19. Salon-Abend am 15.11.2013: „Aufgeklärt und doch religiös – ein Widerspruch?“

Wir sind Papst! Ein Limburger Protz-Bischof. Missbrauchs- und Beschneidungsdebatten. Hunderttausende Menschen auf Kirchentagen. Ob wir es wollen oder nicht, Kirche und Religion sind in unserem Alltag omnipräsent. Die Aufklärung im 18. Jahrhundert fungierte zwar als Ausgangspunkt einer umfassenden Säkulari-sierung, in Deutschland fiel sie aber letztlich viel zahmer aus als beispielsweise in Frankreich. Eine strikte Trennung zwischen Staat und Kirche gibt es nicht. Hätten die Aufklärer nicht doch besser ganze Sache machen sollen? Oder hat sich das Verhältnis zwischen Staat und Kirche, zwischen Vernunft und Religion über die Zeit doch auf für die große Mehrheit akzeptable Weise eingependelt? Die Meinungen darüber gingen beim 19. Salon-Abend weit auseinander.

Wie schwer wiegt Gottes Last? Foto: S. Nivens/Fotolia

Vor allem die abtrünnigen Katholiken unter den Teilnehmern betonten, dass die Institution Kirche noch nicht weit genug als gesellschaftlicher Taktgeber und selbst ernannte moralische Instanz zurück gedrängt worden sei. So wurde zum Beispiel auf die noch immer enge Verzahnung zwischen den Eliten aus Kirche und Politik verwiesen. Und: Das Gebot der Stunde und weit darüber hinaus müsse gerade für junge Menschen nicht Freiheit zu, sondern auch Freiheit von der Religion heißen. Die Jüngeren hätten heute eh ein sehr entspanntes Verhältnis zur Religion, hielten andere entgegen. Es deute sich also eine biologische Lösung an. Ein weiteres Argument, das ins Spiel gebracht wurde: Jenseits aller Verwerfungen, für die die Kirche über die Jahrhunderte verantwortlich sei, sei die christliche Religion ein wichtiger Teil unseres kulturellen Erbes und diene so als wichtiger Werteproduzent und Sinnstifter. Und zwar auch tief in Bevölkerungskreise hinein, die bewusst nichts mit Religion am Hut hätten.

Im zweiten Teil des Diskussionsabends ging es um den persönlichen Umgang mit Spiritualität und Religion. Ein Teil brandmarkte Religion als Selbstbetrug und Strategie, nicht auf sich selbst zurückgeworfen zu sein. Dabei fungiere Gott als „jolly joker“, als wohlfeile Erklärung für alles, was nicht vollständig erklärbar sei. Andere Teilnehmer sahen Religion indes als Möglichkeit, erhabene Momente des Zaubers und ein tiefes Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft zu erleben. In einer Gemeinde sei dieses Gefühl deutlich anders als etwa in einem Fußballverein.

Jeder Mensch habe eine Sehnsucht nach dem Erhabenen, Reinen und Übersinnlichen in sich, hieß es. Aber jeder müsse sich für sich selbst auf den meist beschwerlichen Weg machen, um Antworten auf die Frage zu finden, wie sich diese Sehnsucht am besten stillen lässt.

 

18. Salon-Abend am 30.8.2013: „Ungarn – Wie weit ist es noch bis zur Meinungsdiktatur?“

Ungarn-Expertin Sielaff. Foto: privat

„Einen Wandel zum Guten wird nur die jüngere Generation schaffen, die mit den alten Lagern nichts mehr zu tun haben will.“ So lautet das Fazit der Ungarn-Expertin Sugarka Sielaff, die am 30. August Referentin des 18. Salon-Abends der „Zweiten Aufklärung“ war. Mit den alten Lagern sind zum einen die aus der Kommunistischen Partei hervorgegangenen Sozialisten gemeint, die die ersten zwei Jahrzehnte nach der Demokratisierung weitgehend Ungarns Geschicke bestimmten und vor allem durch Korruptionsskandale in Verruf gerieten. Zum anderen die Bewegung Fidesz um Ministerpräsident Viktor Orban, der seit seinem Erdrutschsieg bei den Wahlen 2010 das Land nach seinen nationalkonservativen Vorstellungen radikal umbaut.

Prägend für die kollektive Psyche Ungarns sei die historische Fremdbestimmung durch andere Mächte (Österreich, Hitler-Deutschland, Sowjetunion, multinationale Konzerne und Organisationen). Wie und mit welchem Ergebnis diese Abhängigkeit zu überwinden sei, spalte das Land und führe immer wieder zu wechselnden Nutznießern und Opfern. „Die eine Klientel-Politik wird von der anderen abgelöst“, sagte Sielaff. „Derzeit reißt die Clique um Orban die Macht immer mehr an sich.“ Zu diesem Zweck hat die Fidesz-Partei zunächst mit ihrer Zweidrittel-Mehrheit im Parlament eine neue Verfassung verabschiedet und einzelne Gesetze geändert, mit denen Orban zum Beispiel die Medien des Landes umfassend kontrollieren kann.

„Das größte Problem ist aber die informelle Machtausdehnung von Fidesz“, sagte die NDR-Journalistin bei ihrem Vortrag in Berlin. In ihrem Film „Ungarn – Demokratie oder Diktatur?“ (ARTE 2012), der vor ihrem Vortrag gezeigt wurde, verdeutlicht sie, wie Orban vorgeht: So seien zahlreiche Schlüsselpositionen im öffentlichen Dienst mit Fidesz-Gefolgsleuten, der gesamte Kultursektor mit nationalistisch gesinnten Managern und Künstlern besetzt worden.

Schlechtes Vorbild für andere osteuropäische Länder?

Vaterland, Religion, Familie sowie Law and Order – das sind die zentralen Werte, mit denen Orban agiert und die stark an den Putin-Kurs in Russland erinnern. In der Diskussion mit Sugarka Sielaff wurde übereinstimmend festgestellt, dass Ungarn im schlimmsten Fall als Modell für andere nicht sehr stabile mittel- und südosteuropäische Ländern wie Bulgarien, Rumänien, Albanien oder die Slowakei dienen könnte.

Von äußeren Interventionsversuchen der Europäischen Union, um eine Deformation Ungarns von einer Demokratie zu einem autoritären Regime zu verhindern, hält Sielaff wenig. „Schon auf Grund der Geschichte muss das Problem auf jeden Fall von den Ungarn selbst gelöst werden“, ist sie überzeugt. Die jüngere Generation sei in weiten Teilen kritisch gegenüber Orban eingestellt. Sie nutze vor allem die neuen Medien, um die Meinungsfreiheit zu behaupten, gehe aber auch verstärkt zum Protest auf die Straße. Allerdings rechnet Sielaff, die Deutsch-Ungarin ist, nicht mit einem schnellen Politikwechsel. Dazu sei die Opposition zu zerstritten. „Bei den Parlamentswahlen im April 2014 wird es lediglich darum gehen, ob Orbans Fidesz ihre Zweidrittel-Mehrheit halten kann oder nicht“, lautet ihre ernüchternde Einschätzung.

 

17. Salon-Abend am 9.8.2013: Kabarettist Gunkl mit seinem Programm „Die großen Kränkungen der Menschheit“

Viele Fehlschläge hatte die Menschheit schon zu erleiden bei ihren Versuchen, sich die Welt Untertan zu machen. Einer der weniger bekannten davon ist das Projekt, die künstliche Weltsprache „Volapük“ (phonetisch zusammen gezogen aus World und Speak) zu etablieren – basierend auf der Idee, nur das sprachlich zu benennen, was wünschenswert ist. Anders ausgedrückt: Was keinen Namen hat, existiert auch nicht. Erstaunlicherweise konnte diese geniale Idee nicht für ein Paradies auf Erden sorgen, und die gesamte Volapük-Sprache war wenige Jahre nach ihrer Erfindung in den 1880er Jahren schon wieder out.

Von dieser und anderen „Kränkungen der Menschheit“ erzählte Gunkl, einer der bekanntesten und wichtigsten Kabarettisten Österreichs, im Sommer-Highlight des Salons der Zweiten Aufklärung – und bot philosophisch hochwertiges Kabarett in charmanter Wiener Mundart. Der Volapük-Flop, so führte es Gunkl seinem Publikum vor Augen, reiht sich ein in eine ganze Palette von Fehlschlägen: Zum Beispiel die Erkenntnis, dass die Erde und mit ihr der Mensch nicht im Mittelpunkt des Universums steht. Dass wir es bis heute nicht geschafft haben, die Natur in den Griff zu bekommen. Und dass Hirnforscher neuerdings sogar die Freiheit des menschlichen Willens in Frage stellen.

Der Wiener Kabarettist Gunkl zu Gast bei der Zweiten Aufklärung in Berlin. Foto: Frühbrodt

Seine ganz persönlichen Kränkungen fügte der Kabarettist noch hinzu: Schmerzlich habe ihn die wissenschaftliche Entdeckung getroffen, dass der Mensch sich nicht aufgrund seines großen Hirns evolutionär habe durchsetzen können, sondern wegen seines überdurchschnittlich aktiven Sexualorgans. Noch mehr, und zwar ausnahmsweise ganz ohne Ironie, belastet ihn die Feststellung, „dass wir Religion noch immer nötig haben“, dass wir uns „gutes Handeln von der Kirche wegmonopolisieren lassen“. Schlimme Anfechtungen gegen den aufgeklärten Geist Gunkl.

 

Einfach etwas besser sein als die Tiere

Die Konsequenz? Nicht resignieren, rät der Kabarettist in seinem Schlussplädoyer, das er bescheiden als „Vorschlag“ präsentiert: „Tun wir so, als könnten wir uns anständig verhalten, obwohl wir wissen, dass uns das nicht immer gelingt.“ Und: „Lasst uns als Menschen die Sachen etwas besser machen, als es sein muss, im Gegensatz zu den Tieren, die das nicht können.“ Dies sei eine zutiefst menschliche Qualität, die gleichzeitig für ein menschlicheres Miteinander sorgen kann.

Selten kommt Kabarett so naturwissenschaftlich fundiert daher wie in Gunkls aktuellem Programm mit so vielen klugen Ideen, die dennoch auf heiteren und unterhaltsamen Wegen in die Köpfe der Zuschauer gelangen. Bedingungslose Zustimmung hat Gunkl bei den Zuschauern und -hörern nicht für alle seine Thesen geerntet. Aber er betont selbst, dass er als Kabarettist nicht geliebt werden will. Unbestritten ist es ihm aber gelungen, Feuerwerke in den Gehirnen seiner Zuhörer auszulösen. Langweilig geht anders.

 

16. Salon-Abend am 21.6.2013: „Sport und Kommerz – wird dem Fußball alles verziehen?“

Nicht erst der große Showdown Bayern München gegen Borussia Dortmund hat die Frage aufgeworfen, ob hier eigentlich noch Fußballteams oder vielmehr Marken/Konzerne gegeneinander antreten. Dass Uli Hoeneß‘ Steuerkriminalität angesichts des Triples seines Vereins schon wieder in Vergessenheit zu geraten scheint, zeigt ebenfalls, dass unsere Gesellschaft manches zu verdrängen bereit ist. Auch andere Sportarten (Beispiel Olympia) werden schon lange von harten ökonomischen Interessen dominiert, ohne dass die Öffentlichkeit sich dies bewusst macht oder gar kritisch hinterfragt. Grund für die „Zweite Aufklärung“, im Rahmen ihres 16. Salon-Abends diese Entwicklungen zu hinterfragen.

Und weitere Fragen zu stellen: Wie kann und soll man als aufgeklärter Geist mit der zunehmenden Kommerzialisierung des Sports umgehen? Darf man bei seinem Lieblingsverein eine Ausnahme machen, weil man auf allen anderen gesellschaftlichen Feldern so straff kapitalismuskritisch ist? Wie sonst ließen sich menschliche Bedürfnisse nach Identität, sakraler Zeremonie, Spannung usw. als durch medial inszenierte Großveranstaltungen des Profi(t)-Sports befriedigen?

Antworten auf diese Fragen gab Marcel Malachowsky, der sich als freier Journalist (taz, Telepolis etc.) intensiv mit dem Thema beschäftigt hat. Malachowsky konstatierte einen krassen Gegensatz zwischen dem Anspruch und der Wirklichkeit des Sports. Sport basiere auf Temperament, unvoreingenommener Begeisterung und Leidenschaft. „Eigentlich wäre das eine tolle Sache“, so der Publizist. „Der Sport als Refugium wahrer menschlicher Gefühle – das Ganze im Rahmen von Fairness und Gleichberechtigung aller Menschen, unabhängig von Herkunft, Vermögen oder Hautfarbe.“

Die gesellschaftliche Realität sehe aber ganz anders aus: „Die Sportwelt ist eindeutig separiert in Arm und Reich, in Weiß und Schwarz, in Europa und Dritte Welt. Der Sport von heute im Kleinen wie im Großen ist das Paradebeispiel von Ausgrenzung, Ausbeutung und der Negation der menschlichen Werte.“ Malachowsky plädierte für eine humanere Gesellschaft, um der Problematik des Sports beizukommen.

Die anschließende Diskussion drehte sich zunächst um die Rolle des Publikums. Gehören die Verehrung von Helden und der Wunsch nach Unterhaltung nicht zu den anthropologischen Grundbedürfnissen? Oder spielt die Sportindustrie gerade mit diesen Bedürfnissen bis hin zur Manipulation der Massen? Hat der Fußball möglicherweise die Funktion des „Opiums für das Volk“ übernommen?  Also Relegation statt Religion und Mario Götze als Götze? Einig waren sich die Diskutanten darüber, dass dem Publikum Alternativen zum durch und durch kommerzialisierten Sport geboten werden müssten. Und dass es aber sehr schwer sein dürfte, solche Alternativen populär zu machen gegen die bestehende Übermacht.

 

Referent des 15. Salons war der diesjährige Gewinner unseres „Sonderpreises Medienkritik“, Ekkehard Kern (Bildmitte gestikulierend). Er betreibt den Watchblog „Radiowatcher“.

15. Salon-Abend am 22.4.2013: „Wer kontrolliert die Kontrolleure? Und wie?“

Eine der wichtigsten Aufgaben von Medien besteht darin, das öffentliche Geschehen zu kontrollieren und gegebenenfalls zu kritisieren. Doch wer kontrolliert wiederum die Kontrolleure? Besonders schwer fällt es, diese Frage in Hinblick auf das Radio zu beantworten. Denn abgesehen von einigen Sendern, die noch längere Wortstrecken aufweisen, fungiert Radio heute als reines Begleitmedium. Viele Sender kleistern ihre Hörer sogar nur noch mit einer Klangtapete zu: Musik mit immer wieder runtergenudelten Titeln aus den Charts, nur unterbrochen durch Werbung, Kurznachrichten, Staumeldungen oder Gewinnspiele.

Wirkt dies einfach nur als Hintergrundbeschallung? Oder nehmen selbst vermeintlich nebenbei gehörte Radiosendungen Einfluss auf unser Denken und Handeln?  Dies war eines der Themen, die die TeilnehmerInnen des 15. Salon-Abends am 19.4. mit Gastreferent Ekkehard Kern diskutierten. Kern ist der diesjährige Gewinner des Alternativen Medienpreises in der Kategorie „Sonderpreis Medienkritik“, den die Zweite Aufklärung stiftet. Im Dezember 2012 hat Kern den Watchblog www.radiowatcher.de ins Leben gerufen.

Watchblogger Ekkehard Kern

Darin beobachtet, dokumentiert und analysiert der 30jährige Radiosendungen von privaten wie öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern. So hat er zum Beispiel ein Gewinnspiel des Bertelsmann-Senders BigFM „auseinandergenommen“: In dem Spiel sollten werdende Eltern, die ihre Tochter nach dem Namen der Moderatorin taufen würden, Reisen gewinnen können. Eine ethisch sehr grenzwertige Angelegenheit, die Experten als „Verzweckung“ bezeichnen. Kern betont, dass er aber kein „Bashing“ betreiben, sondern immer konstruktiv kritisieren will. Anfragen würden die betroffenen Radiosender aber oft nicht antworten. „Und wenn, reagieren die Sender meist sehr empfindlich auf Kritik“, sagt Kern. Es habe aber auch schon Fälle gegeben, wo die Verantwortlichen auf die Kritik mit Veränderungen reagiert hätten.

Kerns Vortrag zeigte, dass man als Watchblogger ein dickes Brett zu bohren hat, damit aber auch Erfolg haben kann. Der BILD-Blog hat in den ersten Jahren nach seiner Gründung 2003 für Furore gesorgt. Seitdem ist es wieder etwas ruhiger um das Thema Medien-Watchblogs geworden. Immerhin hat in letzter Zeit www.socialmediawatchblog.de eine gewisse Prominenz in der Szene gewinnen können. Mit radiowatcher.de ist eine weitere wichtige Stimme dazu gekommen – für den bisher sträflich vernachlässigten Bereich des Rundfunks.

Einzelne Salon-Teilnehmer ließen die anderen an ihren Hörvorlieben teilhaben. Konsens: Die meisten hören eher keine privaten Stationen. Gruppenfotos: Frühbrodt

Die Verleihung der insgesamt neun Alternativen Medienpreise, inklusive des „Sonderpreises Medienkritik“, fand am 26. April in Nürnberg statt. Die Details dazu finden Sie hier.

14. Salon-Abend am 22.2.2013: „Das gute Leben – eine Gebrauchsanleitung“

Ute Scheub gab praktische Tipps

„Das gute Leben“ hat sich in der links-alternativen Szene als Begriff etabliert für ein Lebensmodell in sozialer und ökologischer Verantwortung, jenseits von Glücksversprechen der Konsumgesellschaft. Dr. Ute Scheub, Mitbegründerin der taz und mehrfach preisgekrönte Publizistin, hat das Thema beim 14. Salon-Abend der Zweiten Aufklärung am 22.2.2013 von der praktischen Seite aufgegriffen und Möglichkeiten vorgestellt, wie man sich mit konkreten Veränderungen im eigenen Leben für eine andere Gesellschaft einsetzen kann. Ute Scheubs Überlegungen setzen an bei der Erkenntnis: Das Zufriedenheitsgefühl der Menschen steigt nicht parallel zum wachsenden Bruttoinlandsprodukt an, im Gegenteil ist es in Deutschland in den letzten 20 Jahren eher rückläufig. Dies ergeben einschlägige Umfragen und Rankings. Wenn man sich nur mit reicheren Mitmenschen vergleicht und sich in einer Statustretmühle abmüht, materiell voranzukommen, fördert dies Neid und Misstrauen und kann zu Stress bin hin zu Depressionen und Burnout führen. „Wir brauchen Landschaften der Gleichheit, meinetwegen mit kleinen Hügeln“, fordert Ute Scheub stattdessen. Ihrer Ansicht nach führt der Weg zum Glück über den Altruismus, die täglich gelebte Koooperation mit den Mitmenschen und die bewusste „Demonetarisierung“ des Lebens.

Zahlreiche schon bestehende Projekte führt sie an: Tauschbörsen und Schenk-ökonomie wie in öffentlichen „Give Boxes“, den Allmende-Gedanken für die gemeinsame Nutzung von Gemeingütern unabhängig vom Besitz-denken, Face-to-Face-Credits anstelle von Bankgeschäften, Transition Towns und gemeinschaftliches Urban Gardening. Zusammen mit anderen hat Ute Scheub diese Beispiele und viele mehr für den „Zukunftsallmanach“ der Stiftung Futur Zwei zusammengetragen. Allerdings hat Scheub auch die Erfahrung gemacht, wie schwierig es ist, solche „lustvollen Vorbilder“ in den Medien zu platzieren, auf dass sie öffentliche Strahlkraft gewinnen können.

Reichen „Inseln des Fortschritts“ oder bedarf es einer Massenbewegung?

An den lebhaften Vortrag schloss sich eine ebenso lebendige Diskussion an. Wie kann es gelingen, die vielen positiven Einzelprojekte zu einem gesamtgesellschaftlichen Gegenmodell zu verknüpfen? Warum ist die Erkenntnis so wenig in den Köpfen und Herzen der Menschen verankert, dass ab einem bestimmten Wohlstandslevel glückliche soziale Beziehungen viel wertvoller sind als noch mehr Geld? Welche sozialen und politischen Voraussetzungen sind erforderlich, um die kooperativen Wesenszüge des Menschen anstelle des egoistisch-materiellen „homo oeconomicus“ zu fördern? Überlegungen, die die grundsätzliche Systemfrage aufwerfen – und die sich im Grundgedanken der Zweiten Aufklärung wiederfinden: Ein gutes Leben in Selbstentfaltung und Mündigkeit zu führen, ohne sich dem vorherrschenden wirtschaftlichen Mainstream zu unterwerfen.

 

13. Salon-Abend am 11.1.2013: „Wachstum gut, alles gut?“

Brauchen wir noch Wirtschaftswachstum? Derzeit entzaubern Finanzkrise, zweifelhafte Glücksversprechen der Konsumgesellschaft, Klimawandel und Ressourcenknappheit den Wachstumsmythos. Die offizielle Politik hält dennoch ungebrochen am Glauben ans quantitative Wachstum fest, versucht allenfalls vereinzelt, Symptome zu kurieren.  Alternativen bestehen darin, sich entweder auf ein qualitatives – nachhaltiges und grünes – Wachstumsmodell zu konzentrieren oder aber sich grundlegend in Richtung Wachstumsverzicht umzuorientieren. Welcher Weg der beste ist, wurde im 13. Berliner Salon der Zweiten Aufklärung diskutiert.

Marta Führichs Referat zum Thema behandelte die Fragen, wie Wirtschaftswachstum geschaffen wird und welche Möglichkeiten es gibt, das Wachstum so zu beeinflussen, dass möglichst viele etwas davon haben, ohne der Umwelt zu schaden. Dass quantitatives wie qualitatives Wachstum erforderlich sei, ergebe sich aus dem weltweiten Bevölkerungswachstum, der alternden Bevölkerung in den Industrienationen und der Notwendigkeit, neue Technologien für einen intelligenteren Einsatz von Rohstoffen zu fördern. Die Möglichkeiten des Staates, Wachstum zu fördern und zu beeinflussen, hält sie dennoch für begrenzt, da neoklassische und keynesianische Wachstumsmodelle mit irrigen Annahmen arbeiteten: In der Realität handeln die Marktteilnehmer selten so rational, wie in der Theorie unterstellt, und es gibt weder vollkommene Konkurrenz noch vollkommene Flexibilität. Einzig der postkeynesianische berücksichtige den Faktor „Erwartungen“, also dass Menschen in unterschiedliche Weise auf wirtschaftspolitische Maßnahmen reagieren können.

Die anschließende Diskussion zeigte, dass sich trotz Vertrauenskrise am Thema Wachstum die Geister scheiden – auch bei den Salon-Teilnehmern. Einige lehnten ein Festhalten am Wachstumskurs strikt ab – sei es aus kapitalismuskritischen Erwägungen oder aus purer ökologischer Notwendigkeit. „Ich bin Unternehmer, und ohne Wachstum kann ich nicht leben“, bekannte dagegen ein anderer Teilnehmer. Andere Befürworter betonten, dass Wachstum notwendig sei, um auf globaler Ebene Verteilungsgerechtigkeit herzustellen: Den Wohlstand, von dem Industrienationen dank Wachstum profitierten, könnte man den weniger entwickelten Ländern nicht vorenthalten. Dazu ist freilich ein gesteuertes Wachstum erforderlich, um einzelne Technologien besonders zu fördern und um den Entwicklungsfortschritt in den ärmeren Ländern zu forcieren. Aus Sicht einiger Teilnehmer setzte aber genau dies nicht notwendigerweise ein weiteres Wachstum in den Industrienationen voraus.

Eine weitere zentrale Frage war: Inwieweit ist Wachstum, ist die Entwicklung vom Schlechteren zum Besseren und von weniger zu mehr in der menschlichen Natur einprogrammiert? Auch Vergleiche mit dem reichen Nachbarn oder reine Gier können unsere Einstellungen prägen. Und nachdem wir in den letzten Jahrzehnten eine kontinuierliche Verbesserung im Lebensstil erlebt haben, müssten wir auch ganz persönlich etwas an unserer Mentalität ändern, beispielsweise im Hinblick auf den eigenen ökologischen Fußabdruck.

Schon im bestehenden System existieren Inseln eines anderen Wirtschaftens, das sich vom Konkurrenz- und Wachstumsgedanken abgrenzt und stärker auf Kooperation und Kontinuität setzt – Genossenschaften und Tauschringe sind Beispiele dafür. Sich dort zu engagieren und entsprechende Signale an die Politik zu senden, könnte einen Beitrag zum Umdenken leisten, so lautete eine wesentliche Erkenntnis des 13. Salon-Abends.

© 2013 Die Zweite Aufklärung

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