Wenn männliche Tauben Lust auf Sex haben, dann buhlen sie mit allen möglichen Mitteln um die Aufmerksamkeit des Objekts ihrer Begierde: Sie plustern sich auf, recken den Kopf, gurren so laut sie können, tanzen wie irre im Kreis, laufen der Angebeteten hinterher. Solange die ihn ignoriert, setzt der Täuberich sein Gehabe fort und läuft ihr nach. Und wenn sie schließlich stehenbleibt, geht’s zur Sache. Genau so funktioniert Werbung. Nur dass sie nach dem Akt keine Ruhe gibt, sondern immer weiter balzt.
Mentale Umweltverschmutzung
Werbung breitet sich mit einer so riesenhaften Arroganz im Alltag aus, dass man meint, sie habe eine natürliche Daseinsberechtigung oder verfolge gar einen höheren Sinn. Höchste Stellen erkennen zwar an, dass bestimmte Werbeformen wie unterwünschte Telefonanrufe und E-Mail-Werbung eine Belästigung darstellen. Doch die vielfachen sonstigen Erscheinungsformen der Werbung – in Fernsehen, Internet, Zeitungen und Zeitschriften – sind nicht nur legal, wir empfinden sie auch in unserem Alltag als völlig normal und lassen uns gern von ihr Gesprächsstoff liefern.
„Mentale Umweltverschmutzung“ nennt dagegen der exponierte Konsumkritiker Kalle Lasn die Werbung. Es ist nichts Neues, dass Werbung Produkte verteuert und zweifelhafte Versprechungen macht, kurz: Kunden für Illusionen bezahlen lässt. Doch die Quantität und Qualität, die Werbung mittlerweile erreicht hat, führt noch eine andere Dimension vor Augen: Werbung reduziert uns so allgegenwärtig, multimedial und konsequent auf unsere Rolle als Konsument, dass viele Menschen diese Rolle – bewusst oder unbewusst – für sich akzeptieren. Konsumieren ist nicht mehr nur Lebensqualität, sondern formt die eigene Identität. Mit den Produkten, die ich benutze, drücke ich (etwas über) mich selbst aus. So redet es uns die Werbung ein und nimmt entsprechend geschickt ihre Zielgruppen und deren Möchtegern-Bild von sich selbst ins Visier.
Um Menschen zu kommerziellen Zwecken zu beeinflussen, ist fast jedes Mittel recht. Vorbei sind die Zeiten, da nur Zeitung, Radio, Fernsehen und Plakatwände als Werbeträger fungierten. Nicht nur das Internet ist mit ganz eigenen Methoden hinzugekommen. Die Palette reicht von Sky-Writing bis zu Bandenwerbung, von Werbegeschenken bis zum Videospiel, von der Münchner Allianz-Arena bis zur Mercedes Benz Fashion Week in Berlin.
Der Bürger zahlt drauf – mit Geld und Aufmerksamkeit
„Werbung ist doch harmlos“, mögen viele denken, „man kann doch selbst entscheiden, ob man sich davon beeindrucken lässt oder nicht.“ Ganz so einfach ist es nicht. Denn der Kunde kann kaum unbeteiligt von Werbung bleiben, es zahlt kräftig drauf: Einmal mit seinem Geld – denn es ist klar, dass der Werbeaufwand für ein Produkt im Endpreis wieder hereingeholt werden muss. Und zweitens mit seiner Aufmerksamkeit. Denn natürlich heischt die Werbung mit besonders effekthascherischen Mitteln danach, vom Kunden bemerkt zu werden, und sorgt damit für beständige Ablenkung.
Werbung stellt einen handfesten Wirtschaftszweig dar. Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehen und Internet-Nachrichten hätten ohne Werbung eine riesige Finanzierungslücke. Der Anteil der Internet-Werbung wächst stetig an, auf Kosten der klassischen Werbegattungen wie TV und Print-Medien.
Uneingelöste Versprechen
Früher lauteten Werbebotschaften: „In unserer Gaststätte ist das Essen gut, reichlich und billig.“ Wenn man unterstellt, dass das alles stimmt, ist dies eine Bekanntmachung und Information. Heute ist allenfalls noch Investitonsgüterwerbung nutzorientiert und informativ und für den Verstand verwertbar. Sobald aber Privatverbraucher im Visier sind, klimpert die Werbung vor allem auf der Klaviatur der Emotionen.
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Besinnt man sich auf die existenziellen Bedürfnisse des Menschen, so denkt man bestimmt nicht an Kaufen, Kaufen, Kaufen. Sondern an Sicherheit. Gesundheit. Liebe. Gemeinschaft. Erfolgserlebnisse. Anerkennung. Darum bettet die Werbung ihre Produkte in diesen Wohlfühl-Kontext ein und lässt dazu noch fast immer die Sonne scheinen. Joghurts werden von dankbaren Kindern in der modernen Küche des Eigenheims gelöffelt. Nach Einnahme des Abführmittels startet die eben noch bedrückte Frau dynamisch in den sonnigen Tag. Die Milch und der Kakao verlieben sich unsterblich und verschmelzen zu einer wundervollen Schokolade. So verheißen profane Produkte ein Vorankommen in der großen menschlichen Glückssuche, mit der sie in Wirklichkeit nichts zu tun haben. Manchmal bewirken sie in der Realität sogar das Gegenteil.
- Der Beworbene bekommt Bilder, Farben und Musik zu sehen und zu hören, die meistens in positiver Form an seine Wünsche, selten in negativer Form an seine Ängste appellieren. Dass unsere Medien heute viel stärker von der Visualisierung leben, oft auch mit musikalischer Untermalung, kommt den Suggestionen der Werbung sehr entgegen: Bilder und Melodien prägen sich einfach besser ein als Worte, mit ihnen lässt sich leichter aufs Gefühl abzielen. Kein Wunder, dass viele beworbene Produkte, so unterschiedlich sie auch sein mögen, gern im emotional besetzten Kontext mit Kindern, Tieren (oh, wie niedlich!) oder Liebespaaren (oh, wie romantisch!) präsentiert werden.
- In einer Zeit, da wir im Supermarkt zwischen 20 verschiedenen Zahnpasta-Sorten die Auswahl haben, geht es nicht mehr um die eigentlichen Produkteigenschaften. Die tatsächlichen Unterschiede sind in der Regel so winzig, dass sich darauf keine Werbung aufbauen lässt. Also kommt es darauf an, dem Produkt ein Image zu geben oder noch besser: eine Aura. Der Ware wird also ein Zusatznutzen angeheftet, der einen bestimmten Lebensstil oder bestimmte persönliche Eigenschaften symbolisiert: Marlboro – kein Fall für „Maybe“-Typen. Und was hat das eine mit dem anderen zu tun? Rein gar nichts.
- Konsequenterweise zielt Werbung nicht nur auf ein einzelnes Produkt, sondern auf Markenbildung ab. Dieses Spiel funktioniert besonders gut bei Autos, weswegen Porsche zum Beispiel für seine Fans auch eine eigene – wohl kaum von Porsche-Ingenieuren entwickelte – Sonnenbrille vermarktet. Falls das Geld für den Sportwagen selbst nicht reicht, kann man mit der Sonnenbrille auf der Nase zumindest zeigen, in welcher Liga man spielt oder besser: gerne spielen würde. Das Label zählt.
Mit entsprechend traumwandlerischer Sicherheit gehen viele Leute auch z.B. bei Hugo Boss oder Esprit einkaufen – „weil ich dort einfach immer was finde, das zu mir passt.“ Entsprechend dürfen Markenanhänger sich darüber freuen, von zeitraubenden rationalen Kaufentscheidungen entlastet zu sein.
Die US-amerikanische Marke Abercrombie & Fitch treibt den Kult auf die Spitze: Verkaufsniederlassungen sind rar, die Musik dort ist zu laut, die vor allem jugendlichen Kunden werden nur in kleinen Gruppen eingelassen, was sie aber nicht stört, sondern nur die Exklusivität des Einkaufserlebnisses belegt – ebenso wie die wartenden Menschenschlangen vor den Läden, die dort schon mal in den klassischen Abercrombie & Fitch-Parfümduft eingehüllt werden. Es versteht sich fast von selbst, dass die Klamotten, die es dann am Ende zu kaufen gibt, nichts besonderes sind, aber dafür schön teuer. -
Besonders Kinder sind anfällig für Werbung, weil sie sich leichter emotional beeinflussen lassen. Für Merchandising-Produkte (Harry Potter, Twilight) dürften Kinder und Jugendliche mehr Geld ausgeben – bzw. ihren Eltern und Großeltern deswegen in den Ohren liegen – als Erwachsene. Zwar verbietet das Jugendmedienschutzgesetz Werbung, die sich mit direkten Kaufappellen an Kinder richtet. Aber besonders viel kann dies nicht ausrichten. Gerade Kinder haben oft ein ausgeprägtes Markenbewusstsein, das sie als Jugendliche und Erwachsene mitunter übernehmen.
Von hinten durch die Brust ins Auge
Die Zielsetzungen der Werbung sind plump – doch für ihre Umsetzung gilt das nicht immer. Mitunter entfernt sich die Werbung von Produkt und Hersteller und liefert durchaus gelungene Unterhaltung, wie z.B. die ironischen Sprüche von Lucky Strike oder zur Legende gewordene Zitate wie „Isch abe gar kein Auto.“ Die TV- oder Kinospots sind oft aufwändig, manchmal geradezu künstlerisch gestaltet; einige Animationen scheinen wie von Steven Spielberg inspiriert – oder verhält es sich vielleicht sogar andersherum?
Und natürlich spiegelt Werbung auch immer den Zeitgeist. So kann sich selbst Produktwerbung erstaunlich konsumkritisch verkleiden, wie z.B. der Fernsehspot der eher wenig prestigeträchtigen Automarke „Dacia“, das die Bedeutung des Autos als Statussymbol in Frage stellt. Die Botschaft bleibt dennoch die ewig gleiche: Kaufen!
Öffentlicher Raum und privater Kommerz
Das New Yorker Gebäude „One Times Square“ ist architektonisch nichts Besonderes und als Bürohaus aufgrund des dreieckigen Zuschnitts eher ungeeignet. Aber warum ist es so berühmt? Warum wird der Wert des Hauses heute auf 400 Mio. geschätzt, während es noch 1997 für 120 Mio. Dollar den Besitzer wechselte? Ganz einfach – die Außenfläche sorgt für Furore: Grelle, bunte, flackernde Werbetafeln machen das Haus zur Litfaßsäule, ergänzt um das Nachrichtenlaufband mit den Börsenkursen von Dow Jones. Mit Historie oder Kunst hat der Sightseeing-Top Act also gar nichts zu tun. Die riesige Werbefläche symbolisiert einfach nur Kommerz und fügt sich damit offenbar perfekt in den (US-amerikanischen) Zeitgeist ein.
Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie Werbung den öffentlichen Raum okkupiert. Als von 2000 bis 2002 das Brandenburger Tor in Berlin renoviert wurde, war die Baustelle mit riesigen, wechselnden Plakaten der Telekom verhängt – die sich dafür an den Baukosten beteiligte. Wäre es denn schöner gewesen, stattdessen den Blick auf Gerüste freizugeben? Schöner nicht, aber ehrlicher.
Die Bahnhöfe, Fußgängerzonen und Bushaltestellen der deutschen Großstädte haben mittlerweile fatale Ähnlichkeit miteinander, weil uns allerorten die gleichen Werbeplakate anspringen. Es ist auch eine bedenkliche Entwicklung, dass sich die öffentliche Hand ihre Projekte teilweise von der Privatwirtschaft finanzieren lassen muss. Sie begibt sich damit in Abhängigkeiten und läuft Gefahr, ihre Gestaltungshoheit einzuschränken.
Eine Welt ohne Werbung?
Wie würde eine Welt ohne Werbung aussehen? Zunächst einmal sicher sehr ungewohnt. Egal, ob man auf die Straßenbahn wartet oder auf die Tagesschau: Es gäbe weniger Bilder, weniger Glitzer. Und weniger Ablenkung. So wie man ohne Werbung störungsfrei fernsehen könnte, könnte man auch störungsfrei durch eine Stadt laufen, an einer Bushaltestelle warten oder eine Zeitung / Zeitschrift durchblättern – und dabei seine Gedanken dorthin schweifen lassen, worauf sich das Interesse richtet. Und nicht darauf, was sich wie ein Pop-Up zwischen die Gedanken schiebt.
Eine Welt ohne Werbung würde mehr Konzentration und Vertiefung erlauben, sie würde Markenfetischisten oder Prestigefanatiker den Wind aus den Segeln nehmen und sie würde die wenig wirtschaftliche Denkweise von ständigem Verbrauchen und neu Anschaffen aus unserem Alltag zurückdrängen.
Natürlich ist eine Welt ohne Werbung oder mit weniger Werbung auf absehbare Zeit illusorisch. Vorerst hilft nur die Einsicht: Werbung ist Manipulation. Manipulation strebt danach, Einstellungen oder Verhaltensweise zu verändern – sie strebt nach Macht. Wie erfolgreich die Manipulation ist, hängt zum einen von dem Geschick des Einflussnehmers ab. Zum anderen entscheidet aber auch die Rolle des Beeinflussten darüber, wie erfolgreich Manipulation ist: Je größer seine – ideelle und emotionale – Unabhängigkeit ist, je höher seine individuelle Autarkie ausfällt, desto besser kann er sich gegen die Macht der Werbung immunisieren. Und sich somit dagegen verwahren, als Mensch auf die Rolle des Konsumenten reduziert zu werden.
Annette Floren
© Die Zweite Aufklärung 2012
Literaturtipps:
Frederic Beigbeder: Neununddreißig Neunzig. Rororo, Reinbek bei Hamburg, 2002.
Zynischer und kraftvoller Roman eines französischen Werbe-Insiders.
Kalle Lasn: Culture Jamming. Das Manifest der Anti-Werbung. Orange Press GmbH Freiburg, 2008.
Vorsicht, Hardcore (nicht: Hardcover)!
Robert Misik: Das Kult-Buch. Glanz und Elend der Kommerzkultur. Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Band 665. Bonn 2007.
Politisch ausgewogen und sehr informativ.
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