Freie Journalisten können sich finanziell oft kaum ohne Nebentätigkeiten über Wasser halten. Also machen viele von ihnen nebenbei PR. Dem Netzwerk Recherche (NR) gefällt das nicht. Die Journalistenorganisation vertritt die reine Lehre. Doch bei den jüngeren Journalisten regt sich Widerspruch. Protokoll einer überfälligen Debatte auf der NR-Jahreskonferenz 2016.
Tom Schimmeck, Autor und langjähriges NR-Mitglied, gibt sich überzeugt: „Der PR-Passus ist heute noch wichtiger als vor zehn Jahren.“ Vor einem Jahrzehnt verabschiedete das Netzwerk Recherche seinen Medienkodex. Nun sollte er „überprüft und entstaubt“ werden, wie die Organisation verlauten ließ. Auf seiner diesjährigen Mitgliederversammlung, eingebettet in die Jahreskonferenz, ging das Netzwerk dann tatsächlich mit dem Statuten-Staubtuch über sein Leitbild. Einige Punkte wie das Verhältnis zu neuen Technologien sind reformiert worden. Das bekannteste Axiom – „Journalisten machen keine PR“ – bleibt jedoch in seiner Urform bestehen.
Der Medienkodex – ein sanktionsfreies Leitbild
Im Nachgang folgt nun die öffentliche Diskussion über den neuen-alten Kodex. Die NR-Vorsitzende Julia Stein macht klar, dass es ihr mit dem Passus um „Rollenbilder“ gehe, um das berufliche Selbstverständnis. „Der Kodex richtet sich an jeden Journalisten, ist aber nicht bindend.“ Selbstverständlich gebe es keine Sanktionsmaßnahmen. „Leitbilder sind eine große Hilfe, sich über den Tag zu retten“, sagt Stein. Genau wie etwa das Journalisten-Mantra „Sagen, was ist.“ Daniela Friedrich, Medienstudentin an der Uni Hamburg, ist zur Diskussion eingeladen worden, weil sie in einem Projekt mit Kommilitoninnen an einer studentischen Alternativfassung des Medienkodex gearbeitet hat. „Ich finde es grundsätzlich gut, Ideale zu haben, an denen man sich ausrichten kann“, beginnt sie vorsichtig. Aber im Rahmen des Projekts hätten sie sich umgehört und herausgefunden, dass alle Studierenden ihres Studiengangs schon Praktika in den Public Relations gemacht hätten. „Viele wollten keine Praktika im Journalismus machen, weil die nicht bezahlt werden – und das obwohl die meisten in den Journalismus wollen“, begründet sie die vermeintliche Abtrünnigkeit.
Dies will die NR-Vorsitzende nicht stehen lassen. Stein, Jahrgang 1972 und heute leitende Redakteurin beim NDR-Fernsehen, erzählt, dass sie zwar in jungen Jahren auch schlecht oder nicht bezahlte Praktika gemacht habe. Aber doch immer froh gewesen sei, wenn sie überhaupt einen Praktikumsplatz habe ergattern können. „Die Frage ist doch: Welchen Beruf will ich ergreifen?“, wirft Stein in den Raum. „Ich finde es nicht so beklagenswert, dass Praktika im Journalismus nicht bezahlt werden. Ich habe damals auch gekellnert, wenn es nicht gereicht hat.“ NR-Urgestein Tom Schimmeck sekundiert. Er kann ganz offenbar nicht verstehen, dass Journalisten ihre Kommunikationskompetenzen in benachbarten Berufsfeldern, in denen zumal besser gezahlt wird, zum Einsatz bringen wollen. „Warum muss es ausgerechnet PR sein? Kann man nicht putzen oder kellnern?“ Klaus Kocks, mit von der Partie als Vertreter der PR-Branche, der ’Gegenseite‘, will das nicht gelten lassen. „Ihr versucht, uns zu stigmatisieren. Doch das ist uns scheißegal!“ Daniela Friedrich, die Studentin, versucht es mit Argumenten. Ihre Alternativfassung vom fünften „Gebot“ des NR-Medienkodex lautet: „Journalisten sollen keine PR machen müssen.“ Will heißen: Die Medienunternehmen müssten stärker in die Pflicht genommen werden, um die Arbeitsbedingungen der Autoren zu verbessern, freilich auch die vieler unter Tarif bezahlter festangestellter Redakteure.
Zahme Journalistenverbände? Zahmes Netzwerk?
Kann hier Beratung von außen hilfreich sein? Klaus Kocks jedenfalls fühlt sich aufgerufen: „Ihr Journalisten seid unfähig, gewerkschaftlich zu denken.“ Und zu handeln. Kocks muss es wissen. Er war früher Mitglied des Volkswagen-Vorstands – dort hatte er es mit der IG-Metall zu tun. Auf dem Podium und im Publikum wird daraufhin Kritik an den vermeintlich zahmen Journalistenverbänden laut und daran, dass der Deutsche Journalistenverband (DJV) und die Deutsche Journalistenunion (dju) auch PR-Manager als Mitglieder aufnehmen. „Der DJV könnte einpacken, wenn PR-Leute keine Presseausweise mehr bekommen würden“, ist sich Tom Schimmeck sicher. Daraufhin merkt jemand aus dem Publikum an, ob dann nicht das Netzwerk Recherche in dieser Hinsicht aktiver werden müsste. „Wir werden nicht zu einer Gewerkschaft“, wehrt jedoch Vorsitzende Julia Stein ab. „Wir fördern und fordern die journalistische Recherche und damit auch bessere Arbeitsbedingungen.“
Zum Schluss plädiert Moderator Volker Lilienthal ironisch dafür, den PR-Passus aus dem Kodex zu streichen. Weil man dann auch über andere wichtige Aspekte des Kodex hätte diskutieren können. Hätte man. Man hätte aber auch jenseits einer moralistisch geschwängerten Generaldebatte darüber reden können, wie freie Journalisten auf der operativ-praktischen Ebene über die Runden kommen können – mit oder ohne PR. Und vielleicht auch, ohne putzen zu müssen.
© Die Zweite Aufklärung 2016 (Fotos: Lutz Frühbrodt)
2 Comments
[…] Prof. Lutz Frühbrot (s.o.) fasst die Diskussion bei der Jahrestagung zum Leitsatz zusammen: Journalisten machen keine PR. Sie gehen putzen. […]
[…] die mit dem Geld nicht hinkämen und deswegen auch PR-Aufträge annähmen, stattdessen nicht lieber putzen gingen, passt gut ins […]