Etliche Verlage sehen im Native Advertising eine gute Möglichkeit, in schwierigen Zeiten neue Einnahmequellen aufzutun. Denn die Digitalisierung erfordert neue Erlösmodelle. Gleichzeitig gefährden Medien aber ihre eigene Glaubwürdigkeit, wenn sie redaktionelle und werbliche Beiträge nicht deutlich voneinander abgrenzen. Schwarz-Weiß-Malerei hilft nicht weiter, die Medien müssen einen verantwortungsvollen Umgang mit der neuen Werbeform finden.
Müssten sich einem klassischen, mit Idealismus angetretenen Journalisten nicht die Nackenhaare aufstellen, wenn Werbebotschaften im Gewand von Artikeln daherkommen und seine Arbeit entweihen? Vielleicht schon – wären da nicht die wirtschaftlichen Motive, die sowohl den Verleger umtreiben wie auch den einzelnen Redakteur, der seine Brötchen verdienen muss.
Ohne Werbung können die wenigsten unabhängigen Medien überleben. Tageszeitungen finanzieren sich zu knapp 50 Prozent aus Werbeeinnahmen – der Verkauf und Abos bilden das zweite wirtschaftliche Standbein. Seit einiger Zeit sinken die Einnahmen aus der Werbung, und dementsprechend steigen die Verkaufspreise im Vertrieb an. Irgendwann wird hier einmal eine Schmerzgrenze für die Konsumenten erreicht sein, wie viel Geld sie für eine Zeitung oder eine Zeitschrift noch auszugeben bereit sind.
Noch sehr viel kritischer ist die Situation für Online-Medien: Bezahlschranken stehen der langgewohnten For-Free-Mentalität des Internet entgegen und werden erst in vergleichsweise kleinem Umfang praktiziert. Online-Medien sind also umso dringender auf Online-Werbung angewiesen, wenn die Verlage sie nicht querfinanzieren können. Kurzum: Die Medienwirtschaft – mit Ausnahme der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten – fußt ganz wesentlich auf Werbung. Das kann man kritisieren, auch im Hinblick auf Loyalitätszwänge, die sich dafür bei Medienhäusern gegenüber ihren Werbekunden ergeben, aber nicht von heute auf morgen abschaffen.
Da nun im Online-Zeitalter die Einnahmen des klassischen Anzeigenmarkts abnehmen, sind die Medienhäuser verständlicherweise für alternative Werbeformen aufgeschlossen, die ihnen Geld in die Kassen bringen. Aus Sicht der Verlage wird Native Advertising noch zusätzlich attraktiv, weil sie damit gleichzeitig ihre ureigene Expertise ausspielen können – die fachkundige journalistische Aufbereitung von Themen.
Verkaufen Medien mit Native Advertising ihre eigene Glaubwürdigkeit?
Für deutsche Medien herrscht ein strikter Trennungsgrundsatz zwischen Redaktion und Werbung. Das Qualitätsmerkmal, der höchste Trumpf für Medienhäuser ist ihre Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit. Viele Medien verfolgen den durchaus hochgesteckten Anspruch, einen Bildungsauftrag zu erfüllen, gesellschaftliche Orientierung zu geben, am öffentlichen Meinungsbild mitzuwirken. Dem können sie nur gerecht werden, wenn sie in der Auswahl und Aufbereitung ihrer Themen weitgehend frei von äußeren Zwängen agieren.
Eben diese Glaubwürdigkeit und Seriosität, die die Medien als unabhängige Plattform für sich in Anspruch nehmen können, schrumpft natürlich mit jedem veröffentlichten Native-Advertising-Beitrag dahin – weil die Werbetechnik, allen Kennzeichnungspflichten zum Trotz, darauf beruht, werbliche Botschaften durch den kontextuellen Rahmen mehr Geltung und eine unabhängig-journalistische Aura zu verschaffen. Bisher schickten Unternehmen Pressemitteilungen an Medien und hofften darauf, dass die Redaktionen sie für hinreichend relevant und veröffentlichungswürdig befanden. Jetzt eröffnet sich zusätzlich die Möglichkeit, dass nicht mehr die Unternehmen sich die Veröffentlichung verdienen, sondern die Medien durch die Veröffentlichung Geld verdienen. Anstatt die Mitteilungen kritisch zu bewerten, lassen sich die Medien bezahlen, um Inhalte fast wie redaktionelle Beiträge aussehen zu lassen. Lediglich Begriffe wie „Anzeige“, „sponsored Post“ oder ähnliches zeigen an, dass es noch einen feinen Unterschied gibt.
Ihren guten Ruf als unabhängige Medien könnten die Verlagshäuser so zumindest bei einer werbekritischen Klientel sukzessive einbüßen, ihre Zeitungsmarke beschädigen und damit wiederum auch für Native-Advertising-Platzierungen unattraktiver werden. Die eigene Jungfräulichkeit kann man leider nicht allzu oft verkaufen.
So sieht es zum Beispiel der Journalismus-Professor Jeff Jarvis aus den USA, dem Heimatland des Native Advertising. Er tritt als scharfer Kritiker des Native Advertising auf: „Schon immer haben Anzeigenkunden versucht, die Leser auszutricksen. Aber jetzt machen wir Medienleute dabei mit, wir machen uns zu Handlangern. Das ist der Unterschied.“
Jarvis sieht die Gefahr, dass die Medien ihren Markenwert an Anzeigenkunden unter Wert verkaufen oder sogar verschleudern. Im Ergebnis untergrüben die Medien damit die Loyalität ihrer Nutzer, auf die sie doch so dringend angewiesen seien.
Anhänger der reinen Lehre müssen also zu dem Schluss kommen, dass Native Advertising nicht nur dem Berufsethos widerspricht, sondern auch der Existenzgrundlage unabhängiger Medien, ihrer Glaubwürdigkeit, erheblichen Schaden zufügt. In der Konsequenz müssten die Medien die Finger davon lassen. Und dann? Möglicherweise in Schönheit sterben. Es erscheint für die breite Medienlandschaft gerade im Online-Zeitalter illusorisch, das Geschäftsmodell auf neue Füße zu stellen, also auf Werbung zu verzichten und sich ausschließlich aus Verkaufserlösen zu finanzieren. Würden sich die Verlage dem Native Advertising verweigern, hätte dies vermutlich zur Konsequenz, dass die werbetreibenden Unternehmen umso mehr auf eigene Kommunikationskanäle setzen würden, um ihre Zielgruppen oder auch die breite Öffentlichkeit direkt zu erreichen, zum Beispiel in Form von Content-Marketing-Aktivitäten.
Wie sich Medienhäuser positionieren
In Zeitungsverlagen wird die Haltung zum Native Advertising dementsprechend kontrovers und teilweise emotional geführt. Der Bundesverband Deutschen Zeitschriftenverleger (BDZV) macht in der Diskussion Positionen aus, die von „Verrat am Journalismus“ und „Schleichwerbung und Irreführung der Nutzer“ bis hin zu „ungeheuren Schätzen, die nur gehoben werden müssen“ reichen. Der BDZV selbst empfiehlt den Verlagen, sich mit nativen Werbemöglichkeiten auseinanderzusetzen und diese auch zu testen.
In der Tat nehmen viele Medienhäuser eine sehr pragmatische Haltung zum Native Advertising ein. Einige haben sogar bereits eigene Native-Advertising-Abteilungen eingerichtet, die für Werbekunden entsprechende Artikel verfassen und sich diese Artikel nebst reichweitenstarker Veröffentlichung lukrativ bezahlen lassen. Als Anbieter von Native-Advertising-Lösungen sind also neben PR- und Werbeagenturen auch Verlagshäuser unterwegs. Gruner + Jahr zum Beispiel bewirbt Native Advertising als seine „Kernkompetenz“ und bietet Werbekunden an, deren Inhalte von Redaktionen und Kreativ-Teams in den richtigen Duktus und das richtige Layout bringen zu lassen.
Die Verlage lassen sich diese Native-Ad-Dienste durchaus gut bezahlen. Laut Recherchen des „Journalist“ verlangt Springer für eine Native Ad auf bild.de samt Verbreitung über die Mobilseiten sowie über Twitter und Facebook bis zu 115.000 € bei rund vierwöchiger Laufzeit. Fürs Texten und Gestalten der Ad berechnet Springer 6.000 € (Journalist 1/2016). Im selben Beitrag stellt das Branchenmagazin „Der Journalist“ übrigens praktische Empfehlungen für – aus seiner Sicht – saubere Native Ads zusammen und verleiht dem Werbeformat damit eine Art offizielles Placet, geboren aus den wirtschaftlichen Sachzwängen.
Während für Journalisten unabhängiger Medien die Berufs- und Einkommensperspektiven zunehmend prekärer werden, stehen die Chancen bei der Auftragskommunikation im Namen von Unternehmen also viel besser. Ihr Handwerkszeug, die spannende Aufbereitung von Geschichten und eine gekonnte Schreibe, können die Journalisten dabei bestens zum Einsatz bringen. Ihr Berufsethos allerdings nicht: Gründliche Recherche, Unabhängigkeit, die Darstellung verschiedener Positionen und kritische Einordnungen bleiben bei interessengeleiteter Unternehmenskommunikation wie dem Native Advertising auf der Strecke.
Der BDZV empfiehlt deshalb ausdrücklich, für die Erstellung nativer Inhalte immer eigene Service-Redaktionen in den Medien einzurichten und diese nicht etwa mit der „normalen“ Redaktionstätigkeit zu vermengen. Eine organisatorische Brandmauer soll also dafür sorgen, dass das Ethos des unabhängig-investigativen Journalisten nicht durch werbliche Paralleltätigkeiten angefochten wird.
Native Advertising verändert die Medienlandschaft
Native Advertising hat das Potenzial, die Online-Medienlandschaft erheblich zu verändern. Befördert wird nicht weniger als ein Paradigmenwechsel: Während früher Werbung dazu diente, klassischen Journalismus mitzufinanzieren, ist dieses Modell teilweise schon auf den Kopf gestellt: Echte und scheinbare redaktionelle Inhalte könnten nur noch als Alibi dienen, um als Vehikel für thematisch passende Werbebotschaften zu dienen und ihnen zu großer Reichweite zu verhelfen. Ins analoge Zeitalter übersetzt handelt es sich dann um reine Anzeigenblätter, in denen die Werbung den wichtigsten Bestandteil bildet und redaktionelle Beiträge nur als schmückendes Beiwerk dienen. Genauso funktioniert auch das Privatfernsehen, dessen Business Case darin besteht, Werbespots unters Volk zu verbringen, und, damit das besser gelingt, darum herum ein Unterhaltungsprogramm zu arrangieren.
Dieser Eindruck drängt sich zum Beispiel auf beim Portal Buzzfeed, das sich durch Native-Advertising-Beiträge (mit dem diskret angebrachten Label „präsentiert von“) finanziert. Von ihrem journalistischen Anspruch her scheint es den Buzzfeed-Machern zu genügen, wenn sie ihre „10 Gründe“ oder „17 grandiose Fähigkeiten“ mit recht niedlichen Bildern und lustigen, bloß nicht zu langen Texten bestücken können. Es geht um pure Unterhaltung, hohe Klickraten und die Aussicht, dass viele Inhalte in sozialen Netzwerken geteilt werden.
Die Buzzfeed-Seite selbst adressiert auch direkt Werbekunden und preist ihre Vermarktungsdienste an:
- Buzzfeed-Kreativ- und Videoteams erstellen Content für Werbekunden
- Inhouse-Experten helfen dabei, den Content auch auf Social-Media-Kanälen an die richtigen Zielgruppen zu bringen
- Die Performance ihrer Beiträge können die Unternehmen mit dem Buzzfeed-Tracking-Tool prüfen.
Vernünftiger Journalismus für vernünftige Bürger
Es liegt auch an den Mediennutzerm selbst, über die Zukunft der (Online-)Medienlandschaft zu entscheiden. Der allgemeine Trend zu gefälligen Inhalten, Ratgebern für jede Lebenslage und seichter Unterhaltung kommt dem Native Advertising wunderbar entgegen – „Katzencontent“, so nennt es der Native-Advertising-Kritiker Jeff Jarvis. Manch jüngeren oder intellektuell unbelasteten Leuten scheint es egal zu sein, von wem ein bestimmter Artikel kommt, wenn nur der Inhalt irgendwie spektakulär (Oh my God!) oder recht lustig (Laughing out loud!) ist.
Sonja Knab, Director Research & Marketing bei dem Digitalvermarkter Forward Ad Group, verkauft das als Erfolg. So zeige eine Studie des Vermarkters, „dass User gegenüber Inhalten, die auf ihr Interesse und ihre Lebenssituation zugeschnitten sind, sehr aufgeschlossen reagieren. Bei klarer Kennzeichnung des Artikels macht es für sie de facto wenig Unterschied, von wem dieser letztendlich geschrieben ist.“ Man darf getrost unterstellen, dass Frau Knab die klare Kennzeichnung des guten Tons halber betont, aber viele User dem keine allzu große Bedeutung beimessen (denn wieso sollten sie auf die Kennzeichnung an sich Wert legen, wenn für sie der Absender selbst dann keine Rolle spielt). Wer nur den Hauch einer Ahnung von Medienkompetenz hat, wird erwidern: Nein, es ist ganz und gar kein Erfolg, wenn Leser nicht mehr auf den Absender eines Artikels, dessen Interessen und Absichten achten. Dies ist vielmehr ein ganz wesentlicher Schlüssel, um Informationen, und sei es seichte Unterhaltung, richtig einordnen zu können.
Für die Medienhäuser selbst wird es darauf ankommen, die richtige Balance im Umgang mit dem Native Advertising zu finden. Die Medienverbände und der Zentralverband der Werbewirtschaft arbeiten derzeit an entsprechenden Standards und Qualitätsrichtlinien. Es bleibt zu hoffen, dass bei diesen Verhandlungen der arg unkritische ZAW nicht den Ton angibt.
Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten lässt sich leicht nachvollziehen, dass die Medien im Native Advertising ein interessantes neues Geschäftsmodell sehen. Sie sollten damit aber verantwortungsvoll umgehen. Also müssen sie sehr genau darauf achten, wie viel von ihrer eigenen Glaubwürdigkeit sie an Werbetreibende Unternehmen verkaufen wollen, mithin Native-Advertising-Beiträge möglichst sparsam einsetzen, diese inhaltlich und thematisch abwägen und die Kennzeichnungspflichten per „Anzeige“ unmissverständlich einhalten. Im Idealfall ließen sich dann die eingenommenen Mittel für echten Qualitätsjournalismus nutzen – um die Trennung zwischen Werbung und Redaktion so deutlich wie möglich zu verteidigen. Im eigenen Interesse unabhängiger Medien.
Wie stellt sich Native Advertising für den Verbraucher dar, warum sind die neuen Werbeformate auf dem Vormarsch und mit welchen Mitteln arbeiten sie? Diese Fragen beantwortet unser Essay „Native Advertising – die ‚unsichtbare‘ Werbung“.
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