In ihrem Buch „Wie ich wurde, wer ich bin, und was wir einmal sein werden“ führen die Autoren Patrick Breitenbach und Nils Köbel ein genauso unterhaltsames wie geistvolles Dauergespräch über die großen Fragen des Lebens. Dabei deklinieren sie die wichtigsten Denker der Moderne durch. Doch einer fehlt im großen Reigen.

Dieses Buch stellt in gewisser Weise ein Paradoxon dar. Auf der einen Seite kommt es, zumal gemessen am Thema, mit einer überraschenden Leichtigkeit daher. Ähnlich wie bei ihrem Audiopodcast „Soziopod“ üben sich die Hobby-Philosophen Patrick Breitenbach und Nils Köbel in einem lockeren, aber zugleich treffsicheren Parlando, so dass sich die 250 Seiten dieses Buches problemlos in ein paar Stunden oder zumindest in ein paar Tagen verschlingen lassen. Auf der anderen Seite sind die einzelnen Facetten des Themas – vom Menschen über die Gesellschaft zu Gott, von der Metaphysik über die Theorie zur Ideologie – von einer solchen Schwere und Grundsätzlichkeit, dass man sich ganze Jahre mit Band beschäftigen könnte. Und wohl auch müsste. Ein steter Quell der Inspiration, könnte man sagen, und als dieser erweist sich dieses Buch tatsächlich.

Streng genommen handelt es sich allerdings nicht um einen „Streifzug durch den Garten der Philosophie“, wie der Untertitel suggeriert. Genau genommen wird hier ein wenig Philosophie als Grundsubstanz ziemlich üppig angereichert mit Gedankengut aus der modernen Soziologie, Psychologie und Pädagogik. Führen diese Vielfalt und diese Interdisziplinarität auch zu einer gewissen Beliebigkeit? Die Frage muss aufkommen, weil auf dem heutigen Sachbuchmarkt meist nur Bücher mit megasteilen Thesen erfolgreich sind oder aber harmlose Erklärbücher. Der schlimme Verdacht, dass dieser Band zur zweiten Kategorie zählen könnte, wird durch einen weiteren Umstand genährt. Breitenbach und Köbel genügen sich meist im freundlichen, ja freundschaftlichen Zwiegespräch mit Fragen der Kategorie „Was ist eigentlich..?“ und „Wie meinst du das?“. Kontroverse Positionen nehmen sie selten ein und wenn ja, merkt man es kaum.

Die Art des Diskurses ist sicher eine Geschmacksfrage. Aber ein nett-belangloses Büchlein ist „Wie ich wurde“ dennoch nicht. Klar, Breitenbach/Köbel wollen den geneigten Leser mit ihren intellektuellen Appetithäppchen zum selbst denken und weiterdenken anregen. Was letztlich aber subtilen oder auch weniger subtilen Einfluss auf die Leserschaft ausübt, ist allein schon die Auswahl des vorgestellten Gedankenguts – hätte doch das Thema, wollte es man in seiner vollen Breite behandeln, locker 1.000 Seiten hergegeben. Kant, Marx, Weber, Popper, Adorno und Habermas weisen vielleicht nicht in eine ganz bestimmte, aber immerhin doch in eine bestimmte Richtung, und zwar die eines vernunftorientierten, aufklärerischen Ansatzes. So bekommt das Buch implizit doch ein politisches Profil.

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Darüber hinaus zieht sich ein Motiv quer durch das Buch und über alle in ihm gestellten Fragen hinweg: Die extreme Bedeutung der Bildung für Mensch und Gesellschaft. Und zwar Bildung als akkumuliertes Wissen und analytisches Instrumentarium, um die Welt besser zu verstehen und um sich in ihr besser zurechtzufinden. Breitenbach betont dies selbst im Epilog und sagt an anderer Stelle einen Satz von fundamentaler Bedeutung: „Wir fordern zwar immer, die Leute müssten sich halt mehr bilden, aber im Grunde genommen bedarf es zunächst einmal einer Stabilität und Sicherheit. Die Leute dürfen keine existenzielle Angst verspüren, denn die würde Bildung hemmen oder gar verhindern.“

Diese Worte gehörten in Stein gemeißelt, wenn sie denn noch stärker politisch unterfüttert würden. Zum Beispiel mit Hilfe von Antonio Gramsci, der im großen, bunten Reigen der Denker in diesem Buch leider fehlt. Zumal es der neomarxistische Theoretiker auch war, der die Philosophie vom Sockel der hohen Kunst gestoßen hat. Denn er war überzeugt, dass in jedem Menschen ein Philosoph steckt. Ein Gedanke, der doch eigentlich wunderbar zu diesem Buch passt.

Patrick Breitenbach/Nils Köbel: Wie ich wurde, wer ich bin, und was wir einmal sein werden. Streifzüge durch den Garten der Philosophie. Köln 2016. 15 Euro.

© 2016 Die Zweite Aufklärung, Foto/Titelbild: Dmitry Sladkov/Fotolia.

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Prof. Lutz Frühbrodt

Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Professor für "Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation" an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zu kommunikations- und wirtschaftspolitischen Themen. Spezialgebiet Mediensoziologie. Zuvor ein knappes Jahrzehnt Wirtschaftsreporter bei der "Welt"-Gruppe - als Teilstrecke seines Marsches durch die Institutionen. Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität in seiner Heimatstadt Berlin. Volontariat beim DeutschlandRadio Kultur.