Shoppen stellt eine raumgreifende Freizeitbeschäftigung dar. Über die notwendigen Alltagseinkäufe hinaus macht es Freude, sich etwas Gutes zu tun und sich Wünsche zu erfüllen – zum Beispiel mit gutem Essen, schöner Kleidung oder Utensilien, um seine Hobbys zu pflegen.
In der Übersteigerung, der wir in unserer Konsumgesellschaft immer näher kommen, ist Einkaufen aber nicht mehr nur Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck. Shoppingerlebnisse werden zu Glückversprechen stilisiert. Und als Startsignal für den großen Kaufrausch ist mittlerweile alles recht: Früher wurden lediglich Weihnachten und Geburtstage als Einkaufshöhepunkte angesehen. Der moderne Jahreskalender des Konsums lässt dagegen auch den Valentinstag, Karneval, Ostern, den Schulanfang und Halloween nicht außer Acht. Je mehr gekauft wird, desto besser.
Einige Konsumforscher überhöhen die Kultur des Shoppens mittlerweile mit der kühnen These, dass Konsumieren eine selbstverantwortete, freie und sinnstiftende Tätigkeit sei. Es wird behauptet, dass sie sich nicht nur auf das infantile „Habenwollen“ richte, sondern darauf, einen hoch geschätzten, nachhaltigen Wert zu erwerben und damit die eigene Persönlichkeit zu konstituieren.
Kann das gelingen? Kann man sich den leidenschaftlichen Käufer als einen glücklichen Menschen vorstellen? In Anlehnung an die Sisyphos-Interpretation des französischen Philosophen Albert Camus mag man an das Bild von einem Menschen denken, der mit den immer selben Mitteln unermüdlich auf sein großes Ziel – Glück und Bedürfnisbefriedigung – hinarbeitet, obwohl er doch regelmäßig zurückgeworfen wird. Denn das gegenwärtige System lebt davon, dass die Begierde des Käufers nie dauerhaft zur Ruhe kommt und immer wieder auf neue Objekte gelenkt wird.
Natürlich darf Shoppen Spaß machen. Aber es ist nicht die wichtigste Ingredienz eines glücklichen Lebens. Man sollte sich also über einige zentrale Verführungsmechanismen der Werbeindustrie und der Konsumgesellschaft im Klaren sein. Denn der mündige Verbraucher definiert seine Bedürfnisse selbst und nimmt seine Rolle als Konsument bewusst und autark wahr.
Ausgetrickst
Beim Einkaufen lauern viele kleine Psychofallen. Die Verkäufer arbeiten geschickt mit den Instinkten und Reflexen ihrer Kunden. Ein paar praktische Beispiele:
- Gutes hat sein Preis. Im Umkehrschluss glauben wir daher gern, dass Teures auch gut sein muss und fallen damit dem sogenannten „Chivas-Regal-Effekt“ zum Opfer: Der Whisky verkaufte sich erheblich besser, nachdem in den 1970er Jahren sein Image geändert und der Preis kräftig angehoben wurde. Am Whisky selbst änderte sich nichts.
- „Nehmen Sie nur!“ – Wenn man im Geschäft etwas umsonst angeboten bekommt – sei es ein Stückchen Käse an der Supermarkttheke oder einen Espresso beim Optiker, wächst daraus eine gefühlte Verpflichtung zur Gegenleistung, also zum Kauf.
- „Einmaliger Sonderpreis“, „nur noch wenige Exemplare auf Lager“, „Sonderangebot““ – wer kann solche Behauptungen schon überprüfen? Da greift man lieber schnell zu, um am Ende nicht leer auszugehen oder sich ein tolles Angebot entgehen zu lassen.
- Die Schwarmintelligenz leistet vor allem bei Internet-Bewertungen und Bestsellerlisten ganze Arbeit: Was die Masse gut findet, kann doch nicht schlecht sein. Ob es den persönlichen Geschmack trifft, ist allerdings eine ganz andere Frage.
Produktimage ist wichtiger als Gebrauchswert
In unserer Überflussgesellschaft können wir den praktischen Nutzwert von Waren voraussetzen, er ist langweilig geworden. Also kommt es darauf an, dem Produkt ein Image zu geben oder noch besser: eine Aura. Der Ware wird also ein Zusatznutzen angeheftet, der einen bestimmten Lebensstil oder bestimmte persönliche Eigenschaften symbolisiert.
Das gilt zwar nicht für schlichte Einkäufe wie Kochsalz oder Schnürsenkel. Aber bereits Waschmitteln werden im Produktmarketing bestimmte Konnotationen angeheftet, die über die banale Reinigungsfunktion weit hinausgehen und dem Kunden vor allem ein bestimmtes Image vermitteln sollen („die schlaue Art zu waschen“).
Auf die Spitze getrieben wird der Nimbus bei großen Marken. Die eigentliche Funktion der Produkte erscheint völlig nebensächlich verglichen mit ihren nicht-materiellen Eigenschaften, symbolisiert auf gut sichtbaren Emblemen: Camel = Coolness. Dolce & Gabana = italienische Eleganz. Jil Sander = vornehme Schlichtheit. Porsche = sportliches Durchsetzungsvermögen. Und so weiter. Wer das Produkt besitzt, bekommt angeblich auch persönlich etwas von dessen Aura ab.
Mit Rationalität hat dieses Spiel wenig zu tun. Aber es funktioniert so lange, wie sich die Kosumenten den Regeln der Markenkonzerne unterordnen und etwas auf den Sockel stellen, was gar nicht zu greifen ist – wie im Märchen von „Des Kaisers neue Kleider“.
Gekauftes Glück hat kurze Dauer
Natürlich ist es im Interesse der – wachstumsfixierten – Wirtschaft, dem Kunden möglichst oft Kauferlebnisse zu bescheren. Darum gibt es den Trend, Produkte möglichst schnell veralten zu lassen, anders ausgedrückt: ihre Obsoleszenz (wie obsolet – überflüssig geworden) herbeizuführen. Dafür gibt es verschiedene Varianten:
Die geplante Obsoleszenz ist Teil einer Produktstrategie: Hier werden gezielt Schwachstellen in ein Produkt eingebaut, deren Reparatur unverhältnismäßig teuer oder unmöglich ist und die den Kunden daher zu einem baldigen Neukauf verleiten sollen. Ein beliebtes Beispiel ist die Seidenstrumpfhose mit programmierter Laufmasche.
Die funktionelle Obsoleszenz bezieht sich vor allem auf technische Geräte: In PCs, Handys, Digitalkameras, Fernseher, die heute verkauft werden, ist deren Veralterung immer schon eingebaut. Die ständige technische Weiterentwicklung und die immer kürzeren Innovationszyklen bei technischen Geräten erscheinen uns beinahe schon als Naturgesetz: Das neue Betriebssystem läuft eben nur auf dem neuen Rechner.
Und natürlich spielt die Industrie gern mit der psychischen Obsoleszenz: Wenn diverse Bekannte plötzlich das schick designte neue Smartphone aus der Tasche ziehen, erscheint das in die Jahre gekommene eigene Handy plötzlich ziemlich unansehnlich. Dagegen gerät dann auch gern die Frage in den Hintergrund, ob man meint, auch nur 50 % der neu gebotenen technischen Features zu brauchen.
Die Motivation für den ständigen Neuerwerb von Dingen können also ganz vielfältig sein – doch gemeinsam ist ihnen: Der mündige Verbraucher hat in diesen Modellen nur wenig Platz. Er wird zum Getriebenen und kann sich allenfalls der psychischen Obsoleszenz entziehen, wenn er bereit ist, gegen den Strom zu schwimmen.
Konsum als sinnstiftende Tätigkeit?
I shop, therefore I am. So lautet das konsumkritische Statement der US-amerikanischen Künsterlin Barbara Kruger. Der Mensch vergewissert sich seiner selbst nicht mehr durch Denken, sondern durch Kaufen und Besitz. Damit diese Gleichung aufgehen kann, benötigt man schon ein arg eingeschränktes Selbstverständnis.
- Werbung erzeugt die Illusion, dass es glücklich macht, ein Produkt zu besitzen. Meistens finden wir das Objekt aber schlagartig weniger interessant, sobald es uns gehört. Das Begehren richtet sich schnell auf etwas anderes. Mit diesem Spiel aus Werbung und Kaufreiz bleibt man immer in Bewegung wie ein Windhund, der beim Rennen einem automatisch vor ihm hergezogenen Kaninchenfell hinterher hetzt – anstatt sich zu besinnen und beständigeren Glücksfaktoren zuzuwenden.
- Die eigene Kreativität droht auf der Strecke zu bleiben, wenn man weiß, dass für jedes Bedürfnis bestimmt irgendwo ein perfekt designtes Produkt / eine perfekt durchdachte Dienstleistung / eine perfekt formulierte Information angeboten wird. Anstatt das eigene Hirn auf Trab zu bringen, entscheidet man sich lieber für das Vorproduzierte. Am Ende schmeckt das eigene Leben wie ein Menü aus lauter Fertigprodukten.
Zum Beispiel bekommt man heute zu ganz persönlichen Familienereignissen (Hochzeit, Geburt, Todesfall), passend zur Karte, bereits den fertigen Text angeboten. Anstatt Zeit und Empathie in einen selbst formulierten Text zu investieren, schreibt man einfach das vorgefertigte ab. Die persönliche Note bleibt dabei auf der Strecke. - Wenn Identität und Individualität durch Konsum konstituiert werden, bedeutet das umgekehrt: Je geringer die finanziellen Mittel, desto weniger Persönlichkeit lässt sich damit gestalten. Man wird dazu verleitet, über die eigenen Verhältnisse zu leben. Von vornherein im Nachteil sind die Unterschichten, wie der Autor Robert Misik es treffend ausdrückt: „Die Armen sind nicht nur arm, sie sind auch uncool.“
Bewusster Konsum – die Mühe lohnt sich
Was sind die Alternativen zum emotional überfrachteten Konsum, wie ihn uns die Werbeindustrie schmackhaft machen will? Wie bereits anfangs betont: Es geht nicht darum, Shoppen in Bausch und Bogen zu verdammen. Es kommt nur ganz einfach darauf an, dass man weiß, was man tut, und sich der Grenzen des gekauften Glücks bewusst ist. Wer sich nicht zum Spielball der Konsumindustrie machen will, der sollte sein Einkaufsverhalten bewusst reflektieren – und dabei gewonnene Einsichten auch in die Tat umsetzen.
Zunächst einmal lohnt es sich ehrlich zu fragen, inwieweit man in seinem Einkaufsverhalten wirklich mündig, d.h. nicht manipuliert, agiert. Greift man zu dieser oder jener Marke, weil man aus eigener Erfahrung von der Qualität überzeugt ist – oder weil man, souffliert von der Werbung, angenehme Eigenschaften damit verbindet? Braucht man wirklich die Funktionen des neuen Handys bzw. Smartphones, oder geht es darum, dass es einfach in ist? Ist es so schlimm, nichts zu kaufen, auch wenn ein sympathischer Verkäufer sich eine Viertelstunde Zeit genommen hat?
Ein ganz anderer Aspekt des bewussten Konsums betrifft die Frage, ob man sich auch mit den (sozialen und ökologischen) Herstellungsbedingungen des erworbenen Produkts identifizieren mag oder diese einfach ausblendet. Meist schauen wir nur auf das Endprodukt und seinen Preis – als verantwortungsvoller Konsument sollte man sich aber auch dafür interessieren, welche Vorgeschichte es hat. Es ist bekannt, dass die Billigpreise von H&M oder Kik zu einem wesentlich Teil durch die Ausbeutung von Textilarbeiterinnen in fernen Entwicklungsländern zustanden kommen. Ziemlich unappetitlich, aber ein Teil deutscher Lebensmittelrealität ist die grausame Massentierhaltung. Wenn man sich solche Vorgeschichten vor Augen führt, kann man sich weder an einem H&M-T-Shirt für fünf Euro noch an Putenhaxen für 2,22 € pro Kilo erfreuen.
Preiswerten, schnellen Konsum erkauft man sich also häufig mit einem schlechten Gewissen gegenüber Mensch, Tier und Umwelt (sofern man sich denn auch nur einen Funken für diese Kriterien interessiert). Zugegeben, das Thema macht keine gute Laune. Aber wenn alle Verbraucher den Kopf in den Sand stecken und nur auf die billigen Preise schielen, wird sich an unwürdigen Arbeitsbedingungen und grausamer Tierquälerei nie etwas ändern.
Mehr denken, weniger shoppen
Und zu guter Letzt: Der Mensch ist mehr als die Summe dessen, was er konsumiert. „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“ sollten allenfalls das Beiwerk sein. Man kann sich an der Funktion und auch an der Ästhetik materieller Dinge freuen, aber sie helfen ihrem Besitzer nicht, seine Persönlichkeit zu konstituieren. Es sind die individuellen Charaktereigenschaften, Erfahrungen, Kenntnisse, Interessen und Standpunkte, die den Menschen eigentlich ausmachen.
In seinem berühmten Essay „Was ist Aufklärung“ stellte Immanuel Kant bereits vor 200 Jahren die Wechselwirkung von gedankenlosem Konsum und Unmündigkeit dar: „Es ist so bequem, unmündig zu sein. (…). Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann.“
Im Hier und Jetzt bedeutet das: Die eigene Persönlichkeit zu entwickeln und zu kultivieren, seine eigenen Prioritäten und Werte zu setzen, macht mehr Arbeit als shoppen zu gehen. Die Glitzerwelt des Einkaufs-Malls lenkt allzu häufig vom wesentlichen ab.
Das, was man kauft, macht vielleicht ein Stück des Lebensinhalts aus, sofern es um die reine Ware geht. Aber wenn man die Mechanismen unserer Konsumgesellschaft kühl betrachtet, dann erkennt man, dass hier mit jeder Menge Illusionen gehandelt wird – von Glück, Anerkennung, Stil, Erfolg. Wer sich solche hohen Güter tatsächlich zueigen machen will, muss ein bisschen mehr tun, als einfach nur das Portemonnaie zu öffnen.
Annette Floren
© Die Zweite Aufklärung 2012
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