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In Teil 1 haben wir erzählt, wie Heinz Adameck zum Intendanten des Deutschen Fernsehfunks aufgestiegen ist und wie er unter Machthaber Walter Ulbricht agiert. Teil 2: Dessen Nachfolger Erich Honecker lässt zunächst die Zügel locker, was dem DDR-Fernsehprogramm gut tut. Doch ab Ende der Siebziger herrscht wieder ein strenges Regiment, was auch Intendant Adameck zu schaffen macht. Er passt sich dennoch an und verliert mit der Wende 1989 seinen Job.

Gegen die Langeweile: „Ein Kessel Buntes“

Im Laufe des Jahres 1971 übernimmt „Kronprinz“ Erich Honecker die Macht des alten und kränkelnden Walter Ulbricht. Honecker hat noch fünf Jahre zuvor gegen die West-Tendenzen in der DDR-Kultur und damit auch im Ost-TV gewettert. Nun schlägt er plötzlich ganz andere Töne an. So verkündet der neue Generalsekretär 1972 auf dem VIII. Parteitag der SED: „Unser Fernsehen, das auf gute Leistungen zurückblicken kann, sollte verstärkt bemüht sein, die Programmgestaltung zu verbessern, eine bestimmte Langeweile zu überwinden, den Bedürfnissen nach guter Unterhaltung Rechnung zu tragen…“ Honeckers Postulat richtet sich gleichwohl an den gesamten Kulturapparat der DDR: Seine Worte läuten eine kurze Ära der Liberalisierung ein, in der auch stilistisch außergewöhnliche Filme wie „Die Legende von Paul und Paula“ möglich werden.

Adameck, der gerade noch straffe Führung und Themenvorgaben von politischer Seite im Geiste der „sozialistischen Unterhaltungskunst“ gefordert hat, sieht sich mit einem Mal heftig attackiert. „Ja, das mit der Langeweile ist im Grunde genommen gemein gewesen“, blickt Adameck zurück. „Denn Hauptursache für die Langeweile waren ja die vielen Eingriffe und Verbote von oben. Das wusste jeder, mindestens der kleinste Parteifunktionär und im Fernsehen alle.“ Was der Intendant geflissentlich verschweigt: Er wirkt selbst sehr aktiv bei den Zensurmaßnahmen und Einschüchterungen mit.

Die einhundertste Sendung von „Ein Kessel Buntes“ am 23.9.1989. „Ulknudel“
Helga Hanemann moderiert und stellt direkten Kontakt mit dem Publikum her. Foto: Bundesarchiv

Aber, geschmeidig wie Adameck nun einmal ist, versteht er die Botschaft Honeckers und setzt diese in die Praxis um. In der DDR-Programmzeitschrift „FF-dabei“, dem zentralen Kommunikationskanal zu den Zuschauern, verspricht er Anfang 1972 eine bessere Qualität der Fernsehspiele und –filme: „Es geht um mehr Ideenreichtum und inhaltliche Tiefe, um neue künstlerische Handschriften und reife künstlerische Gestaltung.“ Tatsächlich kehrt mehr leichte Unterhaltung in das TV-Programm ein. Unter anderem durch Komödien wie „Aber Vati!“ (1974 und 1978) mit einem alleinerziehenden Vater und den Zwillingssöhnen Kalle und Kulle im Mittelpunkt. „Aber Vati!“ erzielt mit 77 Prozent die höchsten Einschaltquoten des DDR-Fernsehens, die es jemals gegeben hat. Andere Mini-Serien folgen.

Um einigermaßen das Fernweh vieler Ostdeutscher zu lindern, produziert das DDR-Fernsehen zwischen 1974 und 1976 den höchst erfolgreichen Neunteiler „Zur See“. Das Frachtschiff „J.G. Fichte“ und seine Crew, bestehend aus den damals populärsten Schauspielern des DDR-TV, läuft dazu auch nach Lateinamerika aus. 1986 folgt mit „Treffpunkt Flughafen“ eine ähnlich gestrickte Serie, die neben Kuba auch in Vietnam und Angola gedreht wird. Sie hat etwas mehr Anspruch vom Inhalt her und erhält etwas weniger Zuspruch von den Zuschauern her. Regelrechten Kultstatus erlangt die 16-teilige Spionage-Serie „Das unsichtbare Visier“ (1973-1979), die in Zusammenarbeit mit der Stasi entsteht. Für Jugendliche – bisher nicht gerade von der Programmplanung verwöhnt – startet 1973 die Sendung „rund“, in der neben FDJ-Funktionären internationale Popstars und DDR-Rockbands wie die „Puhdys“ auftreten. Wenige Jahre zuvor wäre es noch undenkbar gewesen, dass solche als westlich und dekadent gebrandmarkten Gruppen medienöffentlich in Erscheinung treten.

Die politische Komponente tritt jedoch nicht völlig in den Hintergrund, sondern bekommt nur einen etwas anderen Einschlag. Durch die neue Entspannungspolitik mit dem Westen sieht die DDR-Führung plötzlich ihre große Chance, auch auf dem internationalen Parkett Anerkennung zu finden und damit als gleichrangig mit der Bundesrepublik angesehen zu werden. Dies gelingt auf der politischen Ebene 1973 mit der Aufnahme in die Vereinten Nationen. Auf dem kulturellen Feld richtet Ost-Berlin im selben Jahr die Weltfestspiele der Jugend und Studenten aus, die – auch durch Teilnehmer:innen aus westlichen Ländern – zu einer Art „Woodstock des Ostens“ werden.

Auch im Unterhaltungssektor will die DDR-Führung ihren Anspruch formulieren, eine eigenständige Nation zu sein und damit ein „sozialistisches Nationalbewusstsein“ zu pflegen oder zumindest zu formen. Dies wird am stärksten daran deutlich, dass sich der Deutsche Fernsehfunk 1972 in „Fernsehen der DDR“ umbenennt. Aber auch regionale Kulturtraditionen werden aufgewertet. Seit 1964 gibt es bereits den „Oberhofer Bauernmarkt“. Ab 1972 darf der Entertainer Lutz Jahoda „Mit Lutz und Liebe“ durch eine zweite Sendung führen, in der er alte Schlager mit neuen Texten versieht und in der DDR-Schlagersänger gerne auch mal Volkslieder zum Besten geben. Zudem gibt es mehr Aufführungen von regionalen Theatern und Kabaretts sowie von sogenannten Volkskunst-Kollektiven im Fernsehen zu bestaunen. Das Programm „läßt eine größere Breite und Vielfalt erkennen“, lobt Adameck Ende 1974 seine eigene Arbeit im „Neues Deutschland“.

Zum Inbegriff der neuen Ära wird jedoch „Ein Kessel Buntes“, eine Gala-Show am Samstagabend, die alle zwei Monate gesendet wird. „Der Kessel“, wie er allenthalben genannt wird, setzt einen Kontrapunkt zu ähnlichen Sendungen im Westfernsehen wie „Die Rudi Carrell Show“ (ab 1974 „Am laufenden Band“), „Der goldene Schuss“ oder „Einer wird gewinnen“. Die Sendung soll die ganze Familie vor dem Bildschirm vereinen, durch heiter-kritische Sketche, durch Schlagersänger aus dem Osten, aber auch durch Stars aus dem Westen. Mireille Mathieu und Katja Ebstein treten im „Kessel“ auf, ebenso Dalida und sogar Abba. Der Publikumsrenner wird weit über 100 Mal ausgestrahlt, bis weit über die „Wende“ 1989 hinaus. Auch das sowjetische und tschechoslowakische Fernsehen zeigen sich als dankbare Abnehmer.

Die Moderator:innen wechseln über die Jahre. Das gehört zum Konzept der Sendung. In der Anfangszeit moderieren jedoch gemeinsam die Kabarettisten Manfred Uhlig (der Sachse), Lutz Stückrath (der Berliner) und Horst Köbbert (das Nordlicht). Sie treten als „Die drei Dialektiker“ in Erscheinung und geben der Sendung mit ihren eigenen Sketchen, mit denen sie den DDR-Alltag zuweilen bissig aufs Korn nehmen, eine besondere Würze. So dreht beispielweise Uhlig einen Streifen Tapete durch eine Handmangel und fragt die beiden anderen: „Na, was ist das?“ Köbbert: „Na, was ist das? Das ist Tapete!“ Darauf Uhlig wieder: „Nein, das ist Mangelware!“ Das Publikum im Saal grölt auf. „Die drei Dialektiker“ pflegen damit genau die „bürgerliche Zotenkomik“, die Adameck ein Jahrzehnt zuvor noch heftig angeprangert hat. Hier allerdings ergänzt um Seitenhiebe auf östliche Mangelwirtschaft und Bürokratie.

Geraten bei den Aufzeichnungen hochrangige Funktionäre in den Blick der Fernsehkameras, machen sie meist gute Miene zum bösen Spiel. Doch hinter den Kulissen gefriert das gönnerhafte Lächeln schnell. Es dauert nicht lange, bis die Hardliner im Politbüro mit einem „Kesseltreiben“ beginnen. 1977 zählt zum Beispiel ein Redakteur der FDJ-Zeitung „junge welt“ Adameck in der „Fernsehpressekonferenz“, einer Fernsehsendung übers Fernsehen, wegen der „etwas müde gewordenen“ Drei Dialektiker an und fragt nach ihrer Ablösung. Für DDR-Verhältnisse eine ungewöhnliche (vielleicht aber auch vorher abgesprochene) Verbaloffensive. Adameck kündigt daraufhin an, dass sich das Trio bald verabschieden muss und künftig Auszüge aus Kabarett-Programmen verschiedener Ensembles gezeigt werden sollen.

Dies ändert jedoch kaum etwas an der Fortsetzung der bissigen Alltagskommentierungen. So wird im „Kessel“ eine Szene aus dem Programm der Berliner „Distel“ aufgeführt, in der sich ein Bauarbeiter auf eine Beule im Badezimmer eines Neubaus setzt, diese dadurch aber nur ins Wohnzimmer gedrückt wird. Setzt sich der Bauarbeiter auf die Beule im Wohnzimmer, rutscht diese wieder ins Bad zurück. Eine kaum verhohlene Anspielung auf architektonische Fehlkonstruktionen und Pfusch am Bau. Daraufhin startet Konrad Naumann, seines Zeichens Berliner SED-Bezirkssekretär, eine Kampagne gegen den „Kessel“, unter anderem durch Hetzartikel im „Neues Deutschland“.

Die Sendung wird fortan stärker unter die Kuratel der Parteifunktionäre gestellt. Die Parteifunktionäre und, in ihrer treuen Gefolgschaft, Heinz Adameck ziehen die Daumenschrauben der Zensur stärker an und zwar für das gesamte Fernsehen, als die DDR Ende 1976 den Liedermacher Wolf Biermann nach einem Auftritt im Westen gegen seinen Willen ausbürgert. Ein Teil, ein durchaus wesentlicher, begehrt daraufhin gegen die Ausbürgerung auf, die SED reagiert wiederum mit Repressionen gegen ihre Kritiker:innen. Es entsteht eine Atmosphäre der Konfrontation.

Intrigen in der „Geschlossenen Gesellschaft“

Anfang 1978 kommt dann auch noch ausgerechnet Werner Lamberz bei einem Hubschrauber-Absturz in Libyen ums Leben. Lamberz ist im Politbüro, dem obersten Gremium der SED, für Agitation und damit auch fürs Fernsehen zuständig. „Der hatte einfach einen Nerv für das Medium, für die Künstler, für die Kunst“, würdigt Adameck seinen direkten Vorgesetzten posthum. Er habe „sich und mir manchen Ärger eingehandelt, aber er hat einiges gedeckt, was wir da in Gang gesetzt haben.“ Lamberz kann aber weder dauerhaft seine schützende Hand über „Die drei Dialektiker“ halten noch den repressiven Umschwung nach dem Biermann-Abgang verhindern. Und dann ist auch er, Lamberz, ganz weg.

Auf den vergleichweise offenen Lamberz folgt Joachim Herrmann, früherer Chefredakteur des „Neues Deutschland“ und einer der Anführer der Hardliner-Fraktion. Ausgerechnet. Herrmanns harte Hand wird vor allem am Umgang mit dem Film “Geschlossene Gesellschaft“ deutlich. Lamberz hat den Film von Frank Beyer, einem der renommiertesten, aber auch unbequemsten DDR-Regisseure, 1977 genehmigt. Ende November 1978 sendet das DDR-Fernsehen das fertige Produkt um kurz vor halb elf Uhr nachts. Ganz gezielt, denn wochentags schauen weniger als zehn Prozent der DDR-Bevölkerung nach 22 Uhr Fernsehen, so hat es die Zuschauerforschung ermittelt. Danach verschwindet der Streifen bis Ende 1989 im sogenannten Giftschrank.

Armin Müller-Stahl und Jutta Hoffmann im Ehedrama „Geschlossene Gesellschaft“. Beide Schauspieler gehen bald danach in den Westen. Foto: Gerd Platow/Deutsches Rundfunkarchiv

Der Film ist für DDR-Verhältnisse in der Tat nicht ohne. Der Ingenieur Robert, gespielt von DDR-Star Armin Müller-Stahl, und seine Frau Ellen, gespielt von der Charakterdarstellerin Jutta Hoffmann, machen zusammen mit ihrem kleinen Sohn in einem abgelegenen Ferienhaus Urlaub. Hier sind sie fast allein auf sich zurückgeworfen und bilden eine „geschlossene Gesellschaft“. Robert und Ellen erholen sich nicht und nähern sich auch nicht aus ihren jeweils separaten Lebenswelten einander an, vielmehr brechen zunehmend offene Konflikte zwischen den beiden aus. Die Ehekrise ist da, eine Trennung bahnt sich an. Der Film erinnert entfernt an die berühmten „Szenen einer Ehe“ (1973) von Ingmar Bergmann. Er ist aber deutlich handlungsärmer, da er weniger dramatische Wendungen aufweist. Damit fokussiert er aber auch auf den Ehekrach.

„Geschlossene Gesellschaft“ hat kaum direkte gesellschaftspolitische Züge, dennoch lässt sich eine Botschaft herauslesen: Die DDR erfreut sich in den 1970ern zwar eines wachsenden materiellen Wohlstands, doch ist dies noch längst keine Garantie für menschliches Glück – eher im Gegenteil. Zivilisations- und Konsumkritik, wie sie auch im Westen längst gang und gebe ist. Die dominierenden Gefühle des Films sind Isolierung, Entfremdung, Ratlosigkeit und Resignation. Nicht ohne Grund spielt der Titel des Films auf das existentialistische Drama gleichen Namens von Jean-Paul Sartre an. Zu allem Überfluss gehören Müller-Stahl und Hoffmann zu den Unterzeichner:innen einer Künstler-Petition gegen die Biermann-Ausweisung. Es soll ihr jeweils letzter DDR-Film vor der Ausreise in den Westen bleiben. Ein paar Jahre später verhängt die DDR-Führung ein „Aufführungsverbot“ für alle Künstler, die das Land verlassen haben.

In einer „Vertraulichen Dienstsache“ der Programmdirektion, die auch über Adamecks Schreibtisch geht, heißt es über „Geschlossene Gesellschaft“: „Das ist ein Film, der von revisionistischen und damit feindlichen Positionen her den realen Sozialismus verleumdet. Es ist ein Angriff auf die Grundwerte unserer Gesellschaft…“ In Hinblick auf den künstlerischen Anspruch satteln die TV-Inquisitoren noch einen drauf: „Es ist außerdem ein Film, der künstlerisch sehr schwach ist, langweilig und elitär, der modernistische Gestaltungsformen nachäfft, die im Kapitalismus längst abgehalftert sind.“ Mithin also ein Streifen, der auf avantgardistisch macht, es im kulturell maßgebenden Westen aber nicht mehr wäre? Die herausragenden schauspielerischen Leistungen von Hoffmann und Müller-Stahl fallen völlig unter den Tisch.

1978 fliegt Sigmund Jähn als erster Deutscher mit einer Sowjetrakete ins All. Das DDR-Fernsehen begleitet das Spektakel live vom Berliner Alexanderplatz. Foto: Bundesarchiv

Die Hetzschrift soll vor allem dazu dienen, an Hans Bentzien, dem Leiter des Bereichs „Dramatische Kunst“ des Fernsehens der DDR, ein Exempel zu statuieren. Auch die Stasi sammelt nun fleißig Material über Bentzien. Ein Inoffizieller Mitarbeiter will beobachtet haben, dass „einige politische Unklarheiten“ bei Bentzien aufgetreten seien, ja sogar Zweifel an der Politik Erich Honeckers. Zudem unterstütze der Kulturchef des DDR-Fernsehens angeblich Autoren, die ähnliche Zweifel hegten. Bei einer folgenden Parteiversammlung verurteilen die meisten Mitarbeiter, die das Wort ergreifen, den Film aufs Schärfste. Hans Bentzien, der bereits Anfang der 1960er seine Position als DDR-Kulturminister verloren hat, wird nun ein weiteres Mal degradiert und auf eine unbedeutende Position versetzt.

Zum neuen Chef der „Dramatischen Kunst“ beim Fernsehen der DDR steigt Erich Selbmann auf, bisher Leiter der „Aktuellen Kamera“. Selbmann ist also ein lupenreiner politischer Journalist, mit Kultur hat er bisher nichts am Hut gehabt. Ein Aufpasser also, ein Zensor. Bei dem gesamten Prozess um die „Geschlossene Gesellschaft“ und den Abschuss Bentziens spielt Heinz Adameck eine unrühmliche Rolle. Er hat den Film anfänglich verhindern wollen, hat sich aber nicht durchsetzen können. Anfang 1979 versichert er Stasi-Offizieren in einem internen Gespräch, dass Regisseur Frank Beyer kaltgestellt bleibe und er Erich Selbmann den Rücken stärken wolle. Selbmann ist nun auch Adamecks Stellvertreter. (2)

Joachim Herrmann – der Brüllaffe

Schenkt man den Worten Adamecks Glauben, bedeutet die Berufung Joachim Herrmanns zum Polit-Aufseher des DDR-Fernsehen einen noch „größeren Rückschlag“ für die Kunstfreiheit als das 11. ZK-Plenum Ende 1965. Das Plenum hat seinerzeit fast die gesamte Jahresproduktion der DEFA verboten, aber auch hart im Fernsehprogramm eingegriffen. In den ersten Jahrzehnten, so Adameck, sei immerhin noch diskutiert worden: „Wie ist denn deine Meinung? Es wurde noch einigermaßen miteinander umgegangen. Aber nachher vollzog sich das in schrecklichen Zuständen – bis zum Brüllen: Damit ist Schluss!“ Joachim Herrmann hat in Adlershof schnell seinen Spitznamen „Brüllaffe“ weg. Oft handelt Herrmann dabei im vorauseilendem Gehorsam gegenüber seinem direkten Vorgesetzten Erich Honecker.

Herrmann stimmt sich fast täglich mit dem Partei- und Staatschef ab. Aber nicht nur mit diesem. „Montags hat das Politbüro in der siebenten Etage immer gemeinsam gegessen und dann kam Herrmann immer mit einer vollgeschriebenen Serviette zurück: ‘Das geht nicht und das geht nicht und das müsst ihr rausschmeißen.‘ Meine Reaktion war immer: Da brauch‘ ich einen Beschluss, denn das verantworte ich nicht“, erinnert sich Adameck. „Was diese Eingriffe dann immer für ein Krach brachten …“ (1)

Montags hat das Politbüro in der siebenten Etage gemeinsam gegessen und dann kam Herrmann immer mit einer vollgeschriebenen Serviette zurück: ‘Das geht nicht und das geht nicht und das müsst ihr rausschmeißen.‘

Die harsche Zensurpolitik ab Ende der 1970er schlägt sich nicht nur auf informeller, sondern auch auf offizieller Ebene nieder. Fortan wird der TV-Jahreskalender von vorne bis hinten akribisch durchgeplant. Beim Monatsprogramm greifen nun auch einzelne Abteilungsleiter aus dem ZK verstärkt ein: Sie lesen Drehbücher und mischen sich bei den Abnahmen ein. „Nicht immer schlecht“, erinnert sich Heinz Adameck. „Aber meistens verbreiteten sie Schrecken.“ Für Adameck werden die Achtziger zur „schlimmsten Zeit“, behauptet er im Nachhinein.

Herrmann stößt wiederholt Drohungen aus, Adameck würde seinen Posten verlieren, doch keiner kann oder will ihn wirklich absägen. Und auch der Intendant klebt an seinem Stuhl: „Wenn man so etwas gegründet hat, verbindet einen viel mit der Mannschaft. Ich habe das alles den talentierten Fernsehleuten zu verdanken. Ich kannte jeden.“ Und weiter: „Es war bekannt, dass man zu mir immer kommen kann. Das Fernsehen war der Sinn meines Lebens, ich hätte mir keine andere Arbeit vorstellen können.“

Nach außen hin alles friedlich: Joachim Hermann (links) gratuliert Heinz Adameck 1981 zu seinem 60. Geburtstag. Foto: Bundesarchiv

Was also macht Adameck? Er schwenkt wieder rechtzeitig auf den aktuellen Kurs ein. In der Kultur wird das Publikum wieder mit rot durchtränkten Fernseh-Mehrteilern beglückt. „Die lange Straße“ von 1979 erzählt die Geschichte einer Arbeiterfamilie und damit die Entwicklung der DDR seit 1949. Die Story ist keineswegs platt und die robusten Eigenheiten der dargestellten Proletarier sorgen für den einen oder anderen dramaturgischen Widerhaken. Doch letzten Endes erweist sich der lange Weg in den real existierenden Sozialismus zwar als holprig, aber doch gut gangbar für jeden überzeugten Genossen.

Ein Jahr später folgt mit „Unser Mann ist König“ eine Mini-Serie, die im damaligen Hier und Jetzt angesiedelt ist. Der Werkmeister Gerhard König geht als Stadtverordneter eines Provinznestes in die Politik und hat dort mit einigen Problemen der Kommunalpolitik zu kämpfen, die er aber mit Menschlichkeit und einem eindeutigen Klassenstandpunkt stets zu lösen weiß. Ganz offensichtlich soll „Unser Mann ist König“ das langsam schwindende Vertrauen der DDR-Büger:innen in ihren Staat und ihre Politiker wieder herstellen.

1982 und dann noch einmal zwei Jahre später verordnet die Parteiführung dem DDR-Fernsehen Programmreformen, die im Wesentlichen beide den Spagat zwischen Parteilinie und Unterhaltsamkeit verlangen. So biegsam ist dann Adameck allerdings doch nicht. Die Mehrteiler verlagern ihre Sujets nun zunehmend ins Private und Persönliche. Zu den beliebtesten Mini-Serien zählt 1988 „Bereitschaft Dr. Federau“ mit Uta Schorn als Ärztin in der Hauptrolle – eine späte und sicher niveauvollere Antwort auf die „Schwarzwaldklinik“ (seit 1985). Schorn streitet mit ihren Kollegen von der „Schnellen Medizinischen Hilfe“, vergleichbar mit den Krankenwagen des Roten Kreuzes, und hält dann wieder mit ihnen zusammen wie Pech und Schwefel. Sie ist aber auch in ihrem Privatleben immer wieder vor Herausforderungen gestellt.

Ganz ähnlich geht es „Johanna“ (1988/89), der Straßenbahn-Fahrerin aus Ost-Berlin. Auffällig ist an diesen und anderen Produktionen, dass Frauen die Hauptrollen spielen. Hier bildet sich nun auch endlich der politische Emanzipationsanspruch der DDR auf mediale Weise ab. Und es soll dabei demonstriert werden, dass Beruf und Familie sich sehr wohl miteinander vereinbaren lassen – auch wenn es nicht immer ganz einfach erscheint. Mitte der Siebziger kam das Thema schon einmal auf und wurde von den Protagonisten in den Filmen, etwa dem Vierteiler „Eva und Adam“ (1973), viel kontroverser diskutiert als Ende der Achtziger. Aus der Art schlagen in dieser Zeit sicher zwei Monumentalwerke. Zum einen die Neuinszenierung des biografischen Films über den KPD-Führer Ernst Thälmann aus dem Jahr 1986. Bereits 1954/55 hat der Regisseur Kurt Maetzig einen arg geschichtsklitternden Propagandastreifen über Thälmann inszeniert. Auf Anweisung „von oben“ lässt Adameck nun anlässlich des 100.Geburtstages von Thälmann die zwei Teile des 240 Minuten langen, historisch ungenauen Heldenepos in einem Rutsch an nur einem Abend ausstrahlen. Das ist par excellence Kulturpolitik am Volk vorbei.

Deutlich mehr Beachtung und Zuspruch findet „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ von 1986. Der Sechsteiler thematisiert, basierend auf Vorlagen von drei einschlägigen Romanen, die meist angespannten sächsisch-brandenburgischen Beziehungen im 18. Jahrhundert. Bei „Sachsens Glanz“ handelt es sich nicht allein um einen aufwändig gestalteten Kostümfilm. Der Mehrteiler sei voller Anspielungen auf den heutigen Umgang mit Macht, will damals der Kritiker der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ beobachtet haben. Denn anlässlich des 750-jährigen Jubiläums der Stadt Berlin nimmt auch das West-Fernsehen den Historienfilm in sein Abendprogramm auf. „Das Fernsehpublikum, das unter dem Grundgesetz leben darf, hat Herrn Adameck zu danken“, überschlägt sich der FAZ-Autor in ungewohnter Ehrerbietung.

Adameck wiederum bedankt sich für die Devisen, die er mit diesem Exportschlager einspielen kann. Diese braucht der DDR-Intendant dringend, denn hin und wieder muss das Ost-Fernsehen seinem Publikum auch teure Kost aus dem Westen servieren. Die Filme müssen selbstredend Kritik an der „imperialistischen Politik der NATO-Staaten“ üben und so bekommen die DDR-Zuschauer Filme wie „Gandhi“ (Indien), „Missing“ (Chile) oder „Under Fire“ (Nicaragua) zu sehen. Dies kann jedoch nichts daran ändern, dass sich die DDR-Bürger im Laufe der 1980er Jahre zunehmend von ihrem Staat abwenden. Und damit auch von ihrem Fernsehen.

Adamecks Abgang

Ende 1986 wird Heinz Adameck 65 Jahre alt und könnte eigentlich in Rente gehen. Doch er macht unverdrossen weiter und bekommt den Karl-Marx-Orden verliehen. Der „KMO“ ist die höchste politische Auszeichnung, die es in der DDR gibt, dotiert mit 20.000 Ost-Mark. Als bei einer Zeremonie Medienaufseher Joachim Herrmann Adameck den Orden ans Revers heftet, ist die Spannung zwischen den beiden unübersehbar. Es handelt sich aber offenbar eher um einen persönlichen Kleinkrieg. Denn politisch weicht Adameck vom offiziellen Kurs der DDR kein Jota ab. Und der heißt zu dieser Zeit: Gegensteuern gegen Gorbatschows Glasnost und Perestroika. Gerade Glasnost – mehr Transparenz, mehr Wahrhaftigkeit bei der Darstellung politischer Vorgänge – könnte eine attraktive Idee für journalistisch denkende Funktionäre sein. Und der Ansatz könnte auch Eingang in die Kulturredaktion finden.

Doch Adameck kann oder will nicht dazu gehören. In einer Rede auf einer Parteikonferenz Ende 1988 macht er klar, was er von Glasnost hält – ohne den Begriff auch nur einmal in den Mund zu nehmen. Vielmehr spricht er von „Stimmungen“, an denen man (= die SED) sich nicht zu sehr orientieren solle. Vorrangig sei immer noch die Parteidisziplin. Das Fernsehen bleibe „politisches Konsumgut für die Massen und keine Spielwiese für elitäre Überlegungen.“ Der Intendant gibt allerdings auch zu erkennen, dass er sich inzwischen in die Defensive gedrängt fühlt. Ja, es gebe hervorragende Werke, aber auch viel Mittelmaß und „regelrechte Versager“. Das Fernsehen der DDR werde seinen künftigen Produktionen eine „größere geistige Substanz“ verleihen und noch öfter „die wahren Lieblinge des Volkes“, also Stars, präsentieren. Dies wirkt fast schon etwas hilflos.

Adameck will seine DDR-Stars, bestehend aus Moderatoren und Schauspielern, noch größer als bisher herausbringen. Die „Fernseh-Lieblinge“ des Jahres 1987, der Preis ist eine Art Ost-Bambi. Foto: Bundesarchiv

Im Sommer und Herbst überschlagen sich die politischen Ereignisse in der DDR. Mitte Oktober 1989 müssen Machthaber Erich Honecker sowie weitere hochrangige Mitglieder des SED-Politbüros zurücktreten. Zum Nachfolger auf Abruf steigt Egon Krenz auf, bisher der zweite Mann im Staate. Adameck lehnt weiter jedwede „Fehlerdiskussion“ ab. Als bereits im November 1989 Hans Modrow auf Krenz folgt, muss nun auch der Dauer-Intendant seinen Hut nehmen. Später stellt es Adameck so dar, als sei er „aus eigenem Entschluss“ gegangen. Tatsächlich jedoch wird er als „nicht mehr tragbar“ geschasst und erhält zum Abschied nicht einmal ein Dankeschön. (2)

Im Nachhinein schildert Adameck die Ereignisse so, als hätte er bereits Anfang November Modrow, der damals noch nicht im Amt war, einen Brief geschrieben, in dem er nicht nur um seine Ablösung gebeten, sondern Hans Bentzien als seinen Nachfolger vorgeschlagen hätte, „weil er von den vielen Kandidaten noch das meiste vom Fernsehen verstand.“ Zehn Jahre zuvor hat Adameck nach dem Eklat um den Film „Geschlossene Gesellschaft“ kräftig mitgeholfen, dass Bentzien kaltgestellt wird.

Beim Fernsehen der DDR bleibt nun kein Stein auf dem anderen. Bereits im September 1989 beginnt das Jugendmagazin „Elf 99“ mit seiner Arbeit. Das Magazin stellt den verzweifelten Versuch der Staatsführung dar, das jüngere Publikum, das fast nur noch West-Fernsehen schaut, zurückzugewinnen. Die „Sendung“ soll etwas frecher und offener als frühere Jugendformate sein dürfen. Doch schnell entwickelt „Elf 99“ sein Eigenleben. Die rund zweistündige Sendung hat zwar auch unterhaltende Elemente. Besonderen Anklang und größte Resonanz finden aber die Reportagen über die DDR-Führung. Reportagen, die bis dato unmöglich gewesen wären.

DDR-Fernsehschauspieler demonstrieren am 4.11.1989 für Meinungs- und Kunstfreiheit. Voran im weißen Mantel: Herbert Köfer. Foto: Bundesarchiv

So müssen SED-Funktionäre nun plötzlich vor laufenden Kameras auch unbequeme Fragen beantworten. Und so kann zum Beispiel in einer „Elf 99“-Sondersendung ein Team weitgehend frei in der Waldsiedlung Wandlitz filmen. Fast die gesamte Staats- und SED-Führung ist nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 von Berlin-Pankow in diese hermetisch abgeriegelte Siedlung 20 Kilometer vor den Toren der Hauptstadt gezogen. Für die DDR-Bevölkerung ist Wandlitz Terra Incognita und vermintes Gelände in einem.

Wesentliche Teile der Fernsehbelegschaft beteiligen sich an der großen Kundgebung am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz, auf der viele Künstler und Politiker Kunst- und Meinungsfreiheit fordern. Schnell kann das DDR-TV so frei wie nie zuvor berichten. Verbotene Filme werden aus dem Giftschrank geholt. So zeigt das erste Programm Anfang Dezember 1989 auch noch einmal „Geschlossene Gesellschaft“ – diesmal zu einer deutlich besseren Sendezeit. Anfang 1990 wird das „Fernsehen der DDR“ wieder in „Deutscher Fernsehfunk“ umbenannt.

Doch das neue Label ändert nichts daran, dass die Tage eines eigenständigen Ost-Fernsehens gezählt sind. Mit der Wiedervereinigung im Oktober 1990 beauftragt die Bundesregierung Rudolf Mühlfenzl, ehemaliger Fernsehchef des Bayerischen Rundfunks und CSU-Mitglied, mit der Abwicklung des DFF – nicht nur gegen den Widerstand der massenhaft entlassenen Mitarbeiter, sondern auch unter Protest vieler Zuschauer. Diese hängen wenig an den politischen Sendungen, wohl aber an den Unterhaltungsformaten und Ratgebersendungen. Am 31.12.1991 strahlt der DFF seine letzten Sendezeichen aus.

Die neugegründeten Bundesländer ziehen es vor, Regionalsender zu gründen, die Teil der ARD-Familie werden. Brandenburg ruft den Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB) ins Leben, der 2003 mit dem Sender Freies Berlin (SFB) zum heutigen rbb (Rundfunk Berlin-Brandenburg) fusioniert. Mecklenburg-Vorpommern gliedert sich in den Norddeutschen Rundfunk (NDR) ein. Und Sachsen, Thüringen sowie Sachsen-Anhalt gründen gemeinsam den Mitteldeutschen Rundfunk. Gerade der MDR erweist sich bis heute als Hort medialer Ostalgie, indem er alte Sendungen aus Ost-Zeiten wiederholt und neue Sendungen über DDR-Alltagsthemen produziert.

Alte Getreue übermitteln Heinz Adameck Ende 2006 Geburtstagsgrüße über das „Neue Deutschland“.

Heinz Adameck bekommt von all dem nur noch wenig mit. Nach der Wende verdingt er sich als freier Medienberater, Journalist und Autor. Wenn er überhaupt aktiv wird, dann wohl eher hinter den Kulissen. Die Abwicklung des DDR-Fernsehens will er trotz Presseanfragen nicht kommentieren. Er befinde sich noch „im Prozess des Nachdenkens“, weicht er aus. Seine letzten Jahre verbringt er in einem kleinen Reihenhaus in Grünau, am Rande Berlins. Das Namensschild an seiner Haustür bleibt auch nach seinem Abgang weiter abgehängt. Gerade 90 Jahre alt geworden, verstirbt Heinz Adameck am 23. Dezember 2010. In der „Berliner Zeitung“ und im Berliner „Tagesspiegel“ erscheinen kurze Nachrufe auf ihn. Der Einspalter auf der Medienseite des „Tagesspiegel“ befindet sich direkt neben dem Aufmacher, einer Reportage über das „Dschungelcamp“ von RTL.

Kritische Würdigung: Adameck – Apparatschik und Eiertänzer

Neudeutsch gesprochen ist Heinz Adameck von Hause aus so etwas wie ein Personalmanager. Mit Verve arbeitet sich der SED-Funktionär jedoch in die Welt des Journalismus und des Fernsehens ein. Er ist Anfang 30, als er zum Intendanten berufen wird. Noch jünger ist das Fernsehen, dessen DDR-Ableger er von nun an dreieinhalb Jahrzehnte leiten wird. Mitte der fünfziger Jahre ist das TV noch ein Start-up. Dass es zum weltweit wichtigsten Massenmedium des 20. Jahrhunderts aufsteigen wird, ist noch nicht recht absehbar. Adameck steht deshalb nicht unter strenger Aufsicht seiner Partei, er genießt relativ viele Freiheiten bei der Programmgestaltung – nutzt diese aber kaum.

Warum zeigt sich Adameck so restriktiv? Er ist überzeugter Kommunist und ganz offensichtlich sehr geprägt von der Formalismus-Debatte, die vor allem die erste Hälfte der 1950er Jahre in der DDR geführt wird. Hardliner der SED lehnen stilistische Experimente grundweg ab – egal, ob in Literatur oder bildender Kunst, ob in Film oder Theater. Oder eben im Fernsehen. Im Mittelpunkt muss der heldenhafte Proletarier stehen, die Geschichte soll sich um ihn ranken. Ganz im Geiste dieses „sozialistischen Realismus“ greift Adameck führende DDR-Schriftsteller wie Christa Wolf und Günter Kunert auch noch einmal Ende der sechziger Jahre öffentlich an.

Eine mindestens genauso wichtige Rolle spielt der Umstand, dass die fünfziger und frühen sechziger Jahre eine der Hochphasen des Kalten Krieges bilden, mithin die Konfrontation zwischen Ost und West extrem scharf ist. Dies spiegelt sich in gegenseitigen Verbalattacken wider, die auch der ansonsten besonnene Heinz Adameck fährt. So nimmt er beispielsweise kurz vor dem Mauerbau 1961 an der TV-Talkrunde „Treffpunkt Berlin“ teil und wettert gegen die Politik des Westens. Dieser würde Menschenhandel betreiben und versuchen, im Osten Untergrundorganisationen zu schaffen. Der Gegner sei nämlich unter Zugzwang, denn schon angeblich eine Millionen Westdeutsche würden Ost-Fernsehen schauen.

Eng eingebunden in die Politik: Heinz Adameck, 2. vorne links, 1968 zu Gast beim Staatsrat, dem kollektiven Staatsoberhaupt der DDR. Foto: Bundesarchiv

Die Wahrheit ist jedoch eine ganz andere. Viele Millionen DDR-Bürger können West-Fernsehen empfangen und nutzen diese Gelegenheit auch. Damit hat die DDR eine knifflige Sonderstellung im Ostblock, denn das Fernsehen der DDR muss sich ständig am Fernsehen der BRD messen lassen. Und dieses wartet mit Unterhaltungssendungen auf, die zumindest auf den ersten Blick frei von politischer Indoktrination sind. Dies wünschen sich die meisten Zuschauer auch für ihr DDR-TV. Ihr Wunsch bleibt jedoch Wunschdenken bleiben, muss es sogar.

Auf anderen kulturellen Feldern wäre dieses Desideratum sicher leichter realisierbar gewesen als beim Fernsehen. Das Fernsehen ist jedoch Massenmedium, das zumindest in Zeiten einer auch technisch begrenzten Sendervielfalt seinem Publikum sowohl Sachinformationen als auch Unterhaltung und gehobene Kultur zur Verfügung stellt. Da die SED-Spitze bald die Potenziale des Fernsehens als Propaganda-Instrument ausschöpft, wäre es abwegig erschienen, neben dem ganzen Propaganda-Material Unterhaltungs- und Kultursendungen ohne jedweden ideologischen Ballast zu bringen. Dies hätte sich allzu sehr mit der sozialistischen Logik gebissen. Wie unsinnig dieser Ansatz jedoch ist, zeigt sich unter anderem daran, dass zwar immer wieder Produktionen über den antifaschistischen Heldenkampf gesendet werden, die eigentlichen Publikumsrenner aber ausgerechnet Filme aus den 1930er und 1940er Jahren sind.

Adameck muss also ständig einen Eiertanz vollziehen: Wieviel Unterhaltung ist möglich? Und wie „unpolitisch“ darf sie sein? Wo müssen die Belange, Interventionen und nicht zuletzt persönlichen Vorlieben der Partei-Granden berücksichtigt werden? Insgesamt gibt Adameck, der Funktionär, der Partei den Vorrang – womit er zugleich seinen Job dauerhaft sichern kann. Günter Herlt, Chefreporter des DDR-Fernsehens, erinnert sich: „Er musste eine Nase haben, einen untrüglichen Instinkt für die Großwetterlage. Er musste riechen, welche Bilder und Worte im ‘Großen Haus‘ Sodbrennen auslösen können. Er musste das seinen Mitarbeitern so nahebringen, dass diese zur Selbstverstümmelung bereit waren. Und sei es auch nur aus Mitleid mit ihm.“ (2)

Dies ist bei der politischen „Information“ sicher noch stärker der Fall als bei Kultur und Unterhaltung. Doch unter dem Strich führt das dazu, dass das Fernsehen der DDR enger an den gerade gültigen kulturpolitischen Vorgaben der SED klebt als etwa Film und Literatur. Selbst wenn sich, wie in den ersten Jahren nach dem Mauerbau, gewisse Spielräume eröffnen, nutzt sie der vorsichtige Adameck kaum. Die einzige wirkliche Ausnahme bilden die Jahre 1972 bis 1977 nach der Honecker-Inthronisierung. Hier ist künstlerisch und politisch wirklich mehr möglich als zu allen anderen Zeiten von 40 Jahren DDR-Existenz.

War Heinz Adameck in erster Linie ein Verhinderer, so war er immerhin streckenweise und in Einzelfällen auch ein Ermöglicher.

Dies mag auch am Zeitgeist liegen, der aus dem Westen in die DDR herüberweht. Filme mit offenen oder gar negativen Ausgängen, Sozialkritik und radikale Meinungen, soziale Außenseiter als Anti-Helden. Diese Ingredienzien bilden jedoch nur die Spezifika des Siebziger-Jahre-Westfernsehens (und Films) und werden dem Publikum danach nur noch in homöopathischen Dosen „zugemutet“. Das Westfernsehen bildet ohne Zweifel eine größere Meinungsvielfalt ab, allerdings nur innerhalb gewisser Grenzen. Es vermittelt ein breiteres Spektrum an Werten und ist problemorientierter, offener als sein östliches Pendant. Wenn auch nicht vordergründig politisierend, übt aber auch das bundesdeutsche TV eine immanent systemstabilisierende Funktion aus. Denn in den allermeisten Fällen sorgt das gut funktionierende Gesellschaftssystem in den TV-Storys doch immer für soziale Gerechtigkeit. So scheint es zumindest.

Was DDR-Produktionen von ihren westlichen Counterparts im positiven Sinne unterscheidet, ist die völlige Absenz kommerzieller Erwägungen. Bis Mitte der 1980er gibt es auch im Westen zwar nur rein öffentlich-rechtliches Fernsehen, doch vieles funktioniert auch hier nach den Regeln der Marktlogik, was sich am stärksten in der Einschaltquote als vermeintliche Ultima Ratio der Messung des Publikumsgeschmacks widerspiegelt. So versucht zum Beispiel die ARD, ab Mitte 1981 mit der US-Erfolgsserie „Dallas“ zu punkten, das ZDF zieht mit dem „Denver Clan“ nach. Beide Serien ergötzen sich in den Machtspielchen und ultrakapitalistischen Geschäftspraktiken ihrer Protagonisten. Darüber hinaus sollen auch brutale Krimis für gute Quoten sorgen.

Heinz Adameck macht wiederholt klar, dass sich das DDR-Fernsehen nicht auf platte gewalttätig unterlegte Unterhaltung einlassen werde. Ein Veto legt er auch gegenüber längeren Serien ein, bei denen die Handlung immer nur häppchenweise und ohne richtiges Ende verabreicht wird, um die Zuschauer dauerhaft bei der Stange zu halten. Vielmehr sollen geschlossene Geschichten in einem absehbaren Zeitraum erzählt werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Zumindest die Ideologie-armen Produktionen des Fernsehens der DDR zeichnen sich durch inhaltlichen Tiefgang und ausdifferenziertes Spiel ab, sind frei von Hollywood-geprägter Happy-End-Dramaturgie. Insofern gehören zumindest Teile der DDR-Fernsehproduktion zum wertvollen deutsch-deutschen Kulturfundus aus der Ära des Kalten Krieges. War Heinz Adameck in erster Linie ein Verhinderer, so war er doch immerhin in diesen Phasen und bei diesen Einzelfällen ein Ermöglicher.

Quellen

(1) Adameck, Heinz (2015): „Und ich hatte ja selbst die Fühler in der Gesellschaft“. Heinz Adameck (†) im Gespräch, in: Rundfunk und Geschichte, Nr. 1-2, S. 69-101.

(2) Behling, Klaus (2016): Fernsehen aus Adlershof. Das Fernsehen der DDR vom Start bis zum Sendeschluss. Berlin

(3) Steinmetz, Rüdiger/Viehoff, Reinhold (2008): Einleitung, in: Steinmetz, Rüdiger/Viehoff, Reinhold (Hg.), Deutsches Fernsehen OST. Eine Programmgeschichte des DDR-Fernsehens. Berlin, S. 21-64.

Darüber hinaus zahlreiche Artikel aus DDR-Tageszeitungen und –Zeitschriften sowie Sendungen des DFF und des Fernsehens der DDR, in denen sich Heinz Adameck äußerte. In diesem Sinne dankt der Autor dem Deutschen Rundfunk Archiv (DRA) für seine freundliche Unterstützung.

Nicht zuletzt dienten die erwähnten – und zum Teil auf DVD erhältlichen – Filme und Mini-Serien der thematisch-inhaltlichen Orientierung.

© Die Zweite Aufklärung 2022 (Titelbild: Klaus Winkler/Deutsches Rundfunkarchiv)

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Prof. Lutz Frühbrodt

Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Professor für "Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation" an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zu kommunikations- und wirtschaftspolitischen Themen. Spezialgebiet Mediensoziologie. Zuvor ein knappes Jahrzehnt Wirtschaftsreporter bei der "Welt"-Gruppe - als Teilstrecke seines Marsches durch die Institutionen. Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität in seiner Heimatstadt Berlin. Volontariat beim DeutschlandRadio Kultur.

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