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11.6.2013 – Das Wahlvolk hat den Politikern die blinde Gefolgschaft aufgekündigt. Heute entscheiden vor allem vorübergehende Gefühlslagen und die aktuelle wirtschaftliche Zufriedenheit, an welcher Stelle der Wähler sein Kreuzchen macht. Wenn er es denn überhaupt macht. Denn die größte Angst hat die politische Klasse davor, dass die Zahl der Nichtwähler weiter steigt. Deshalb beschworen bei der Konferenz „Wahlkampfstrategien – Das Hochamt der Demokratie“ die Wahlkampfmanager aller Parteien unisono die Mobilisierung der Wählerschaft. Wie das gelingen soll? Soviel steht fest: Das klassische Klinkenputzen kehrt zurück. Eindrücke vom ersten Tag der Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.

Noch reden sie in Ruhe und voller Respekt miteinander: Wahlkampfmanager aller Bundestagsparteien versammelten sich in Berlin. Ganz links Moderator Thomas Leif.

 

„Eine schwarz-gelbe Ökonomie in einer rot-grünen Gesellschaft“, beschreibt nach Ansicht von Ralf Tils am treffendsten die politische Konstellation im Deutschland des Jahres 2013. Der Politikwissenschaftler von der Hamburger Strategieberatung APOS sieht – basierend auf wiederholten Umfragen – bei sozialen und kulturellen Fragen (Lohn-, Familien-, Energie-, Bildungspolitik etc.) eine klare Mehrheit in der Bevölkerung für SPD und Grüne. Wenn es um ökonomische Fragen gehe, punkteten jedoch Union und FDP, allen voran Kanzlerin Merkel. Und im Zweifel sei eine relative Zufriedenheit mit der eigenen wirtschaftlichen Situation, sei Sicherheit wahlentscheidend, konstatiert Tils. „Merkel hält unser Geld zusammen. Wir haben den Südeuropäern bereits genug Geld gegeben. Deshalb dürfen wir in der EU auch bestimmen“ – dies sind nach Tils die wichtigsten Kernbotschaften, die die Union an das Wahlvolk sendet.

 

CDU verfolgt Strategie der „asymmetrischen Demobilisierung“

Politikberater Ralf Tils glaubt, dass Kanzlerin Merkel eine Große Koalition bevorzugt.

Im Grunde wolle sich das Wahlvolk wie in einem Supermarkt bedienen: Von jedem etwas in den Korb legen. Merkel bediene dieses Bedürfnis mit ihrer Strategie der „asymmetrischen Demobilisierung“ des politischen Gegners. So geht sie gar nicht auf die Attacken des Gegners ein, übernimmt vielmehr nach Bedarf Themen und Positionen von Rot-Grün wie den Mindestlohn oder die Mietpreisbremse. Parallel dazu greift Schwarz-Gelb Gegner beim Thema Wirtschaftskompetenz an. Tils glaubt, dass eine solche Strategie heute leichter als in früheren Wahlkämpfen verfange, weil die Wähler stärker nach sozialpsychologischen Gefühlslagen entscheiden würden als nach konkreten Inhalten oder gar einer fest umrissenen Weltanschauung. Die relative Zufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation würde zudem die Entpolitisierung des Wahlvolks befördern. „Die Wähler verabschieden sich von der großen Politik“, so Tils. „Wenn sie sich dann noch engagieren, dann in ihrem unmittelbaren Umfeld.“

Politik-Prof Sarcinelli

Dies hat allerdings noch ganz andere Ursachen, auf die der Politologe Ulrich Sarcinelli einging. Die Hochamt-Metapher des Konferenztitels aufgreifend verglich Sarcinelli die Politik mit der katholischen Kirche. Das Volk verweigere inzwischen beiden die blinde Gefolgschaft, es sei kritischer geworden. Dies sei vor allem darauf zurück zu führen, dass demokratisch-parlamentarische Verfahren an Bedeutung verloren hätten. Die postdemokratischen Entscheidungsmechanismen in Brüssel sind nur ein Beispiel dafür. Sarcinelli verwies allerdings auch darauf, dass Maßnahmen von Zentralbanken und Urteile des Bundesverfassungsgerichts mittlerweile auch höheres Ansehen in der Bevölkerung genössen als Beschlüsse des Bundestags. Dies müsse zu einer relativen Entwertung von Wahlen führen.

 

Alle wollen die Nicht-Wähler erreichen

Dass dies nicht ohne Folgen bleibt, zeichnet sich schon jetzt ab. 2009 hat die Beteiligung an den Bundestagswahlen mit 70,8% ihren historischen Tiefstand erreicht (Höchstmarke: 91,1% im Jahr 1972).  Das vermeintliche Zauberwort, das die in Berlin versammelten Wahlkampf-Manager deshalb immer wieder bemühten, lautete Mobilisierung. „Immer mehr Menschen erwarten sich immer weniger von der Politik“, sagte Matthias Höhn, Bundesgeschäftsführer der Linkspartei. Dabei handele es sich vor allem um sozial Ausgegrenzte, die „über den Daumen ein Drittel der Gesellschaft ausmachen.“ Die Linke wolle diese Schichten mobilisieren, so Höhn.

Zwei alte Haudegen des deutschen Konservatismus: Peter Radunski (l.) und Werner Weidenfeld

SPD-Manager Hans-Roland Fäßler blies in dasselbe Horn. „Wir müssen die Menschen erreichen. Wir müssen klar machen, dass es weniger um die Popularität der Spitzenkandidaten als vielmehr um Inhalte geht“, sagte der leidgeprüfte Steinbrück-Berater. In Niedersachen und Frankfurt am Main habe dies geklappt. Die SPD-Wahlkämpfer wollen in diesem Sommer – trotz Ferienzeit – den Wahlberechtigten nicht weniger als vier bis fünf Millionen Hausbesuche abstatten.

Die Union will sogar zehn Millionen „Bürgergespräche“ führen, kündigte Peter Radunski an. Der CDU-Politiker verwahrte sich bei der Gelegenheit gegen den Vorwurf, die Union wie auch die SPD würden unter Überalterung leiden und seien deshalb auch nicht fähig, die jüngeren Wähler anzusprechen. „Die Alten spielen eine extrem wichtige Rolle bei den Wahlen“, sagte Radunski in Anspielung auf den demografischen Wandel. Die CDU gehe „mit großem Raffinement“ bei der gezielten Ansprache der Senioren vor, zum Beispiel auch in Altenheimen.

Und die Jüngeren? „Ohne Internet kann man eine Wahl verlieren“, stellte Grünen-Manager Robert Heinrich fest. „Mit dem Internet allein kann man aber auch keine Wahl gewinnen.“ Das sehen inzwischen selbst die Piraten so. So will die Piratenpartei nicht nur eine Poststelle (!) einrichten, sondern neben Netz-Kampagnen auch mit realen Aktionen und Demonstrationen Wahlkampf machen. Um eben die Wähler ganz persönlich zu mobilisieren.

Lutz Frühbrodt


Was die Parteien im Einzelnen vorhaben, können Sie hier in Wort und Bild erfahren:

"Steinbrück und die SPD sind nicht nach links gerückt, wie einige Medien und Schwarz-Gelb behaupten", sagte SPD-Wahlkampfmanager Hans-Roland Fäßler. "Die SPD kämpft für die Wiederherstellung der Sozialen Marktwirtschaft. Peer Steinbrück steht in der Tradition von Ludwig Erhard. Angela Merkel ist eher die Schwester der Chicago-Boys."

"Wir haben uns klar aufgestellt, für manche vielleicht zu klar", sagte Grünen-Stratege Robert Heinrich über die Steuerpläne seiner Partei. "Wir wollen aber auch polarisieren und klare Botschaften senden." Auf allen wichtigen Themenfeldern - Energie, soziale Gerechtigkeit, Bildung - hätten die Grünen die Mehrheit der Gesellschaft hinter sich.

"Hat die CDU eine Strategie? Zum gegenwärtigen Zeitpunkt nein", räumte CDU-Politiker Peter Radunski ein, fügte aber sogleich an: "Angela Merkel bestimmt, wann es richtig losgeht." Radunski räumte eine gewisse Nervisotät in der Union ein: So ließen sich die Wahlversprechen erklären, die zwischen 30 und 45 Mrd. Euro kosten würden. Radunskis Offenheit hat einen Grund: Er sprang bei der Böll-Konferenz nur kurzfristig für die CDU ein. Er übernimmt keinen aktiven Part in der Wahlkampfzentrale seiner Partei.

Die Wahlkampfthemen der FDP lauten Steuerentlastung und Geldwertstabilität, kündigte Wahlkampfmanager Dennis Schmidt-Bornemann an. "Umfrageergebnisse, bei denen wir bei vier bis fünf Prozent der Stimmen liegen, sind gut für uns. Das mobilisiert unsere Sympathisanten", sagte der FDP-Mann. "Schlecht ist es, wenn wir unter vier Prozent liegen. Das suggeriert, eine Stimmabgabe für uns wäre dann eh vergeblich."

Salomon Reyes von der Piratenpartei riskierte eine kesse Lippe: "2009 haben wir allein durch Zensursula 900.000 Stimmen bekommen. Jetzt suchen wir wieder so eine Person, deren Politik nicht so gut ist, und hauen dann voll drauf!" Inhalte in Form von 320 Forderungen haben die Piraten inzwischen auch. Und 16 Spitzenkandidaten - in jedem Bundesland einen.

"Wir sind in einer permanenten Aufholjagd", glaubt Matthias Höhn, Bundesgeschäftsführer der Linken, die ihre lähmenden innerparteilichen Streitigkeiten einigermaßen überwunden hat. In den Wahlkampf geht die Partei mit mehreren Politikerköpfen. Der Rückzug von Oskar Lafontaine ändere nichts daran, dass die SPD nicht mit der Linkspartei koalieren wolle.

Was die Werbeagenturen, die für die Parteien unterwegs sind, vorhaben? Siehe dazu: Wie die Parteien den Wähler ködern wollen.

© 2013 Die Zweite Aufklärung (Text sowie alle Fotos)

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