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1964 wurde die Stiftung Warentest ins Leben gerufen. Anderthalb Jahre später, im April 1966, erschien erstmals ihre Zeitschrift test. Was die Adenauer-Regierung ursprünglich als Beruhigungspille für die Konsumkritiker im Lande geplant hatte, mauserte sich über die Jahre zu einer mächtigen Institution des Verbraucherschutzes. Zu einer Gegenmacht der Konsumenten, die den Unternehmen genau auf die Finger schaut und ihnen auch immer wieder mal auf diese klopft. Die Zeitschrift test stellt dabei ein Paradebeispiel für unabhängigen Journalismus dar.

Bundeswirtschaftsminister Kurt Schmücker (rechts) überreicht die Stiftungsurkunde.

Bundeswirtschaftsminister Kurt Schmücker (rechts) überreicht die Stiftungsurkunde.

Die wichtigsten Impulse für ein neues Verbraucherbewusstsein kamen aus Schweden, Großbritannien, den Niederlanden und vor allem aus den USA. Dort organisierten sich in den 1950ern immer mehr Konsumkritiker. Präsident John F. Kennedy (1960-1963) griff die Kritik auf und stärkte durch Gesetze und staatliche Initiativen den Verbraucherschutz. Auch in der jungen Bundesrepublik mehrte sich – inmitten des ’Wirtschaftswunders‘ der 1950er – die Kritik am Konsumrausch von weiten Teilen der Bevölkerung, aber auch daran, dass die Verbraucher in Sachen Produktqualität völlig abhängig vom Wohlwollen der Unternehmen waren. So merkte 1961 der Spiegel an: „Bislang galt ein Produkt deutscher Wertarbeit im Grunde erst dann als untauglich, wenn seine Mängel so offen zutage traten, daß die Gerichte den Käufern Schadensersatzansprüche zuerkannten.“

Verbraucherschutz als Alibi von Marktideologie

Das sollte sich ändern. Die konservativ-neoliberale Bundesregierung nutzte den konsumkritischen Affekt für sich, um die Verbraucherschutzpolitik in ihr Konzept der Sozialen Marktwirtschaft einzubinden. „Das Publikum, das faule, will geführt werden“, lautete der ironische Befund des zuständigen Ministerialrats im Bundeswirtschaftsministerium. Aus dem Verbraucher, der betreut und erzogen werden muss, sollte sich nun der mündige Marktteilnehmer entwickeln – so zumindest sah es die westdeutsche Marktideologie der fünfziger Jahre vor. Der Verbraucher kommt im und mit dem Markt zurecht.

Das t-Logo erkennt heute (fast) jeder. Ein Warentest-Plakat am Berliner Hauptbahnhof.

Das t-Logo erkennt heute (fast) jeder. Plakat am Berliner Hauptbahnhof.

Erste Vorstöße in Richtung einer staatlichen Verbraucherschutzorganisation unternahm die Bundesregierung deshalb im Jahr 1957 parallel zur Verabschiedung des (Anti-)Kartellgesetzes, dem ‘Grundgesetz‘ der Sozialen Marktwirtschaft. Nur dass es mit der Stiftung Warentest deutlich länger dauern sollte. Der Widerstand aus der Wirtschaft war erheblich. So lehnte beispielsweise der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) das Projekt mit dem Argument ab, der Verbraucher werde schon „durch Werbung in ausreichendem Maße unterrichtet.“

Mit Skepsis verfolgten zudem die privat organisierten Verbraucherschützer die Vorbereitungen für die Stiftungsgründung. Die 1953 ins Leben gerufene Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) begann 1959 selbst mit Produkttests und musste die Stiftung als bedrohlichen Konkurrenten betrachten. Vor allem aber verstand der AgV den Verbraucherschutz als gesellschaftliche Gegenmacht zur bisher unangefochtenen Vorherrschaft der Industrie im Adenauer-Erhard-Deutschland. Anfang der Sechziger sah sich der AgV deshalb selbst als der am besten geeignete Kandidat, um im staatlichen Auftrag Produkttests durchzuführen. Doch die CDU bremste die Verbraucherverbände aus, weil sie ihr politisch nicht genehm waren.

Ende 1962 kündigte Bundeskanzler Adenauer in einer Regierungserklärung die Gründung eines unabhängigen Warentest-Instituts an. Anderthalb Jahre später beschloss der Bundestag einstimmig – also auch mit den Stimmen der oppositionellen SPD – die Gründung der Stiftung. Am 4. Dezember 1964 errichtete der Bund die Stiftung Warentest als selbständige, das heißt: private Stiftung bürgerlichen Rechts. Dass ihr die Regierung zunächst keine große Bedeutung beimaß, zeigte sich daran, dass sie als Standort nicht die Hauptstadt Bonn, sondern das aus ihrer Sicht abgelegene West-Berlin wählte.

Die publizistischen Aktivitäten: Von DM über Test zu test.de

Noch im Juni 1962 sagte die Zeit nichts Gutes für den Verbraucher voraus: „Früher erfuhr er gar nichts. Bald aber hat er die Wahl, wem er glauben will: den privaten oder den halbamtlichen Testunternehmen. Und die Verwirrung, so steht zu fürchten, wird groß sein…“ Die Zeit traute den deutschen Konsumenten offenbar wenig zu. Das von ihr beklagte Problem verwirrender Wahlmöglichkeiten aber erledigte sich bereits einige Jahre später.

Als die Stiftung Warentest an den Start ging, gab es zwei erwähnenswerte Konkurrenten. Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände mit ihrer Verbraucher-Politischen Korrespondenz sowie DM – Zeitschrift mit dem Warentest des schwäbischen Verlegers Waldemar Schweitzer. Während die Verbraucher-Politische Korrespondenz nie allzu große publizistische Strahlkraft entwickelte, kam die 1961 auf den Markt gebrachte DM auf Auflagenzahlen von bis zu 400.000 Exemplaren. Das Blatt testete von Nylonstrümpfen bis Waschmaschinen ein breites Spektrum an Konsumprodukten.

Schon bald nach dem Start der Stiftung Warentest erkannten die Unternehmen, dass sich gut mit den Test-Urteilen werben ließ.

Schweitzer, der zuvor als Spiegel-Korrespondent gearbeitet hatte, bildete ungewollt die Vorhut für die Stiftung Warentest. Im Rechtsstreit zwischen DM und einem Warenwaagen-Hersteller sprach das Oberlandesgericht Stuttgart 1961 ein Grundsatzurteil: Demnach sei zum Beispiel in Presseartikeln geäußerte „sachliche Kritik auch dann als erlaubt anzusehen, wenn sie sich als gewerbestörend auswirkt“, also etwa zu drastischen Umsatzeinbrüchen führt. Da nun eine deutlich größere Rechtssicherheit der Tester gewährleistet war, trieb die Bundesregierung das Projekt Stiftung Warentest voran. Zugleich war DM dem Wirtschaftsministerium ein Dorn im Auge, von „Effekthascherei“ war die Rede. Tatsächlich wies DM einen (wenn auch anderen) Systemfehler auf, sogar einen doppelten. Zum einen finanzierte sich die Zeitschrift nicht nur über den Vertrieb, sondern zu einem Gutteil auch über den Anzeigenverkauf. Dies stellte ihre Unabhängigkeit in Frage, zumal gerade auch getestete Hersteller in dem Blatt inserierten. Zum anderen setzte DM unzulängliche Testmethoden ein und verkündete dennoch selbstbewusst Pauschalurteile („Deutsche Anzüge passen schlecht“).

Nicht nur einmal gab DM seine Redakteure als „Testinstitute“ aus. Das war zwar nicht sauber, allerdings auch eine Folge davon, dass die wissenschaftlichen Warenprüfinstitute oft nicht mit der Zeitschrift zusammenarbeiten wollten. Weil sie Druck oder gar einen Boykott durch die Industrie fürchteten. Schweitzer wollte daraufhin ein eigenes Testinstitut aufbauen, doch schon 1966 musste DM aufgeben. Nicht zuletzt die vielen Prozesse, mit denen verschiedenste Unternehmen Waldemar Schweitzer überzogen hatten, brachen dem Verleger finanziell das Genick.

Zu viel Frau und zu wenig Nähmaschine? Das erste Cover von "test" geriet schnell in die Kritik.

Zu viel Frau und zu wenig Nähmaschine? Das erste Cover von „test“ geriet schnell in die Kritik.

Schweitzer hat mit seiner DM in vielfacher Hinsicht den Boden für die Stiftung Warentest bereitet – auch für deren Zeitschrift test. Ende 1965 stand die erste Testmannschaft, die sich aus Ingenieuren, Betriebswirten und Journalisten zusammensetzte. Im April 1966 erschien die erste Ausgabe von test. Doch sofort hagelte es Kritik. Zu viel „Sex“ (damals gleichbedeutend mit hübschen Frauengesichtern), zu wenige Produkte auf dem Cover. Zu wenige Tests – trotz angeblicher Überfinanzierung. Während das erste Heft noch 200.000 Mal verkauft wurde, fiel die Zahl der Abonnenten binnen eines Jahres auf 10.000. Zudem wurde die Zeitschrift vorübergehend aus dem Einzelhandel genommen. Bis 1975 stieg die Gesamtauflage aber bis zu einer halben Million Exemplare an. Die Stiftung hatte eine massive Werbekampagne für ihr Printprodukt durchgeführt. Und es hatte seine Zeit gebraucht, bis Stiftung und test-Redaktion „die richtige Gangart“ fanden, wie der damalige Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs zum zehnten Geburtstag der Stiftung festhielt. 1991 gesellte sich der nach Gerüchten heute kriselnde Finanztest zur test-Zeitschrift dazu. 1997 startete das Internet-Portal test.de. Von 1966 bis heute hat die Stiftung Warentest 5.400 Tests von insgesamt 92.500 Produkten durchgeführt.

 

Musterbeispiel für unabhängigen Journalismus

Zum zehnten Jahrestag der Stiftung Warentest 1974 sprach Wirtschaftsminister Friderichs aber nicht allein über die richtige Gangart: „Der Stiftung ist es nicht nur gelungen, die Skeptiker zu überzeugen, sondern sie hat auch die Widerstände überwunden, die sich ihrer Gründung und Arbeit zunächst entgegenstellten.“ Dies war insofern unfreiwillig komisch, als ausgerechnet die „Freunde“ des FDP-Ministers und späteren Dresdner-Bank-Chefs die Stiftung attackierten. Bereits in der Frühphase überzogen vor allem Großunternehmen die Stiftung Warentest immer wieder mit Klagen wegen angeblich ungerechtfertigter Testergebnisse. Die große Mehrzahl der Prozesse gewann die Stiftung, einige verlor sie aber auch. Zuletzt vor einigen Monaten gegen Ritter Sport in der Causa „Voll-Nuss“. Bisher hat die Stiftung jedoch nie Schadenersatz zahlen müssen, was für ihre Arbeit spricht.

Ein Hochdruckreiniger brennt beim Test. Die Unternehmen reagieren oft ungehalten.

Wiederholte Kritik musste sich die Stiftung wegen angeblicher Panikmache gefallen lassen – zum Beispiel mit ihrer Warnung vor „elektromagnetischem Schmutz“ bei E-Bikes. Tatsächlich muten die schonungslosen Beurteilungen der Tester und Redakteure aus Berlin zuweilen etwas jakobinisch an. Sie zeugen von einem kerngesunden Selbstbewusstsein, aber auch davon, dass sich die Warentester tatsächlich als Anwälte des Verbrauchers verstehen. Sie sind eben nicht die reinen Gut/Schlecht-Tester für einzelne Produkte, wie es sich Adenauer, Erhard und ihre marktradikalen Anhänger ursprünglich ausgemalt hatten. Vielmehr durchwehte die Redaktionsräume am Berliner Lützowplatz schon bald nach Gründung der gesellschaftskritische Geist der 68er-Bewegung. Die kritische Grundhaltung ist bis heute geblieben. Sie spiegelt sich unter anderem darin wider, dass inzwischen auch Aspekte der sozialen Unternehmensverantwortung wie zum Beispiel faire Herstellungsmethoden mit in die Bewertung einfließen.

Von der redaktionellen Haltung, aber auch von der institutionellen Konstruktion her ist die Stiftung Warentest mit ihren Publikation ein mustergültiges Beispiel dafür, wie unabhängiger Journalismus organisiert sein kann. Vorstand, Verwaltungsrat und Kuratorium sind zwar nicht völlig frei von politischem Einfluss – dies käme bei einer öffentlichen Institution auch der Quadratur des Kreises gleich. Die Gremien sind aber paritätisch mit Vertretern der Verbraucher und Unternehmer sowie mit „Neutralen“ besetzt. Die Parteien spielen so gut wie keine Rolle. Insgesamt betrachtet ist die Stiftung damit deutlich unabhängiger als zum Beispiel die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.

Die Distanz zu Staat und Parteien manifestiert sich auch in der Finanzierung. Rund zehn Prozent des Etats muss der Staat zwar jährlich aus Steuermitteln zuschießen – die Subventionen sind aber nicht zweckgebunden. Der Löwenanteil speist sich aus dem Verkauf der Publikationen. Die Warentester müssen sich also anstrengen, die Redakteure dürfen nicht am Markt vorbeischreiben. Schon früh haben die Warentester die Bezahlschranken bei test.de herunter gelassen, um die sinkenden Auflagen ihrer Zeitschriften aufzufangen. Das hat gut, aber nicht voll und ganz geklappt. Seit 2013 müssen deshalb Unternehmen, die mit Test-Urteilen werben wollen, für die Verwendung des Stiftungs-Logos bezahlen. Dass Unternehmen weiterhin liebend gern mit Testurteilen werben, zeugt von dem hohen Vertrauen, dass die Stiftung Warentest trotz aller kleineren und größeren Anmaßungen in der Bevölkerung genießt. Sie ist die mit Abstand bekannteste Stiftung Deutschlands.

© 2014/2021 Die Zweite Aufklärung (Alle Fotos: Stiftung Warentest)

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Prof. Lutz Frühbrodt

Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Professor für "Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation" an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zu kommunikations- und wirtschaftspolitischen Themen. Spezialgebiet Mediensoziologie. Zuvor ein knappes Jahrzehnt Wirtschaftsreporter bei der "Welt"-Gruppe - als Teilstrecke seines Marsches durch die Institutionen. Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität in seiner Heimatstadt Berlin. Volontariat beim DeutschlandRadio Kultur.

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