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In diesem Artikel erfahren Sie beispielhaft, wie ein man als Wirtschaftsjournalist* (tages)aktuell über Fachmessen und auch Verbrauchermessen berichten kann. Der Artikel ist Online-Bestandteil des Buches „Journalistische Praxis: Wirtschaftsjournalismus“ von Lutz Frühbrodt, das im Verlag Springer VS erschienen ist. In diesem „Essential“-Band wird erläutert, warum Messen große Bedeutung für den Wirtschaftsjournalismus haben und wie bereits im Vorfeld von Messen recherchiert werden kann, um sich vom Einerlei der Berichterstattung abzusetzen.

Die Bauma in München lockt nicht nur Experten* für Baufahrzeuge an, sondern auch Baumaschinen-Fans. Foto: Messe München

Wie über eine Messe berichten? Da Messen oft sehr laut, bunt und vielfältig sind, also immer (oder zumindest meist) „etwas los ist“, gibt es hier kaum Grenzen. Ein Vorbericht, eine Reportage, bevorzugt in Gestalt eines „Messe-Rundgangs“, ein Feature aus Szenen und „harten“ Fakten, ein Kommentar – alles ist möglich. Da es viel zu sehen gibt, lassen sich Texte freilich auch wunderbar um Videos und Bildergalerien ergänzen.

Bei aller künstlerischen Freiheit gibt es dennoch Einiges zu bedenken. Und zwar vorrangig: Für welches Medium bin ich unterwegs und damit für welche Zielgruppen? Für ein Fachmedium, dessen Leserschaft zuvorderst an Infos für das eigene Business interessiert ist? Für eine Special-Interest-Zeitschrift, deren Publikum eher privates Interesse am Sujet zeigt, aber dennoch über gewisse Vorkenntnisse verfügt, sodass man es nicht unterfordern sollte? Oder aber berichte ich für eine General-Interest-Publikation, etwa eine Tageszeitung, die die sehr diffuse Allgemeinheit anspricht? Dann muss ich als Autor* auch weitgehend im Allgemeinen bleiben und viel erklären, vor allem wenn es sich um eine Fachmesse handelt.

 

Beispiel 1: Die Chemiemesse Achema (FAZ.net)

Passend dazu betitelt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (faz.net) ihren Vorbericht vom 10.6.2018 über die Chemiefachmesse Achema mit: „Ein Gefühl wie bei der Sendung mit der Maus.“ Der Artikel beginnt damit, dass Medikamente beim Transport vom Hersteller bis in die Apotheke immer bei gleicher Temperatur und konstanter Luftfeuchtigkeit gehalten werden müssen. Mit diesem Beispiel aus der Pharma-Logistik will der Autor veranschaulichen, worum es überhaupt geht. Wie die Temperaturkontrolle funktioniere, werde auf der Achema mit ihren 3.800 Ausstellern und voraussichtlich 180.000 Besuchern gezeigt.

Dann zieht der Autor den Zoom auf und erklärt, dass es bei der Achema in erster Linie um Prozesstechnik gehe. Prozesstechnik? Es folgt eine kurze, nicht sehr wissenschaftliche, aber gut verständliche Definition:

Das ist vereinfacht ausgedrückt all das, was ein Chemieunternehmen braucht, um Chemikalien herstellen zu können.

Dass die Messe in Frankfurt stattfindet, könnte für die FAZ schon Anlass genug sein, um zu berichten, zumal der Artikel in der Rhein-Main-Zeitung, also dem Regionalteil, veröffentlicht wird. Doch macht der Autor deutlich, dass die Achema darüber hinaus Relevanz für die Region hat:

Auch Unternehmen aus Rhein-Main werden die Schau als Plattform nutzen. Denn in der Welt von Chemie und Pharma spielt der Großraum Frankfurt eine nicht unwesentliche Rolle. Auch nach der Aufspaltung der Hoechst AG – „Apotheke der Welt“ genannt – im Jahr 1999 lebt die Region weiter und gerade von der Wertschöpfung in der chemischen Industrie. Die Branche erwirtschaftet im Jahr einen Umsatz von 28 Milliarden Euro – mehr als jede andere. Diese Zahl gilt zwar für ganz Hessen, doch der Schwerpunkt der 60.000 Beschäftigte zählenden Branche liegt in Rhein-Main.

Im weiteren Verlauf des Artikels kommt der Autor auf die Internationalität der Messe und damit ihre weltweite Geltung zu sprechen. Sodann auf die verschiedenen Schwerpunkte. Beim Thema „Pharmaverpackungen“ kommt nun die in der Titelzeile erwähnte „Sendung mit der Maus“ ins Spiel:

Besucher können sich auf eine Verpackungsstraße freuen, in der vom Pressen einer Tablette über das Einschweißen in einen Blister bis hin zum Versand mit Codierung der komplette Prozess zu sehen ist.

Eine Maschine, die Tabletten presst und direkt danach verpackt. Foto: Achema

Im Mittelpunkt der Messe stehe die Biotechnik, die auch kurz erklärt wird:

Dabei geht es um Mikroorganismen, die von Natur aus bestimmte Aufgaben lösen können und im Labor zu diesem Zweck optimiert werden.

Es folgt ein Beispiel von einem Unternehmen: 

Die Firma hat Eiweißstoffe entwickelt, mit deren Hilfe ein Waschmittel bei 40 Grad genauso sauber wäscht wie sonst nur bei 60 Grad. Dadurch spart der Verbraucher Energie und im Zweifel auch Wasser.

Geschickt wechselt der Artikel zwischen Informationen über die Messe Achema, Technologien und Definitionen/Erklärungen sowie anschaulichen Beispielen, die in Zusammenhang mit der Messe stehen, ob es sich um Aussteller handelt oder um Exponate. Auch für Verbrauchermessen – wie etwa die Internationale Funkausstellung (IFA) in Berlin – ist dieses Vorgehen bestens geeignet. Auch hier kann nicht erwartet werden, dass sich jeder Leser* auf dem neuesten Stand der Unterhaltungselektronik befindet. Neue Produkte und Technologie müssen anschaulich erklärt werden, auch wenn hier im Durchschnitt mehr Vorkenntnisse erwartet werden können.

 

Beispiel 2: Die Baumaschinenmesse Bauma (ntv.de)

Was für den Vorbericht gilt, trifft auch auf die tagesaktuelle Berichterstattung zu, etwa die Reportage oder das Feature. Ein Autor von ntv.de (11.4.2019) hat einen klassischen Rundgang über die „Bauma“-Messe in München vertextet. Sein Artikel „Bauma 2019 – Treffen der Giganten“ beginnt so: 

Erwachsene Männer, die sich vor Baggern und Baumaschinen fotografieren lassen, gibt es nicht? Von wegen. Auf der Bauma 2019, der weltgrößten Messe für Baumaschinen und Zubehör, passiert das die ganze Zeit. Mehr als 3700 Aussteller aus 63 Ländern und Regionen präsentieren bis zum 14. April ihre Baumaschinen und -fahrzeuge auf 614.000 Quadratmetern Fläche. Die Messe München erwartet bis zu 600.000 Besucher, darunter vor allem Fachbesucher aus Industrie und Handel, Dienstleister aus der Bauwirtschaft und Baustoffindustrie. Und eben Baumaschinen-Fans. 

Die wesentlichen Fakten sind aufgezählt und eingebettet in das Leitthema: Die großen Jungs, die am liebsten mit den großen Maschinen spielen würden. Die Idee dahinter: Es handelt sich zwar um eine Fachmesse, die vor allem Fachpublikum anzieht, aber durch die Besonderheit – die einfachen Baumaschinenfans „aus dem Volke“ – soll der Artikel auch für eine breitere Leserschaft (wenn auch eine wahrscheinlich eher männliche) attraktiv gemacht werden. Stilistisch bedenkenswert: Alle relevanten Fakten und Zahlen gleich am Anfang aufzulisten, stellt keine zwingende Notwendigkeit dar. Der Autor* hätte sie auch stärker über den gesamten Text verteilen oder in einen Info-Kasten auslagern können. So, wie er es gemacht hat, nimmt er seiner Reportage etwas den Drive. Einige Leser* könnten angesichts des Zahlenwusts sogar geneigt sein, nicht weiter zu lesen.

Der eigentliche Rundgang beginnt mit einem schweifenden Blick des Autors über das Messegelände. Dieser führt zum Hauptthema der Messe: Vernetzung. Dazu werden Beispiele von Herstellern geliefert. In der zweiten Hälfte des Textes geht es dann nur noch um das Eine: „die schweren Geräte“:

Für die ganz großen Maschinen werden selbst große Messehallen zu klein – sie stehen auf dem Freigelände: Riesige Bagger, Planierraupen, Mulchfräsen, Kräne, Arbeitsbühnen, hohe Bohrkräne, gewaltige Lastenkräne, ja ganze Betonwerke haben die Aussteller in den vergangenen Wochen hier aufgebaut. Besucher können mit einem Bauaufzug einen 24 Meter hohen Selfie-Turm hochfahren und sich dann vor den Baumaschinen fotografieren lassen.

Das ist das Lockangebot für Besucher*, die nicht aus dem Fach kommen. Das Medium heißt schließlich ntv und ist keine Baufachzeitschrift. So geht es folgerichtig weiter: Tonnen, Kubikmeter, PS und die dazugehörigen Geräte und Fahrzeuge.

Ein paar Stände weiter parken Maschinen zur Straßenbearbeitung: Fräsen, Teermaschinen, Walzen und Kehrmaschinen. Am liebsten würde man jetzt auf den Fahrersitz springen und ein paar Runden drehen oder eine Straße frisch teeren.

Würde man? Im Laufe des Textes wird deutlich, dass vor allem Männerfantasien bedient werden. Dies allerdings sehr anschaulich und zielgruppengerecht. Am Schluss des Rundgangs geht es noch einmal hinaus aufs Freigelände, wo ein Hersteller seine Baumaschinen „zur Freude der meist männlichen Besucher“ im Kreis fahren lässt. 

Im Hintergrund bewegt sich bei einer Demonstration die riesige Schaufel des noch riesigeren Hochlöffel-Baggers PC4000. Mit seinen 16 Zylindern und 1875 PS ist der tonnenschwere Gigant das ideale Arbeitsgerät für Minen und der Maschinentraum vieler Männer. Sie drängen sich, so nah es geht, an die Maschine, lassen sich von Kollegen oder Freunden fotografieren. Als Erinnerung, bis zur nächsten Bauma in drei Jahren.

Ein Resenbagger des japanischen Komatsu-Konzerns vor staunender Männermenge. Foto: Messe München

Beispiel 3: Die Kunststoffmesse K (VDI-Nachrichten)

Es geht freilich auch etwas feinsinniger. „Plötzlich Fabrik“ heißt der Text über die „K“, die größte Kunststoffmesse der Welt, erschienen in den VDI-Nachrichten (25.10.2013), der Wochenzeitung für Ingenieure. Es handelt sich um eine reinrassige Fachmesse eher sachlich-nüchternen Charakters. Und dennoch versucht sich der Autor erfolgreich an einer Messe-Reportage.

Draußen vor Halle 17 weht kein Lüftchen. Und doch ist da dieses Geräusch. Als würde Sand von einer starken Windbö erfasst und über festen Untergrund geschleift. Ein ganz leichtes Klirren.

Das Intro will den Leser* also neugierig machen, was ihn auf der „K“ erwartet. Das Geräusch, so die Auflösung, rührt von sechs riesigen Silos in der Ausstellungshalle her, die durch verschiedene Rohrleitungen miteinander verbunden sind. Wenn man nah an die Rohre herangeht, dann hört man das merkwürdige Geräusch am deutlichsten:

Ein Rieseln, das regelmäßig anschwillt, um dann nach einigen Augenblicken wieder zu verebben.

Warum nun diese Beschreibung?

Das Geräusch, es ist der Pulsschlag der Kunststoffmesse K in Düsseldorf.

Bilden dann also die Rohrleitungen und Silos Herz und Halsschlagader der Messe? So weit will der Autor dann mit seiner Metaphorik doch nicht gehen. Und dennoch kann der Text anschaulich vermitteln, welche Sinneseindrücke der Besucher* von dieser Messe mitnehmen kann.

Wer hier schnuppert, lauscht oder einfach den Kopf in den Nacken legt, dem wird klar: Die Messe K, die größte Kunststoffmesse der Welt, ist nicht nur eine Messe, sie ist eine Fabrik. Vom Rohstoff über die Kunststoffmaschinen bis hin zur Verarbeitung und fertigen Produkten ist sie das auf ein Messegelände projizierte Abbild einer ganzen Industrie mit rund 360.000 Beschäftigten allein in Deutschland.

Eine Messe sollte im Idealfall immer ein Abbild ihrer Branche sein. Aber wenn sie dies auch tatsächlich ist, dann umso besser. Dass dem so ist, belegt der Autor der VDI-Nachrichten im weiteren Verlauf seiner Reportage. Der direkte Gebrauchswert des Textes mag zumal für eine Fachleserschaft eher gering sein. Doch geht es hier vor allem darum, dem Leser* einen (Sinnes)Eindruck vom Messegeschehen zu geben. Und das ist absolut legitim, wenn denn branchenrelevante Infos nicht unter den Tisch fallen und in anderen Artikeln thematisiert werden.

 

Beispiel 4: Die Ausbildungsmesse „Deine Zukunft beginnt hier“ (Handelsjournal)

Nicht jede Messe kann sich „größte Messe der Welt“ nennen. Ganz im Gegenteil: Die Zahl der mittelgroßen und kleineren Veranstaltungen im Messeland Deutschland ist um ein Vielfaches größer. Auch über sie lässt sich berichten, sofern sie für die Leserschaft von Belang sind. Wie sich das geschickt umsetzen lässt, zeigt das Feature „Erst mal Danke“ in der Fachzeitschrift Handelsjournal (März 2016). Der Anlass: Die rund 180 Mieter in Berlins größter Shopping Mall veranstalten gemeinsam eine zweitägige Recruiting-Messe für eine Ausbildung im Einzelhandel. Der Text beginnt mit einem Rundgang einer kleinen Gruppe interessierter Jugendlicher durch den großen Markt eines Anbieters für Unterhaltungselektronik:

Die Welt der 16-Jährigen zu verstehen, ist nicht einfach. Auch dann nicht, wenn man 16 ist. Die kleine Gruppe der Jugendlichen, die sich vor dem Eingang des Media-Markts im Berliner Shoppingcenter Alexa eingefunden hat, wirkt ein wenig verloren. Dabei soll es doch an diesem Tag um ihre Zukunft gehen.

Mit der Media-Markt-Besichtigung endet der Artikel auch:

Jetzt stehen sie in der Abteilung für Haushaltsgeräte zwischen Haartrocknern und Waschmaschinen und scheinen immer noch nicht so recht zu wissen, was sie von all dem halten sollen…Die wichtigste Frage des Tages steht noch aus: „Wer von euch kann sich denn nach all diesen Eindrücken eine Ausbildung im Handel vorstellen?“, fragt [Ausbildungsleiterin] Frau Demirci und blickt wieder in die Runde. Zwei von vierzehn Armen gehen zaghaft in die Höhe. Ein Mädchen in der Runde wackelt unschlüssig mit dem Kopf. Handel fände sie schon ganz gut, aber nicht unbedingt Elektronik, eher was mit Tieren.

Es wird klar, dass die Messe als solche nicht den Mittelpunkt des Features bildet, sondern eher einen dramaturgischen Rahmen bildet – für das Porträt einer Generation oder zumindest Teilen von ihr und für die Beschreibung der Nachwuchssorgen im Einzelhandel. Dafür sammelt der Autor weitere Eindrücke von den Infoständen der kleinen Messe und setzt Zitate aus den Gesprächen mit Ausstellern ein, um so die Gesamtgemengelage in der Branche zu skizzieren:

Die Qualifikation der Bewerber und das Niveau der Bewerbungen würden von Jahr zu Jahr schlechter, klagt ein älterer Ausbildungsberater, der seinen Namen nicht genannt wissen will. Er mache den Job jetzt schon seit über 30 Jahren, und das Anspruchsdenken der Jugendlichen sei größer denn je. Viele hätten hinsichtlich ihrer beruflichen Möglichkeiten überzogene Erwartungen, Eigenmotivation und fachliches Interesse aber seien gering ausgeprägt. Durch die Digitalisierung würden viele Jugendliche heute in einer eigenen, abgeschotteten Welt leben.

Das Feature wird durch eine Reihe weiterer Aspekte und Zitate abgerundet. Es artet jedoch nicht in einem Generation-Z-Bashing aus. Vielmehr zeigt es auf, dass das, was der Einzelhandel erwartet, und das, was er realistischerweise an Nachwuchs bekommen kann, zwei recht unterschiedliche Dinge sind. Also sind pragmatische Lösungen gefragt.

Zwei Jungs aus der Gruppe…holen ein DIN-A-4-Blatt aus der Tasche, um es schüchtern zu überreichen. „Ah, eure Lebensläufe . Das ist ja schön. Habt ihr auch ein Anschreiben dazu?“, fragt Frau Demirci.

Nein, Anschreiben haben sie keine dabei. Das hätte ihnen niemand gesagt. Aber auf seinem Lebenslauf stehe ja seine Telefonnummer, sagt einer der Bewerber. Dann könne die Ausbildungsleiterin ihn ja anrufen.

Zweifellos: Das ist nicht die Antwort, die man sich als Arbeitgeber wünschen würde. Andererseits: Die Welt der 16-Jährigen ist nicht einfach. Frau Demirci lächelt nachsichtig. „Na, erst mal Danke. Schauen wir, was daraus wird.“

© Die Zweite Aufklärung 2020

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Prof. Lutz Frühbrodt

Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Professor für "Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation" an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zu kommunikations- und wirtschaftspolitischen Themen. Spezialgebiet Mediensoziologie. Zuvor ein knappes Jahrzehnt Wirtschaftsreporter bei der "Welt"-Gruppe - als Teilstrecke seines Marsches durch die Institutionen. Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität in seiner Heimatstadt Berlin. Volontariat beim DeutschlandRadio Kultur.

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