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Lobbykratie-BuchcoverGeld schießt nicht nur Tore, damit lassen sich auch politische Entscheidungen „kaufen“. Und zwar immer häufiger. Zu diesem Ergebnis kommen Markus Balser und Uwe Ritzer, im Hauptberuf Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung. In ihrem Buch „Lobbykratie“ belegen sie dies mit zahlreichen Fallstudien. Doch fallen ihre Lösungsvorschläge zur Bekämpfung des Lobbyismus genauso überzeugend aus?

Das Verdienst dieses Buches wird schon nach wenigen Seiten Lektüre klar: Es macht deutlich, dass der Lobbyismus in Deutschland eine neue, erschreckende Dimension erreicht hat – quantitativ wie qualitativ. „Die Wirtschaft steuert ihre Lobbyisten heute so aggressiv, so geschickt und filigran wie noch nie“, schreiben die Autoren Markus Balser und Uwe Ritzer. „Lange machte kein echter Lobbyskandal mehr die Runde. Nicht etwa, weil der Lobbyismus an Intensität verloren hätte. Sondern weil sich seine Methoden raffiniert verfeinern. Politiker treffen auf immer mehr spezialisierte, clevere Interessenvertreter.“

Da wünscht man sich fast die guten alten Zeiten zurück. In den ersten vier, fünf Jahrzehnten der Bundesrepublik waren es vor allem die großen Verbände, allen voran der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHT), die bei Anhörungen des Bundestages, aber auch bei den viel zitierten „Hinterzimmer-Gesprächen“ mehr oder minder erfolgreich Einfluss auf politische Entscheidungen nahmen. Aber auch andere Fachverbände und nicht zuletzt die Gewerkschaften wirkten auf die Politik ein. Mit dem Aufkommen der sozialen Bewegungen in den 1980ern gründeten sich freilich auch immer mehr Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace oder Human Rights Watch, die oft mächtig gegenhielten gegen die Einflüsterer aus der Wirtschaft.

 

Lobbyisten wirken nicht mehr nur in der Lobby, sondern im öffentlichen Raum

Diese Entwicklung wird im Buch nicht explizit nachgezeichnet, sondern nur angedeutet. Der Band setzt vielmehr direkt in der Neuzeit an und arbeitet vor allem zwei jüngere Entwicklungen heraus. Erstens, dass die Verbände an Bedeutung verloren haben und es vor allem die großen Unternehmen sind, die ihre eigenen Interessen direkt vor Ort, ob in Berlin oder in Brüssel, durchzusetzen versuchen. Zweitens, die Lobby-Aktivitäten setzen nicht mehr nur unmittelbar in der Politszene an, vielmehr sollen sie auch ein wohlwollendes öffentliches Meinungsklima herstellen.

Kapitalisten, q.Für die Feinarbeit hinter den Kulissen werden oft große Kanzleien wie Clifford Chance oder Linklaters engagiert, manchmal werden aber auch spezialisierte Anwälte mit exklusiven Beziehungen zu den Entscheidern ins Rennen geschickt. Um die öffentliche Meinung einzustimmen, kommen vor allem auf Public Affairs spezialisierte PR-Agenturen sowie vermeintlich unabhängige „Denkfabriken“ und Stiftungen gezielt zum Zuge. Das alles muss finanziert werden, weshalb der Untertitel des Buches auch heißt: „Wie die Wirtschaft sich Einfluss, Mehrheiten, Gesetze kauft.“ Balser/Ritzer wollen mit ihrem Buch „das System dahinter aus dem Dunkel holen.“ Es geht ihnen darum, „die Strategien professioneller Lobbyisten aufzudecken und so Sensibilität zu schaffen für eine Gefahr, die uns alle angeht.“

Dazu reihen sie eine Vielzahl von Fallstudien aneinander – unter anderem aus der Nahrungsmittelindustrie, aus der Energiebranche, aus der Zigarettenindustrie. Einige Fälle sind bekannt, andere neu recherchiert. Lobbyisten suchen das persönliche Gespräch mit den Entscheidern, zuweilen formulieren sie ganze Gesetze (mit), manchmal gründen sie ihre eigenen „Bürgerinitiativen“ und, wenn sie es für nötig halten, üben sie auch massiv Druck auf die Politiker aus. Das Totschlagargument lautet dann „Arbeitsplätze sichern!“. Besonders dreist und alarmierend sind aber die durchaus erfolgreichen Vorstöße der Lobbyisten im Bildungssektor. So liefern Mercedes, Persil und Tetra-Pak „Unterrichtsvorlagen“ für Schulen, die die Lehrer auch dankbar einsetzen. Der Versicherungsriese Allianz lässt sogar „Finance Coaches“ zu Schulen ausschwärmen.

Markus Balser

Die Fallstudien zeichnen sich durch eine enorme Detailtiefe aus. Sie sind brillant formuliert im typischen Seite-3-Stil der Süddeutschen Zeitung. An einigen Stellen ist man als Leser überrascht, wie es den Autoren gelungen ist, ihre Gesprächspartner zu einer entlarvenden Offenheit zu verführen – wo doch klar sein musste, dass keine Werbebroschüre für den Lobbyismus entstehen würde. An anderen Stellen sehen sich die Autoren allerdings auch gezwungen, Zusammenhänge zu erahnen und über mögliche oder tatsächliche Seilschaften zu spekulieren – etwa wenn es um die SPD und ihr „Russland-Netzwerk“ geht. Hier kommt man dann auch immer stärker ins Grübeln. Weniger weil die Autoren zuweilen in der Glaskugel lesen (müssen), sondern weil sich der schlimme Verdacht erhärtet, dass in diesem Buch nur eine sehr kleine Spitze des Eisberges sichtbar wird. Wie groß ist der tatsächliche Einfluss der Rüstungslobby bei Waffengeschäften?, fragt man sich. Welche Verbindungen bestehen zwischen den großen deutschen Autoherstellern und dem Bundesverkehrsministerium, wenn es zum Beispiel um die Auf- bzw. Verdeckung von Abgasskandalen geht? Und, wenn es um die ganz großen Fragen dreht: Wer oder was hat Kanzlerin Merkel beim Flüchtlingsthema zu ihrem „Wir schaffen das“ bewegt? Ihre christliche Nächstenliebe oder die Fachkräfte suchende Großindustrie? Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

 

Reichen allein schärfere Regeln und mehr Transparenz?

Balser/Ritzer sehen die Gefahr, dass „die wachsende Lobbymacht starker Wirtschaftsakteure soziale und ökologische Belange an den Rand“ drängt. Und, wenn sich die Entwicklung fortsetzt, sogar eine „Lobbykratie“ entstehen könnte: „Eine Schattenwelt jenseits demokratischer Kontrolle“, in der die offiziellen demokratischen Prozesse zu einer leeren Hülle verkämen. Dies könnte man freilich noch weiter ausführen, als es die Autoren getan haben: Weiterer Vertrauensverlust der Bürger, Verschärfung der politischen Glaubwürdigkeitskrise, Entstehung eines postdemokratisch-autoritären Systems.

Uwe Ritzer

Uwe Ritzer

Was also tun? Balser/Ritzer sprechen sich gegen generelle Verbote aus, der Wissenstransfer aus der Wirtschaft (wie aus den NGOs) in die Politik habe schließlich auch seine Vorteile. Aber sie fordern mehr Transparenz und feste Regeln für den gesellschaftspolitischen Comment der Lobbyisten. Dabei sehen sie weniger diese als die Politik in der Pflicht. Die Politiker sollten stärker auf Distanz zu den Lobbykraten gehen, fordern Balser/Ritzer. Sie sollten für ausreichende eigene fachliche Kapazitäten sorgen. So müssten zum Beispiel Ministerien personell so gut ausgestattet sein, dass sie Gesetzesvorlagen aus eigener Kraft gestalten könnten. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Forderung Nummer zwei: Das existierende Verbänderegister des Deutschen Bundestages, das nur eine freiwillige Registrierung kennt, müsste durch ein obligatorisches Lobbyregister ersetzt werden. In diesem Register müssten alle Lobbyisten offenlegen, für wen sie arbeiten und welche (finanziellen) Mittel sie einsetzen. Vor allem die Unionsparteien, aber auch Teile der SPD sperren sich schon seit Jahren gegen ein solches Pflichtregister.

Balser/Ritzer liegen vollkommen richtig mit ihren Forderungen. Damit würden allerdings auch nicht mehr als Minimalstandards der politischen Hygiene eingeführt. Die Autoren betonen selbst am Ende ihres Buches, dass eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Lobbyismus und seinen kariösen Folgen für die Demokratie überfällig wäre. Und zu Beginn ihres Buches benennen sie auch die akute Gefahr, dass das Primat der Politik vom Primat der Wirtschaft abgelöst wird. Weite Teile der Gesellschaft seien ökonomisiert. Gesellschaftliche Problemlösungen würden häufig nur noch in den engen geistigen Grenzen ökonomischer Logik diskutiert. All dies ist freilich einer großen, mächtigen Umwälzung geschuldet, die den Namen Neoliberalismus trägt. Die dramatische Ausbreitung des Lobbyismus, der eben nicht mehr nur im Vorraum des Parlaments, der Lobby, stattfindet, sondern inzwischen Teil aller Sphären der Gesellschaft geworden ist, stellt nur eine Komponente dieser Umwälzung dar. Eine Verbesserung wird nur möglich, wenn hier ein gesamtgesellschaftliches Rollback stattfindet.

Markus Balser/Uwe Ritzer: Lobbykratie. Wie die Wirtschaft sich Einfluss, Mehrheiten, Gesetze kauft. München 2016. 360 Seiten. 19,99 Euro.

© Die Zweite Aufklärung 2016 (Titelfoto: Stockwerk/Fotolia, „Kapitalisten“-Foto: Pholidito/Fotolia, Autorenfotos: DroemerKnaur)

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Prof. Lutz Frühbrodt

Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Professor für "Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation" an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zu kommunikations- und wirtschaftspolitischen Themen. Spezialgebiet Mediensoziologie. Zuvor ein knappes Jahrzehnt Wirtschaftsreporter bei der "Welt"-Gruppe - als Teilstrecke seines Marsches durch die Institutionen. Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität in seiner Heimatstadt Berlin. Volontariat beim DeutschlandRadio Kultur.

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