23. Salon-Abend am 6.11.2014: „Verbraucher wollen alles nur billig und andere Märchen – Was in der Debatte um Lebensmittel und Verbraucherrechte schief läuft“ Foodwatch zu Gast.
Das ambivalente Verhältnis der deutschen Verbraucher zu ihren Lebensmitteln lässt sich ganz einfach an den Eiern packen: Seitdem genügend Bilder von eingepferchten Hühnern in Legebatterien gezeigt wurden, kaufen die Deutschen fast nur noch Eier aus Bodenhaltung und mit der Kennzeichnung bio. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Bei Nudeln, zu deren Herstellung bekanntlich auch Eier nötig sind, und selbst bei hartgekochten, bunt gefärbten Supermarkteiern fragt kein Mensch nach der Herkunft – und hier kommen weiter die Eier von weniger glücklichen Hühnern aus Käfighaltung zum Einsatz.
Wie viel Information, wie viel Verantwortungsbewusstsein benötigt der mündige Verbraucher bei der Auswahl seiner Lebensmittel? Das war das Thema des 23. Salon-Abends am 07.11.2014 mit Martin Rücker, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Foodwatch – den „Essensrettern“, wie sie sich selbst nennen. Seitdem Thilo Bode, ehemals Greenpeace, die NGO 2002 als Reaktion auf den damaligen BSE-Skandal gegründet hat, erfreut sich Foodwatch zunehmender Beliebtheit: 2 Mio. € Jahresbudget aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen, 30.000 Fördermitglieder, stolze 300.000 Newsletter-Abonnenten und große öffentliche Aufmerksamkeit beispielsweise für den „Goldenen Windbeutel“, mit dem der Verein alljährlich irreführende Werbeversprechen von Lebensmittelproduzenten demontiert.
„Verständliche Informationen auf den Lebensmitteln sollen die Basis sein für Verbraucherentscheidungen“, erklärte Martin Rücker den Salon-Teilnehmern und prangerte es als Bevormundung und Manipulation an, wenn die Menschen stattdessen irreführende oder falsche Werbeversprechen an die Hand bekommen. Foodwatch setzt sich daher ein für Transparenz, Information und Aufklärung – aber nicht für eine Erziehung der Verbraucher. Nur wenn rote Linien überschritten werden, etwa bei eindeutig gesundheitsgefährdenden Nahrungsmitteln oder bei der Verführung von Kindern durch Werbung in Schulen, fordert der Verein auch gesetzliche Regularien. Doch im Kern will der Verein die Rechte der Verbraucher stärken und sieht sie nicht als schutzbedürftige Objekte. Das wurde an dem Abend deutlich.
Wie politisch ist Foodwatch?
Wie lässt sich das Interesse der Deutschen an ihren Lebensmitteln stärken? Gehören Ökologie und Tierschutz auch zu den Foodwatch-Bewertungskriterien? Kann man in einem Wirtschaftssystem, das im wesentlichen mit Hilfe von Werbung Kaufanreize schafft, speziell für die Nahrungsmittelbranche auf redliche Verbraucherinformationen setzen? Und entwickelt Foodwatch aus seinem Lebensmittelengagement heraus auch übergeordnete politische und gesellschaftliche Visionen? Aus diesen Fragen ergab sich eine lebendige Diskussion mit Rücker. Der verwahrte sich zwar gegen gute Ratschläge an die Verbraucher, etwa in Form von Appellen zu vegetarischer oder veganer Ernährung. Allerdings plädierte er dafür, „wahre Preise“ für Lebensmittel einzuführen, in die die Umweltkosten mit eingerechnet würden – anders als dies beispielsweise aktuell bei einem Kilo Schweinefleisch für 3,99 € der Fall sein könne.
Doch auch die Grenzen der Foodwatch-Arbeit wurden deutlich: Der Verein hat keine politische Macht und, wie Rücker einräumte, auch keinen besonders heißen Draht ins Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung. Nach dem eigenen Selbstverständnis kann Foodwatch „nur“ Einfluss auf die öffentliche Meinung ausüben. Zu einem bewussteren Lebensmitteleinkauf regen die Aktivitäten der Initiative allemal an.
© Die Zweite Aufklärung 2014 (Foto auf der Homepage: Foodwatch)
22. Salon-Abend am 11.7.2014: „Video Vertov“ von und mit dem Filmemacher Gerd Conradt
Ob man die 68er nun mag oder nicht (wir mögen sie), eines muss man ihnen lassen: Sie haben vieles ausgetestet. In ihrem Leben, in ihrer Generation war buchstäblich viel Bewegung. Meist deutlich mehr als dies heute der Fall ist, obwohl oder gerade weil in der liberalisierten Gesellschaft der Gegenwart so viel mehr erlaubt scheint. Dies wurde in der Doku „Video Vertov – Ein Leben zwischen Liebe und Revolution“ deutlich. Der Streifen von Gerd Conradt bildete den Film der Wahl für das Sommerkino der Zweiten Aufklärung am 11. Juli. Für Conradt war der Aufführungsort in der Schöneberger Grunewaldstraße ein Déjà vu.
Gezeigt wurde der Film nämlich in einer ehemaligen Werkstatt, in der der Regisseur Ende der Sechziger zusammen mit Gleichgesinnten (wie dem späteren RAF-Mitglied Holger Meins) wohnte und experimentierte. Seinen Film bezeichnet Conradt als „elektronisches Testament“, es ist eine Best-of-Collage all seiner früheren Filme, die Stationen seines bewegten Lebens widerspiegeln, zugleich aber auch bundesdeutsche Zeitgeschichte (be)schreiben. Eine rote Fahne, die verschiedene Bannerträger über West-Berlins Straßen bis zum Rathaus Schöneberg tragen und dort hissen. Arbeit und Arbeiteragitation im Osram-Werk. Dynamisch-meditatives Herumhopsen bei den Bhagwanis – schon Jahre später. Urschreitherapie mit dem Wilhelm-Reich-Guru Alexander Lowen. Dazwischen immer wieder Selbstzweifel, ob angesichts der revolutionären und transzendenten Aktivitäten nicht Familie und Liebe zu kurz kommen. Ein Mann auf der Suche.
Der Film zeigt seltenes, ja exklusives Material aus einer völlig anderen Zeit, aufbereitet in einer unorthodoxen, Collage-artigen Erzählform, die die Authentizität der Bilder dennoch nicht verfälscht, sondern eher noch hervorhebt. Orientiert eben an Gerd Conradts großem Vorbild, dem russischen Filmavantgardisten Dsiga Vertov. „Das Verständnis für das Bild ist unterentwickelt!“, konstatierte Conradt in der anschließenden Diskussionsrunde, in der die Begeisterung des Künstlers immer dann besonders hochschwappte, wenn er über Filmkonzepte und nicht über Politik und Zeitgeschichte sprach. So entließ er die Diskutanten mit der Frage, ob ein revolutionärer Filmemacher zugleich auch ein politischer Revolutionär ist – oder eher doch nicht. Die Antwort darauf muss wohl jeder selbst finden.
21. Salon-Abend am 4.4.2014: „Das bedingungslose Grundeinkommen – politische Traumtänzerei oder realistisches Gesellschaftsmodell?“
Wie würde man sein Leben verändern, wenn der Staat einem jedem Monat 1000 Euro überweisen würde, ohne eine Gegenleistung dafür zu verlangen und ohne nach der individuellen Bedürftigkeit zu fragen – einfach nur, damit die Existenz eines jeden Bürgers abgesichert ist? Würde man die 1000 Garantie-Euro dafür nutzen, um weniger oder gar nicht mehr arbeiten zu gehen? Um sich bürgerschaftlich zu engagieren? Oder um mehr Zeit zu haben, um RTL 2 zu glotzen? Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) existiert schon länger, hat aber mit der Einführung von Hart IV im Jahr 2003 einen großen Schub erfahren und wird seitdem auch entsprechend kontrovers diskutiert. Neue Aktualität erfährt das Thema dadurch, dass der Deutsche Bundestag eine Enquetekommission zum BGE einrichten wird. Anlass genug für die Zweite Aufklärung, mit Ronald Blaschke, Sprecher des Netzwerks Grundeinkommen und wissenschaftlicher Mitarbeiter von Linke-Chefin Katja Kipping, einen der profiliertesten Fürsprecher des BGE zu ihrem 21. Salon „Bedingungsloses Grundeinkommen – politische Traumtänzerei oder realistisches Gesellschaftsmodell?“ einzuladen.
Blaschke stellte zunächst das Konzept als solches sowie die vielen, unterschiedlichen Modelle der verschiedenen politischen Lager vor, die sich in Struktur, Finanzierung und nicht zuletzt Höhe des BGE unterscheiden. Die 1000-Euro-Variante der Linken würde jährlich rund 430 Mrd. Euro kosten und die Staatsquote von derzeit 45 auf 56 Prozent hochschrauben, was dem derzeitigen Niveau Dänemarks entspricht. Gegenfinanziert soll das linke BGE vor allem durch Sondersteuern auf höhere Einkommen und Kapitalanlagen werden.
Über das BGE wird auf dem nächsten Bundes-parteitag der Linken Anfang Mai zwar diskutiert, aber nicht abgestimmt. Blaschke meinte, ein Votum zum jetzigen Zeitpunkt könnte die Partei spalten. Die Grünen hatten bereits vor einigen Jahren einen Grund-satzbeschluss ihrer Partei über das BGE herbeiführen wollen, waren aber gescheitert. Dass sich selbst die linken Parteien nicht eins über das Grundeinkommen sind, war im Salon Anlass zur Diskussion über die Frage, welche Chancen der politischen Realisierung das BGE überhaupt hat.
Dabei scheint in die Erwägungen einzubeziehen, dass die linken BGE-Varianten das Machtverhältnis zwischen Kapital und Arbeit grundsätzlich zu Gunsten der Arbeitnehmerseite verändern würden: Die Unternehmen könnten viel weniger Druck auf die Bürger ausüben, schlechte und schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen. Dies würden die Wirtschaft und die mit ihr verbandelten politischen Gruppierungen nicht einfach geschehen lassen, gaben Diskussionsteilnehmer zu bedenken. Zudem bestünde die Gefahr, dass das BGE-Konzept von den Neoliberalen instrumentalisiert würde. Schon jetzt gibt es zum Beispiel das Konzept des „liberalen Bürgergelds“ in Höhe von 400 Euro ohne jegliche weitere Sozialtransfers – dies laufe eher auf einen weiteren Abbau des Sozialstaats hinaus.
Ronald Blaschke sagte, dass vor allem die gesell-schaftspolitisch progressiven Gruppierungen beim Thema BGE eng vernetzt seien, in den nächsten Jahren allerdings „eine stärkere Ausdifferen-zierung der unterschied-lichen Modelle“ zu erwarten sei. Dies könnte es schwieriger machen, einen breiten Konsens zu finden. Blaschke sieht jedoch eine erfolgreiche Strategie zum BGE in seiner schrittweisen Einführung. Zum Beispiel indem es anfänglich nur Kinder erhielten. Dann alle Sanktionsmechanismen für Hartz-IV-Empfänger abgeschafft, die Möglichkeit zu einem vorübergehenden Ausstieg aus der bezahlten Erwerbstätigkeit gewährt (Sabbatical) und schließlich eine Garantie- und Grundrente eingeführt würden. Die Formel hieße dann: Vom bedingten zum bedingungslosen Grundeinkommen.
20. Salon-Abend am 13.2.2014: „Ethisch investieren – was bringt das?“
Spätestens seit der großen Finanzkrise 2008/09 steht der Finanzkapitalismus ganz oben auf der Liste der Gesellschaftskritiker. Doch die Politik hat trotz gegenteiliger Willensbekundungen Banken und Spekulanten bisher nicht durchgreifend reguliert. Können wenigstens die (Klein)Anleger gegensteuern und zumindest einen Teil der Geldströme in ethisch und ökologisch verantwortungsvolle Bahnen lenken? Diese und andere Fragen beantwortete beim 20. Salon-Abend Richard Buch, Projektleiter für ethisch-ökologische Geldanlage bei der Stiftung Warentest.
Der Markt wächst zwar sehr stark, wie der Boom der GLS Bank und der Markteintritt der niederländischen Triodos Bank zeigen. Dennoch: Bisher macht der Öko-Ethik-Anteil aber gut ein Prozent aller Finanz-investitionen in Deutschland aus. Und, so machte Richard Buch deutlich, da sich der Markt erst noch formiert, ist noch nicht eindeutig definiert, welche konkreten Kriterien angesetzt werden müssen, damit eine Geldanlage als ethisch-ökologisch klassifiziert werden kann. Bislang kommen vor allem das Ausschlussprinzip und spezifische Auswahlkriterien zum Einsatz.
Beim Ausschlussprinzip werden Investitionen grundsätzlich nicht in Fonds vorgenommen, in denen zum Beispiel Aktien von Unternehmen enthalten sind, die Rüstungsgüter herstellen oder die Umwelt verschmutzen. Beim Auswahlprinzip wird dagegen in die ethisch-ökologischen Vorreiter investiert, in Fonds und Unternehmen, die sich etwa bei der Armutsbekämpfung engagieren und im Bereich erneuerbare Energien aktiv sind.
Kontrovers diskutiert wurde in der Runde, wie verhindert werden kann, dass nicht die Großbanken auf den fahrenden Zug aufspringen, sobald die Öko-Fonds noch weiter expandieren. Eine ähnliche Entwicklung habe es ja bereits bei Bio-Lebensmitteln gegeben – mit der Folge, dass nicht überall, wo Bio draufsteht, tatsächlich auch 100 Prozent Bio drin ist. Ein möglicher Weg wäre die Vergabe eines Ethik-Öko-Siegels. Aber die Kriterien für dessen Vergabe müssten, wenn überhaupt, schon sehr streng sein, hieß in der Diskussion.
© 2014 Die Zweite Aufklärung (Fotos und Texte)