08.08.2014 – So viel grün, so viel Nachhaltigkeit, so viel Verantwortung. Nach außen bekennen sich deutsche Unternehmen dermaßen wortreich zu ihrer ökologischen und sozialen Verantwortung, der „Corporate Social Responsibilty“ (CSR), dass man sich in der perfekten Welt wähnt. De facto scheint vielen Unternehmen allerdings die Imagebildung wichtiger zu sein als die gute Tat selbst. Wenn die Wirtschaft tatsächlich etwas für Umwelt und soziale Gerechtigkeit tun will, sollte sie bestimmte Spielregeln dafür akzeptieren und Führungskräfte auch nach ethischen Maßstäben bewerten. Umso wirksamer wäre das CSR, und umso glaubwürdiger wären die Unternehmen.
Das Ideal des ehrbaren Kaufmannes
Offensichtlich hatten Unternehmer schon Imageprobleme, lange bevor der Finanzkapitalismus unserer Tage das Vertrauen in die Wirtschaft erschütterte. Bereits 1517 gründete sich in Hamburg die „Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg“, um die Tugenden der Kaufleute zu beschwören: Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Treue sollten über die fachliche und kaufmännische Expertise hinaus das Handeln der Unternehmerpersönlichkeit prägen. Eingebettet in die Tradition nordeuropäischer Hansestädte fungiert der „Ehrbare Kaufmann“ als ideelles Leitbild. Noch heute besteht der Hamburger Verein fort.
Mittlerweile ist der etwas paternalistisch anmutende „Ehrbare Kaufmann“ allerdings weitgehend abgelöst worden vom modernen Konzept der „Corporate Social Responsiblity (CSR)“. Hier wie dort geht es darum, dass sich Unternehmen und Unternehmer nicht allein aufs Gewinne machen konzentrieren sollen. Vielmehr sind sie auch für die gesellschaftliche und ökologische Wirkung ihres Handelns verantwortlich und sollen diese Verantwortung gegenüber ihren Stakeholdern kommunizieren.
Corporate Social Responsibility innerhalb und außerhalb des Unternehmens
CSR-Projekte von Unternehmen beruhen immer auf Freiwilligkeit und können sich auf zwei verschiedene Ebenen beziehen:
- Innerhalb des Unternehmens (operative Geschäftstätigkeit): Das Geschäftsmodell, die Behandlung der Mitarbeiter, das Verhalten am Markt, der Energieverbrauch – diese grundlegenden betrieblichen Elemente sind auf ihre soziale und Umweltverträglichkeit auszurichten. Zum Beispiel können Unternehmen sich und ihre Produkte nach Fairtrade- oder Umweltstandards zertifizieren lassen, Mitarbeiter demokratisch beteiligen, Gesundheits- und Vorsorgeprogramme für ihre Mitarbeiter anbieten, Schwerbehinderte einstellen etc.
- Außerhalb des Unternehmens (Corporate Citizenship): Über ihre eigene Geschäftstätigkeit hinaus können Unternehmen wie aktive Bürger der Zivilgesellschaft agieren. In diesem Rahmen fördern sie beispielsweise mit Geldspenden kulturelle und soziale Projekte, häufig mit lokalem Bezug, übernehmen Patenschaften oder stellen ihre Mitarbeiter in begrenztem Umfang für ehrenamtliche Tätigkeiten frei („Corporate Volunteering“).
An Ratgebern, Leitfäden, Weiterbildungen, Auszeichnungen und Praxisdialogen für CSR-Projekte mangelt es nicht. Seitdem die EU 2001 erstmals das unverbindliche Diskussionspapier „Grünbuch Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung von Unternehmen“ veröffentlichte, ist das Thema in der EU und in Deutschland schwer in Mode gekommen. Dies sagt allerdings nichts darüber aus, ob die beschworenen Ideale auch mit der Unternehmenswirklichkeit übereinstimmen – und auf ganz lange Sicht sogar dazu führen können, unser Wirtschaftssystem in ein sozialverträglicheres, ökologischeres und humaneres zu wandeln. So wie sich das viele Menschen wünschen.
Gutes verkauft sich gut
Wenn die EU oder die Bundesregierung Unternehmen zu CSR-Projekten motivieren wollen, dann argumentieren sie zielgruppengerecht auf betriebswirtschaftlicher, nicht auf ethischer Ebene. Die EU ordnet ihre CSR-Aktivitäten ganz dem Geiste von Lissabon unter, die EU zur wettbewerbsfähigsten Region weltweit zu machen, und verspricht den CSR-engagierten Unternehmen den Dank ihrer Stakeholder.
Befürworter des CSR-Modells räumen freimütig ein, dass Unternehmen sich auch aus Eigennutz und ihres öffentlichen Images zuliebe engagieren. Aber sie wollen an dieser Stelle keinen Widerspruch sehen. Stattdessen sprechen sie von einer Win-Win-Situation, wenn sich gesellschaftliche Ansprüche und betriebswirtschaftliche Vorteile vermeintlich ergänzen: „Doing well by doing good“, so drückt es zum Beispiel die Konrad-Adenauer-Stiftung aus.
Die gute Tat in der Kritik
Kann irgendjemand etwas dagegen haben, wenn Unternehmen freiwillig Gutes tun? Ja. Und zwar in dem Falle, wenn die guten Taten in Wirklichkeit allein egoistischen Unternehmensinteressen dienen. Die Modeerscheinung CSR bringt viele Trittbrettfahrer hervor. „Greenwashing“ und „Bluewashing“ haben sich als Schimpfwörter dafür etabliert, dass einige Unternehmen sich öffentlich mit ökologischem oder sozialem Engagement brüsten, ohne in Wirklichkeit Nennenswertes zu leisten. Aber manche Kritiker setzen noch viel grundsätzlicher an und betonen den generellen Interessensgegensatz von gewinnorientierten Unternehmen auf der einen Seite und sozialen / ökologischen Bedürfnissen auf der anderen.
„Turbokapitalismus und ernst gemeinte soziale Verantwortung sind nicht kompatibel“, befindet das österreichische Netzwerk Soziale Verantwortung. Der „Corporate Watch Report“ sieht CSR vor allem als unternehmerische Strategie, um gesetzliche Regulierungen zu verhindern, Zugang zu Märkten und Entscheidungs-trägern zu gewinnen und den Boden für die Privatisierung öffentlicher Aufgaben zu bereiten. Kurzum: CSR laufe auf eine weitere Machtverschiebung zwischen der demokratisch legitimierten, dem Allgemeinwohl verpflichteten Staatsgewalt und profitorientierten Privatunternehmen hinaus – zugunsten letzterer.
Der Markt wird es nicht richten
Neoliberale Strukturen und CSR-Gedankengut haben sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts gleichermaßen ausgedehnt. Dies ist natürlich kein Zufall. Viele Menschen legen gerade deswegen Wert auf Nachhaltigkeitsthemen, weil sie zu Recht eine Übermacht ökonomischer Wirkmächte befürchten und sich bedroht fühlen von weltweiter Umweltzerstörung und sozialer Ungerechtigkeit. Aber kann freiwilliges unternehmerisches CSR tatsächlich ein wirksames Korrektiv für die entfesselten Marktkräfte bilden?
Nach den bisherigen Erfahrungen wohl kaum. Der Markt zeigt sich gegenüber moralischen Einflüssen weitgehend immun. Ungeachtet ihrer theoretisch hohen Wertschätzung für Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit lassen sich die meisten Verbraucher in ihrer Kaufentscheidung von ganz anderen Kriterien leiten – vom Preis, von Produkteigenschaften, jahrelangen Gewohnheiten oder modischen Hypes. Auch für Stellensuchende dürfte eine aktive CSR-Politik des Arbeitgebers eher als „Nice to have“ denn als ausschlaggebender Faktor gelten. Und wenn ein börsennotiertes Unternehmen entgegen aller CSR ankündigt, Stellen abzubauen, wird es dafür nicht selten mit Kurssprüngen belohnt, die den Unternehmenserfolg sehr viel stärker begünstigen als noch so ausgeklügelte Nachhaltigkeits-Kampagnen.
Kurzum: Aus sich selbst heraus wird der Markt immer ein eher taktisches CSR-Verständnis hervorbringen, in dem die sozial-ökologische Orientierung den großen Unternehmenszielen, wie Prestigegewinn und Gewinnmaximierung, untergeordnet wird. Zudem bleibt es beim freiwilligen CSR immer Glückssache, wo und wann Brosamen vom Tisch der Reichen fallen – je nach Standort, politischem Interesse, aktueller Geschäftslage oder persönlichem Steckenpferd des Geldgebers. Insofern leistet CSR allenfalls punktuelle, aber keine strukturellen Verbesserungen für den Umweltschutz oder die Unterstützung sozial benachteiligter Gruppen.
Verantwortung heißt auch Verbindlichkeit
Wenn es die Führungskräfte in den Unternehmen tatsächlich ernst meinen mit der Corporate Social Responsibility, wenn sie soziale Verantwortung empfinden und diese glaubwürdig nach außen vertreten wollen, dann sollten sie bestimmte Richtlinien sowie einheitliche Kriterien und Benchmarks akzeptieren. Folgende Anforderungen könnten dafür sorgen, dass CSR-Informationen sich über den Verdacht von PR-Kosmetik erhaben erweisen und echte Aussagekraft gewinnen:
1. Die angebotenen CSR-Informationen müssen objektiv und auch im Bezug auf Unternehmen ähnlicher Branchen und Größenordnungen vergleichbar sein. Beispiel: Energieverbrauch.
2. Sie dürfen es nicht ermöglichen, unliebsame „Problemzonen“ zu kaschieren, sondern sollten größtmögliche Transparenz schaffen. Beispiel: Gehaltsspreizung innerhalb des Unternehmens.
3. Sie müssen sich über längere Zeiträume erstrecken und Tendenzen erkennbar machen. Beispiel: Gleichstellungspolitik; Spenden und Sponsoring.
Der Mensch macht die Moral, nicht der Markt
Mit Benchmarks allein wird man allerdings das Wirtschaftssystem noch nicht umwelt- und menschenfreundlicher machen. Hierzu muss auch der streng profitorientierte Fokus relativiert werden – und dabei sind weniger die Unternehmen als Organisationen gefragt denn die Unternehmerpersönlichkeiten. Letztlich sind es immer auch die Menschen, ihre Werte und Überzeugungen, die den Charakter eines Unternehmens prägen. Das gilt für Eigentümer-Unternehmer wie für Manager.
Natürlich gehört es zu den konstituierenden Eigenschaften eines Unternehmens, nach wirtschaftlichem Erfolg zu streben. Aber Unternehmen sind ein Teil der Gesellschaft – und darum haben sie eine Balance zu finden zwischen wirtschaftlichem Gewinnstreben einerseits und allgemein anerkannten moralischen Werten andererseits.
Genau an dieser Stelle sei wieder an den „Ehrbaren Kaufmann“ aus Hamburg erinnert. Man sollte diesen Begriff nicht nur als wohlfeile Metapher verstehen, sondern ganz bewusst die ethische und menschliche Verantwortung von Führungskräften ins Blickfeld rücken. Es sind wichtige Werte und Tugenden, die die oberen Hierarchieebenen im Unternehmen vorgeben und vorleben. Mit Ehrlichkeit, Respekt und Zuverlässigkeit ist hier schon eine Menge gewonnen – gemessen werden sollten diese Werte allerdings nicht an der Selbsteinschätzung der Chefs, sondern an Bewertungen der Mitarbeiter.
Auch im globalisierten 21. Jahrhundert gilt der schlichte Grundsatz, dass die Wirtschaft für den Menschen da ist und nicht der Mensch für die Wirtschaft. Der Markt hat seine eigenen Gesetze; moralische Werte kann er weder entwickeln noch durchsetzen. Dafür bleibt nach wie vor der Mensch die wichtigste Instanz.
Annette Floren
© Die Zweite Aufklärung 2014; Titelfoto: iStockphoto
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