere Form der Steuerung der Berichterstattung stehen vereinseigene Online-TV-Kanäle wie FCBayern.tv (Bayern München) und BVB Total! (Borussia Dortmund). Fast alle der 36 Proficlubs betreiben mittlerweile vergleichbare Internet-Sender. Der digitale Wandel hat es möglich gemacht, dass Sportorganisationen sich selbst als Berichterstatter positionieren – und damit zu Konkurrenten der herkömmlichen Medien werden können. 2014 beschwerte sich der Vorstandsvorsitzende des Pay-TV-Unternehmens Sky Deutschland, Carsten Schmidt, also die oberste Führungskraft eines der wichtigsten Geldgeber des deutschen Fußballs: „Wir brauchen Zugang zu den Themen und den Stars. In der Regel haben wir diesen, aber es gibt Clubs, die meinen, daraus Exklusivität für sich selbst ziehen.“ Immer mehr Clubs versuchten sich „als Hobby-TV-Sender“. Das seien „unerfreuliche Entwicklungen“.
Von Hobby-TV-Sendern zu ernsten Konkurrenten
Seine Meinung hat Schmidt offenbar geändert. Vor dem Start der Saison 16/17 hat der Pay-TV-Sender eine Kooperation mit dem FC Liverpool bekannt gegeben. Darunter fallen die wöchentliche Ausstrahlung des dreistündigen internationalen Clubmagazins, produziert von LFCTV, dem Sender des Premier-League-Clubs. Um Schmidts Worte von 2014 abzuwandeln: Sky kauft Material bei einem Hobby-TV-Sender. Der freilich erreicht nach eigenen Angaben 120 Millionen Haushalte in 94 Ländern weltweit (Stand: Sommer 2015).
Probleme erwachsen den klassischen Medien aber nicht nur durch die Konkurrenz vereinseigener Online-Sender. Die bei den Vereinen um sich greifende Überzeugung, auf klassische Journalisten immer weniger angewiesen zu sein, zeigte sich zum Beispiel beim FC Bayern während der dreijährigen Amtszeit von Trainer Pep Guardiola. Kein herkömmlicher Journalist bekam in dieser Phase die Gelegenheit, ihn zu interviewen. Guardiola gab nur zwei Interviews: Eines erschien im FC-Bayern-Magazin, also der Fanzeitschrift des eigenen Hauses, das zweite im Geschäftsbericht der Audi AG, einem Anteilseigner der FC Bayern AG.
In vielen Bereichen von Information und Berichterstattung sind die Inhalte, die pseudo-journalistische Unternehmensmedien produzieren, zu einer direkten Konkurrenz für traditionelle Medien geworden. In der Fußballberichterstattung ist die Lage aber komplexer. Einen neuen Wettbewerb gibt es hier auch, aber im Fußballjournalismus gibt es noch die Besonderheit, dass die alten Medien Material der Unternehmenspublikationen übernehmen. Als Mario Götze im Herbst 2013 für den FC Bayern gegen seinen Stammverein Borussia Dortmund – zu dem er inzwischen zurückgekehrt ist – ein Tor erzielte, beantwortete er keine Fragen von Medienvertretern. Einen Tag später tat er dies allerdings in einem Interview mit FCBayern.tv. Was Götze dort sagte, empfanden dann auch öffentlich-rechtliche Fernsehsender als so wichtig, dass sie Ausschnitte des Gesprächs verwendeten. Und als der FC Bayern 2016 seinen Pokalsieg in der Münchener Innenstadt feierte, filmte der vereinseigene Sender die Party. Diverse TV-Sender bedienten sich. Es spricht also einiges dafür, dass der „Corporate sports journalism“, wie ihn die Professoren Thomas Hestermann und Thomas Horky von der Macromedia Hochschule Hamburg nennen, einflussreicher ist als andere Formen des Unternehmensjournalismus. Dafür spricht auch, dass herkömmliche Medien die quasi-werblichen Inhalte nicht nur übernehmen, sondern teilweise dafür bezahlen. Liverpool etwa muss dafür, dass Sky eine zwar journalistisch camouflierte, aber de facto werbliche Sendung, die das vom Verein produzierte Clubmagazin darstellt, ausstrahlt, nicht etwa Geld ausgeben – es bekommt sogar welches.
Vereins- oder verbandseigene Onlineauftritte entwickelten sich zu „Konkurrenzplattformen für sämtliche Medienbereiche“, sagt der SZ-Redakteur Claudio Catuogno – einer von sieben Sportjournalisten gehört, den die Kommunikationswissenschaftlerin Julia Wellmann 2015 für ihre Bachelor-Arbeit „Sportjournalisten im Abseits?“ befragt hat. Sogar die ARD gibt zu, „dass es für uns als langjährigen Rechtehalter zunehmend schwieriger wird, an Interviewpartner beziehungsweise Studiogäste zu kommen“.
Pressesprecher, die sich wie Security-Personal benehmen
Zur vereins- und verbandsseitigen Steuerung des Sportjournalismus gehört auch das Briefing der Spieler. Heute halten sich die Pressesprecher der Profifußballvereine in der Regel im Innenraum des Stadions auf, manchmal sitzen sie auf der Trainerbank. In punkto Habitus und Körpersprache sind manche von ihnen vom Security-Personal nicht zu unterscheiden. Nach dem Abpfiff sieht man dann oft, wie sie sich auf jenen Akteur ihrer Mannschaft zu bewegen, von dem angesichts des Spielverlaufs zu vermuten ist, dass er bei den Journalisten der meistgefragte sein wird. Der Kommunikationsfachmann des Vereins gibt dann schnell ein paar Instruktionen – oder in bestimmten Situationen auch mal die Order aus, gar nichts zu sagen. Sogar beim Training der Profivereine führen sich Pressesprecher manchmal wie Wachhunde auf und maßregeln Journalisten, die den direkten Kontakt zu einem Spieler suchen.
Wie Kontrolle aussehen kann, zeigt ein anderes Beispiel aus dem Alltag: Ein freier Journalist will für mehrere Regionalzeitungen ein Interview mit dem hochrangigen Angestellten eines Erstligaclubs führen. Dessen Pressestelle verweist unter anderem darauf, der Angefragte habe jüngst einer Nachrichtenagentur ein Interview gegeben, da könne sich der freie Journalist ja bedienen. So unterbindet es die Pressestelle, dass der Vereinsfunktionär mit potenziell kritischen Fragen konfrontiert wird, die der Kollege von der Nachrichtenagentur möglicherweise nicht gestellt hat. Das „Handeln“ der Pressesprecher habe „die Wirkung einer Präventivzensur“, schrieb der Tübinger Sportwissenschaftler Christoph Grimmer bereits 2014 in einer Dissertation über das „Spannungsverhältnis von Pressesprechern in der Fußball-Bundesliga und Journalisten.“
Welchen Anteil die klassischen Medien daran haben, dass die PR im Fußball-Business Überhand nimmt, lesen Sie in Teil 2 unseres Artikels.
René Martens arbeitet als freier Journalist in Hamburg unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, die Stuttgarter Zeitung, Zeit Online und die taz. Er gehört zum Autorenteam der preisgekrönten Medienkolumne Altpapier und hat mehrere Bücher über den FC St. Pauli geschrieben.
© Die Zweite Aufklärung 2016 (Foto Martens: Marit Hofmann, Titelfoto: Fotolia.com)