Die kriselnde Medienbranche gerät durch eine neue Entwicklung immer mehr unter Druck: Großunternehmen machen ihren eigenen „Journalismus“ im Internet. Mit mehr oder minder nützlichen Informationen wollen Konzerne wie Red Bull, Henkel oder E-Plus Aufmerksamkeit und Vertrauen der Nutzer gewinnen (siehe Teil 1). Das so genannte Content Marketing (CM) macht es für die breite Masse immer schwieriger, unabhängigen Journalismus und interessensgeleitete Unternehmenskommunikation auseinander zu halten. Und auch die Medienszene wird kräftig durcheinandergewirbelt. Muss Journalismus bald neu definiert werden?
Von Annette Floren und Lutz Frühbrodt
Red Bull hat mit seinen Bergwelten ein eigenes Online- und Printmagazin auf den Markt gebracht, Anfang 2016 will der Brausehersteller seinen eigenen TV-Kanal starten. Die Henkel-Tochter Schwarzkopf zieht Publikum auf ihre Website, indem sie keine Produkte, sondern Tipps für Tönungen und modische Frisuren gibt. Und der Mobilfunker E-Plus hat mit Curved ein digitales Magazin aus der Taufe gehoben, um es als „Instanz des mobilen digitalen Lifestyles“ zu etablieren. Wer auf der Website den Namen E-Plus sucht, muss schon ziemlich genau hinschauen.
Noch dreister geht es in der Pharmabranche zu. Das Portal Zentrum der Gesundheit etwa bietet sehr ausführliche, scheinbar sehr gut recherchierte Artikel zu Krankheiten und gesundheitlichen Problemen. Die Stoßrichtung: Die Methoden der Schulmedizin sind grundsätzlich schlecht, und auch bei den alternativen Methoden helfen nur ganz bestimmte. Nämlich die Produkte, die der börsennotierte Schweizer Konzern Neosmart Consulting, der das Portal betreibt, gegen Provision anpreist. Das Zentrum der Gesundheit bildet in der Pharmabranche zwar mitnichten einen Ausnahmefall, ist aber nicht zuletzt deshalb anders als die anderen, als dass es sich sein Content Marketing auch noch durch Spenden seiner Nutzer finanzieren lässt.
Die neue Konkurrenz: Klassischer Journalismus versus Content-Marketing
So sehr sich all die dargestellten Content-Marketing-Instrumente in Form und Inhalt unterscheiden, so haben sie doch eines gemeinsam: Es sind und bleiben Marketing-Maßnahmen, die Unternehmen wollen damit Abnehmer für ihre Produkte und Leistungen finden. Im Gegensatz zu unabhängigen Medien adressieren Content-Marketing-Maßnahmen nicht die Gesellschaft, sondern den Markt. Deshalb gilt beim CM wie für jede andere Marketing-Maßnahme: Die getätigten Investitionen müssen sich für das Unternehmen auszahlen in Form von medialen Reichweiten, Reputation, Wertschöpfung. Content-Marketing-Betreiber wollen einen „Mehrwert“ schaffen, der das Unternehmen und seine Produkte in hellerem Licht erstrahlen lässt.
In einer Zeit, da der unabhängige Journalismus in Folge einer tiefgreifenden Strukturkrise zunehmend unter wirtschaftlichen Druck gerät, schieben sich interessensgeleitete Medien immer stärker in den Vordergrund. Deutsche Unternehmen haben 2013 nach einer Studie der Agentur Zehnvier rund 430 Mio. Euro in digitale Magazine investiert. Mit dem CM-Boom sollten es inzwischen deutlich mehr geworden sein. Gerade dadurch, dass Unternehmen das Content-Marketing für erfolgsversprechender halten als bezahlte Werbeanzeigen, erschweren sie die Situation der klassischen Medien zusätzlich, weil sie ihnen wichtige Werbeeinnahmen entziehen.
Die ethische Lücke in der Online-Welt können die Unternehmen für sich nutzen. Im Content Marketing muss niemand für eine wahrheitsgemäße, ausgewogene Berichterstattung garantieren.
Ganz im Gegensatz zu den reinrassig journalistischen Medien gibt es im Content-Marketing auch noch gute Berufschancen für Journalisten. Genau diese Berufsgruppe, und nicht etwa dynamische Betriebswirte, ist als CM-Mitarbeiter in Unternehmen gefragt: Zu einer ausgefeilten Content-Marketing-Strategie, so betonen Verfechter, gehören unbedingt ein langfristig angelegtes Konzept sowie ein journalistisch professionell arbeitendes Redaktionsteam. Manche Unternehmen und Verbände leisten sich sogar moderne Newsrooms. Im Nachrichtenraum des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft arbeiten zum Beispiel fast 30 Redakteure. Denn die Beiträge sollen sich nicht wie aus einem Werbeprospekt lesen, sondern wie ein fesselnder Zeitungs- oder Zeitschriftenartikel.
Können Kodizes für einheitliche Standards sorgen?
Aus Sicht der Unternehmen ist das Content Marketing eine absolut legitime PR-Strategie. Niemand wird sie daran hindern, damit in ein Terrain vorzudringen, das zumindest bis zu Beginn des Internetzeitalters noch weitgehend den klassischen Medien vorbehalten war. Aber die Öffentlichkeit sollte zumindest die Risiken und Nebenwirkungen im Auge haben: Wenn Artikel, Videos oder Online-Portale im journalistischen Gewand daher kommen, so entsteht beim Leser schnell der fälschliche Eindruck, dass sie auch journalistischen Standards wie Unabhängigkeit und Neutralität Genüge tun wie eine käuflich erworbene Zeitung oder Zeitschrift. Tatsächlich folgt Content Marketing jedoch ganz anderen Regeln als unabhängige Medien.
Im Kodex des Deutschen Presserates, der die hehren ethischen Maßstäbe des Publizierens in Deutschland festlegt, gelten Wahrheit, Wahrhaftigkeit, Sorgfalt und die Einbeziehung von mindestens zwei voneinander unabhängigen Quellen als zwingende Qualitätsstandards. Redaktion und Werbung gehören sauber getrennt, heißt es ausdrücklich. Verleger und Journalisten gleichermaßen werden in der Präambel des Pressekodex an ihre Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit erinnert, zur grundgesetzlich verankerten Meinungs- und Informationsfreiheit beizutragen. So weit, so gut.
Jahrzehntelang galt der Pressekodex allerdings ausschließlich für Printmedien. Erst vor ein paar Jahren haben die Verlage den Kodex auf ihre Online-Medien ausgeweitet. Für den Rest des Internet-Universums gelten die Paragraphen des Deutschen Presserats nicht, selbst nicht für Blogger mit journalistischem Anspruch. Diese ethische Lücke können nun auch die Unternehmen für sich nutzen. Im Content Marketing muss niemand für eine einigermaßen wahrheitsgemäße, ausgewogene Berichterstattung garantieren. Vielmehr darf man sich von vornherein darauf verlassen, nur dem Auftraggeber genehme oder zumindest unschädliche Informationen zu finden.
Zumindest in der Theorie muss sich jedoch auch das Content-Marketing an gewisse Spielregeln halten. Denn analog zum Pressekodex existiert in Deutschland ein allgemeiner PR-Kodex für eine ethisch korrekte Unternehmenskommunikation. An inhaltliche Ausgewogenheit wird hier logischerweise gar nicht erst appelliert (die PR-Schaffenden „dürfen konsequent die Partei ihrer Arbeit- und Auftraggeber ergreifen“), immerhin aber an eine explizite Absendertransparenz, die es der adressierten Öffentlichkeit ermöglichen soll, Informationen abzuwägen und einzuordnen.
Kollisionen mit dem Content Marketing, bei dem die Tarnkappe häufig ein konstitutives Merkmal bildet, sind hier programmiert. E-Plus beispielsweise gibt unumwunden zu, dass es der Glaubwürdigkeit des Curved-Magazins schaden würde, wenn sich der Mobilfunkkonzern offen als Auftraggeber zu erkennen gäbe. Ob wohl im Zuge der sich anbahnenden CM-Welle die im Kodex beschworene Absendertransparenz eingefordert werden kann? Über die Einhaltung des PR-Kodex, der eine freiwillige Selbstverpflichtung darstellt, wacht der Deutsche Rat für Public Relations, der nur sehr zurückhaltend von seiner Sanktionsmöglichkeit der öffentlichen Rüge Gebrauch macht.
Wo der unabhängige Journalismus dem Content Marketing überlegen ist
Sobald eine kontroverse Debatte im öffentlichen Raum über das noch relativ junge Phänomen Content Marketing losbricht, werden ihre Verfechter ein typisches Totschlagargument aus dem Hut zaubern: Die klassischen Medien seien ja selbst kaum besser, darin finde man auch immer mehr verdeckte PR. Was sicher stimmt: Auch die unabhängigen Medien sind natürlich nicht gefeit vor Parteilichkeit, private Medienhäuser sind so genannte Tendenzbetriebe. Und gerade für die unabhängigen Medien gilt, dass sie sich auch als wirtschaftliche Unternehmen beweisen müssen. Journalisten sind angehalten, die Interessen ihres Verlages zu wahren und müssen bei der Berichterstattung vielleicht schon mal auf potente Werbekunden Rücksicht nehmen.
Vielleicht vermögen die klassischen Medien, ihre originären Stärken stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken: Unabhängigkeit, Einordnung und Analyse, Kritik und Kontrolle.
Bei all dem ist das Gut, mit dem die unabhängigen Medien handeln, aber immer noch die Information, die politische Willensbildung, die Bildung – und indem sie dafür Geld verlangen, sind sie angehalten, nach bestem Wissen und Gewissen Qualität zu liefern. Diese Regel gilt für CM-Betreiber nicht, ebenso wenig, wie man von ihnen differenzierte politische Kommentare oder Investigativ-Berichte erwarten darf.
Vielleicht vermögen aber die klassischen Medien, gerade angesichts der neuen Konkurrenz ihre originären Stärken umso stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken: Unabhängigkeit, Einordnung und Analyse, Kritik und Kontrolle. Auch heute noch gibt es PR-Schaffende, die nicht nur auf eigene Medienkanäle, sondern nach wie vor auf Pressearbeit setzen – weil die Nennung in einem etablierten Medium eben doch noch größeres Prestige verleihen kann, als wenn man sich auch in noch so reichenweitenstarken eigenen Newslettern nur selbst auf die Brust trommelt.
Immer wieder und wieder: Medienkompetenz stärken
Wenn immer mehr Content-Marketing-Content in das Netz kommt, macht dies unabhängige Medien umso wertvoller. Wer als Medienrezipient ausgewogene Informationen bekommen will, sollte dementsprechend bereit sein, dafür zu zahlen und beispielsweise auch bei Online-Medien einmal eine Paywall zu überqueren. Will er sich stattdessen partout gratis im Internet bedienen, so muss er seinerseits eine Menge Zeit und Konzentration investieren, um interessensgeleitete Färbungen selbst herauszufiltern – um also verschiedene kostenlos gelieferte Informationen gegeneinander abzugleichen sowie nach den jeweiligen Urhebern und ihren Intentionen zu forschen. Außerdem muss er stets im Hinterkopf haben, dass sich finanzstarke Institutionen im öffentlichen Diskurs in der Regel deutlich lauter Gehör verschaffen können als Organisationen mit geringen Budgets. Unabhängige Medien stehen dagegen über den Dingen, von denen sie berichten, und sie können auch jenen eine Stimme geben, die nicht von sich aus über eine zahlungskräftige Lobby verfügen.
Um all dies im Sinn zu haben, wenn man im Internet stöbert, bedarf es einer hohen Medienkompetenz, die an Deutschlands Schulen oft noch nicht in ausreichendem Maße vermittelt wird. Viele jüngere Menschen lernen nicht, zwischen seriöser Information und PR-Schrott zu unterscheiden. Wie sollen sie es dann schaffen, zwischen unabhängigem und camoufliertem Journalismus zu differenzieren? Auf diesen Punkt muss die Bildungspolitik dringend mehr Augenmerk legen.
Die Endstufe: Unternehmen machen Politikjournalismus
Schließlich: Als „vierte Gewalt“ können in einer Demokratie nur unabhängige Medien agieren. Ihnen kommt die Aufgabe zu, gesellschaftliche Ereignisse zu kontrollieren, zu kommentieren und dadurch auch zu beeinflussen. CM-Maßnahmen können und sollen diese Aufgaben nicht wahrnehmen, sie gehören immer in den Dunstkreis von Werbung, PR oder Lobbyarbeit. Diese Unterscheidung muss unbedingt erkennbar und im Bewusstsein bleiben.
Andernfalls droht nicht nur, dass die seit Jahren schleichende Entgrenzung des Journalismus durch die PR beschleunigt, sondern vielmehr, dass der einst unabhängige Journalismus vollständig vom Content Marketing aufgesaugt wird.
„Vorbild“ USA : Dort betreibt der ortsansässige Öl-Gigant Chevron sein eigene Online-Tageszeitung, den Richmond Standard, nachdem das ursprüngliche Lokalblatt dieses Namens eingegangen war. Auf diesem Wege versorgt Chevron – normalerweise in der Öffentlichkeit eher präsent durch Umweltskandale – die gut 100.000 Einwohner im kalifornischen Richmond täglich mit klassischen Lokal-Nachrichten aus den Rubriken Politik, Wirtschaft, Kultur, Verbrechen, Sport. Von der diskreten Zurückhaltung deutscher Content-Marketing-Betreiber gibt es hier keine Spur mehr: Auf der Richmond-Standard-Homepage prangt stolz die Rubrik „Chevron Speaks“: An einen Bericht über die rückläufigen Arbeitslosenzahlen in der Stadt schließt das Unternehmen einen Kommentar aus eigener Sicht an – mit einem Hinweis auf sein eigenes Angebot an Arbeitsplätzen als I-Tüpfelchen. Muss es wirklich soweit kommen?
Teil 1 unseres Artikels über Content Marketing noch nicht gelesen? Dort erklären wir zunächst ausführlich die Phänomene des CM und wie es auf seine Nutzer wirken soll.
© Die Zweite Aufklärung 2015 (Titelfoto: Fotolia/dizain)
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