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Über 100 Tote beim Brand in pakistanischer Textilfabrik. Gehäufte Selbstmorde beim IT-Hersteller Foxconn in China. Solche Nachrichten können einem schon mal den Spaß am günstigen T-Shirt oder am neuen iPhone verderben – wenn man sich klar macht, dass unsere schönen bunten Konsumprodukte zum Teil unter sehr hässlichen Arbeitsbedingungen produziert werden. Der Gedanke des Fair Trade, des gerechten Handels mit Erzeugern und Zulieferern aus Entwicklungs- und Schwellenländern, setzt dem das Engagement für ein faires, bewusstes, soziales und ökologisch orientiertes Wirtschaften entgegen.

Wenn die Produkte in den Kaufhausregalen sprechen könnten, dann würden sie uns manche traurigen Geschichten erzählen von Hungerlöhnen, Ausbeutung, fragwürdigen Chemikalien und abenteuerlichen Transportwegen. Jeder Konsument möchte zwar gern fair und sauber hergestellte Produkte haben – doch offensichtlich sorgen weder das Marktgeschehen noch die Politik dafür, dass wir nur solche bekommen. Zum Glück kann der mündige Verbraucher selbst aktiv werden: Noch nie gab es eine so breite Palette an Fair-Trade-Produkten und so zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten dafür wie heute.

Mittlerweile werden 70 % des Umsatzes mit dem Fairen Handel in Deutschland in konventionellen Lebensmittelgeschäften, Supermärkten und Discountern erzielt. Vorbei sind die Zeiten, als man Fair Trade Kaffee nur in den ehrenwerten, aber manchmal doch etwas trutschigen Eine-Welt-Läden bekam und dieser Kaffee dann auch ziemlich bitter schmeckte. Seit dem Jahr 2000 hat sich der Umsatz fair gehandelter Produkte in Deutschland nahezu verzehnfacht; 2010 lag er bei 400 Mio. €. Der Trend ist ungebrochen. Während die Lebensmittelbranche insgesamt unter stagnierenden Umsätzen leidet, gibt es bei Fair-Trade-Waren einen ordentlichen Boom.

Dennoch: Der faire Handel stellt nicht nur eine hippe neue Warengruppe für die hungrige Konsumgesellschaft dar, und es geht an seinem Wesen geradewegs vorbei, ihn als Strategie für die Erschließung neuer Wachstumsmärkte zu begreifen. Im Gegenteil grenzt sich Fair Trade von unserem üblichen Marktgeschehen ab – möglichst viel Ware für möglichst wenig Geld – und bereichert es um eine andersartige, nachhaltige Komponente: nämlich das Engagement von Produzenten, Händlern und Käufern für eine gerechtere Wirtschaftsordnung.

 

Standards und Kontrollen statt nur schöner Worte

Welche Qualitätsmerkmale verbergen sich hinter dem Begriff „Fair Trade“? Der Begriff ist nicht geschützt und damit der Gefahr ausgesetzt, für Marketingzwecke missbraucht zu werden. De facto hat der seriöse Faire Handel nicht nur das Interesse des Endverbrauchers im Blick. Er fragt stattdessen zuerst einmal danach, ob den Bauern und Arbeitern in Entwicklungsländern, durch deren Hände das Produkt zuerst geht, ein menschenwürdiges Leben möglich ist. Folgende wesentliche Elemente machen Fair Trade aus:

  • Langfristige, partnerschaftliche Beziehungen zwischen Erzeugern und Händlern
  • Garantierte, kostendeckende Mindestpreise für Produzentengruppen meist über dem lokalen Marktpreis
  • Umweltschonende Produktion
  • Einhaltung der internationalen Arbeitsbedingungen, keine Kinder- und Zwangsarbeit, gesunde Arbeitsbedingungen
  • Recht auf Mitsprache in den Unternehmen und Gewerkschaftsbildung
  • Zusätzlich zum Kaufpreis Zahlung einer festgelegten Fair-Trade-Prämie, die in soziale Projekte vor Ort fließt, z.B. Bildungs- und Gesundheitsmaßnahmen

Offizielles Siegel der Fairtrade Labelling Organization (FLO)

Um ökologisch und sozial korrekte Produktionsweisen zu kennzeichnen, hat sich in Deutschland das Gütesiegel der Fairtrade Labelling Organization International (FLO) durchgesetzt. Deren Tochtergesellschaft FLO-CERT GmbH mit Sitz in Bonn vergibt das „Fairtrade“-Siegel an Produzenten, nachdem sie diese entsprechend überprüft und vor Ort inspiziert hat. Das grün-schwarz-blaue Logo gibt beim Einkaufen also eine sichere Orientierung. Allerdings befinden sich noch mehr Gütesiegel im Umlauf, da deren Handhabung rechtlich nicht geregelt ist. World Fair Trade Organization (WFTO), Naturland Fair, Rapunzel oder Rainforest Alliance vergeben eigene Embleme für Fair-Trade-Produkte. Hinzu kommen produktspezifische Label (z.B. für Blumen, Bananen oder Teppiche). Darüber hinaus bieten alle Produkte des Wuppertaler Handelshauses GEPA Gewähr für die Zahlung von Mindestpreisen an die Hersteller und langfristige, faire Handelsbeziehungen. Die Aufzählung ist sicher nicht vollständig – um weitere Fair-Trade-Anbieter im Einzelfall einschätzen zu können, ist es immer geboten, sie nach ihren Standards und ihrer Preispolitik zu fragen.

 

Keine 100-Prozent Garantie

Die genannten Siegel bieten eine wichtige Orientierung, um bei „fair“ beworbenen Produkten sicherzugehen, dass der Begriff nicht irreführend und zu reinen Marketingzwecken gebraucht wird. Doch obwohl sie strengen Auflagen unterliegen, können all diese Siegel leider keine 100%ige Fairness-Garantie geben:

Zum einen beziehen sie sich meist nur auf die Produzenten einer Ware, nicht aber auf die darauffolgende Handelskette. Wenn also der chilenische Bauer gerecht bezahlt wird, der die Kaffeebohne erntet, so muss das Gleiche noch nicht für die deutsche Lidl-Verkäuferin gelten, die den verpackten Kaffee über den Scanner zieht. Zum anderen macht die Produktzusammensetzung die Sache zusätzlich komplex: Mischprodukte wie Eiscreme oder Schokolade bestehen gleich aus einer ganzen Reihe von Einzelprodukten. Es ist in solchen Fällen kaum möglich, eine 100%-Fair-Trade-Quote zu erreichen.

Angesichts dieser beiden Dilemmata hilft nur ein pragmatischer Ansatz: Besser ein Produkt verfügt über teilweise Fair-Trade-Merkmale als gar keine; besser es profitiert ein Glied in der Produktionskette von verbesserten Bedingungen als gar keins. Entsprechend gilt bei FLO-Cert z.B.  die Regel, dass das Siegel verliehen wird, sofern mindestens 20 % der Wareninhalte unter Fairtrade-Bedingungen produziert wurden. Naturland legt mit 70% einen deutlich strengeren Maßstab an.

 

Wer bekommt wieviel bei Fair Trade?

Verbraucher, die sich für Fair-Trade-Produkte entscheiden, dürften in aller Regel mehr dafür zu bezahlen bereit sein als für herkömmliche Waren. Doch wer garantiert, dass diese Großzügigkeit nicht missbraucht wird? Wer sorgt dafür, dass tatsächlich nur die reinen Fair Trade-Kosten dem „normalen“ Kaufpreis aufgeschlagen werden, am besten noch sauber aufgeschlüsselt?

Generell gilt: Der Fair Trade-Aufschlag muss nicht unbedingt hoch sein; kleine Aufpreise in den Industrieländern bedeuten oft schon große finanzielle Verbesserungen für die Menschen in den ärmeren Teilen der Welt. Relativ transparent ist die Lage zum Beispiel beim Kaffee, wie eine Erläuterung der der Transfair eV. zum Kaffeepreis zeigt:  Der Mindestpreis liegt bei 1,40 $ pro Pfund, wenn der aktuelle Weltmarktpreis darüber liegt – wie derzeit mit 1,80 $ – wird stattdessen der Weltmarktpreis gezahlt. Zusätzlich erhalten die Bauern die Fairtrade-Prämie von 0,20 $ pro Pfund. An Fairtrade Deutschland werden 0,11 $ Lizenzgebühren gezahlt, wovon ein Drittel für Standardsetzungen und Beratung des Produzenten genutzt wird.

Bei industriell gefertigten Produkten, also zum Beispiel Bekleidung, ist der Kostenanteil für das Rohmaterial viel geringer. Das fair zu gestaltende Element besteht hier vor allem im Lohn für die Arbeitskräfte, dessen Anteil am Verkaufspreis z.B. einer Jeans oder eines Turnschuhs bei nur einem Prozent oder sogar darunter liegt (während etwa 25 bis 30 Prozent Marge vom Kaufpreis für die Markenfirma einkalkuliert sind). Das bedeutet, dass eine Verdoppelung des Lohnes für den ostasiatischen Arbeiter den Endpreis gar nicht nennenswert in die Höhe treiben würde. Doch in Branchen mit hartem Preiskampf – wie dem Textilhandel – scheinen manchmal selbst kleine Preissteigerungen zugunsten der produzierenden Arbeiter schwer durchsetzbar.

Leider gestaltet sich die Preispolitik für Fair-Trade-Produkte mitunter ebenso intransparent wie bei normalen Produkten. Und die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass vom „fairen“ Preisaufschlag nur ein geringer Teil sozialen und ökologischen Zwecken zugutekommt und im übrigen die Großen in der Handelskette ordentlich daran verdienen. Doch dieses Risiko sollte nicht als Totschlagargument herhalten. Konstruktiver ist es, auf anerkannte Standards, bekannte Siegel und eine ehrliche, nachvollziehbare Preispolitik zu drängen.

Annette Floren

Literaturtipp:
Martina Hahn / Frank Herrmann: Fair einkaufen – aber wie? Der Ratgeber für Fairen Handel, für Mode, Geld, Reisen und Genuss. 4. erweiterte und überarbeitete Auflage, Juni 2012. 340 Seiten. 24,90 €.

© Die Zweite Aufklärung 2012

 

 

 

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Annette Floren

Annette Floren ist studierte Geisteswissenschaftlerin und heute Projektmanagerin / Prokuristin eines Berliner IT-Unternehmens, wo sie unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit verantwortet. Anfang 2014 rundete sie ihr Profil als Kommunikationsexpertin mit dem Abschluss "PR-Referentin / PR-Beraterin" ab. Ihr Credo im Job und bei der Zweiten Aufklärung: "Man muss die Dinge so einfach wie möglich machen. Aber nicht einfacher." (Albert Einstein). Annette Floren behandelt bei der Zweiten Aufklärung insbesondere Themen wir saubere PR, CSR, Gutes Leben.

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