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Die klassischen Medienhäuser befinden sich eh schon in der Krise, nun geraten sie noch mehr unter Druck: Großunternehmen machen ihren eigenen „Journalismus“ im Internet. Anstatt ihre Zielgruppen mit plumpen Kauf mich!-Appellen zu überfallen, wollen die Konzerne mit mehr oder minder nützlichen Informationen die Aufmerksamkeit und das Vertrauen der Nutzer gewinnen. Diese neue Form der Online-Kommunikation nennt sich Content Marketing (CM) – und ist der neue Hype in der PR-Branche. Für die Gesellschaft könnten die Folgen fatal sein. In Teil 1 zeigen wir zunächst, wie Content Marketing funktioniert.

Von Annette Floren und Lutz Frühbrodt

„Be useful, be interesting, or be ignored“ – so lautet das Plädoyer von US-amerikanischen Content-Management-Spezialisten für eine moderne Unternehmenskommunikation. Die Konsequenz: Das CM nimmt seine Zielgruppen nicht vordergründig als Käufer, sondern zunächst einmal als Medienrezipienten ins Visier. Also versuchen die CM-Profis aus Unternehmen und einschlägigen PR-Agenturen, die Bedürfnisse und Interessen der Medienkonsumenten möglichst gut zu bedienen. Letztlich geht es wie bei allen Public-Relations-Strategien auch hier immer darum, das Unternehmen mit seinen Leistungen in der Öffentlichkeit möglichst gut zu positionieren. Darum, Image und Vertrauen zu schaffen – um den geneigten Konsumenten letztlich doch zum Kauf der eigenen Produkte zu überreden. Beim CM geschieht dies freilich meist geschickter, weil es anders als bei klassischer PR oder gar gewöhnlicher Werbung durch die Hintertür erfolgt.

Die helfende Hand? Content Marketing kommt gern nützlich und nutzwertig rüber. Foto: Fotolia/Photocreo Bednarek

Die helfende Hand? Content Marketing kommt gern nützlich und nutzwertig in allen Situationen des Lebens rüber. Doch ob daraus tatsächlich immer ein Geschäft auf Gegenseitigkeit wird, ist fraglich. Foto: Fotolia/Photocreo Bednarek

 

Red Bull – das große „Vorbild“

Red Bull, der österreichische Hersteller teurer Energiedrinks, exerziert vor, wie professionelles Content Marketing funktioniert. War der von Red Bull gesponserte Fallschirmsprung des Extremsportlers Felix Baumgartner Ende 2012 aus 40.000 Metern Höhe ein spektakulärer PR-Gag, so arbeitet die Red-Bull-Unternehmenskommunikation heute weitgehend wie ein Medienhaus, das scheinbar rein gar nichts mit der süßen Brause zu tun hat. Einfach nur „gemütlich ins Gebirge“, mit dem Mountainbike durchs Gaistal oder ein paar Tage zu Besuch in der „Berliner Hütte“ in den Zillertaler Alpen – in seinem Online-Magazin bergwelten.com zeigt Red Bull die Alpenrepublik von ihrer natürlichsten Seite. Auf den Seiten ist keinerlei Werbung zu finden.

Wer Red Bull sucht, muss schon im Impressum nachschauen. Die Bergwelten funktionieren halt anders: Wer auf Wanderschaft geht oder sich aufs Mountainbike setzt, bekommt schnell Durst und braucht natürlich jede Menge Energie. Und irgendwie hat man vielleicht doch schon mal gehört, dass diese tolle Website zu Red Bull gehört…Seit Mai 2015 gibt Red Bull seine Bergwelten auch als Printmagazin heraus. Für Anfang 2016 ist zudem der Start eines Spartensenders geplant, der sich ausschließlich Extremsportarten widmet.

Das Bergwelten-Magazin von Red Bull findet man online, in variierter Fassung verkauft es auch als Printprodukt.

Das Bergwelten-Magazin von Red Bull findet man online, in variierter Fassung verkauft es auch als Printprodukt.

Unternehmen wie Red Bull reagieren mit ihren CM-Aktivitäten auf drei entscheidende Phänomene in der öffentlichen Kommunikation. Das erste: Obwohl die Media- und Web-Agenturen seit Jahren immer wieder mit neuen Varianten experimentieren, kommt die Anzeigen-Werbung im Internet einfach nicht gut beim Kunden an. Viele User ignorieren die flackernden Werbe-Banner oder lassen sie von vornherein unterdrücken. Das zweite Phänomen: Als Quelle schneller, kostenloser Information ist das Internet dafür umso beliebter. Fast jeder, der sich über ein Thema informieren will, recherchiert heutzutage im Netz und googelt nach bestimmten Suchbegriffen.

Und schließlich die dritte wichtige Entwicklung: Mit dem Siegeszug sozialer Medien wie Facebook, Twitter oder Instagram hat sich gezeigt, dass die Unternehmenskommunikation immer weniger auf die klassischen Medien, die „Presse“, angewiesen ist, und ihre Zielgruppen immer häufiger auf direktem Weg erreichen kann. Betrachtet man alle drei Phänomene in Summe, muss es zumal für größere Unternehmen heute attraktiv sein, ihre potenziellen Kunden auf ihre eigenen Websites mit selbst produzierten Inhalten zu lotsen. Diese owned media – die Veröffentlichungen über eigene Online-Kanäle – gewinnen damit zunehmend an Bedeutung gegenüber den paid media für bezahlte Werbeanzeigen.

 

Verbrauchertipps, Video-Tutorials und spektakuläre Unterhaltung als Köder

Das hat nicht nur Red Bull erkannt. Als stilprägend für die deutsche CM-Szene gilt die Strategie des Haarkosmetikers Schwarzkopf. Auf ihrer Website preist die Tochter des mächtigen Henkel-Konzerns nicht etwa ihre eigenen Produkte an, sondern gibt vielmehr „trendige“ Tipps fürs Stylen und Tönen – inklusive Video-Anleitung. Die KäuferInnen kommen dann schon von alleine. Die Schwarzkopf-Website steht für die Spielart des Content-Marketing, die den Usern praktische Tipps geben – stets gut sichtbar verbunden mit der Produktmarke. Auch die männliche Kundschaft gerät dabei ins Visier – so locken zum Beispiel Baumärkte mit Video-Tutorials.

Eine weitere Variante ist die der „guten“ Unterhaltung – bevorzugt durch spektakuläre YouTube-Videos, die auf eine virale Verbreitung hoffen dürfen. Ganz vorne ist hier ein Filmchen, das bereits 45 Millionen Mal angeklickt wurde: Ein Rennfahrer verkleidet sich als Spießer und macht zusammen mit einem Gebrauchtwagenverkäufer eine halsbrecherische Spritztour in einer Sportkarosse. Gefilmt wird das fünfminütige Autorennen von einer Dose im Getränkehalter des Wagens. Große Überraschung: Hinter dem Verstehen-Sie-Spaß-Video und der Kamera-Dose steht Pepsi. Wer das nächste Mal im Supermarkt vor dem Getränkeregal steht, greift dann vielleicht doch nicht zu Coke…

Curved ist das CM-Magazin des Mobilfunkers E-Plus. Bewusst nicht auf den ersten Blick erkennbar.

Curved ist das CM-Magazin des Mobilfunkers E-Plus. Bewusst nicht auf den ersten Blick erkennbar.

Unterhaltung, kombiniert mit halbwegs verdeckter Werbung – daran sind viele bereits gewöhnt. Deutlich kritischer wird es jedoch, wenn Content Marketing im Gewand des Journalismus daher kommt – vor allem dann, wenn der Name des Unternehmens gezielt im Hintergrund bleibt. Man bewegt sich in Themen- und Produktwelten, die scheinbar gar nichts mit der Marke zu tun haben, will Lifestyle abbilden und spannende redaktionelle Beiträge liefern. So gönnt sich der Mobilfunkanbieter E-Plus das Online-Magazin Curved, veröffentlicht dort Ratgeber, Videos, Testberichte und Reportagen rund ums Thema Smartphones und „mobile Welt“. Die Curved-Redaktion entscheide selbständig und unabhängig von E-Plus-Produkten über ihre Themen, beteuert der Auftraggeber. Man wolle den Lesern lediglich Orientierung in der hochkomplexen Vielfalt digitaler Themen geben und gleichzeitig erfahren, was die Zielgruppen interessiert und die Trends von morgen sind. Curved scheint bestens zu funktionieren, denn die großen E-Plus-Konkurrenten Deutsche Telekom und Vodafone haben inzwischen mit eigenen Portalen nachgezogen.

Der Mobilfunk ist beileibe nicht die einzige Branche, in der aus allen CM-Rohren geschossen wird. Wo es noch dreister zugeht und welche fatalen gesellschaftlichen Folgen dies haben kann, lesen Sie in Teil 2 dieses Artikels.

© Die Zweite Aufklärung 2015 (Titelfoto: Fotolia/michakloodwijk)

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