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15.12.2013 – Gunkl alias Günther Paal gehört zu den führenden Kabarettisten Österreichs. Der gebürtige Wiener, Jahrgang 1962, tritt allerdings auch regelmäßig auf deutschen Bühnen auf. So hatte er diesen Sommer ein außerplanmäßiges Gastspiel bei der Zweiten Aufklärung in Berlin. Sein aktuelles Programm „Die großen Kränkungen der Menschheit“ kann man getrost als philosophisches Kabarett bezeichnen. Wobei der Philosoph gern seine Erklärungen für die Weltläufe in den Naturwissenschaften sucht. Wie Gunkl seine sehr komplexen, mitunter komplizierten Stoffe in eine humoristische Form bringt, erklärt der Kabarettist im Interview mit Lutz Frühbrodt.

Kabarett ist, wenn Menschen in einen Veranstaltungsraum kommen, sich das Programm des Kabarettisten ansehen und danach wieder brav nach Hause gehen. Kabarett lebt dabei vom Humor, Witz und originellen Gedanken. Das Publikum lacht darüber, behält das Gesagte aber meist nicht. Ist Kabarett ein flüchtiges Medium?

Im Grunde ja. Natürlich geht niemand mit der gesamten originalgetreuen Partitur nach Hause. Was Kabarett aber kann, ist Denkmöglichkeiten aufzuzeigen. Selbst wenn der Besucher beim Heimgehen sich den Standpunkt des Kabarettisten nicht genau gemerkt hat, so weiß er danach doch zumindest, dass es verschiedene Standpunkte gibt und dass der eigene Standpunkt nicht der Einzige ist und alle anderen Meinungen zum Thema nur aus Irrtümern bestehen. Das ist das Äußerste, was Kabarett kann: Standpunkte valide und glaubwürdig zu formulieren.

 

Aber sind das nicht oft Standpunkte, die das Publikum ohnehin erwartet? Gerade beim politischen Kabarett ist es so, dass der Kabarettist meist eine linke, fortschrittliche Position einnimmt und auch nur das entsprechende Publikum ins Kabarett geht, um sich bestätigen zu lassen. Volker Pispers beispielsweise hat in seinem Programm diese schöne Nummer eingebaut, dass das Publikum seine Eintrittskarte behält, um später einmal beweisen zu können, dass es im Widerstand war.

Schöner Gedanke! Natürlich sind die Standpunkte, die das Kabarettpublikum im Großen und Ganzen hat, in der Nähe der Denktopografie des Kabarettisten auf der Bühne angesiedelt. Aber ich denke, es ist Aufgabe des Kabarettisten, diesen Standpunkt zu formulieren, zu artikulieren und zu präzisieren. Zudem muss der Kabarettist seine Position begründen, der Zuschauer muss dies nicht. „Ich habe zu einigen Dingen dieser Welt keinen Standpunkt, aber ich bin sehr froh, wenn mir jemand gewisse Dinge in der Welt erklären kann.“ Vorbehaltlich, dass der Kabarettist dabei den Gegenstandpunkt zu diesem Thema mitliefert, bei dem ich als Zuschauer weiß: „Ah, der denkt so. Man kann darüber auch anders denken, aber aus dieser Sichtweise sieht die Sache so aus, und so kann ich mir dieses Thema aneignen.“

 

Das klingt, als könnte so ein Diskurs auch in einer Uni-Vorlesung stattfinden. Den Unterschied macht wahrscheinlich der Humor aus.

Humor ist eine großartige Erfindung, die der Mensch hervorgebracht hat. Im Humor erhebt sich der Mensch über die Welt. Dabei erhebt er sich nicht nur über die Welt, wie sie ist, sondern auch über den Spalt, in dem Humor existieren kann. Dem Spalt zwischen IST und SOLL. Wenn der Mensch humorvoll sein will, muss er ein hohes Maß an geistig-philosophischer Arbeit verrichten. Er muss zunächst das IST erkennen, und zwar wie es ist und auch warum es so ist. Dann muss er einen SOLL-Zustand formulieren und Aspekte greifbar machen, warum das ein SOLL ist. Das erfordert einen eigenen Standpunkt. In dem Spalt – man könnte auch sagen Widerspruch – zwischen IST und SOLL findet dann Humor statt. Dieser Spalt ist in den allermeisten Fällen gegen den Menschen gerichtet und demütigt ihn. Der Mensch erhebt sich aber nicht nur über das IST und SOLL, sondern er erhebt sich auch über diese Konstruktion, betrachtet die Konstruktion und den Spalt darin von außen und macht sich darüber lustig. Das ist die Quelle für die Erheiterung. Es ist somit ein wichtiges Werkzeug für den Menschen, mit der Welt nicht nur umzugehen und in ihr zu Recht zu kommen.

 

Widerspruch zwischen Ist- und Soll-Zustand, das klingt zwar auch nach Kabarett, aber auch nach Philosophie und Religion.

Diesen Spalt zwischen IST und SOLL besetzt seit Ewigkeiten die Religion, denn sie formuliert ein SOLL in einer Welt voller IST. Sie führt deshalb gegen den Humor eine Art „Zickenkrieg“, da sie das SOLL als ihr ureigenes Hoheitsgebiet betrachtet. Darin sieht die Kirche ihre Verfügungsgewalt. In diesem Spalt mit der Religion oben auf ist der Mensch immer darunter. Dann kommt der Erlösungsgedanke der Religion ins Spiel, die in einem Gnadenakt dem Menschen die Hand reicht, um ihn aus diesem Spalt heraus zu hieven. Der Gedanke, dass der Mensch sich alleine über alles stellt und keine höhere Gewalt benötigt, um diesen Spalt zur Kenntnis zu nehmen und sogar erheitert damit zu leben, nimmt der Religion natürlich jede Daseinsberechtigung.

 

Welche soziale Wirkung kann Kabarett darüber hinaus möglicherweise über die Humorfunktion entfalten?

Indem die Möglichkeit exemplarisch durchexekutiert wird, wie sich eine Person über die Ereignisse der Welt stellen kann und sich in der Betrachtung über den Dingen positioniert. Humor gibt somit die Möglichkeit, sich quer ins Getriebe der Welt zu stellen und zu sagen: „Moment, das schauen wir uns genauer an.“ Die Möglichkeit, diesen Akt zu begehen als Denk- und Tatmöglichkeit, ist eine sehr schöne Aufgabe des Kabaretts.

 

Die Religion führt gegen den Humor eine Art Zickenkrieg. Der Gedanke, dass der Mensch keine höhere Gewalt benötigt, um den Spalt zwischen Ist und Soll erheitert zur Kenntnis zu nehmen, nimmt der Religion jede Daseinsberechtigung.

 

Das Kabarett kann schon seit längerer Zeit keinen Monopolanspruch mehr auf den Humor erheben. Eine wichtige Rolle in den Medien spielt die Comedy. Wie würdest du diese einschätzen?

Bei der Comedy wird nur das IST verhandelt und die Grundlagen dieses IST werden nicht betrachtet. Die Distanz zum SOLL wird zudem nur gemutmaßt, indem das SOLL weder scharf gedacht noch elaboriert verhandelt wird.

 

Es geht hier also um ein anderes Verständnis von IST und SOLL?

Wenn jemand versucht, über eine Mauer zu hüpfen und sich dabei „lang“ macht ist, das schon sehr lustig. Darüber kann jeder lachen. Furchtbar wäre es natürlich, wenn derjenige sich dabei eine Kniescheibe zertrümmert. Aber wenn derjenige aufsteht und lacht, ist es wahnsinnig lustig, weil ein von ihm statuiertes SOLL dem IST „Mei, hast du nicht geschafft“ voran geht. Wenn die Geste der Leichtigkeit der Welt und das Schmerzliche „Das ist wohl nichts geworden“ so massiv kollidieren, ist es sehr lustig. Aber darin darf sich Comedy auch  erschöpfen. Ich persönlich lasse mich sehr gerne davon unterhalten. Ich habe es gerne, wenn jemand wirklich lustig ist und nicht „herumzeigefingert“. Wenn mir jemand ständig den Zeigefinger unter die Nase halten möchte und ich dann merke, dass dieser Zeigefinger richtungslos ist, dann ist das nicht glaubwürdig. Dann sollte man es lieber bleiben lassen.

 

Kabarettisten passen sich allerdings zunehmend der Comedy an – allein schon um über die Runden zu kommen.

Nicht alle wohlgemerkt. Es gibt aber ein paar Kandidaten, die den komplexen Weg des Kabarettisten verlassen oder verbreitern in Richtung Comedy. Das ist aber in Ordnung. Ich bin nicht der Gralshüter der reinen Lehre. Schlecht wäre es natürlich, wenn der Kabarettist sich in Halbwahrheiten und Unverständlichkeiten zurückzieht und auf Humor verzichtet, nur damit er sich sicher sein kann, dass es sich nicht um Comedy handelt. Sei lustig, in dem was du tust! Kabarett darf lustig sein. Wenn du eine Haltung hast, kannst du sie nicht verheimlichen, aber lass‘ es eine Haltung bleiben und sie nicht zur Pose verkommen, nur damit du dich von denen unterscheidest, die keine Haltung haben.

 

Du bringst deine Haltung auf eine sehr ausdifferenzierte Art ‘rüber. Man kann hier von philosophischem Kabarett sprechen. Wie schaffst du es, sperrige und schwierige Stoffe in eine humoristische Form zu bringen?

Erkenntnis ist ein lustvoller Vorgang. Das ist eine Vermutung, die ich bereits lange gehegt habe. Die Hirnforschung hat dies bestätigt. Es gibt den Nukleus Accumbens im Gehirn, welcher anschlägt, sobald Erkenntnis stattfindet. Unser Gehirn möchte lernen und es geht ihm gut, sobald der „Aha-Effekt“ entsteht. Ich kenne mich gerne aus. Ich möchte gerne wissen „Wie ist es wirklich?“. Mich interessiert vor allem, warum etwas so ist, wie es ist. Der Weg dieser Erkenntnis ist für mich ein sehr lustvoll zu beschreitender Weg. Ahnungen zu Ideen, zu Gedanken, zu Behauptungen, zu Befunden scharf zu stellen, bis es als Satz vor mir steht.

 

Wie entstehen deine Programme? Kannst du die Entwicklungsstufen grob beschreiben?

Die Programme entstehen schon hoch pragmatisch, da ich immer im September Premiere habe. Deshalb setze ich mich am 1. Januar hin und beginne zu schreiben. Dann schreibe ich jeden Tag etwas. Auf jeden Fall etwas, von dem ich weiß, dass es am nächsten Tag auch noch stehen bleibt. Oftmals weiß ich beim Schreiben bereits  „Das ist morgen wieder weg“. Dann sitze ich zum Beispiel zwei Stunden über zwei Sätzen. Das kann passieren. Aber bevor nicht irgendetwas für das Programm feststeht, stehe ich nicht von meinem Schreibtisch auf. So wird über ein halbes Jahr zuverlässig ein Programm daraus. Formal entsteht hier natürlich eine Menge Text. Ich möchte nämlich nicht nur wissen, WIE etwas ist, sondern auch WARUM etwas so ist. Lassen sich aus der hier zugrunde liegenden Problematik auch andere Phänomene erklären? Ich suche in der Regel einen naturwissenschaftlichen Ansatz, damit  ich mit möglichst geringen Voraussetzungen möglichst viele Phänomene erklären kann. Darüber denke ich nach. Sobald ich etwas gefunden habe, schreibe ich es auf.

 

Gibt es eine Generalprobe oder ein Probepublikum, dem du das neue Programm  vorstellst, bevor du dich vor das reale Publikum traust?

Ich habe das bis vor ein paar Jahren so gemacht. Dabei habe ich vor fünf bis sieben Freunden das Programm vorgespielt, so wie ich es geschrieben und gedacht habe. Dann haben wir uns zusammengesetzt und ich habe ihnen erklärt, warum das so bleibt. Das war dann die Probeaufführung. Bei den letzten Programmen war es so, dass nicht einmal mein Techniker etwas von dem Programm bis vor der Premiere gesehen hat. Es gibt zwei Stichwörter für die Pause und es gibt einen Satz, der kommt zwei Mal. Und beim zweiten Mal, wenn der Satz kommt, ist „Blackout“.

 

Wenn du geliebt werden möchtest, dann kauf dir einen Hund. Wenn du etwas zu sagen hast, dann darfst du auf die Bühne. Das muss aber so funktionieren, dass du nicht von Beifallsbekundungen abhängig bist.

So habe ich das dann immer gemacht. Ich bin das Programm lediglich im Kopf durchgegangen, damit ich den Weg nicht nur auswendig kann, sondern ihn auch blind gehen kann. Damit ich weiß, wo die Kurven sind, wo ich Tempo raus nehmen muss, wo ich dagegen lenken muss, damit wir schön durch die Abzweigung kommen, und wo tiefes Terrain ist und wo es von alleine läuft. Wenn ich das im Kopf habe, gehe ich abends zur Premiere. Das ist sicherlich ein Zustand, den ich erst drei Tage vor der Premiere habe. Ich könnte zuvor keine Premiere spielen. Ich probe dann drei Tage lang das Programm zweimal am Tag, und am Abend benötige ich nur das Spiel.

 

Bei den Freunden bekommst du Feedback, selbst wenn du das Programm nicht mehr ändern möchtest. Bei der direkten Premiere erhältst du wenig Rsonanz vom Publikum. Ist das nicht etwas traurig, denn ein Kabarettist möchte doch eigentlich Feedback bekommen?

Ich nehme das in Kauf, da meine Programme alle so geschrieben sind, dass sie von Reaktionen nicht abhängig sind. Meine Programme sind alle so geschrieben, dass ich sie auch ohne Publikum spielen kann, ohne dass sich an der Substanz etwas ändert, selbst wenn dort nur vier Personen sitzen und keiner reagiert. Wenn ich den Eindruck habe, sie folgen mir, ist es in Ordnung. Ich möchte mich auf einer Bühne nie davon abhängig machen, dass das Publikum reagiert. Das ist auch eine Kategorienverfehlung in meiner Sicht von Bühne. Denn auf der Bühne steht der „Sender“ und dieser legt vor und hält die Zügel und das Heft in der Hand. Er legt vor und macht. Unten sitzt das Publikum, das nichts einzubringen hat außer Aufmerksamkeit. Wenn du geliebt werden möchtest, dann kauf dir einen Hund. Wenn du etwas zu sagen hast, darfst du auf die Bühne. Wenn du etwas zu sagen hast, dann muss das aber funktionieren, ohne dass du sofort von Beifallskundgebungen abhängig bist. Das ist schön und toll, wenn es das gibt. Aber das, was du zu sagen hast, darf nicht davon abhängen.

 

Geht es beim Kabarett aber nicht auch darum, dass der Künstler das Publikum auf seine Seite zieht, vor allem die Andersdenkenden?

Ich halte es auch für falsch, die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen, wie es immer so schön heißt. Die Gefahr ist viel zu groß, dass man sich dort dazu setzt und diese Meinung dann überwiegt. Wenn man auf die Bühne geht, hat man Menschen dort, wo sie stehen, zur Kenntnis zu nehmen und etwas vorzulegen, das so interessant ist, dass sie von dort, wo sie gerade stehen, einem den Blick zuwenden. Menschen dort abzuholen, wo sie stehen, ist schwach und billig.

© 2013 Die Zweite Aufklärung. Fotos: Gunkl

 

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