Content Marketing, die viel beschworene PR-Variante, simuliert Journalismus. Und oft sind es ehemalige Journalisten, die diese „inhaltsgetriebene“ Auftragskommunikation betreiben. So auch beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Der hat für diesen Zweck extra einen Newsroom eingerichtet. Ein Ortstermin.

Christoph Hardt will die Kommunikation des GDV offensiver gestalten (Foto: GDV)

„So hat das früher hier auch ausgesehen“, sagt Christoph Hardt nicht ohne Stolz und zeigt auf einen angrenzenden Gebäudetrakt mit Einzelbüros. Wir stehen im Newsroom des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in Berlin-Mitte. Hardt – früher beim Handelsblatt, dann bei Siemens und nun Kommunikationschef beim GDV – hat Anfang 2014 die Etage zunächst entkernen und dann einen Newsroom einrichten lassen: Das weitläufige Großraumbüro mit den gediegen-modernen Möbeln in Weinrot und Chrome bietet Platz für mittlerweile 27 Mitarbeiter. Seit Hardt die GDV-Kommunikation leitet, hat die Abteilung ihr Personal um 50 Prozent aufgestockt. Zehn Mitarbeiter haben einen journalistischen Hintergrund, an den Schaltstellen sitzen ehemalige Redakteure der Ende 2012 eingestellten Financial Times Deutschland.

Warum die Versicherer eine so offensive Kommunikation betreiben, liegt auf der Hand. Sie genießen gemeinhin nicht den besten Ruf. „Das klassische Lobbying reicht nicht mehr aus“, sagt Kommunikationschef Hardt. Und auch: „Deshalb wollen wir mit unserer Kommunikation erreichen, dass ein realistisches, also positives Bild der Versicherungsbranche bei den Meinungsmachern und Entscheidungsträgern entsteht.“

 

„Reine PR-Botschaften funktionieren nicht mehr“

Wie das beim GDV funktioniert? „Wir betreiben eine Verbandskommunikation, die journalistische Arbeitsweisen und Prozesse integriert hat“, so Hardt. „Dies macht auch einen wesentlichen Teil unserer Aktivitäten aus.“ Die Inhalte müssten „überzeugen und relevant sein“, ergänzt Newsroom-Leiter Jörn Paterak. Nur so seien die Zielgruppen der Multiplikatoren, Entscheider, Redakteure, Blogger, Verbraucher und Versicherer zu erreichen. „Mit dem Absenden bloßer PR-Botschaften kriegen Sie niemanden dazu, unsere Beiträge im Web zu teilen, unseren Newsletter zu abonnieren oder uns auf Twitter zu folgen.“.

Ob er sich denn als Journalist verstehe? Paterak antwortet mit einem klaren Nein. „Dafür bin ich im traditionellen Sinne nicht unabhängig genug“, sagt er und fügt fast im selben Atemzug an: „Das heißt aber nicht, dass man mit journalistischem Know-how nicht trotzdem spannende oder nutzwertige Geschichten erzählen könnte.“ Folglich heißt die Devise: Versuchen, das sexy zu machen, was ziemlich nüchtern wirkt. Versicherungen und ihr Drumherum.

Jörn Paterak (l.), Leiter des Newsrooms, und Thomas Wendel, Chefredakteur des GDV-Magazins "Positionen". Beide waren zuvor bei der Financial Times Deutschland. Foto: Frühbrodt

Jörn Paterak (l.), Leiter des Newsrooms, und Thomas Wendel, Chefredakteur des GDV-Magazins „Positionen“. Beide waren zuvor bei der Financial Times Deutschland. Foto: Frühbrodt

„Textschwäche ist eine der großen Herausforderungen für die Unternehmenskommunikation“, findet Hardt und spielt damit darauf an, dass Journalisten gemeinhin als die besseren Texter gelten. So hat er beim GDV ein dreiköpfiges Reporterteam installiert. Daneben gibt es ein Team für die Mitgliederkommunikation, das die Versicherungsunternehmen von Allianz bis Wüstenrot informiert. Es gibt eines für die klassische Medienarbeit, die „Pressestelle“. Eines für „Multimedia“, das die GDV-Website, das Fernsehen sowie die sozialen Medien bespielt. Und schließlich ein Team für die „Fachkommunikation“, das zum Beispiel aus Datensätzen der Versicherungsbranche Themen herausfiltert und teilweise auch textlich aufbereitet.

Die fünf Teams finden unter der Woche jeden Morgen um 9 Uhr 30 an einem stylischen Sitzungstisch zusammen, um ihr jeweiliges Tagesprogramm zur Diskussion zu stellen. Bei Journalisten nennt sich das Redaktionskonferenz. Früher habe man stärker tagesaktuell gearbeitet, inzwischen werde zwei bis drei Wochen im Voraus geplant, erläutert Newsroom-Leiter Paterak. Richtig zeitnah werde nur noch bei Krisen reagiert. Was auch einige Branchenjournalisten monieren, die nach eigener Aussage spürbar länger als früher auf Antworten auf ihre regulären Anfragen warten müssen.

 

Content Marketing spielt eine zentrale Rolle

Ähnlich wie bei Unternehmen existiert zudem eine Langfristplanung für die großen Themen, die der GDV voranbringen will. Die Digitalisierung der Versicherungsbranche etwa oder die Relevanz der Altersvorsorge für die jüngere Generation. Content Marketing spielt dabei eine zentrale Rolle. Die meisten Inhalte sind auf der GDV-Website in einem virtuellen Newsroom zu finden. Seit einiger Zeit stellt der Verband aber auch „Verbrauchervideos“ bei YouTube ein. Im September 2015 hat der GDV eine zusammen mit dem Allensbach-Institut durchgeführte Demografie-Studie über die „Generation Mitte“ der 30- bis 59jährigen veröffentlicht, freilich um damit vor allem eigene Themen zu positionieren.

Ausschnitt aus dem GDV-Magazin „Positionen“: Demnach ist der Verbraucher in der Rolle des Supermanns.

Und schließlich gibt es noch einen Klassiker der Unternehmenskommunikation, das Verbandsmagazin Positionen, das der Ex-Journalist Thomas Wendel leitet und mit den hauseigenen Reportern, freien Mitarbeitern und vor allem zusammen mit einer speziellen Abteilung („Corporate Solutions“) des Axel-Springer-Konzerns produziert. Mal liefern große Container-Schiffe und ihre teuren, mithin hoch versicherten Frachten die Titelstory, dann steht – einigermaßen überraschend für einen Unternehmensverband – der Verbraucherschutz im Mittelpunkt. Eine Umarmungsstrategie? GDV-Präsident Alexander Erdland sieht im Verbraucherschutz „eine Chance“ und kündigt an: „Wir wollen den Dialog suchen.“ So wird der Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands interviewt. Im Haupttext kommen dann vor allem GDV-Funktionäre und Versicherer zu Wort. Eine fast perfekte Simulation von Journalismus also.

© Die Zweite Aufklärung 2015 (Titelfoto: Brian Jackson/Fotolia)

 

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Prof. Lutz Frühbrodt

Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Professor für "Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation" an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zu kommunikations- und wirtschaftspolitischen Themen. Spezialgebiet Mediensoziologie. Zuvor ein knappes Jahrzehnt Wirtschaftsreporter bei der "Welt"-Gruppe - als Teilstrecke seines Marsches durch die Institutionen. Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität in seiner Heimatstadt Berlin. Volontariat beim DeutschlandRadio Kultur.