Der Filmschauspieler Heinz Rühmann war der Langzeit-Star des 20. Jahrhunderts. Doch sein Ruhm begründet sich neben dem NS-Streifen Die Feuerzangenbowle (1944) vor allem auf Kinofilme der 1950er Jahre: Auf Wenn der Vater mit dem Sohne oder auf Der Hauptmann von Köpenick zum Beispiel. Rühmann wirkt wie der scheinbar völlig unpolitische Durchschnittstyp, der die komischen Seiten des Lebens in der jungen Bundesrepublik zum Klingen bringt. Doch Rühmann ist um Einiges facettenreicher. Ein Porträt des bedeutendsten Nachkriegsschauspielers aus Deutschland/West.

Als Heinz Rühmann 1994 im Alter von 92 Jahren stirbt, heftet ihm die „Frankfurter Rundschau“ das Label „populärster deutscher Schauspieler dieses Jahrhunderts“ an. Andere Medien finden ähnliche Etiketten und Superlative. Tatsächlich tritt der 1902 geborene Rühmann schon früh auf deutschen Theaterbühnen auf, wirkt dann an ersten Stummfilmen mit und steigt als komischer Charakter in der NS-Zeit zum großen Filmstar auf. In der Regel personifiziert Rühmann dabei Normalo-Typen, die allerdings ein bisschen schräg drauf sind und sich ihren Weg durch die Wirrnisse des Alltags bahnen müssen.

In den ersten Nachkriegsjahren, die unter dem Vorzeichen der Entnazifizierung stehen, gerät Rühmann zunächst in die Schusslinie. Das cineastische Ergebnis ist mit Der Herr vom anderen Stern ein künstlerisch durchaus interessantes Experiment. Es folgen schwere Jahre mit weiteren Versuchen der politischen Reinwaschung und mit der Pleite seiner Produktionsfirma. Doch ab Mitte der 1950er feiert er sein Comeback und tritt in zahllosen Kassenschlagern auf. Dazu schlüpft der schmächtige Mann mit den strähnigen blonden Haaren und dem blassen 0815-Gesicht in teils sehr unterschiedliche Rollen. Doch irgendwie spielt er immer doch nur sich selbst.

Ein komischer Durchschnittstyp

Heinz Rühmann kommt am 7. März 1902 tatsächlich fast als Heinz Rühmann auf die Welt. Genau genommen als Heinrich Wilhelm Rühmann. Sein Vater betreibt in Wanne, besser bekannt als Wanne-Eickel, eine Bahnhofswirtschaft und zugleich „Goldgrube“, wie sie Heinz Rühmann Jahrzehnte später in seinen Memoiren bezeichnet (1). Später übernimmt der Vater in Essen das Großhotel „Handelshof“ und treibt das Unternehmen nach nicht mal zwei Jahren in die Pleite. Die Eltern trennen sich. Der Vater, ein Bruder Leichtfuß, zieht nach Berlin und nimmt sich dort das Leben. (2) Heinz zieht 1917 mit seiner Mutter, seinem Bruder und seiner Schwester nach München, der damals angeblich billigsten Großstadt Deutschlands – ein Argument, mit dem eine Freundin Rühmanns Mutter nach Bayern lockt.

Dort besucht Heinz das Realgymnasium, wird wegen seines Matrosenanzugs von den bajuwarischen Kindern ausgelacht und zum „Rührei“ degradiert. Dennoch weiß er sich Respekt zu verschaffen, er wird Klassensprecher. Nach dem Mittelschul-Abschluss verlässt er die Lehranstalt, denn „in mir rumorte das Theater. Mit einem Mal!“ Er genießt privaten Schauspielunterricht und findet als Siebzehnjähriger sein erstes Engagement in Breslau. Aber: „Was immer ich spielte – Erfolg hatte ich wenig“, erinnert sich Rühmann an seine Anfänge. „Schlechte Kritiken bekam ich auch.“ In Hannover bleibt der offiziell nur 1 Meter 65 kleine Nachwuchsschauspieler länger, doch viel ändert sich nicht: „Mein großer Kummer war meine Kleinheit; ich wollte doch jugendlicher Held werden und kleine Helden gibt es eben nicht. Jedenfalls nicht am Theater.“ (1)

Mein großer Kummer war meine Kleinheit. Ich wollte doch jugendlicher Held werden und kleine Helden gibt es eben nicht. Jedenfalls nicht am Theater.

1924 kehrt Heinz nach München zurück und wohnt auch zeitweise wieder bei seiner Mutter. Er spielt zwar auch Shakespeare, wie er betont, seinen Durchbruch erzielt er aber 1927 mit der Klamotte Der Mustergatte im Volkstheater, ein Stück, das er zuvor schon bei einem Engagement in Bremen gespielt hatte, nur nicht so erfolgreich, und das er noch Jahrzehnte später immer wieder spielen wird. Rühmann mimt hier eben einen Mustergatten, der seine Frau zu langweilen beginnt. Also beschließt er, ihr den Womanizer vorzugaukeln, was zu jeder Menge Verwicklungen, aber natürlich auch zum Happy End führen muss. Mit 25 Jahren entdeckt sich Rühmann als Komiker, denn auch das Publikum scheint Rühmann als komischen Charakter zu schätzen. „Einmal war während des Spiels Unruhe im Parkett“, schreibt Rühmann. „Ein Zuschauer musste aus seiner Sitzreihe herausgeführt werden. Er hatte sich beim Lachen die Kinnlade verrenkt.“

Früh prägt sich hier das Rollenmuster vermeintlicher männlicher Hilfslosigkeit heraus, deren Tolpatschigkeit jedoch durch etwas Spitzbübisches wieder ins Gleichgewicht gebracht wird. Frauen finden das sympathisch, Männer können damit zumindest leben, zumal sie sich überlegen vorkommen dürfen. In seinen Filmen, während der Nazi-Zeit wie in den fünfziger Jahren, entwickelt Rühmann diesen Stereotypen immer weiter. Er spielt zwar vorwiegend in Komödien, tritt aber nicht als lupenreiner – heute würde man sagen – Comedian auf. Vielmehr ist er meist der komische, der etwas spezielle Typ, der seine Zuschauer quasi unfreiwillig zum Lachen bringt.

Wäre es nicht nach seinen Regisseuren, sondern nach Heinz Rühmann gegangen, hätte er oft noch stärker aufgedreht. Denn Rühmann versteht sich in erster Linie als Komiker, am liebsten gibt er sogar den Clown. In Wenn der Vater mit dem Sohne (1955) kann er sich in der Schlussszene sage und schreibe unendlich lange zehn Minuten als zaubernder Zirkusclown ausleben. Begeistert erzählt er in seinen Memoiren von einer Begegnung mit seinem großen Vorbild, dem russischen Clown Oleg Popov. 1980 tritt er zusammen mit Weltstar Popov in der Fernsehsendung Stars in der Manege auf.

Heinz Rühmann singt dem kleinen Ulli das Wiegenlied „La-Le-Lu“. Foto: United Archives/Imago

In den 1920ern spielt Rühmann zwar vor allem weiter Theater, neben München auch in Berlin. 1926 dreht er dann jedoch mit Das deutsche Mutterherz seinen ersten Film, einen Stummfilm. Der Streifen erzählt eine reaktionär-chauvinistische Story, verpackt in billige Unterhaltung. Für den jungen Rühmann ist der Film jedoch eine Offenbarung, nicht zuletzt wegen der hohen Gagen. Fortan stellt er sich regelmäßig vor die Kamera. 1930 gelingt ihm mit dem frühen Tonfilm Die drei von der Tankstelle sein deutschlandweiter Durchbruch als Filmschauspieler wie auch als Sänger. Der Song „Ein Freund, ein guter Freund“, dargeboten zusammen mit Willy Fritsch und Oskar Karlweis, wird zum Hit. Und auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten profiliert sich Rühmann immer wieder als Barde – ob mit dem selbstironischen „Ich breche die Herzen der stolzesten Frauen“ oder mit dem Wiegenlied „La-Le-Lu“.

Diese und andere Darbietungen zeigen, dass Rühmanns Sangeskünste ziemlich begrenzt sind. Nach herkömmlichen Bewertungsschemen. Denn zum einen ist Rühmanns Sprechgesang ein zumal für die damalige Zeit außergewöhnliches Alleinstellungsmerkmal. Zum anderen ist es seine belegte, leicht heisere Stimme, die er gezielt einsetzen kann, die aber einfach auch da ist. Fast beiläufig wirken seine Einlassungen. Das funktioniert auch beim Film fabelhaft. Konnten die Schauspieler bei den stummen Streifen noch mit Rudolfo-Valentino-Gehabe reüssieren, so ist beim Tonfilm Variationsreichtum gefragt. Oder zumindest eine bestimmte Form der Monotonie wie bei Rühmann: Seine Stimme ist „unsentimental, sachlich, schnoddrig oder nölig, sie kann schneiden, aber auch quäken, sie ist immer präsent.“ Seine saloppe Art wirkt ausgesprochen modern, resümiert Körner. (3)

Rühmanns Erfolgsgeheimnis liegt nicht allein in seiner Stimme oder gar seinem Aussehen. Er ist schmächtig, sieht eher durchschnittlich als phänomenal aus. Seine Nase ist spitz und vorne leicht gebogen, das schmale Gesicht weist kleine Pausbacken auf. Seine blonden Haare wirken eher strähnig. Das Rühmännchen ist ein absoluter Durchschnittstyp – aber gerade das scheint seinen Zauber auszumachen, zusammen mit seiner einzigartigen Fähigkeit, gegensätzliche Charakterzüge spannungsvoll zu kombinieren – ob Schüchternheit und Draufgängertum oder ob Schnodderigkeit und Sanftmut. Dazu die mehr oder minder unfreiwillige Komik. Nach seinem „Tankstellen“-Durchbruch spielt Rühmann nur noch Hauptrollen.

Die NS-Zeit: Der Wegducker

Rühmann avanciert zu einem der ganz Großen im Filmgeschäft, als dieses fast genau zum selben Zeitpunkt auf Vertonung setzt und damit zu seinem Siegeszug durch die Kinos ansetzt. Und wiederum fast zeitgleich übernehmen in Deutschland die Nazis die Macht. Rühmann ist zwar eher den demokratischen Kräften zugeneigt, passt sich aber schnell den neuen Herren an. Wie Theatergenius Gustav Gründgens, wie Literat Erich Kästner, wie Lyriker Gottfried Benn und auch wie seine Schauspielkollegen Hans Albers und Theo Lingen bleibt Rühmann in Nazi-Deutschland.

Im Nachhinein versucht er nicht, sich als Widerstandskämpfer umzudeuten. Er geriert sich nach der Machtübernahme auch keineswegs als glühender Nazi. Ebenso wenig Rühmann macht nicht den Mitläufer, der sich regelmäßig für NS-Propaganda-Aktivitäten einspannen lässt. Vielmehr versucht er, sich so weit wie möglich weg zu ducken, sobald die Politik ins Spiel kommt. Zum einen gelingt dies aber keineswegs immer, auch nicht jenseits der Filmstudios. Zum anderen genießt Rühmann die Annehmlichkeiten eines Günstlings, kassiert unter anderem von Hitler persönlich angewiesene steuerfreie Zuwendungen.

Zeitweise gehört Rühmann zum inneren Kreis des Kultur-Klüngels von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels. 1940 führt er Regie bei einem „Geburtstagsfilm“ für Goebbels, der den Tagesablauf von dessen Kindern schildert. Streckenweise ist das Verhältnis auch angespannter, ohne dass Rühmann jedoch irgendwelche Einschränkungen erfahren muss. Und spielt brav mit, sobald es unangenehm wird.

„Sehen Sie zu, dass Ihre Frau einen neutralen Ausländer heiratet. Das ist die Lösung! Meinen Segen haben Sie.“

Wie im Falle seiner Ehe mit Maria Herbot, mit der er seit 1924 zusammen ist. Herbot ist der Künstlername seiner Schauspielkollegin, denn bürgerlich heißt seine Frau Bernheim mit Nachnamen. Sie ist Jüdin. Der Druck auf die „Mischehe“ wird über die Jahre immer größer, bis Gustav Gründgens einen Termin bei Feldmarschall Hermann Göring arrangiert. Der bescheidet: „Sehen Sie zu, dass Ihre Frau einen neutralen Ausländer heiratet. Das ist die Lösung! Meinen Segen haben Sie.“ Die Ehe wird 1938 geschieden, Maria heiratet schnell einen schwedischen Schauspieler und kann sich so ins neutrale Ausland retten. Nach dem Krieg kehrt sie nach Deutschland zurück und stirbt 1957 in München – ohne dass es zu einer Wiederannäherung zum Ex-Mann gekommen ist. Rühmann ist seit 1938 mit der österreichischen Schauspielerin Hertha Feiler liiert.

Zwischen 1933 und 1945 dreht Rühmann 37 Filme als Schauspieler, bei vieren ist er für die Regie verantwortlich. Mit seinem Auftritt in Wenn wir alle Engel wären von 1936 outen sich von nun auch Hitler und Goebbels als Rühmann-Fans. Mit der harmlosen Komödie wird zugleich auch das Rühmann’sche Rollenmuster zementiert. Rühmann mimt seitdem fast durchgehend den harmlos wirkenden kleinen Mann, den sympathischen Mann aus dem Volke, der mal etwas unbeholfen und tollpatschig durchs Leben irrlichtert, der dann aber doch allen Widrigkeiten trotzt, die Menschen und vor allem die schönste Frau für sich gewinnt – weil er mit Witz, Pfiffigkeit und einem jungenhaften Charme ausgestattet ist, vor allem aber weil er ein sehr, sehr großes Herz hat. Die Traumgestalt des deutschen Spießers also, wie er sich selbst am liebsten sieht.

DVD-Cover der „Feuerzangenbowle“. Der Film ist bis heute Kult.

Im Großen und Ganzen dreht Rühmann in den NS-Jahren eher harmlose Streifen. Im Nachhinein ärgert sich Rühmann lediglich darüber, dass er dem Publikum zu viel Konfektionsware zugemutet habe. Zwei Filme stechen allerdings hervor: Die Feuerzangenbowle und Quax, der Bruchpilot. Die Komödie Die Feuerzangenbowle wurde größtenteils Mitte 1943 in einer „absurden Situation“ gedreht, erinnert sich Rühmann. Denn auf Berlin und Potsdam-Babelsberg, dem Drehort, fielen bereits alliierte Bomben. Und so musste der arme Rühmann, obgleich unausgeschlafen, den ganzen Drehtag lang lustig sein. „Unerklärlich zwar, aber es ging.“ Rühmann spielt den berühmten Hans Pfeiffer „mit drei F“, der zwar schon lange erwachsen ist, sich aber als Schüler verkleidet, um an einer Schule seinen Lehrern Streiche zu spielen und dort natürlich auch die Liebe seines Lebens zu finden, selbst wenn diese 20 Jahre jünger ist als er.

Die Feuerzangenbowle ist im Nachkriegsdeutschland zum Kultfilm avanciert – bis heute. An zahlreichen Unis wird er in der Adventszeit aufgeführt. 1964 hatte er seine Premiere im deutschen Fernsehen, bemerkenswerterweise im Fernsehen der DDR, lief dort seitdem fast in einer Dauerschleife (siehe Heinz Adameck, Teil 1). Erst fünf Jahre später zog das westdeutsche TV nach. Dabei wäre der Film 1944 fast gar nicht in die Kinos gekommen, sondern „wegzensiert“ worden. Reichserziehungsminister Rust wittert nämlich eine Verunglimpfung des Lehrerstandes. Also muss Rühmann wieder bei Göring strammstehen. Als der sich den Film anschaut, klopft er sich immer wieder vor Lachen auf die Schenkel, sodass Hitler befiehlt: „Dann soll er sofort anlaufen!“

Bei dem Streifen handelt es sich um einen typischen Durchhaltefilm. Er versetzt sein Publikum in die – für fast jeden schöne – Pennäler-Phase zurück. Und die damaligen Zuschauer zudem um mindestens vier Jahrzehnte zurück, denn das Setting liegt in der kriegsfreien Kaiserzeit, allerdings mit einem vor Kraft strotzenden Deutschland. Quax, der Bruchpilot, bereits 1941 entstanden, soll indes als klassisches Wehrertüchtigungswerk fungieren. Rühmann, selbst begeisterter Pilot (und Autofreak), wird hier als zwar nur zum Sportflieger ausgebildet. Der Film will jedoch mit komödiantischen und teilweise zart subversiven Kunstgriffen die zwingende Notwendigkeit von Drill, Unterordnung und Gehorsam vermitteln – beim Militär und überhaupt. Ein höchst zweifelhafter Film, den Rühmann allerdings auch noch später verteidigt.

Die Nachkriegsjahre: Versuche der Reinwaschung

Die ersten Nachkriegsjahre werden für Heinz Rühmann zu einer beschwerlichen Zeit. Für die meisten Deutschen sind es schwere Jahre. Doch wahrscheinlich hat Rühmann, Teil der Kultur-Elite, nicht damit gerechnet, dass auch ihm eine harte Zeit bevorsteht. Es beginnt damit, dass in den letzten Kriegswochen sein Holzhaus abbrennt. „Mit einem Handwagen, auf den wir unsere Habseligkeiten aufgeladen hatten, brachten wir im Laufe von wenigen Wochen neun Umzüge hinter uns“, beklagt er sich. „Bis wir in Wannsee, im Haus neben dem Bürgermeister, einen vorläufigen Unterschlupf fanden.“

Zunächst hofieren die sowjetischen Besatzer den Nazi-Star. Dann jedoch nehmen ihn die britischen Offiziere mehrfach ins Kreuzverhör. Einer will wissen, warum er denn im Krieg so viele Filme gemacht habe. „Ich bin nun mal Schauspieler und spiele gern“, entgegnet er genauso lakonisch wie (selbst)bewusst unpolitisch. Rühmann erhält relativ schnell wieder eine Arbeitserlaubnis. Doch viel kann er damit erstmal nicht anfangen, denn die öffentliche Meinung hat sich gegen ihn gewendet, bis hin zu persönlichen Anfeindungen.

1941 hat Rühmann in dem Propaganda-Streifen Wunschkonzert mitgewirkt. Darüber hinaus war er für einige Ausgaben der Kino-„Wochenschau“ der Nazis als Kurierflieger unterwegs. Es kursieren aber auch schnell Gerüchte, Rühmann habe den Rang eines Luftwaffen-Offiziers bekleidet und sei als grausamer Gefreiten-Schleifer in Erscheinung getreten. Tatsächlich jedoch sind diese Fake News im letzten Kriegsjahr von der Nazi-Propaganda-Maschinerie in Umlauf gebracht worden, um Rühmann ein härteres und streng systemtreues Image anzudichten.

Diese „Arbeit“ trägt jetzt, nach Kriegsende, erst so richtig Früchte. Denn bis zum Ausbruch des Kalten Krieges mit der Sowjetunion als neuem-alten Hauptgegner steht (West)Deutschland ganz im Bann einer kurzen, aber heftigen Vergangenheitsbewältigung des besonderen Art. Einerseits streben die Alliierten zusammen mit demokratischen Kräften in der deutschen Gesellschaft eine ernsthafte Entnazifizierung an. Es entstehen Filme wie Die Mörder sind unter uns (1946) (siehe auch Wolfgang Staudte, Teil 1). Andererseits zeigt jeder mit dem Finger auf den anderen: „Der da hat mitgemacht! Nicht ich.“

Rühmann trägt sich in dieser für ihn unerwartet bitteren Zeit mit dem Gedanken, einen Film mit dem Titel Das Gerücht zu drehen, „in dem ein Mensch von Verleumdungen verfolgt wird, die wachsen und wachsen, sich lawinenartig ausbreiten, die Wahrheit immer mehr verdrängen, bis der Gejagte zum Strick greift. Ich hab‘ es bei dem Gedanken belassen.“ (1) Heinz Rühmann war dann ganz offenbar doch mental stabiler als sein Vater, der sich das Leben nahm. Statt Das Gerücht dreht Rühmann Der Herr vom anderen Stern (1947/48) als seinen ersten Nachkriegsfilm.


Der Film wirkt aus heutiger Sicht wie eine frühe SciFi-Gesellschaftssatire, hat also durchaus experimentellen Charakter, was zum „Anything-goes“-Geist der Zeit des Umbruchs passt. Die teils monumentalen Kulissen zu Beginn erinnern an Metropolis (1927) von Fritz Lang – oder an Albert Speers urbane Zukunftsvision „Germania“. Rühmann kommt als Außerirdischer auf die Erde und ist mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestattet, wie etwa aus dem Nichts Materie herzustellen oder allein durch Konzentration durchs Weltall zu reisen. Allerdings verlässt Heinrich (sic!) die Erde wieder recht schnell – desillusioniert, ja angewidert von der Politik, von der Wirtschaft, vom Staat und vom Militär.Und auch vom menschlichen Verhalten in Liebesbeziehungen.

Heinrich vom anderen Stern hält also den Menschen auf dieser Erde den Spiegel vor und zeigt ihnen, wie unsinnig ihr Anpassertum ist, weil unendlich viele Regeln allenthalben gegen jede Vernunft und gegen jeden Humanismus verstoßen. Folglich plädiert Rühmann dafür, diese Regeln kritisch zu hinterfragen und sogar zivilen Ungehorsam zu leisten. Eine 180-Grad-Wende ausgerechnet bei dem Mann, der als Kleinbürger immer und überall dazu gehören wollte. (3)

Ähnlich wirr wie bei vielen anarcho-libertären Gedankenspielen geht es auch in Rühmanns erstem Nachkriegsfilm zu. Denn eigentlich ist er gegen jeden und alles, der Spiegelfechterei fehlt der klar konturierte Gegner. So wirkt „Der Herr vom anderen Stern“ zum einen wie eine sublimierte Fassung seiner „Gerücht“-Idee, zum anderen wie ein Versuch der cineastischen Reinwaschung des prominenten Nazi-Protegés Heinz Rühmann. Ein vorübergehender Bruch mit der alten Identität also. Dass ausgerechnet Rühmann sich als der große Nonkonformist aufspielt, der nicht mit den Wölfen heult, wirkt reichlich verlogen. Dabei hat Rühmann einen Bruder im Geiste an seiner Seite: Regie führt nämlich der Theaterregisseur Heinz Hilpert, der ganz ähnlich wie sein Hauptdarsteller unter den Nazis Karriere gemacht hat.

Nachdem Der Herr vom anderen Stern wieder im All verschwunden ist, ist es das auch bis auf Weiteres in Sachen angetäuschter Vergangenheitsbewältigung. 1956 dreht er mit Der Hauptmann von Köpenick nach dem Bühnenwerk von Carl Zuckmayer einen seiner bekanntesten und beliebtesten Filme. Regie führt Helmut Käutner, neben Wolfgang Staudte einer der einflussreichsten Nachkriegsregisseure, allerdings auch ein im Dritten Reich „Daheimgebliebener“ – wenngleich mit deutlich größerem Abstand zu den Nazis als Rühmann. Käutner will seine Hauptrolle unbedingt mit Rühmann besetzen und setzt sich letztlich gegen die Filmproduzenten, beide jüdische Nazi-Verfolgte, durch.

Rühmann darf nun den kriminellen Schuster Wilhelm Voigt spielen, der in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts durch unüberwindbare bürokratische Hürden nicht zurück ins bürgerliche Leben finden kann, sich daraufhin eine gebrauchte Hauptmannsuniform überwirft und kurzerhand das Köpenicker Rathaus besetzt, um an die ersehnten Papiere heranzukommen. Der Film lässt sich wie die Theatervorlage als beißende Satire auf den Untertanengeist des Kaiserreiches und den preußischen Militarismus lesen. Allerdings bleibt der Film auch sehr nah am Einzelschicksal des armen Schusters kleben, den Rühmann mit größtmöglicher Rührseligkeit ausstattet.

Polizeibilder von Wilhelm Voigt, dem echten Hauptmann von Köpenick. Foto: Anagoria/Wikicommons

Mit großem Wohlwollen ließe sich aus dem Film auch ein politische Aussage Rühmanns herauslesen – gerade in den Jahren westdeutscher Restauration. Doch in seinen Memoiren lässt der Schauspieler durchblicken, dass ihn vor allem Voigts Charakter und dessen Husarenstück gereizt haben. Rühmann dürfte allerdings auch dem Lockruf des angesehenen Käutners nicht widerstanden haben können. (1)

In der jungen Bundesrepublik wird fleißig verdrängt, bis Mitte der Fünfziger Jahre erste zeitkritische Filme wie Wir Wunderkinder, Rosen für den Staatsanwalt oder Die Brücke erscheinen, die auch die NS-Zeit ins Visier nehmen. In diesem Zuge kommt auch 1960 Mein Schulfreund in die Kinos. Der Film lehnt sich an ein Theaterstück von Johannes Mario Simmel an, wird aber an einigen Stellen glattgebügelt, wenn zum Beispiel kein von den NS-Schergen abgeholter jüdischer Junge, sondern ein im Bombenhagel sterbender fahnenflüchtiger Flakhelfer zum Aha-Erlebnis für den Geldbriefträger Ludwig Fuchs wird.

Fuchs, vom sichtbar gealterten Rühmann gespielt, bittet daraufhin seinen alten Schulfreund Hermann Göring (!) mit einem Brief, den sinnlosen und nicht mehr zu gewinnenden Krieg zu beenden. Ein Adjutant Görings will Fuchs daraufhin hinrichten lassen, doch der Reichsfeldmarschall und einer seiner Helfershelfer veranlassen, dass der Schulfreund für geisteskrank erklärt wird und so dem Tode entrinnt. Nach dem Krieg wird Fuchs trotz aller Mühen seinen Macken-Makel jedoch nicht los, bis er durch eine List eine erneute Untersuchung erzwingen kann.

Die Botschaft des Films ist klar: Es gab viele „böse“ Nazis, aber auch einige gutherzige – die Legenden vom guten Göring. Am Anfang des Films geht der Geldbriefträger mit der NS-Gewaltherrschaft hart ins Gericht und redet von einem „unmenschlichen Regime“. Einer der bösen Nazis hat es in der Bundesrepublik zum Wirtschaftskapitän gebracht und lässt sich auch nicht anfechten. Insgesamt wirkt das NS-Setting jedoch eher wie eine Folie für die zeitlose Kernbotschaft des Films: Wenn nur jeder an sich denkt, kann es nicht gelingen, unrechte Verhältnisse zu beseitigen. Immerhin.

Doch Mein Schulfreund ist ein ausgesprochen schwacher Film. Vor meist langweiliger Studiokulisse ergehen sich die Protagonisten inklusive Rühmann immer wieder in pädagogisch wertvollen Belehrungen. Kein Wunder, dass der Film beim Publikum wie bei der Kritik floppt. Dies galt gut zehn Jahre zuvor auch schon für den Herr vom anderen Stern. Diesen Film wird Rühmann allerdings noch aus einem anderen Grund in schlechter Erinnerung behalten haben. Denn just zu diesem Anlass hat Rühmann eine eigene Film-Firma gegründet, die zehn weitere Filme produziert, 1951 aber in die Pleite schlittert. Bis zum Abschluss der Liquidation 1959 darf Rühmann große Teile der Gagen an seine Gläubiger abtreten. Er dürfte dabei schmerzlich an seinen risikofreudigen Vater erinnert worden sein.

Ein scheinbar non-binärer Rüh-Mann

Dass Rühmanns „anderer Stern“ wegen seiner jüngsten Vergangenheit am Sinken ist, erzählt freilich nur einen Teil der Geschichte. Der Star erklärt sich seine Krise vor allem mit der Pleite seiner Film-Firma. Angeblich wolle niemand einen hoch verschuldeten Schauspieler engagieren. Kritiker monieren indes, dass sich die Rühmann-Filme wie ein Ei dem anderen glichen. Rühmanns große Krise lässt sich aber auch biologisch erklären: Ende der vierziger Jahre ist der Schauspieler Ende Vierzig und damit ein Herr im gesetzten Alter. Andere, deutlich Jüngere drängen vor die Kamera, darunter Dieter Borsche, O.W. Fischer und Paul Hubschmid, die zudem deutlich andere Männertypen verkörpern.

1949 dreht Rühmann zwei belanglose Filme. Dann ist erstmal Funkstille, bis er 1952 mit Das kann jedem passieren einen ersten ernsthaften Comeback-Versuch unternimmt. Die Komödie um die Ehekrise des überkorrekten und zugleich tollpatschigen Steuerberaters versucht es mit der humoristischen Brechstange und scheitert grandios. Rühmann wirkt durch sein völlig übertriebenes Spiel vor allem peinlich. Zwei Filme später kann sich der altgediente Mime mit Keine Angst vor großen Tieren jedoch wieder in die Herzen des Publikums spielen. Zum Erfolg des Films dürften auch die spektakulären Zirkus-Szenen beigetragen haben. So bändigt der technische Zeichner Emil Keller drei Löwen in der Manege. Allerdings trennt Rühmann und die Raubtiere bei den Aufnahmen eine dicke Glasscheibe voneinander, was das Kino-Publikum allerdings nicht erkennen kann. Wirklich eindrucksvoll sind dagegen die Szenen, wie ein Messerwerfer sich Rühmann vornimmt.

Bei Keine Angst schlüpft Rühmann wieder in seine alte Rolle des sympathischen kleinen Mannes. In die des Untertans, der sich zunächst von den „großen Tieren“ unterbuttern und drangsalieren lässt, sich aber schließlich geschickt zur Wehr setzt, schlicht weil er Mut fasst. Der Unterschied zu seinen früheren Kleiner-Mann-Filmen besteht indes darin, dass er seine Angebetete nur dadurch gewinnen kann, dass er als ganzer Kerl auftritt.

Während die streckenweise arg klamaukige Komödie mit dem ausgeprägten Hierarchie-Denken der Restaurationsjahre spielt, bewegt sich Briefträger Müller, der ebenfalls 1953 in die Kinos kommt, wieder ganz auf Linie. Der Keine Angst-Streifen propagiert die begrenzte und rein individuelle Auflehnung gegen Machtstrukturen. Briefträger Müllers Botschaft lautet dagegen, dass Geld (hier durch eine Erbschaft) nur den Charakter verdirbt und der „Schuster“ bzw. Briefträger doch bitte seinen Leisten/Briefen bleiben solle. Der Film strahlt durch seine Anlehnung an den deutschen Heimatfilm der frühen 1950er eine zusätzliche Spießigkeit aus und spielt geschickt mit der Italien-Sehnsucht der Westdeutschen.

Briefträger Titus Müller überreicht der Sängerin Mira Belle die Post höchstpersönlich. Heinz Rühmann versucht, über die nackten Tatsachen hinweg zu schauen. Foto: United Archives/Imago.

Bemerkenswert ist an Briefträger Müller allerdings nicht nur, dass es sich um Rühmanns ersten Farbfilm handelt, sondern dass er vor erotischen Anspielungen nur so strotzt. Seine Frau Charlotte spricht Titus Müller immerzu mit dem Kosenamen „Kaninchen“ an. Als das Erbe lockt, will der dreifache Vater seinen Jüngsten in ein eigenes Zimmer bugsieren, damit er mit seinem Kaninchen endlich richtig freie Bahn hat. Im Laufe des Films bandelt Müller, als er jedwede Bodenhaftung verloren hat, mit der lasziven Sängerin Mira Belle an. Für den außerehelichen Sex zahlt Müller allerdings einen hohen Preis: Er verliert nicht nur seine Frau, sondern gleich auch seine Familie – und sitzt nun ganz allein in seiner Bodensee-Idylle aus Laubengang und rankendem Wein.

Der Film deutet zwar einen Ausbruchversuch aus der repressiven Sexualmoral der fünfziger Jahre an. Der Delinquent mit dem ausgeprägten Samenstau wird aber schnell wieder eingefangen und auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Genügsamkeit ist angesagt – in jeder Hinsicht. Dass es auch Gegenentwürfe gibt, zeigt Auf der Reeperbahn nachts um halb eins (1954). Hans Albers spielt hier den musikalischen Seemann Hannes Wedderkamp, der zwar ein gutes Herz hat, aber als durchsetzungsstarker, viriler und promiskuitiver Chauvi in Erscheinung tritt. Nicht nur deshalb spielt Albers Rühmann in diesem leicht schlüpfrigen Revuefilm ohne Pardon an die Wand. Albers bekommt von der Regie deutlich mehr Spielraum, er tritt charismatischer auf und macht aus seiner Egozentrik keinen Hehl.

Rühmann wirkt dagegen verunsichert und weich, ja fast ein bisschen farblos. Vor allem aber hält er sich auf der verruchten Reeperbahn brav an die gesellschaftlichen Konventionen. Das ist phänotypisch für den Heinz Rühmann der 1950er Jahre. Zum einen ist dies sicherlich auf die besagte Sexualmoral der Nierentisch-Ära zurückzuführen, wobei Ausnahmen wie Albers die Regel bestätigen. Zum anderen hängt dies aber sicher auch mit dem Selbstverständnis des Schauspielers und seiner „objektiven“ Erscheinung zusammen.

Nicht jeder Schauspieler, auch nicht jeder Star muss ein Ausbund an Sex-Appeal sein. Doch Rühmann trägt aktiv dazu bei, seine Männlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes zu verbergen. In vielen seiner 50ies-Filme läuft Rühmann in seinem Studio-Zuhause im hoch aufgeschlossenen Schlafanzug herum, im Bett bleiben seine Hände stets über der Decke. Denn die Horizontale ist für ihn vor allem der Ort, an dem er sich mit seiner Partnerin über die Sorgen und Nöte des Tages austauscht. (3) Wenn es denn tatsächlich mal zu Zärtlichkeiten kommt, dann wird brav Händchen gehalten oder es werden Küsschen mit maximal gespitzten Lippen ausgetauscht. Rühmann wirkt aseptisch, asexuell, androgyn. Wie ein Neutrum. Modern ausgedrückt könnte man auch fast schon von einem non-binären Menschen sprechen. Auf die Spitze treibt Rühmann sein Geschlechterwirrwarr in dem Travestie-Streifen Charleys Tante (1956), als er in Frauenkleider schlüpft und mit Fistelstimme singt.

La-Le-Lu: Der Vater unser

Am stärksten sticht jedoch Rühmanns Rolle als Vater hervor, ein Charakter, den Rühmann im Laufe der Fünfziger immer weiter kultiviert. Am Endpunkt, bei Der Lügner (1961), spielt er den leiblichen Vater eines kleinen Mädchens. In Der Pauker (1958) gibt er einen Lehrer, der mit seiner väterlichen Art die Halbstarken der Großstadt zähmt (vgl. dazu auch Wolfgang Kohlhaase und seinen DEFA-Film Berlin – Ecke Schönhauser im Vergleich mit dem westdeutschen Die Halbstarken). In eine ähnliche Rolle schlüpft er beim Jugendrichter (1960). Die große Besonderheit liegt aber darin, dass Rühmann auch häufiger Väter von Kindern spielt, deren Zieh- oder Stiefvater er höchstens ist. Das beginnt mit Auf der Reeperbahn, als er sich als „Pitter Breuer“ um die erwachsene Anni wie ein leiblicher Vater kümmert und diese auch glaubt, er sei es. Es stellt sich jedoch heraus, dass der Weltbummler Hannes der wahre Erzeuger ist, was zum vorübergehenden Zerwürfnis der beiden Freunde Pitter und Hannes führt.

Während das Vater-Kind-Thema auf der Reeperbahn nicht im Mittelpunkt des Geschehens steht, rückt es bei Wenn der Vater mit dem Sohne (1955) ins Zentrum. Rühmann spielt Teddy Lemke, den Besitzer eines schlecht laufenden Zauberladens. Früher trat er als bekannter Musikclown auf. Doch als sein kleiner Sohn starb, gab er seine Karriere auf. Jetzt kümmert er sich äußerst liebevoll um Ulli, der eigentlich bei Teddys Wirtin in Pflege ist. Die wiederum hat ihn von dessen Mutter Gerti übernommen, weil sie in die USA ausgewandert ist und einen reichen Amerikaner geheiratet hat. Doch nun kommen Gerti und ihr Mann nach Deutschland, um Ulli nachzuholen. Als Teddy Lemke davon Wind bekommt, flieht er mit dem Sechsjährigen in die Schweiz. Nach einer wilden Verfolgungsjagd und einer langen Aussprache übergibt Teddy schweren Herzens seinen „Sohn“ wieder der leiblichen Mutter.

Genau genommen handelt es sich bei Teddys Vorgehen um einen klaren Fall von Kindesentführung. Dieser Begriff fällt tatsächlich auch einmal kurz in der großen Aussprache. Doch letztlich nimmt der Film recht eindeutig Partei für den „wahren“ Vater Teddy Lemke, der seinen Pflegesohn mit Liebe überschüttet. Einen Höhepunkt erreicht diese innige Beziehung, wenn Rühmann Ulli mit „La-Le-Lu – nur der Mann im Mond schaut zu“ ein herzergreifendes Einschlaflied singt. Rühmann nimmt hier eine neu definierte Vaterrolle ein, die weit über die tradierte des Erzeugers, Ernährers und strengen Erziehers hinausgeht. Die Botschaft ist klar: Auch Väter (selbst wenn sie nicht leiblich sind) sind für Kinder enorm wichtige Bezugspersonen. Die Mütter allein genügen nicht.

Während Wenn der Vater mit dem Sohne als massenkompatibles Rührstück angelegt ist, wartet Vater sein dagegen sehr (1957) zwar auch einem vorhersehbaren Happy End auf, doch der Film ist weniger triefend, ist komplexer strukturiert und tritt gegen moralinsaure Engstirnigkeit ein. Rühmann, inzwischen mit blondgefärbtem Haupt, spielt einen verarmten Bohémien, den Schriftsteller Lutz Ventura (warum nicht gleich Lino?), der in der tiefsten fränkischen Provinz mit der wohlhabenden Hoteliers-Tochter Marianne Koch alias Margot Sonnemann liiert ist und diese bald heiraten will.

Doch als seine Schwester im fernen München stirbt, muss er sich von einem Tag auf den anderen um deren Kinder, einen sechsjährigen Sohn und eine dreizehnjährige Tochter, kümmern. Nichte und Neffe tun alles, um da bleiben zu können, und vergraulen damit Lutz‘ Verlobte Margot, die lieber eigene Kinder zeugen will. Lutz muss sich zwischen den Kindern und der attraktiven Margot entscheiden, da spricht der Pfarrer sein Diktum aus: „Wenn es ein wertvoller Mann ist, dann muss er die Liebe der Pflicht opfern.“ Das überzeugt auch Margot, die sich einen Schubs gibt und vom traditionellen Familienbild befreit. In Vater sein dagegen sehr, im Jahr 1957, kommt gewissermaßen die deutsche Patchwork-Familie auf die Welt, denn es ist ja davon auszugehen, dass Lutz und Margot auch für weitere Nachkommen sorgen werden.

Ausklang: In der Wiederholungsschleife

Zwischen 1948 und 1960 dreht Heinz Rühmann 25 Filme. Rühmann macht zwar bis 1977 weiter, aber schon in den Sechzigern werden es deutlich weniger Engagements. Rühmann ist in die Jahre gekommen, sein Stern verblasst etwas. Anfang der Sechziger reüssiert er noch einmal als schlitzohriger Pater Brown, der Kriminalfälle quasi im Vorbeigehen löst.

1961 kann er als Der brave Soldat Schweijk an den internationalen Erfolg des Hauptmann von Köpenick (1956) anknüpfen, aber er kommt nicht mehr wirklich heran. Die anderen Kinofilme sind eher belanglos. Seit Mitte der Fünfziger ist Rühmann auch in französischen Produktionen wie Zwischenlandung in Paris (1954) und Menschen im Hotel (1959) zu sehen. 1965 gibt es für Rühmann in der Hollywood-Produktion Das Narrenschiff eine Art Hauptnebenrolle – ausgerechnet als jüdischer Kaufmann. Eine internationale Karriere ist ihm jedoch nicht beschieden.

Januar 1994 in Linz. Rühmann von sich selbst zu Tränen gerührt: Der fast 92jährige nimmt „standing ovations“ des Publikums der Fernsehshow „Wetten, dass…?“ entgegen. Rechts neben ihm Sowmaster Thomas Gottschalk. Foto: Teutopress/Mago

Rühmann übernimmt seit Ende der Sechziger verstärkt Rollen im Fernsehen, dem neuen Leitmedium. Er bevorzugt Charakterrollen – sei es als Handlungsreisender, Pfandleiher oder Clochard. Anfang der Sechziger hatten sich seine treuen Fans noch heftig dagegen gewehrt, als Rühmann andeutete, er wolle sich von seiner Dauerrolle als „kleiner Mann“ emanzipieren. Seine TV-Auftritte bringen ihm zwar nun Anerkennung für seine künstlerischen Leistungen ein, aber beileibe nicht den Zuspruch der Zuschauer wie seine früheren Kinofilme. Diese laufen in regelmäßigen Wiederholungen im west- wie im ostdeutschen Fernsehen – von der Feuerzangenbowle über den Hauptmann und Wenn der Vater mit dem Sohne bis zu Pater Brown. Heinz Rühmann bleibt so allgegenwärtig in deutschen Wohnzimmern und wird so zur generationsübergreifenden Kultfigur.

1993 ist Rühmann noch einmal in In weiter Ferne, so nah! zu sehen, dem Nachfolger von Wim Wenders Himmel über Berlin auf. Anfang 1994 tritt der fast 92jährige in der Fernsehshow Wetten, dass…? auf. Er erhält standing ovations vom Publikum, ist zu Tränen gerührt. Sein letzter großer Auftritt. Am 3. Oktober 1994 schläft Heinz Rühmann in seiner Villa am Starnberger See für immer ein. Zwei Tage später macht die 20-Uhr-„Tagesschau“ Rühmanns Tod zu ihrem Aufmacher. „Tagesschau“- Sprecherin Dagmar Berghoff verliest die Todesnachricht über „den bekanntesten und wohl beliebtesten Schauspieler Deutschlands“. Der darauffolgende filmische Nachruf lobt seine „einfache und natürliche Art, die ihn für jedermann zur Identifikationsfigur werden ließ.“ Über die Zeit 1933 bis 1945 kein Sterbenswörtchen. Die „Tagesschau“ präsentiert Rühmann genau als den, wie ihn die meisten Deutschen sehen wollen.

Würdigung: Der facettenreiche Opportunist, die neue Vaterfigur

Wahrscheinlich war Heinz Rühmann tatsächlich der beliebteste Schauspieler des 20. Jahrhunderts, zumindest der beliebteste in den vier Nachkriegsjahrzehnten bis zum seinem Tod. Sein Ruhm begründete sich vor allem auf dem NS-Durchhaltefilm Die Feuerzangenbowle sowie auf seine zahlreichen Auftritte in den 1950er Jahren. Diese sind in den darauffolgenden Jahrzehnten im West- wie im Ost-Fernsehen in einer Art Dauerschleife zu sehen und verleihen ihm so eine nachhaltige Präsenz in der deutschen Kultur.

Vor allem seine „Vater“-Filme packen durchaus heiße gesellschaftliche Eisen an, verkitschen diese aber und unterbinden so zumindest weitgehend ernsthafte Anschlussdiskussionen. Als ausgesprochene Familien-Filme führten die Rühmann-Werke seit den 1960ern, die stärkere Zentrifugalkräfte in den klassischen Familienverband brachten, bei ihren Zuschauern im westdeutschen Spießbürger-Wohnzimmern zu Affekten in der Art von „Was können wir doch froh sein, dass wir nicht solche Probleme haben!“

Zu Bekanntheit gelangte Rühmann noch in den letzten Jahren der Weimarer Republik. Richtig Karriere machte er aber unter dem NS-Regime. Der Biedermann schien sich anzubiedern. Bei genauem Hinsehen gewinnt man jedoch den Eindruck, dass Rühmann seine guten Beziehungen zu Nazi-Größen wie Goebbels und Göring eher für sich nutzte, als dass er sich über Maßen von diesen instrumentalisieren ließ. In seinen Memoiren erwähnt er neben der Scheidung von seiner ersten Frau und dem Feuerzangenbowle-Bettelgang zu Hitler und Göring in diesem Zusammenhang lediglich ein weiteres Erlebnis.

Ich sprach offen über die Vergangenheit, in der viele – und sicher auch ich – zu oft Scheuklappen getragen und die Ohren verschlossen hatten.

Als er 1963 zu Dreharbeiten in die USA fährt, trifft er dort deutsche Emigranten, die nicht mehr in ihrer Muttersprache mit ihm reden wollen. „Ich ahnte, was einige dachten: da kam einer aus Deutschland, hatte eine schöne Rolle in einem großen Film, einer, dessen Karriere in einer Zeit begann, die für sie mit Angst und Verfolgung verbunden war. Ich verstand diese Überlegungen und sprach offen über die Vergangenheit, in der viele – und sicher auch ich – zu oft Scheuklappen getragen und die Ohren verschlossen hatten. Meist lockerte sich nach diesem Eingeständnis die fühlbare Spannung.“ Mehr als diese wenigen mageren Sätze und eine halbgare Abbitte hat Rühmann in seinen Erinnerungen für die dunkle NS-Zeit nicht übrig. Kühl schiebt er sie beiseite.

Was auch nicht verwundert. Denn Heinz Rühmanns Botschaft ist schließlich er selbst. Sein „Programm“ fächert sich in vier Facetten auf. Die erste: Rühmann verkörpert den kleinen Mann. Auf den ersten Blick wirkt das schmächtige Männchen wie ein absoluter Durchschnittstyp, wie ein unfreiwilliger Anpasser. „Seine Zuschauer nehmen Anteil an seinen Hoffnungen und Enttäuschungen, weil sie darin ihre eigenen verborgenen und verschwiegenen Sehnsüchte, ihre eigenen persönlichen Ängste wiedererkennen, ohne sich bloßgestellt zu fühlen und ohne sich schämen zu müssen“, beobachten Görtz/Sarkowicz (2). Doch dabei bleibt es nicht. Bei all seiner Biederkeit ist Rühmann auch listig und gewitzt und erreicht am Ende doch immer seine Ziele. Ein Durchschnittstyp also, der in Wahrheit gar keiner ist. Genauso wollen sich viele Menschen sehen.

Rühmann scheint den Phänotypus des kleinen Mannes zu bilden, wie es ihn überall auf der Welt gibt – unabhängig vom jeweils herrschenden politischen System. Also wurstelt sich Rühmann immer durch. Frei nach dem Motto „Jeder ist seines Glückes Schmied“, ist also stets auf der Suche nach persönlichen Lösungen. Dieser Individualismus soll betont unpolitisch wirken, ist aber natürlich allein schon dadurch politisch, dass er auf das Durchsetzungsvermögen des Einzelnen setzt und nicht etwa auf gemeinschaftliche oder gar gesamtgesellschaftliche Lösungen.

Stets freundlich zu den Damen: Heinz Rühmann 1960 zu Besuch in den Niederlanden. Foto: Been van Meerendonk/AHK Collectie.

Die zweite Facette ist die des Komikers. Der große Komiker der fünfziger Jahre heißt Heinz Erhardt, der vor allem in seinen „Willi“ von einem Fettnapf in den anderen tritt und sich als liebenswerter Trottel stilisiert. Heinz Rühmann hätte wohl am liebsten in der Rolle des (Zirkus-)Clowns gegengehalten. Die Möglichkeit dazu wurde ihm – Gott sei Dank! – nur sehr begrenzt gegeben. Rühmann ist eher der klassische Komödien-Typ: Immer wieder mal darf er sich – mal als Tollpatsch, mal als wortgewandter Galan, mal als lustiger Vater – von seiner humoristischen Seite zeigen. Doch das Gefühlvolle, Melodramatische darf dabei nie zu kurz kommen.

Facette Nummer drei: Rühmann ist der liebe, mithin harmlose Mann. Ein Frauentyp der besonderen Art. Denn auch hier steht er für den Durchschnitt. Er ist beileibe kein Latin Lover, der seine animalischen Triebe in Brunftgehabe auslebt. Er ist bieder, zuverlässig und brav, nur manchmal auch ein bisschen keck. Auch hier ist er Identifikationsfigur für Millionen „gesichtsloser“ deutscher Männer. Rühmann ist in den Fünfzigern auch schon deutlich über fünfzig Jahre alt. Alter und Ausstrahlung dürften dafür gesorgt haben, dass Rühmanns Wirkungskreis auf den deutschsprachigen Raum beschränkt blieb.

Die vierte Facette bildet die des milden Vaters. Rühmann prägt für die fünfziger Jahre ein außergewöhnliches Vaterbild, einen Gegenentwurf zum strengen Erzieher. Aus gesellschaftspolitischer Perspektive ließe sich auch sagen: Er ist kein „Führertyp“ und, wenn auch blond und damit „deutsch“, das krasse Gegenteil eines germanischen Hünen. In der 1950ern hat auch Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, der väterlich wirkende Professor, deutlich höhere Beliebtheitswerte als der spröde-streng wirkende Kanzler Adenauer.

Rühmann passt wunderbar in dieses Schema. Nach der martialischen NS-Zeit sind nun erstmal sanftere Leitfiguren angesagt. Und bei Rühmann menschelt es ungemein. Inge Meysel darf ein paar Jahre später den Ruf der „Mutter der Nation“ genießen: Sie ist zwar herzensgut, aber auch richtig zupackend. Heinz Rühmann, der „Vater der Nation“ ist dagegen mild, sanft, manchmal ein bisschen sensibel und melancholisch, aber letztlich doch sehr positiv in seiner ganzen Ausstrahlung. Eine Art vorgezogener emanzipatorischer Rollentausch. Das mögen die Wirtschaftwunder-Deutschen und stilisieren Heinz Rühmann fast zu einer säkularen Heiligenfigur. Zum „Vater unser“.

Quellen

(1) Rühmann, Heinz (1982/1995): Das war’s. Erinnerungen. 7. Aufl. Frankfurt/Main – Berlin.

(2) Görtz, Franz Josef/Sarkowicz, Hans (2001): Heinz Rühmann 1902-1994. Der Schauspieler und sein Jahrhundert. München.

(3) Körner, Torsten (2001): Der kleine Mann als Star. Heinz Rühmann und seine Filme der 50er Jahre. Frankfurt/New York.

Sowie die wichtigsten und weniger wichtigen Rühmann-Filme.

© Die Zweite Aufklärung 2024 (Titelfoto: Imago)

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Prof. Lutz Frühbrodt

Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Professor für "Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation" an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zu kommunikations- und wirtschaftspolitischen Themen. Spezialgebiet Mediensoziologie. Zuvor ein knappes Jahrzehnt Wirtschaftsreporter bei der "Welt"-Gruppe - als Teilstrecke seines Marsches durch die Institutionen. Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität in seiner Heimatstadt Berlin. Volontariat beim DeutschlandRadio Kultur.

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