Die Statements von Siemens zum Thema Content Marketing klingen wie aus dem Lehrbuch: Kunden interessierten sich nun einmal mehr für Themen als für Unternehmen und ihre Produkte. Die Unternehmens-Statements müssten daher in die Themen-Beiträge eingeflochten werden und nicht andersherum. Nur so gelänge das „Customer Engagement“, nur so bekäme man deutlich höhere „Conversion Rates“ (also messbare Kunden-Reaktionen) als bei klassischer Werbung.

Das sagt jedenfalls Michael Stenberg, Vice President Digital Marketing bei Siemens, im Youtube Video „How Siemens approaches Content Marketing“:

Siemens hat als Mischkonzern ein breit ausdifferenziertes, technisch komplexes und daher erklärungsbedürftiges Produkt- und Leistungsspektrum, und das stellt hohe Anforderungen die Kommunikationsarbeit. Organisatorisch setzt der Konzern auf einen 50-köpfigen Newsroom mit engem Draht in die jeweiligen Fachabteilungen. Inhaltlich sieht Siemens seine große Chance offensichtlich im Storytelling, um den Nutzen seiner Produkte anhand konkreter Begebenheiten und Problemstellungen zu verdeutlichen.

  • Die Corporate Website enthält mehr erzählerische Beiträgen als offizielle Konzern-Verlautbarungen: Erfolgsgeschichten, Erfinderportraits, Anwendungsszenarien nehmen breiten Raum ein und tragen vielleicht dazu bei, dass die Website pro Monat über zwei Millionen Besucher verbuchen kann.

 

  • Im globalen Mitarbeiter-Blog erscheinen nahezu täglich neue Beiträge. Mitarbeiter und Gast-Autoren lassen sich über aktuelle Siemens-Projekte aus, die allerdings nicht unbedingt gefällig daherkommen („getriebelose Mühlenantriebe für Kupfermine“). Das Blog mit dem Themenschwerpunkt „Smart Grit“ greift dafür ein umweltpolitisch wichtiges Projekt auf.

 

  • Stolze zehn verschiedene Titel zu seinen unterschiedlichen Geschäftsfeldern gibt Siemens als Kundenmagazine heraus. „Welche Technologien werden unser Leben in zehn oder zwanzig Jahren prägen?“, fragt Siemens zum Beispiel in dem Magazin „Pictures of the Future“. Kennt Siemens, jenseits der theoretischen technischen Machbarkeit, wirklich die Antwort darauf? Im Magazin „Urban DNA“ gibt Siemens Einblicke in die „Smart Cities“ der Gegenwart und Zukunft, in denen intelligente Technik für wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Fortschritt sorgen sollen.

 

  • Nachhaltig, verantwortungsbewusst und medial sehr professionell gibt sich der Siemens-Energy-Channel. Auch hier gilt: Thema (Energiewandel, Ressourceneffizienz, Zukunftsszenario 2050) sticht Produkt. Falls Siemens und seine Dienste doch einmal in den Vordergrund rücken, dann oft mit gefälligen Formaten wie Filmen und reportageartigen Beiträgen („Auf Nachtschicht in Lodi“). Siemens Energy bestückt außerdem einen eigenen, sehr aktiven Twitter-Kanal mit über 100.000 Followern.
Eine "Answers"-Episode aus Russland: Wie ein Herzchirurg mit Siemens-Technologie Leben rettet

Eine „Answers“-Episode aus Russland: Wie ein Herzchirurg mit Siemens-Technologie Leben rettet

  • Das Video-Projekt „Answers“ (derzeit auf Youtube nicht abrufbar) liefert(e) kurze Filme über Menschen, die von Siemens-Technologie profitieren. Gute Geschichten zu erzählen lautet die Mission, und dafür engagiert Siemens auch renommierte Filmemacher. Die werden von Siemens gebrieft, haben dann aber freie Hand, eine Geschichte zu entwickeln: Ein übergreifendes Thema, ein Held/eine Heldin, ein Spannungsbogen, eine Veränderung im Laufe der Geschichte. So portraitiert der Answers-Film „Against Time“ einen russischen Herzchirurgen im rastlosen Einsatz für seine Patienten. Im Beitrag „Flame of Inspiration“ erzählt eine Schauspiellehrerin aus New York von einer Schülerin, der es gelang, ihren schwierigen familiären Hintergrund als Teil ihrer selbst zu akzeptieren. Die Dienste von Siemens für diese Helden werden ganz diskret im Abspann eingeblendet: Der Siemens-Hochgeschwindigkeitszug zwischen Moskau und Petersburg erlaubt es dem russischen Herzspezialisten, schnell zur nächsten lebensrettenden Operation zu eilen. Und die New Yorker Freiheitsstatue als Symbol von Freiheit und Inspiration wird unter anderem mit Siemens-Produkten baulich in Schuss gehalten, wovon dann irgendwie auch die New Yorker Schauspielschülerin inspiriert wird. Trotz der ziemlich willkürlichen Verknüpfung zwischen Geschichte und Auftraggeber scheint das Kalkül aufzugehen. Gegenüber der Fachzeitschrift „Absatzwirtschaft“ gab Siemens an, dass sich elf Prozent der Zuschauer im Durchschnitt von der Answers-Geschichte, die ganz weit weg beginnt, bis zur am Ende eingeblendeten Produktseite durchklickten.

Geräuschlos, qualitativ, professionell – Siemens reizt alle Möglichkeiten aus, um seine Botschaften in ansprechende Stories zu gießen. Diese atmen den Geist von kritikloser Technik- und Forschungsgläubigkeit und nutzen dafür geschickt die menschliche Neugierde, einen (zwangsläufig unzuverlässigen) Blick in die Zukunft zu werfen. Originär politische Themen – wie kommunale Selbstverwaltung und Energiewende – werden als „Smart Cities“ und „Smart Grids“ zu einer vorrangig technologischen Herausforderung umgedeutet.

© 2016 Die Zweite Aufklärung (Titelfoto: www.siemens.com/presse)

 

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