Im „Native Advertising“ sehen Werbemacher eine große Chance, ihre Zielgruppen in Online-Medien besser zu erreichen: Unterhaltsame Geschichten statt plumper Slogans, so lautet der neue Trend. Optisch sind die Native Ads an redaktionelle Beiträge angelehnt, die Kennzeichnung als Werbung fällt oft dürftig aus. Umso wichtiger ist es für die Mediennutzer, sich gegenüber dem Phänomen zu sensibilisieren.
Sanfte Medizin kommt an. Was ätherische Öle alles für die Gesundheit tun können, erklärt ein Beitrag in der Online-Zeitung Huffington Post. Der Artikel liefert eine grafisch ansprechend gestaltete und ausführliche Erklärung darüber, auf welche verschiedenen Körperbereiche ätherische Öle wirken, wie die Öle konsumiert werden können, wie ihre antibakterielle Wirkung entsteht und aus welchen Pflanzen sie gewonnen werden. Allerdings findet sich in dem Beitrag ganz bestimmt kein Hinweis darauf, wo man mit Naturheilmitteln nicht weiter kommt und chemische Präparate empfohlen werden. Denn der Artikel stammt nicht von einer unabhängigen Redaktion, sondern aus dem Hause des bayerischen Naturheilmittelanbieters Sixtus. Erst auf den zweiten Blick fällt dann auch die diskret eingeblendete Kennzeichnung „Sponsored by Sixtus“ ins Auge. Das Unternehmen versteht sich also nicht nur auf sanfte Medizin, sondern auch auf sanfte Werbung.
Das Beispiel zeigt: Vorbei sind die Zeiten, als man Werbung immer leicht erkennen konnte. Der Spot im Fernsehen oder Kino, die optisch abgegrenzte Anzeige in der Zeitung zeigten dem Mediennutzer klar an: Achtung, Sie verlassen den redaktionellen Sektor und betreten kommerzielles Gebiet. Anhand solcher Wegweiser konnte man leicht entscheiden, ob man sich in die Welt schöngefärbter Werbeversprechen hineinbegeben wollte oder sie lieber links liegen ließ, um sich ganz auf einen Artikel, einen Film oder eine Sendung zu konzentrieren.
Zwar halten und hielten sich die Werbetreibenden nicht immer brav an den ihnen zugestanden Anzeigenraum – immer wieder gab es Fälle von verbotener Schleichwerbung, wenn Unternehmen in einem scheinbar neutralen Rahmen ihre Produkte platzieren, den Werbecharakter also verschleiern, und dafür Geld fließen lassen. Das Schwärmen eines B-Promis im Interview von Weight Watchers ist ein Beispiel dafür. Bislang war solche Schleichwerbung aber ein recht klar abgegrenztes Phänomen.
Jetzt hält in Online-Medien eine neue Form von Werbung Einzug, die auf den ersten Blick eben nicht als Werbung zu erkennen ist und auch nicht zu erkennen sein soll. Wie das Beispiel Sixtus zeigt. Das aus den USA herübergeschwappte Native Advertising lässt sich als „Werbung im vertrauten Umfeld“ übersetzen. Und bedeutet, dass dem Mediennutzer Werbeinhalte so präsentiert werden, dass er sie möglichst nicht als störend empfindet. Weil er sie nämlich spontan gar nicht als Werbung identifiziert, sondern für normale Artikel hält. Hinter den Kulissen freilich funktioniert das Native Advertising wie andere Werbemodelle auch: Der Werbetreibende zahlt einem Verleger oder einem Plattformbetreiber dafür, dass er über dessen Kanal seine Inhalte verbreiten darf.
Der Spiegel-Ableger bento, die Huffingpost, buzzfeed, mopo24 und andere Medien setzen diese Werbeform bereits in großem Stile ein. Sie platzieren Werbeanzeigen nicht mehr in abgegrenzten Anzeigen-Bereichen, sondern als Artikel mitten im Fluss der redaktionellen Inhalte. Die Stilform, das Layout, die Tonalität, nicht zuletzt das Thema – all diese Elemente übernimmt das Native Advertising von seiner redaktionellen Umgebung.
Neues Look and Feel für Werbung
In ihrem Erscheinungsbild hebt sich die neue Werbung deutlich von ihrem Vorläufer ab: Prägnante Slogans („Wenn’s gut werden muss“, „Das einzigartige Almased-Phänomen“, „Für das Beste im Mann“) werden abgelöst durch Geschichten, Reportagen oder Listicles (Artikel in Listenform à la „10 Gründe warum…“). Gesungen wird einmal mehr das hohe Lied des Storytelling: Die Menschen wollen Geschichten hören und keine Logos sehen. „Stop selling, start telling“, so formuliert es der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) in seinem 2015 erschienenen Reader Native Advertising.
Dem Leser wird also kein plumper Kauf-mich-Appell an den Kopf geworfen, vielmehr soll er interessanten, nützlichen oder zumindest unterhaltsamen Stoff geboten bekommen – der natürlich sehr wohl überlegt auf die Interessen des Unternehmens hin ausgewählt und aufbereitet wird. Folgerichtig wirkt Native Advertising langfristiger und eher auf ein positives Markenimage als auf eine schnelle Kaufentscheidung für ein bestimmtes Produkt.
Vordergründig greifen Native Ads zunächst immer ein Bedürfnis des Lesers auf; die Werbebotschaft folgt en passant und steht nicht im Mittelpunkt. Die neue Werbung kommt beim Wasserfilterhersteller BRITA also als nett bebilderte Geschichte daher, die hilfreiche Tipps für viel Quality Time mit der Familie geben will: Gute Planung, Aufgabenteilung, Verzicht auf Perfektionismus gehören dazu, so erfährt man. Und dann gibt es noch den Ratschlag, dass es doch viel leichter sei, Trinkwasser aus der Leitung zu beziehen und es vor dem Trinken „gemütlich zu filtern“. Diese arg zusammenhanglose Verknüpfung von Ratgeberinhalten und Produktwerbung wirkt schon fast unfreiwillig komisch, zeigt aber, worauf Mediennutzer sich einzustellen haben: Dass die Werbetreibenden in ganz branchenfremde Lebensbereiche vordringen, um letztlich doch nur ihre Produkte unters Volk zu bringen.
Native Ads stellen übrigens für die Betreiber klassischer und sozialer Medien eine lukrative Einnahmequelle dar. Auch bei Facebook, Pinterest, Twitter und Co. lautet das Motto: Das äußere Erscheinungsbild adelt den Inhalt – und lässt sich prima als Geschäftsmodell ausschlachten. In diesem Fall sehen die Werbeinhalte eben nicht wie Artikel aus, sondern werden eingebettet in Posts und Feeds. Pinterest bietet „Promoted Pins“ für US-amerikanische und britische Unternehmen an. „Sponsored Posts“ lassen sich auch bei Facebook, Instagram und Twitter platzieren. Beworben werden solche Services damit, dass eine genaue Zielgruppenauswahl erfolgt (anhand von Alter, Geschlecht, Wohnort, Bildung, Interessen) und das Ranking die bezahlten Beiträge bevorzugt.
Die Menge der promoted Tweets bei Twitter stößt offensichtlich auch einigen Usern auf.
Noch raffinierter geht die Springer-Tochter Bild.de vor. Wenn sie auf Facebook Instant Articles platziert, also Bild-Artikel mit direkter Einbettung auf Facebook und ohne Weiterleitung zur eigentlichen Bild-Website, dann können darunter auch Native Ads sein. Versehen sind sie dann mit dem klangvollen Namen „Brand Stories“.
Adblocker adé, Native Ads auf Wachstumskurs
Angetrieben wird die neue Werbeform durch technologische Entwicklungen. Bekanntlich stehen viele Medienhäuser im digitalen Zeitalter vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen: Die Kostenlos-Kultur des Internet hat frühere Erlösmodelle zerstört. Klassische Bannerwerbung kommt im Internet schlecht an, nicht nur weil die Menschen sich von blinkenden Anzeigen belästigt fühlen, sondern auch weil Werbebanner mit Flash-Animationen Ressourcen fressen und als Einfallstor für Schadprogramme gelten. Viele Internet-Nutzer reagieren darauf mit Adblockern und sind fortan für konventionelle Internet-Werbung verloren.
Besonders unbeliebt ist Displaywerbung bei den Usern mobiler Endgeräte, die mittlerweile die Mehrheit der Internetzugriffe ausmachen. Auf einem kleinen Bildschirm lassen sich Werbeanzeigen nur schwer platzieren, und aufpoppende Banner-Reklame für Kekse oder Bauch-weg-Wunder nervt dafür umso mehr.
Aus Sicht der Werbetreibenden liegt in der redaktionellen Annäherung also eine große Chance, ihre Botschaften auch im Internet-Zeitalter an den Mann und an die Frau zu bringen. Sie schwärmen davon, ihren Mitteilungen mehr Glaubwürdigkeit und Authentizität zu verleihen. Und sie können damit sogar einem klassischen Problem der Werbung – nämlich der möglichst effektiven und effizienten Adressierung ihrer Zielgruppen – viel besser begegnen: In Big-Data-Zeiten ist es viel einfacher geworden, potenzielle Kunden im Internet zu identifizieren und zur richtigen Zeit, am richtigen Ort anzusprechen. Wenn in Zukunft personalisierte Websites avancieren, also Online-Nutzer je nach ihrem Aufenthaltsort und ihrem Interessensgebiet segmentiert und adressiert werden, dürfte das die Chancen für maßgeschneiderte Native-Advertising-Angebote zusätzlich erhöhen.
Entsprechende Wachstumschancen werden dem Native Advertising prophezeit. Die Studie „Native Advertising in Europe to 2020“ von Yahoo und Enders Analysis kommt zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2020 mehr als die Hälfte der digital ausgespielten Werbung aus Native-Advertising-Formaten bestehen werde. Diese hohe Wachstumsprognose wird vor allem mit der verstärkten Nutzung von mobilen Geräten in Verbindung gebracht, die für native Werbeformate deutlich besser geeignet sind als für Banner-Werbung. Für Deutschland prognostiziert die Studie, dass die Ausgaben für Native-Advertising-Werbung von 545 Mio. € im Jahr 2015 auf 1,7 Mrd. € im Jahr 2020 ansteigen werden. Betrachtet man die Gesamt-Werbeausgaben in Deutschland, so rangierte im Jahr 2015 die Sparte „Online und Mobile“ im Gesamtjahr 2015 auf Platz vier hinter den Werbeträgern Fernsehen, Tageszeitungen und Anzeigenblättern. Der Posten ist stetig im Wachstum begriffen, während beispielsweise die Werbeausgaben für Zeitungen und Zeitschriften kontinuierlich zurückgehen.
Tabelle: Eigene Darstellung.
Wertschöpfung durch Wertschätzung?
Und die Verbraucher? Die weit verbreitete Ansicht „Werbung nervt“ scheint durch Native Advertising zumindest abgeschwächt. Laut einer Umfrage des zum Burda-Verlag gehörenden Digitalvermarkters Forward Ad Group bewerten 42,3 Prozent der befragten Nutzer Native Advertising als positiv; 46,6 Prozent der Befragten sehen es als nützlicher an im Vergleich zu normaler Werbung. Denn viele fühlen sich vor allem deswegen von klassischer Werbung abgestoßen, weil sie monoton, plump und unglaubwürdig daherkommt und irgendwie immer ein Hindernis auf dem Weg zum eigentlich gewünschten Kinofilm (Fußballspiel, Nachrichtenmagazin, Videoclip…) darstellt.
Der Vorwurf, dass herkömmliche Werbung die Leute für dumm verkauft, scheint für die neue Werbeform des Native Advertising nicht zu gelten – geht es doch hier viel stärker darum, dem Kunden eine für ihn nützliche, interessante oder unterhaltsame Information zu bieten. Die Apologeten des Native Advertising preisen gerade die neue Serviceorientierung an: Endlich eine Werbung, die dem Verbraucher wertvolle Informationen und nützliche Dienste leistet! Im schönsten Marketingsprech erheben sie die „Wertschöpfung durch Wertschätzung“ zum Mantra.
Allerdings zielt jede Art von Werbung darauf ab, den Produktabsatz zu steigern, was die persönliche Wertschätzung doch recht unschön zu einer reinen Zweck-Maßnahme degradiert. Und dies ist der zweite Grund, warum Werbung – egal wie raffiniert sie aufgemacht ist und in welchem Gewand sie daherkommt – viele Verbraucher nervt und immer nerven wird: Weil sie letztlich nur Wünsche wecken und auf kurz oder lang zu Kaufhandlungen verleiten soll, auf die man von sich aus nicht gekommen wäre.
So zeigt die oben genannte Umfrage der Forward Ad Group auch, dass mehr als die Hälfte der Befragten Native Advertising eben nicht positiv bewertet, weil sie Werbung generell ablehnen und als störend empfinden, die zweifelhafte Kennzeichnung kritisieren oder die strikte Trennung zwischen Werbung und Artikeln wünschen. Diese kritische Urteilsfähigkeit ihrer Zielgruppen sollten Werbemacher nicht unterschätzen. Sie muss allerdings auch immer wieder aufs Neue geschärft werden. Das Persuasionswissen, das sich die Verbraucher gegenüber herkömmlicher Werbung angewöhnt haben („Hier soll mir etwas aufgeschwatzt werden“), sollten sie also in jedem Falle auch auf die geschickten neuen Werbeformen übertragen – und sich bewusst machen, dass ihnen Werbung bei weitem nicht mehr nur in Form von Werbespots, Anzeigen und Plakaten begegnet.
Die Haltung der Medien gegenüber dem Native Advertising ist ambivalent – arbeiten sie damit auf ihrer Selbstabschaffung hin, oder bietet die neue Werbeform eine lukrative Einnahmequelle? Hintergründe in unserem Essay „Native Advertising – Schadet sich der Journalismus mit eigenen Mitteln?“.
© Die Zweite Aufklärung 2016 (Titelfoto: aquarius83men/Fotolia)